Autor Thema: [NI] Günstigkeitsprüfung nach §72 NBesG für Einstellung zw. 2011 und 2016  (Read 49651 times)

_restore

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Mal schauen. Wie gesagt: die Argumentation über §71 und §73 kann in meinen Augen nicht geführt werden. Und ohne derartige „Modifizierungen“ bleibt ja nur der Wortlaut in §25 mit Verweis auf Anlage 5.
SwenTanortsch‘ Ausführungen mit dem Gesetzesvorbehalt verstehe ich nicht wirklich. Das meint doch, dass etwas entschieden werden muss, für das es keine klare Vorgabe im Gesetz gibt, oder? Die gibt es aber in §25 in meinen Augen sehr deutlich.

Sehr gerne verweise ich nochmal auf die Drucksache 17/7081 des niedersächsischen Langtags.
S. 31 letzter Absatz (zu §25): hier wird ganz klar nochmal erwähnt, dass man die Erfahrungsstufen in der Anlage abzulesen hat und nicht in irgendwelchen veralteten Besoldungstabellen. Dort wird sogar prophezeit, dass es "für den Rechtsanwender etwas übersichtlicher" wäre, wenn man die Einstiegsstufe jeweils separat aufgelistet hätte und sie nicht aus der "Anlage zum Gesetz" (!) abzulesen wäre. Genau diese klare Trennung von einmaliger Einstiegsstufenablesung (NBesG §25) und monatlicher Grundgehaltsablesung (NBesG §71) macht dem NLBV (und der Richterin?) jetzt tatsächlich Probleme.

„Alternativ wäre zwar auch denkbar, die Zahl der Erfahrungsstufen und die Dauer der in den einzel- nen Erfahrungsstufen vor dem Stufenaufstieg abzuleistenden Erfahrungszeiten an dieser Stelle im Paragrafenteil des Gesetzes zu regeln. Die Landesregierung hat sich jedoch dafür ausgesprochen, an dieser Stelle noch keine Festlegung vorzunehmen und die Regelung der diesbezüglichen Ein- zelheiten der Anlage 5 zu überlassen. Dagegen bestehen aus Sicht des Ausschusses keine recht- lichen Bedenken, zumal Regelungen in einer Anlage zum Gesetz im Vergleich zu Regelungen im Paragrafenteil des Gesetzes gesetzestechnisch gleichwertig und normhierarchisch gleichrangig sind.“

Speziell Swen, was sagst du zu diesem Zitat? (Ich verfolge den Allimentations-Thread sehr aufmerksam und sehe es dort genau wie du, achte also deine Meinung :) vielen Dank für dein Engagement dort)

An alle: Also Berufung ja oder nein? Was sagt ihr? Wenn ich aufgebe: würden eure Verfahren dann auch eingestellt? Oder könntet ihr weitermachen?
« Last Edit: 29.09.2020 12:36 von _restore »

Studienrat

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Hörst du auf, werden alle anderen Gerichte identisch a la Copy Paste entscheiden.


_restore

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Um vielleicht mehr Leute in die Diskussion zu locken, rechne ich kurz nochmal vor, von welchen Beträgen wir hier reden:

Stellen wir uns einen Grundschullehrer (A12)vor:
Einschulung mit 6.
Abitur nach 13 Jahren mit 19.
Studiumsabschluss nach Regelstudienzeit (damals noch 4 Jahre) mit 23.
Mit 1,5-jährigem Referendariat ist er mit 24,5 fertig.
Schenken wir ihm ein halbes Jahr Auszeit, nichtflüssigen Übergang oder Extrasemester...

Also mit 25 Jahren wurde er auf Probe in Altersstufe 3 verbeamtet.

Nach meiner Auffassung von §25 ließe ihn die Günstigkeitsprüfung nachträglich in Stufe 4 starten, welche er nach altem Recht erst mit 27 bekommen hätte.

Jeder Monat eher bringt auf die Dienstzeit gerechnet nach aktueller Besoldungstabelle über 1300€. Bei seinen 24 Monaten sind es also über...

...31000€!!

