Autor Thema: [NI] amtsangemessene Alimentation  (Read 13276 times)

SwenTanortsch

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Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
« Antwort #15 am: 09.03.2019 13:47 »
Sofern das Bundesverfassungsgericht einen entsprechenden Beschluss fasst (es wird eher kein Urteil fällen, sondern einen Beschluss, den es dann an das entsprechend zuständige Gericht zurückverweist oder direkt an den Landtag adressiert), wird das Land handeln müssen, anstonsten dürfte es strafversetzt nach Polen oder Ungarn werden. Ernsthaft: Nicht umsonst hat Baden-Württemberg sogleich reagiert, als es unlängst (am 16.10.18) vom Bundesverfassungsgericht gerüffelt wurde. Auch Sachsen hat reagiert (es ist schon zwei Mal gerügt worden). Und Niedersachsen dürfte sich im Moment mit der Neufassung der gesetzlichen Regelung zur Besoldung bei begrenzter Dienstfähigkeit herumschlagen, da es dazu ja Ende November letzten Jahres vom Bundesverfassungsgericht verdonnert worden ist und nun bis Ende des Jahres eine verfassungsgemäße Neufassung beschließen muss (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 28. November 2018 – 2 BvL 3/15; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2018/11/ls20181128_2bvl000315.html). Kein Land kann es sich erlauben, einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu ignorieren. Denn sein Parlament würde damit die Legitimität verlieren.

Nordlicht

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Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
« Antwort #16 am: 09.03.2019 15:08 »
Nee, dass sie einen Beschluss des BVerfG ignorieren, meinte ich auch nicht. Eher, dass die Karlruher gar nicht erst so sehr rüffeln werden, dass etwas passieren MUSS....

SwenTanortsch

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Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
« Antwort #17 am: 09.03.2019 16:58 »
... tendenziell hat das Bundesverfassungsgericht zunehmend verdrießlich auf die Verfassungsverstöße der Länder reagiert - zugleich hat es letztes Jahr, als es das Streikrecht für Beamte weiterhin unterband, noch einmal durch die Blume deutlich gemacht, dass den Arbeitgebermonopolisten der Länder eine besondere Verantwortung daraus erwächst, dass Beamten keine wirklichen Arbeitskampfmaßnahmen gestattet sind. Insbesondere Andreas Voßkuhle gebührt hohes Verdienst, dass er seit seiner Präsidentschaft aus dem "zahnlosen Tiger" Alimentationsprinzip ein an konkreten Daten orientiertes System gemacht hat. Allerdings wird er 2020 ausscheiden - man kann also nur hoffen, dass bis dahin ein paar der zur Zeit sechs anhängigen Länderentscheidungen beschieden sein werden. Insbesondere wird das Gericht eine (bislang von ihm nicht vorgenommene) Präzisierung der Berechnungsmethode zur Feststellung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums vornehmen müssen. Es ist die Frage, ob es dem operationalisierten Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts folgen wird (wie in letzter Zeit verschiedene Verwaltungsgerichte); sofern das geschieht, wird es wohl in einigen Bundesländern fast zwangsläufig zu recht deutlichen Erhöhungen im Besoldungsgefüge kommen. Da es keine Haushaltsnotlagen mehr gibt, darf man durchaus ein wenig optimistisch sein, denke ich.

Nordlicht

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Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
« Antwort #18 am: 09.03.2019 17:42 »
Na gut, dann versuche ich mal, optimistisch zu sein :).
Wenn ich es auch noch nicht so richtig glauben mag.
Aber zumindest werden wir danach nicht weniger bekommen ;D :o

Buccaneer

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Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
« Antwort #19 am: 09.03.2019 17:46 »
.und dennoch habe ich so ein unbestimmtes Gefühl, dass Verfassungsrang (Urteil) gegen Verfassungsrang (Schuldenbremse) ausgependelt wird...

