Autor Thema: Auswahlentscheidung: Was zählt wie viel  (Read 19901 times)

MilesDavis

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Auswahlentscheidung: Was zählt wie viel
« am: 07.12.2019 09:16 »
Hallo zusammen,

ich möchte gerne mal vin erfahrenen ÖD-Personalern wissen, was bei der Auswahlentscheidung für/gegen einen Kandidaten eigentlich wie viel zählt. Die schriftlichen Dokumente, die man einreicht, sind zweifellos essentiell. Sie bilden ja die Grundlage, auf der dann im Vorstellungsgespräch entschieden wird, wen man nimmt.

Was mich nun konkret interessiert: Inwieweit kann man im VG durch die gegebenen Antworten und das Auftreten allgemein noch Konkurrenten "ausstechen", die auf dem Papier (von den Abschlüssen, Benotungen) die besseren Kandidaten sind?

Ich selbst habe Master, Doktor, diverse Fortbildungen und gute sowie sehr gute Arbeitszeugnisse + viel Arbeitserfahrung. Egal wo ich mich bewerbe, ich werde fast immer zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Jetzt hat es auch zum Glück geklappt mit meiner Wunsch-Stelle, aber viele Jahre lang war das anders.

Ich konnte bisher im VG scheinbar nicht wirklich überzeugen. Hatte in den letzten 4 Jahren an die 30 Vorstellungsgespräche. Nur bei zweien davon gab es eine positive Rückmeldung. Bei dem einen sogar eine herausragend Positive. Sonst aber eben kamen gar keine Rückmeldungen.

Daher aus Interesse: Wie wichtig ist der VG-Eindruck? Ich hatte einmal nach meinem VG eine telefonische Rückmeldung, wo mir mitgeteilt wurde, dass ich bei einer Frage, wo ich meine größten Erfolge nennen sollte, nicht so recht punkten konnte. Da stelle ich mir einfach die Frage: Im Ernst jetzt? Meine Arbeitszeugnisse listen Erfolge en detail auf. Und die Personalerin findet, dass ich das nicht "groß" genug herausgestellt habe...aber gut, so ist das dann wohl eben.

Wenn einige Personaler mir hier eine Rückmeldung geben könnten, wäre das nett. Ohne arrogant wirken zu wollen, denke ich, dass ich bei diversen Stellen auf dem Papier durchaus der ideale Kandidat wäre (dass ich eingeladen werden, legt meine grundsätzliche Eignung ja auch nahe). Da ich aber so gut wie immer dann doch Absagen erhalte, scheint der Auftritt im VG (den andere scheinbar souveräner hinbekommen) dann doch sehr viel Bedeutsamer als das, was irgendwo steht, was man (angeblich) kann. Liege ich richtig mit dieser Wahrnehmung?

Besonders irritiert bin ich immer, weil ich gerne vor Menschen sprechen, selbstbewusst auftrete und auch kein Bisschen aufgeregt bin bei den Gesprächen. Ich habe schon viele Workshops moderiert und auch eine Moderationsausbildung gemacht. Ich kann fast alle Fragen umfänglich beantworten und gehe immer sehr gut vorbereitet in die VG. Dass es dennoch so oft nicht klappt, kann ich mir einfach nicht erklären.

Gibt es da Punkte-Listen, anhand derer die Bewerber beurteilt werden? Zählt der subjektive Eindruck? Und wenn ja, wie wird der objektiviert?

Danke vorab!

Tagelöhner

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Antw:Auswahlentscheidung: Was zählt wie viel
« Antwort #1 am: 07.12.2019 10:12 »
Du unterschätzt ganz gewaltig den "Nasenfaktor", der bei zwischenmenschlichen Interaktionen/Verhältnissen eine große Rolle spielt.

Außerdem würde es mich gerade im Öffentlichen Dienst (der natürlich attraktiv für kompetente Idealisten sein kann, aber auch gerne als Sammelbecken für alles, was in der freien Wirtschaft nicht lange überleben würde herhalten muss) nicht wundern, wenn charakterschwache und sehr auf den eigenen Vorteil bedachte Entscheidungsträger personelle Auswahlentscheidungen nach Gesichtspunkten treffen, die dazu beitragen mittel-/langfristig die Konkurrenzdichte in den eigenen Reihen niedrig zu halten und bereits potenzielle spätere Abwanderungsgefahr von (gutem) Personal direkt kleiner zu halten.