Also schreibt eure Lehrerfreunde an und schickt ihnen den Link zu diesem Thread ;-)


SwenTanortsch

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Eine Verwaltung ist an das zu der entsprechenden Zeit geltende Recht gebunden; beim Fehlen eines Gesetzes ist Verwaltungshandeln ausgeschlossen (Prinzip des Gesetzesvorbehalts). Da das NBesG zum 01.01.2017 neu gefasst wurde, ist es ab jenem Zeitpunkt anzuwenden. Für die Zeit vor dem 01.01.2017 ist die vormalige rechtliche Regelung zu beachten mitsamt der zu jenem Zeitpunkt geltenden Anlage 5. In diesem Sinne ist das Zitat der Entscheidung zu verstehen:

"Entgegen dem Wortlaut von § 25 Abs. 1 Satz 2 NBesG i. V. m. Anlage 5 war der Kläger – nach neuem Recht unter Berücksichtigung von Erfahrungszeiten – jedoch nicht zu Beginn seines Beamtenverhältnisses der Erfahrungsstufe 4, sondern der Erfahrungsstufe 3 zuzuordnen. Denn die (rückwirkende) Zuordnung des Klägers zu einer Erfahrungsstufe richtet sich hier nicht ausschließlich nach § 25 NBesG, sondern wird durch die Übergangsvorschriften der §§ 71-73 NBesG modifiziert, da der Kläger zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des NBesG am 1. Januar 2017 bereits in einem Beamtenverhältnis stand. Die erstmalige Zuordnung zu einer Erfahrungsstufe erfolgt beim Kläger im Rahmen der Günstigkeitsprüfung des § 72 Abs. 2 NBesG. Bei der Zuordnung zu einer Erfahrungsstufe im Rahmen der Günstigkeitsprüfung kann nicht die aktuelle Besoldungstabelle der Anlage 5 herangezogen werden, da auf einen zurückliegenden Zeitpunkt – den Zeitpunkt der Ernennung – abzustellen ist (1.). Dem steht auch nicht das rückwirkende Inkrafttreten der §§ 25 und 71-73 NBesG entgegen (2.). Der Wille des Gesetzgebers und die Regelung des § 73 NBesG verdeutlichen, dass der Wegfall der dritten Erfahrungsstufe nur den ab dem 1. Januar 2017 neu eingestellten Beamten zugutekommen und nicht bereits rückwirkend ab dem 1. September 2011 gelten sollte (3.). "

Wenn ich es richtig sehe, kann das VG so, wie die Neufassung des NBesG formuliert ist, nicht anders entscheiden, da es als judikative Gewalt den Gesetzeswortlaut auszulegen hat; hier geht es um materielles Recht. Das VG geht dabei im Sinne Deiner Klage davon aus, dass das Gesetz als solches rechtsnormativ korrekt ist. Ich halte es für wahrscheinlich, dass die übergeordneten Instanzen das genauso sehen werden. Von daher meine Darlegung, dass eine Erschütterung der vom  Niedersächsischen Landtag beschlossenen Rechtsnorm womöglich nur dann möglich ist, wenn die Schlechterstellung nachzuweisen wäre, denn dann wäre ein Teil der Rechtsnorm widersprüchlich, womit eventuell die Norm als solche ihre Wirkung verliert.

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mitsamt der zu jenem Zeitpunkt geltenden Anlage 5.

Zu jenem Zeitpunkt war Anlage 5 aber nicht die Besoldungstabelle. Und hätte man es an dieser Stelle in §25 so flapsig formulieren wollen, warum formuliert man es in §71, wo tatsächlich die alten Besoldungstabellen gemeint waren, so kompliziert?
„die Anlage 2 des Niedersächsischen Besoldungsgesetzes in der Fassung vom 7. November 2008 (Nds. GVBl. S. 334) in der jeweils geltenden Fassung (im Folgenden: NBesG)“

Außerdem ist die jetzige Anlage 5 mit dem Verweis auf §25 und ohne - wie bei allen anderen Besoldungstabellen sonst üblichen - angegebenen Gültigkeitsbeginn auch ab 2011 anzuwenden (natürlich nicht zum Ablesen des Grundgehalts, dafür gibt es ja §71, aber für das Ablesen der Einstiegsstufe).

Ich bleibe dabei: Laut Gesetz wäre 4 meine Einstiegsstufe.

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Ich sehe das genauso, restore!
Wir beide scheinen da aber offensichtlich die Einzigen zu sein.
Das Gericht wird aus ganz anderen, aus ihrer Sicht ökonomischen, Gründen entschieden haben, aber dazu habe ich mich in diesem Forum bereits in aller Ausführlichkeit geäußert.

Einen letzten Satz noch zu dem Sachverhalt: Das Erfahrungsstufenmodell stellt ein eigenständiges Konzept dar. Und zu diesem Konzept wurde eigens eine adäquate Tabelle entwickelt (dazu gehört, in welchen Zeitintervallen die nächsthöheren Stufen erreicht werden und mit welcher Stufe die jeweiligen Besoldungsgruppen beginnen). Die Konzeption dessen war kein Zufall, sondern in Abstimmung mit dem Gesamtkonzept bewusst so gewählt worden. Mithin kann konstatiert werden, dass in sich geschlossen konstruierte Konzepte nach Gutdünken vermischt werden.