Nordlicht

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Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
« Antwort #20 am: 09.03.2019 17:48 »
Wir werden es sehen. Irgendwann.  8)

SwenTanortsch

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Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
« Antwort #21 am: 09.03.2019 19:03 »
Die Schuldenbremse ist eher mehr ein politisches Instrument als eine ökonomische Herausforderung - die zu ihrer Konstituierung gewählten Formulierungen lassen politisch gesehen offensichtlich recht viele Spielräume zu, wie sie interpretiert werden kann, wenn es denn ab nächstem Jahr so weit ist, dass sie tatsächlich für die Länder gilt. Bislang war sie für die Länderfinanzminister bzw. die jeweiligen Regierungen im Allgemeinen ein politisch willkommenes Mittel, um sie als Klabautermann nutzen zu können. Bei ungenehmen Forderungen konnte man stets einwenden, dass diese ab 2020 eine so schwere Hypotheken darstellen würden, dass ab da dann in vielen anderen Feldern gewaltigste Einschnitte nötig sein würden. Ungenehme Forderungen oder Ansprüche konnten so rasiert werden. Sobald sie denn dann Wirklichkeit sein wird, wird es - wenn es politisch genehm ist - vielfache Ausnahmen geben, darauf gehe ich jede (naja, fast jede) Wette ein.

Fakt ist auf jeden Fall nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass eine nicht amtsangemessene Alimentation nur in Zeiten von Haushaltsnotlagen statthaft ist, und zwar innerhalb eines zu begründenden Gesamtkonzepts, in dem eine solche Alimentation nur ein Baustein der Konsolidierung unter anderen darstellen dürfte. "Sonderopfer" der Beamten sind nicht statthaft (Gleichheitsgrundsatz). Da offensichtlich bislang kein Bundesland einer entsprechend nötigen Begründungspflicht nachgekommen ist, offensichtlich noch nicht einmal die prozeduralen Anforderungen erfüllt hat, da keine Gesamtwirkungen abgewogen worden sind (Verhältnismäßigkeit), sind die meisten Besoldungsgesetze der Länder augenscheinlich nicht justiziabel. In diesem Sinne haben beispielsweise in den letzten Jahren das VG Bremen und das OVG- Berlin-Brandenburg die jeweiligen Alimentationen der beiden Länder schon allein aus dem Grund als verfassungswidrig beurteilt, da diese nach ihrer Ansicht ohne ausreichender prozeduraler Begründung bereits automatisch rechtswidrig seien (auch über diese Frage wird das Bundesverfassungsgericht in absehbarer Zeit eine grundsätzliche Entscheidung treffen müssen, also welche Rolle zukünftig die Justiziabilität spielen wird).

Lange Rede kurzer Sinn: Ohne Haushaltsnotlage ist eine nicht amtsangemessene Alimentation auch zukünftig verfassungswidrig; bei Haushaltsnotlagen ist sie nur für begrenzte Zeit innerhalb eines umfassenden und abwägenden Gesamtkonzepts gestattet, in dem sie nur einen verhältnismäßigen Posten unter anderen darstellen darf. Sofern das Bundesverfassungsgericht die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts über die Dauer der Verfassungswidrigkeit teilen würde, dürfte die vergangene niedersächsische Alimentation selbst während Haushaltsnotlagen nicht statthaft gewesen sein, da sie von 2005 bis 2016 kein Ausnahme-, sondern der Regelfall war; es gab keine zeitliche Begrenzung. Dieser Punkt verbunden mit der mangelnden Justiziabilität und nicht gegebenen Verhältnismäßigkeit war für das Bundesverwaltungsgericht offenbar bereits so klar, dass es darauf in seinem Beschluss vom letzten Herbst gar nicht mehr tiefergehend eingegangen ist, während es ein Jahr zuvor in dem Beschluss zur Berliner Alimentation diesbezüglich noch recht umfassend argumentiert hat.

Das Bundesverwaltungsgericht scheint sich seiner Sache so sicher, bewertet die niedersächsische Alimentation offensichtlich als so abwegig, dass es auf dieses wichtige Feld gar nicht mehr eingeht. Die Begründung des Beschlusses zu Niedersachsen ist umfangmäßig im Vergleich zu der des Beschlusses zu Berlin SEHR schmal. Die Richter des Bundesverwaltungsgerichts dürften für diese mangelnde Epik ihre Gründe haben.

