Puh, lang geworden. Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler dürfen behalten werden. Es ist spät...
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Die im Gerichtsschreiben vom **.**.2020 angegebene Formulierung auf S. 67 (links) der Drucksache 17/7012 (§72 Abs. 1 Satz 3) ist sowohl in den Empfehlungen als auch im fertigen Gesetz nicht exakt so, aber vom Sinn her immernoch enthalten. Die Überleitung von Beamtinnen und Beamten, die sich zum Stichtag 31.12.2016 noch in Stufe 3 befunden haben, wird in den Empfehlungen in §72/2 behandelt (S. 69 gleiche Drucksache), im fertigen Gesetz hat die besagte Anpassung dann einen eigenen Paragraphen bekommen (§73 NBesG). Das liegt auch daran, dass diese Anpassung völlig unabhängig vom vorliegenden Rechtsstreit ist, da Herr *** zum Stichtag nicht in Stufe 3 war. Zudem geht es in unserem Rechtsstreit um die anfängliche Festlegung der Einstiegsstufe und nicht um eine Überleitung eines Bestandsbeamten.
[Eine Stufenanpassung durch §73 wird in der Praxis wahrscheinlich selten angewendet, wäre aber bei unserer Rechtauslegung in zwei Situationen denkbar: bei Beamtinnen und Beamten die jung in Besoldungsgruppe A12, A13 oder A14 angefangen haben und dann längere Zeit - ohne Sammeln von Erfahrungszeit - beurlaubt wurden, oder bei Beamtinnen und Beamten, die sich aufgrund von Beförderungen in einer der besagten Besoldungsgruppen befanden und sie nicht als Eingangsamt hatten.]
In den Empfehlungen von Drucksache 17/7012 (rechte Seite) wird zum ersten mal im Gesetzgebungsverfahren das Erfahrungsstufensystem auch rückwirkend ab 2011 formuliert und gleichzeitig eine Günstigkeitsprüfung eingeführt (Seite 69 bei (2)). Somit verkompliziert sich die gesamte Stufenfestsetzung derart, dass die besagte Formulierung (vormals §72 Abs. 1 Satz 3 auf S. 67) für Bestandsbeamtinnen und -beamte bei Weitem nicht ausreicht.
Da die Drucksache 17/7012 nur einen ersten Schritt im Gesetzgebungsverfahren darstellt, ist zwingend auch die in der mündlichen Verhandlung erwähnte Drucksache 17/7081 mit einzubeziehen, in der dann wiederum Erklärungen und nochmalige Änderungsempfehlungen zur Drucksache 17/7012 gegeben werden. Dort wird an vielen Stellen unsere Rechtsauffassung untermauert. Hier nur einige Beispiele aus Drucksache 17/7081:
- S. 31 vierter Absatz und folgende (zu §25): hier werden Hinweise zu der "sachlogischen Reihenfolge" des Stufendurchlaufs erläutert. Zu Beginn kommt die "Zuordnung zu einer Erfahrungsstufe". Im weiteren Verlauf wird empfohlen die "Formulierung „der Erfahrungsstufe, in der … der Anfangsgrundgehaltssatz“ durch die Formulierung „der ersten Erfahrungsstufe, in der ein Grundgehaltssatz“ zu ersetzen". Direkt danach wird in diesem Zusammenhang auf die alles entscheidende Anlage 5 hingewiesen. Von anderen Quellen für das Ablesen der Einstiegsstufe ist keine Rede. Zudem wird nochmal deutlich, dass die einmalige - zu Beginn des Beamtenerhältnisses stattfindende - Festlegung der Einstiegsstufe nichts mit der monatlichen Ablesung der Grundgehaltssätze zu tun hat (erst dazu benötigt das NLBV dann laut aktuellem §71 NBesG die alten Besoldungstabellen).
- S. 31 letzter Absatz (zu §25): hier wird ganz klar nochmal erwähnt, dass man die Erfahrungsstufen in der Anlage abzulesen hat und nicht in irgendwelchen veralteten Besoldungstabellen. Wie in der Verhandlung bereits zitiert, wird sogar prophezeit, dass es "für den Rechtsanwender etwas übersichtlicher" wäre, wenn man die Einstiegsstufe jeweils separat aufgelistet hätte und sie nicht aus der "Anlage zum Gesetz" (!) abzulesen wäre. Genau diese klare Trennung von einmaliger Einstiegsstufenablesung (NBesG §25) und monatlicher Grundgehaltsablesung (NBesG §71) macht dem NLBV jetzt tatsächlich Probleme.
