Autor Thema: Durch Allgemeinverfügungen auch gleichzeitiges außer kraft setzen von Tarifv.?  (Read 2639 times)

Romsen

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Guten Tag,

Dank der Corona Pandemie entstehen ja nun u.a. für Gesundheitseinrichtungen erhebliche Mehrbelastungen. Um vorsorglich genügend Personal, z.B. im Pflegedienst der KH, zu haben wurde vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung eine Ausnahmebewilligung u.a. für Krankenhäuser bewilligt und veröffentlicht. Meine Frage nun: Hebelt dies automatisch einen Tarifvertrag mit der dort vereinbarten Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden aus. Angenommen es kommt zu den 60 Stunden. Werden dann die 21,5 Stunden als Überstunden angerechnet?

Da ich hier keine Dateien hochladen kann:

Allgemeinverfügung zur Durchführung des Arbeitszeitgesetzes - ArbZG
Ausnahmebewilligung zur Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und
Betreuung von Personen über die gesetzliche Höchstarbeitszeit hinaus aufgrund der
Ausbreitung des Corona-Virus gemäß § 15 Abs. 2 ArbZG
Bekanntmachung des Nds. Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung
vom 20.03.2020 - 40012/1 -15-02
Auf der Grundlage von § 15 Abs. 2 ArbZG erlässt das Nds. Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung folgende Allgemeinverfügung:
Abweichend von § 3 ArbZG kann in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen befristet bis zum 31.05.2020 die zulässige
tägliche Arbeitszeit auf maximal 12 Stunden pro Tag verlängert werden.
Ambulante Pflegedienste zählen zu den anderen Einrichtungen zur Behandlung, Pflege
und Betreuung von Personen.
Die Arbeitszeit soll 60 Stunden wöchentlich nicht überschreiten.
Die Regelungen des § 4 ArbZG bleiben unberührt. Danach dürfen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer nicht länger als 6 Stunden ohne Ruhepause beschäftigt werden. Die Arbeit
ist durch im Voraus feststehende Ruhepausen von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden und 45 Minuten bei einer Arbeitszeit von
mehr als neun Stunden insgesamt zu unterbrechen. Die Ruhepausen können in Zeitabschnitte von jeweils mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden.
Nach § 15 Abs. 2 ArbZG kann die Aufsichtsbehörde über die im Gesetz vorgesehenen
Ausnahmen hinaus weitergehende Ausnahmen zulassen, soweit sie im öffentlichen Interesse dringend nötig sind. Diese Voraussetzungen liegen vor.
Die im Arbeitszeitgesetz neben § 15 Abs. 2 ArbZG vorgesehenen gesetzlichen und behördlichen Ausnahmen und Abweichungen von der täglichen Höchstarbeitszeit reichen nicht
aus, um die im dringenden öffentlichen Interesse zu erledigenden Arbeiten ausführen zu
können.
Das für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung auf der Grundlage des § 15 Abs. 2 ArbZG erforderliche dringende öffentliche Interesse ist gegeben. Öffentliche Interessen sind
grundsätzlich nur Interessen der Allgemeinheit. Außer Betracht zu bleiben haben damit in der Regel alle privaten, insbesondere wirtschaftlichen Belange der Betriebe. Das öffentliche Interesse muss auch ein gewisses Gewicht haben. Erforderlich ist, dass die Maßnahmen einem erheblichen Teil der Bevölkerung dienen. Die Ausnahme muss schließlich dringend nötig werden. Das ist nur der Fall, wenn ohne eine unverzüglich erteilte Ausnahmebewilligung ganz erhebliche, für die Allgemeinheit nicht hinnehmbare Nachteile entstehen,
diese aber durch die Ausnahme vermieden werden können.
Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Infektionen mit dem Virus SARS-CoV-2 sind inzwischen in allen Bundesländern nachgewiesen. Die Anzahl der Infizierten nimmt aktuell weiter zu und die WHO hat die Ausbreitung des Virus als Pandemie eingestuft.
Da die derzeitige Entwicklung der Ausbreitung des Virus nicht vollständig abschätzbar ist
und davon auszugehen ist, dass die Zahl der Erkrankungen weiter zunimmt, wird die medizinische Versorgung der Bevölkerung mit dem vorhandenen Personal innerhalb der üblichen gesetzlichen Höchstarbeitszeit nicht zu bewältigen sein.
Darüber hinaus ist im weiteren Verlauf der Ausbreitung der Infektion mit einem stark erhöhten Krankenstand bei den Beschäftigten zu rechnen. Durch Quarantänemaßnahmen,
Grenzschließungen und etwaige Verpflichtungen zur Kinderbetreuung aufgrund der Schließung von Schulen und Kindergärten können zusätzliche Fehlzeiten von Personal entstehen. Um möglichen kritischen Personalengpässen im Bereich von Krankenhäusern und
anderen Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen vorzubeugen,
wird daher die Begrenzung der täglichen Höchstarbeitszeit für diese Beschäftigten für einen befristeten Zeitraum auf zwölf Stunden erhöht. Damit besteht in diesem Bereich die
nötige Flexibilität, um mit dem vorhandenen Personal kurzzeitig erhöhte Fehlzeiten auszugleichen und die für die medizinische und pflegerische Versorgung der Bevölkerung unverzichtbaren Leistungen sicherzustellen.
Diese Allgemeinverfügung kann ganz oder teilweise jederzeit widerrufen werden.
Die Allgemeinverfügung wird hiermit öffentlich bekannt gemacht. Sie gilt als am Tage nach
ihrer Verkündung im Nds. Ministerialblatt als bekannt gegeben.
Anordnung der sofortigen Vollziehung:
Nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) wird die sofortige Vollziehung
der oben angeführten Regelungen angeordnet.
Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung:
Das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung dieser Ausnahmegenehmigung zur umgehenden Sicherstellung der Versorgungslage der Bevölkerung überwiegt das eventuelle Aufschubinteresse der von dieser Allgemeinverfügung Betroffenen. Ohne die
sofortige Ermöglichung von Ausnahmen ist die lückenlose Versorgung der Bevölkerung
und die Funktionsfähigkeit der systemrelevanten Infrastruktur gefährdet. Demgegenüber
sind die Interessen der in den relevanten Branchen beschäftigten Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern an einer Begrenzung der Höchstarbeitszeit auf zehn Stunden für den begrenzten Zeitraum der Ausnahmegenehmigung von geringerem Gewicht. Daher muss vorliegend das Interesse der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegenüber dem
besonderen öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug dieser Ausnahmegenehmigung
zurücktreten.
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Klage beim örtlich
zuständigen Verwaltungsgericht Hannover schriftlich oder zur Niederschrift der Urkundsbeamtin oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle dieses Gerichtes erhoben werden.
Hinweis
Eine Klage gegen diese Allgemeinverfügung hat in Anbetracht der Anordnung der sofortigen Vollziehung keine aufschiebende Wirkung. Auf Antrag kann das örtlich zuständige Verwaltungsgericht nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherstellen.
Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung

Spid

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Die Allgemeinverfügung ist lediglich eine Ausnahmeregelung vom ArbZG. Sonstige tarifliche oder gesetzliche Regelungen werden nicht berührt.

Romsen

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Die Allgemeinverfügung ist lediglich eine Ausnahmeregelung vom ArbZG. Sonstige tarifliche oder gesetzliche Regelungen werden nicht berührt.

Also bedürfte es hierbei auch Tarifliche Regelungen welche unter beiden Parteien beschlossen werden müssen (oder im Einzelfall?

Liege ich dann richtig, dass das Ministerium nicht einfach Tarifverträge (auch in Krisenzeiten) außer Kraft setzen kann? 

Spid

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Die Allgemeinverfügung ist lediglich eine Ausnahmeregelung vom ArbZG. Sonstige tarifliche oder gesetzliche Regelungen werden nicht berührt.

Also bedürfte es hierbei auch Tarifliche Regelungen welche unter beiden Parteien beschlossen werden müssen (oder im Einzelfall?

Inwiefern bestünde eine solche Notwendigkeit? Es gibt doch kein tarifrechtliches Problem, das zu regeln wäre.

Zitat
Liege ich dann richtig, dass das Ministerium nicht einfach Tarifverträge (auch in Krisenzeiten) außer Kraft setzen kann?

Ja - aber wie ausgeführt, werden tarifliche Belange durch die Allgemeinverfügung ohnehin in keinster Weise berührt.

Romsen

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Alles klar, danke. Dann haben sich alle meine Anliegen erledigt.