Das war jetzt eine etwas längere Ausführung: Pardon!

Nordlicht

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Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
« Antwort #22 am: 09.03.2019 19:23 »
Das war eine längere, aber sehr gute Ausführung.
Man fragt sich nur, warum Herr Hilbers in Anbetracht dessen, was auf das Land Niedersachsen zukommen kann, immer noch diese fast schon arrogante Nonchalance an den Tag legt.
Andererseits - er wäre kein Politiker, wenn er sowas nicht könnte.
Ich jedenfalls wünsche unserer Landesregierung, dass sie ordentlich eins aufs Dach kriegt.

SwenTanortsch

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Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
« Antwort #23 am: 09.03.2019 19:43 »
Letztlich kann der Kollege Hilbers ja gar nichts dafür - er kann einem fast leid tun (das meine ich jetzt ausnahmsweise mal gar nicht ironisch): Er muss jetzt womöglich die Suppe auslöffeln, die ihm sämtliche Regierungen seit 2003/05 eingebrockt haben. Das Ganze war und ist in etwa ein (politisches) Schwarzer Peter-Spiel. Jede Regierung hat sich diesbezüglich nach innen ganz klein und hat nach außen auf dicke Hose gemacht nach dem Motto: alles im Lot und richtig nach außen und nach innen dürfte die jeweilige Koalitionslinie gewesen sein, das Thema bloß nicht anzurühren. Wie sollte da irgendwann jemand sagen: Nee, ist nicht richtig? Letztlich wurde das immer größer werdende Problem von einer Regierung zur nächsten weitergereicht und jede hat gehofft, dass das Hütchenspiel erst der nächsten Regierung vor die Füße fällt. Der gute Herr Hilbers muss jetzt so arrogant wie möglich auftreten, ansonsten zerfleischen sie ihn von innen. Rot-Grün hätte das Thema nach ihrem Wahlgewinn angehen können, weil die SPD es in ihrer letzten Regierung (so wie alle anderen Landesregierungen ab 2003 auch) zwar begonnen hatte, aber in den zentralen Zeiten nicht an der Macht war. Aber die Finanzeinsparungen waren dann für Rot-Grün ebenfalls zu verlockend (und dass das Bundesverfassungsgericht unter Christian Voßkuhle den beschrieben schärferen Kurs fahren würde, war vor Mai 2015 kaum erkennbar); Rot-Schwarz war zu einer Korrektur nicht mehr in der Lage, weil die SPD es Herrn Hilbers kaum gestattet hätte, die während der Regierung Weil I fortgeführten Probleme anzusprechen; das hätte die neue Koalition von Anfang an belastet. Von daher wird jetzt und auch weiterhin von ihm erwartet, dass er den Rammbock gibt (und weil er es macht, tut er mir dann andererseits auch wiederum nicht die Bohne leid).

DDU_Nds

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Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
« Antwort #24 am: 19.04.2019 01:01 »
Hofft die Landesregierung mit dem am 15.04.2019 angekündigten Gesetzentwurf zur Besoldungserhöhung und gleichzeitigen Streichung der Besoldungsgruppen A2 bis A4 dass das Bundesverfassungsgericht den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.10.2018 als nicht rechtswirksam ansieht und somit keine Nachzahlungen in Millionenhöhe entstehen?
 
Wie deutet ihr die Ankündigung?

Buccaneer

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Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
« Antwort #25 am: 20.04.2019 08:42 »
Es geht ja gar nicht nur um Nachzahlungen, sondern auch um das Prozedere in der Zukunft. Und da wurde ja schon weiter oben schön beschrieben, was ein gangbarer Weg zu sein scheint: einfach die Besoldungsstufen kappen, die nicht verfassungskonform sind. Das dann nicht mehr passende Gesamtgefüge wird ja derzeit nicht beklagt, also hat man wieder Zeit gewonnen und Geld gespart...