So ein Beispiel habe ich selber erst vor einigen Jahren miterleben dürfen. Es gab definitiv kompetentere Bewerber, mit förderlicher Berufserfahrung und gefestigterem Charakter. Man entschied sich dann trotzdem unter Berufung auf ganz andere Argumente für einen Frischling.

Die maßgeblichen Entscheider gewichteten einfach positive Argumente höher, die ihren Favoriten bevorteilen und negative Argumente für die Konkurrenten höher, um diese zu disqualifizieren. Voilà fertig ist die Negativauslese.
« Last Edit: 07.12.2019 10:18 von Tagelöhner »

WasDennNun

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Antw:Auswahlentscheidung: Was zählt wie viel
« Antwort #2 am: 07.12.2019 10:55 »
Sonst aber eben kamen gar keine Rückmeldungen.
Zu Recht, da man mit jeder Rückmeldung sich angreifbar macht, ist zwar schade, aber es gibt ja genug die darauf warten klagen zu können.
Zitat
Daher aus Interesse: Wie wichtig ist der VG-Eindruck? Ich hatte einmal nach meinem VG eine telefonische Rückmeldung, wo mir mitgeteilt wurde, dass ich bei einer Frage, wo ich meine größten Erfolge nennen sollte, nicht so recht punkten konnte. Da stelle ich mir einfach die Frage: Im Ernst jetzt? Meine Arbeitszeugnisse listen Erfolge en detail auf. Und die Personalerin findet, dass ich das nicht "groß" genug herausgestellt habe...aber gut, so ist das dann wohl eben.
Na, daran erkennt man ja eben auch die Qualität der Personalerin (s.o.)

Zitat
Wenn einige Personaler mir hier eine Rückmeldung geben könnten, wäre das nett. Ohne arrogant wirken zu wollen, denke ich, dass ich bei diversen Stellen auf dem Papier durchaus der ideale Kandidat wäre (dass ich eingeladen werden, legt meine grundsätzliche Eignung ja auch nahe). Da ich aber so gut wie immer dann doch Absagen erhalte, scheint der Auftritt im VG (den andere scheinbar souveräner hinbekommen) dann doch sehr viel Bedeutsamer als das, was irgendwo steht, was man (angeblich) kann. Liege ich richtig mit dieser Wahrnehmung?
Unabhängig von den von @Tagelöhner geschilderten Hürden; da du ja nicht weißt, wer die anderen Kandidaten waren und wie deren Papierlage war, ist es natürlich schwierig deiner Wahrnehmung zu folgen.
Kann ja sein, dass du der schlechteste aller Kandidaten warst, oder eben der beste auf dem Papier.
Zitat
Gibt es da Punkte-Listen, anhand derer die Bewerber beurteilt werden? Zählt der subjektive Eindruck? Und wenn ja, wie wird der objektiviert?
Bei uns zählen auch die subjektive Eindrücke zu Fragestellungen wie: Wie passt der in das bestehende Team, wird er lange bleiben,  unterfordert sein, ....
Objektiviert wird das, in dem die Teilnehmer des VG hier eben jeden dieser in Frage stehenden Punkt bewertet (benotet) und man dann dieses Abgleicht.
Bei fachlich fokusierten, spezialisierten  Stellen, sind zukünftige Kollegen bei uns mit im VG, so dass dort auch Fachfragen gestellt werden um die Kompetenz abzuprüfen.
Und bei uns werden zusätzlich Punkte aus der "Papierform" konkretisiert und hinterfragt,

MilesDavis

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Antw:Auswahlentscheidung: Was zählt wie viel
« Antwort #3 am: 07.12.2019 14:57 »
Danke schon mal für die Rückmeldungen! :-)

werop

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Antw:Auswahlentscheidung: Was zählt wie viel
« Antwort #4 am: 07.12.2019 19:22 »
Ich bin kein Personaler. Das erste was mir in den Sinn kam war: zu hohe Gehaltsvorstellungen? Bist Du bereits im ÖD und kennst Dich hinsichtlich Eingruppierung aus?

RsQ

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Antw:Auswahlentscheidung: Was zählt wie viel
« Antwort #5 am: 07.12.2019 19:51 »
Ich bin kein Personaler. Das erste was mir in den Sinn kam war: zu hohe Gehaltsvorstellungen? Bist Du bereits im ÖD und kennst Dich hinsichtlich Eingruppierung aus?

Inwiefern "Gehaltsvorstellungen"? Bei den meisten Ausschreibungen steht die EG ja schon dabei, man hat also eine gewisse Orientierung. Es kann natürlich sein, dass man sich vorab bei den Stufen "verschätzt", aber prinzipiell wird man im öD auch gar nicht nach Gehaltsvorstellungen gefragt.