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@restore
Wie ist der Stand der Dinge?
Gehst du noch weiter?
Ich werde nächste Woche mit meiner Anwältin Kontakt aufnehmen.

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Berufung ging heute raus.

Am traurigsten finde ich, dass ich vor zwölf Tagen allen Verbänden (GEW, Philologen, NBB) geschrieben habe (Info über das Verfahren, Urteil angehängt, Begründung für unsere Sichtweise vorgetragen, Relevanz auch für Mitglieder erklärt, Link zu diesem Forum...) und es bis heute keine einzige Rückmeldung gab, obwohl ich um eine Empfangsbestätigung gebeten habe.
Besonders bitter, weil das NLBV gerade fleißig Bescheide rausschickt. Allein an meiner Schule in den letzten zwei Wochen mindestens drei Bescheide bei 15 Einstellungen zwischen 2011 und 2016. Zwei davon legen Widerspruch ein, weil sie nach meiner Rechtsauffassung mit neuem Recht besser dastünden...

Also von mir der klare Rat: Beiträge für GEW oder Philologen sparen und in eigene Rechtschutzversicherung investieren!

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Berufung ging heute raus. — Respekt und mega!



Also von mir der klare Rat: Beiträge für GEW oder Philologen sparen und in eigene Rechtschutzversicherung investieren!

— Traurig, aber wahr!

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Restore, was sagt dein Anwalt hinsichtlich der Terminierung?
Hoffentlich dauert es nicht wieder 2 Jahre..?!

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Restore, was sagt dein Anwalt hinsichtlich der Terminierung?
Hoffentlich dauert es nicht wieder 2 Jahre..?!

Nein, keine Ahnung, wie lange sowas dauern kann.

Die GEW hat sich gemeldet und lässt es prüfen. Mal schauen, zu welchem Ergebnis die kommen...

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Die Kompetenz der GEW ist beeindruckend!
Wie alt war eigentlich deine Richterin?

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Nicht verkehrt verstehen, Restore!
Ich versuche nur die Chancen zu antizipieren.

Meine Anwältin schiebt übrigens die lange Wartedauer auf Corona...

Hat die GEW schon etwas verlauten lassen?

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Die Richterin war tatsächlich relativ jung (um die 30 vielleicht?). Aber ich hoffe und glaube, dass das eigentlich keinen Einfluss haben darf. Die genaue Rechtslage ist ja sicher für alle Richterinnen und Richter neu zu bewerten...

Die GEW hat sich bedankt und hat meine Mail an die Rechtsabteilung weitergeleitet. Das ist über drei Wochen her. Seitdem nichts mehr. Genauso lange habe ich nichts von den Philologen gehört. Die haben nur geschrieben, dass bei denen auch schon Mitglieder auf sie zugekommen sind, sie die Ausführungen in der Urteilsbegründung aber nachvollziehen können. Im Einzelfall (Kollegin von mir) raten sie aber sehr wohl zu einem Widerruf. Der NBB hat gar nicht geantwortet. Was soll‘s.

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Wie gesagt, die GEW ist großartig. In Hamburg wurde vor 15 Jahren das Lehrerarbeitszeitmodell eingeführt. Man brauchte die Gewerkschaften. Die einzige Reaktion der GEW war, dass sie, ähnlich wie bei der SPD, sich aufgrund ihrer vielen unterschiedlichen Flügen in Debatten gegenseitig zerfleischte. Darüber hinaus brachte sie nichts zustande. Chapeau!

Auch vom Philologenverband habe ich mehr erwartet als: „Die Argumentation ist nachvollziehbar.“
Ist deine Argumentation nicht auch nachvollziehbar?
Ja, es haben sich mehrere bei Letzteren gemeldet.
Einer davon war ich. Keinerlei Rückmeldung!

Hochgelobte Institutionen, wie Gewerkschaften und Gerichte werden auch nur von Menschen gemacht.
Und wenn im Neoliberalismus die kulturelle Sonne so tief steht, dass selbst Zwerge große Schatten werfen, warum sollte es bei den genannten Institutionen anders sein?

Ich erinnere an die von unserer damaligen Kultusministerin angehobene Unterrichtszeit für Gymnasiallehrer.
Der Philologenverband klagte. Die erste Instanz des Verwaltungsgerichtes entschied für das Kultusministerium.
Das Oberverwaltungsgericht entschied schlussendlich gegen das Kultusministerium.

Was war damals das Motiv der ersten Instanz (vielleicht war die Richterin auch 30 Jahre alt und der Sachverhalt eine Nummer zu hoch) und können Parallelen zu unserer Situation gezogen werden?