- S. 62ff (zu §72): hier wird ausführlich erklärt, warum es für das Land Sinn machte, "das Erfahrungsstufensystem bereits rückwirkend zum 01.09.2011 in Kraft zu setzen". Somit wird auch klar, dass es der Regierung hauptsächlich darum ging, Entschädungszahlungen aufgrund von Altersdiskriminierung zu vermeiden. Daher kann glaubhaft angenommen werden, dass die Regierung im Rahmen der Günstigkeitsprüfung einige Fälle höherer Erfahrungszeit und somit mögliche Nachzahlungen wie bei Herrn *** in Kauf genommen hat, um bedeutend höhere Kosten an anderer Stelle zu vermeiden.
Zudem ist hier immer wieder von einer "rückwirkenden Inkraftsetzung dieses Systems zum 01.09.2011" die Rede. Dieses "System" beinhaltet als Gesamtgebilde auch den Wegfall der Stufe 3 in Besoldungsgruppe A13. Es heißt auf S. 63 ab Zeile 5 als Erklärung auch:
"Die Regelung des § 70/3 [jetzt Günstigkeitsprüfung §72] beinhaltet die Abschaffung der ersten mit einem Grundgehalt belegten Stufe der Besoldungsgruppen A 12 bis A 14 sowie R 1. Hierdurch wird für ab dem Inkrafttreten des Gesetzes neu einzustellende Beamtinnen, Beamte, Richterinnen und Richter dieser Besoldungsgruppen ein Ausgleich für finanzielle Härten herbeigeführt, die aufgrund langer Ausbildungszeiten durch das Erfahrungsstufensystem gegenüber dem früheren Recht entstehen können."
Das "Inkrafttreten des Gesetzes" liegt bei den entsprechenden Paragraphen (§25, §71, insbesondere auch §72) im Jahre 2011. Der Gesetzgeber möchte also auch junge Leute belohnen, die zügig in das Beamtenverhältnis einsteigen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Herr *** regulär eingeschult wurde, keinen Schuljahrgang wiederholt hat, sein Studium und das Referendariat (zitierte "lange Ausbildungszeit": 3 Jahre Bachelor + 2 Jahre Master + 1,5 Jahre Referendariat, alles ohne Anrechnung von Erfahrungszeit) in Regel-(studien-)zeit abgeschlossen hat und sonstige Zeiten lückenlos durch Grundwehrdienst (vor dem Studium) und Vertretungslehrertätigkeiten (nach dem Studium) abgedeckt sind (daher die zusätzlich eingebrachte Erfahrungszeit).
Zudem könnte man sich im Rahmen des Gesetzgebungsverfahres noch den stenografischen Bericht der 118. Sitzung vom 15.12.2016 (ausgegeben am 12.01.2017) anschauen. Auch hier wird von mehreren Landtagsabgeordnetinnen und Landtagsabgeordneten verschiedener Parteien (auch der Opposition) die rückwirkende (!) Einführung des Erfahrungsstufensystems angesprochen.
Zusammengefasst gibt es also im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens in den genannten Drucksachen genügend Hinweise und Belege, dass bei der Verbeamtung auch zwischen 2011 und 2016 nach neuem Recht die Stufe 4 die Einstiegsstufe ist.
Dennoch muss man diesen Aufwand der Motivsuche und Interpretation über die entsprechenden Änderungen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gar nicht betreiben, da das final formulierte und gültige Gesetz durch die Günstigkeitsprüfung im Zusammenspiel mit §25 und Anlage 5 ganz klar sagt, dass Herr *** nach neuem System in Stufe 4 (plus die zusätzliche Erfahrungszeit) starten muss. Dies wäre für ihn dann günstiger als die Einstufung nach Lebensalter.
Die zahlreichen Änderungen, Diskussionen und Erklärungen zu den im Rechtsstreit relevanten Paragraphen in den oben genannten Drucksachen lassen es unmöglich erscheinen, dass die Formulierung in §25 mit dem dortigen Verweis auf die konkret aufgeführte Anlage 5 versehentlich beim Schreiben des Gesetzes "durchgerutscht" ist und es in Wirklichkeit ganz anders geplant war.