Ich hatte kürzlich aber eine Bewerbung bei einem Unternehmen in Landeshand (eigener TV) - da habe ich im Nachhinein schon das Gefühl, vielleicht zu hoch gepokert zu haben. Das Vorstellungsgespräch fand ich sehr positiv, aber die Stelle bekam jemand anderes. Was da letztlich entscheidend war, wird man leider nie erfahren.

512BB

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Antw:Auswahlentscheidung: Was zählt wie viel
« Antwort #6 am: 07.12.2019 21:26 »
Zitat von: MilesDavis link=topic=113046.msg155269#msg155269 date

... wo ich meine größten Erfolge nennen sollte, nicht so recht punkten konnte.

[/quote

Jemanden, der das aus dem Privat-TV bekannten, "Punkten können", schauder, benutzt, sich für den höh. Dienst, oder ab EG13 mit UNI-Studium vorstellt, könnte bei mir max. Dienstwagenfahrer mit Sprechverbot werden! ;-)
Aus dem Rest ihrer Anfrage, folgere ich, man will sie nicht haben, da sie mehr kaputt machen, als reparieren würden, Effizienz ihren pot. Arbeitgeber wichtiger als Effektifität ist.

2strong

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Antw:Auswahlentscheidung: Was zählt wie viel
« Antwort #7 am: 07.12.2019 23:43 »
Und Du bist dann sein Kollege mit Schreibverbot? 😉

clarion

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Antw:Auswahlentscheidung: Was zählt wie viel
« Antwort #8 am: 08.12.2019 00:45 »
Hallo Miles,

ich habe eine ähnliche Vita wie Du. Auch für mich war es nicht so einfach. Ich habe ein gutes Jahr gesucht, und vielleicht 15 Vorstellungsgespräche. Schlussendlich bin ich über eine Elternzeitvertretung reingerutscht, wo ich mich bewähren konnte, so dass man mich gerne entfristet hat. Mir wurde nachher durch die Blume mitgeteilt, dass man mich anfangs für überqualifiziert gehalten hat, der nun nur Plan B wahrnimmt und der Wissenschaft hinterher trauert. Dabei hatte und habe ich die Nase gestrichen voll von dem wissenschaftlichen Kannibalismus, der mangelnden Praxisrelevanz und nicht zuletzt der prekären Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft.

Jetzt mit ein paar Jahren Abstand und dem Anblick anderer promovierter Kollegen muss ich feststellen, dass die Jahre als Wissenschaftler im Einzelfall tatsächlich zu Personlichkeitsentwicklungen führen können, die man im Amt nicht so gebrauchen kann, insbesondere was die Kommunikation mit normalen oder auch einfach gestrickten Bürgern angeht.

512BB

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Antw:Auswahlentscheidung: Was zählt wie viel
« Antwort #9 am: 08.12.2019 00:59 »
Und Du bist dann sein Kollege mit Schreibverbot? 😉

Würde ich werden müssen!   ;D

512BB

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Antw:Auswahlentscheidung: Was zählt wie viel
« Antwort #10 am: 08.12.2019 01:38 »
... dass die Jahre als Wissenschaftler im Einzelfall tatsächlich zu Personlichkeitsentwicklungen führen können, die man im Amt nicht so gebrauchen kann, insbesondere was die Kommunikation mit normalen oder auch einfach gestrickten Bürgern angeht.

Dem kann ich nur zustimmen. Mit einer Empfehlung: Diese "Persönlichkeitsentwicklungen" sollten sie nicht zu ver"strickungen" werden lassen. ;-)

MilesDavis

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Antw:Auswahlentscheidung: Was zählt wie viel
« Antwort #11 am: 08.12.2019 06:18 »
Mir wurde nachher durch die Blume mitgeteilt, dass man mich anfangs für überqualifiziert gehalten hat, der nun nur Plan B wahrnimmt und der Wissenschaft hinterher trauert.

Hallo Clarion,

danke für deine Sachstandsschilderung. Dass ich meine Qualifikation nicht so sehr herausstellen soll, um nicht als überqualifiziert zu gelten (etwa bei Stellen, die nur nach E12 bewertet sind), wurde mir in einem Coaching auch bereits vermittelt (E13 oder E14 Stellen sind in meinem Bereich außerhalb der Hochschule rar).

Dennoch kommt in VG natürlich doch immer die Frage, warum ich mich mit meinen Qualifikationen auf diese Stelle bewerbe. Das beantworte ich dann mit echtem Interesse an den Aufgaben etc., aber vielleicht überzeuge ich da nicht wirklich.

Dass die wissenschaftliche Tätigkeit bei mir zu einer Charakterentwicklung führte, die letztlich darin resultiert, dass ich in der Verwaltung anecke bzw. als "problematisch" oder "anders" kommunikativ wahrgenommen werden, habe ich auch bereits vermutet (weil ich in einem anderen Kontext schon die Rückmeldung erhielt, dass ich doch arg wissenschaftlich rede, was als Arroganz ausgelegt wurde, obgleich ich nur einfach darlegen wollte, dass das von mir gesagte auf seriösen Studien basiert).

WasDennNun

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Antw:Auswahlentscheidung: Was zählt wie viel
« Antwort #12 am: 08.12.2019 11:38 »
... dass die Jahre als Wissenschaftler im Einzelfall tatsächlich zu Personlichkeitsentwicklungen führen können, die man im Amt nicht so gebrauchen kann, insbesondere was die Kommunikation mit normalen oder auch einfach gestrickten Bürgern angeht.

Dem kann ich nur zustimmen. Mit einer Empfehlung: Diese "Persönlichkeitsentwicklungen" sollten sie nicht zu ver"strickungen" werden lassen. ;-)
Ist bei mir umgekehrt, meine "Persönlichkeitsentwicklung" als Wissenschaftler schafft mir Zugang und Gehör zu diesen ganz normalen Verwaltungsmenschen.

WasDennNun

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Antw:Auswahlentscheidung: Was zählt wie viel
« Antwort #13 am: 08.12.2019 11:46 »
Mir wurde nachher durch die Blume mitgeteilt, dass man mich anfangs für überqualifiziert gehalten hat, der nun nur Plan B wahrnimmt und der Wissenschaft hinterher trauert.

Hallo Clarion,

danke für deine Sachstandsschilderung. Dass ich meine Qualifikation nicht so sehr herausstellen soll, um nicht als überqualifiziert zu gelten (etwa bei Stellen, die nur nach E12 bewertet sind), wurde mir in einem Coaching auch bereits vermittelt (E13 oder E14 Stellen sind in meinem Bereich außerhalb der Hochschule rar).

Dennoch kommt in VG natürlich doch immer die Frage, warum ich mich mit meinen Qualifikationen auf diese Stelle bewerbe. Das beantworte ich dann mit echtem Interesse an den Aufgaben etc., aber vielleicht überzeuge ich da nicht wirklich.

Dass die wissenschaftliche Tätigkeit bei mir zu einer Charakterentwicklung führte, die letztlich darin resultiert, dass ich in der Verwaltung anecke bzw. als "problematisch" oder "anders" kommunikativ wahrgenommen werden, habe ich auch bereits vermutet (weil ich in einem anderen Kontext schon die Rückmeldung erhielt, dass ich doch arg wissenschaftlich rede, was als Arroganz ausgelegt wurde, obgleich ich nur einfach darlegen wollte, dass das von mir gesagte auf seriösen Studien basiert).
Ein promovierten Mensch der sich auf kleine E13er Stellen bewirbt und sich dann wundert, dass er nicht genommen wird, .......
ohne dir nahe treten zu wollen, mit der Selbstreflexion hast du es nicht, so oder?

Also wenn due auf solche Stellen eingeladen wirst, dann wohl durch aus oft, weil man sich davon frei machen will, dass du hinterher klagst.
Wenn du dann in solchen VG nicht überzeugen kannst, dass man dir es ernsthaft abnimmt, dass du dich so unter wert verkaufst, dann wohl eben darum, weil du anders rüber kommst.

Tipp: Machen denen klar, dass du den Job nur willst, weil Dir Dinge wie: Ortsnähe, Arbeitszeitregelungen, ....blabla eben die Vorteile des öDs wichtiger sind als dein Einkommen und du dir vorstellen kannst, dass die Inhalte interessant sind.
Ein Gerede von: "Mich interessiert die Arbeit aber wirklich" wird dir da bei e11/e12er Stellen als "Dr" eher nicht so ganz abgenommen (außer vielleicht in Sozialpädagogik)

clarion

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Antw:Auswahlentscheidung: Was zählt wie viel
« Antwort #14 am: 08.12.2019 21:45 »
Hallo,

Ich kenne reihenweise Promovierte, die für E13 arbeiten. So klein ist E13 auch wieder nicht. E13 ist für viele Wissenschaftler eine absolut akzeptable Bezahlung.