Beamte und Soldaten > Beamte der Länder und Kommunen
[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
SwenTanortsch:
Heute erfolgte die Veröffentlichung des lange erwarteten Alimentationsbeschlusses im o. g. Verfahren: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html bzw. die Pressemitteilung https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/bvg20-063.html).
Das BVerfG bestätigt in seinem Beschluss über weite Strecken die Arggumentation des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschl. v. 22.9.2017 – 2 C 56.16 u.a.; https://www.bverwg.de/220917B2C56.16.0) - und es läutet offensichtlich eine neue Zeitrechnung für die Besoldung der deutschen Landesbeamten ein. Denn im Gefolge dieses heutigen Beschlusses dürften höchstwahrscheinlich fast alle, wenn nicht alle derzeit geltenden Besoldungsgesetze der 16 Bundesländer als verfassungswidrig betrachtet werden müssen, da nach der heutigen Rechtsprechung wohl alle den Abstand zum Grundsicherungsniveau unterschreiten (vgl. thematisch und zur Einordnung beispielsweise die Diskussionen - bzw. Berechnungen - unter: https://forum.oeffentlicher-dienst.info/index.php/topic,112516.0.html).
Dem Land Berlin - das Extrembeispiel unter den Bundesländern - hat das Bundesverfassungsgericht heute attestiert, dass die maßgebliche Nettoalimentation der untersten Besoldungsgruppe im Zeitraum von 2009 bis 2015 mindestens 24 Prozent unterhalb des verfassungsrechtlich noch statthaften Maßes gelegen hat (vgl. den heutigen Beschluss, Rn. 152). Damit muss die Besoldung für jene Zeiträume in der untersten Besoldungsgruppe (bis 2010 A 2, seitdem A 4) mindestens um den entsprechenden Betrag erhöht werden, sodass am Ende die Nettoalimentation um 24 Prozent höher liegen muss - also um etwa ein Viertel höher als der tatsächlich gewährte Wert. Da das Gericht zugleich wie erwartbar noch einmal die sich aus dem Abstandsgebot - ebenfalls ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums - ergebenden Folgen benannt hat (vgl. dort den fünften Leitsatz), ist eine weitgehende Übertragung auf alle weiteren Besoldungsgruppen geboten.
Im Gefolge des heutigen Beschlusses dürften mehrere Veränderungen auf uns Landesbeamte zukommen, unabhängig davon, dass das Gericht keine konkreten Vorgaben zur Veränderung vorgibt (das wäre nicht seine Aufgabe): Zum einen dürfte sich die Alimentation in wohl allen Ländern (und auch im Bund) erhöhen; zum anderen dürfte das insbesondere für die Familienzuschläge gelten, darüber hinaus sollte es sehr wahrscheinlich sein, dass alle Bundesländer wieder Ortszuschläge in Abhängigkeit von den in den Ländern geltenden Mietenstufen zahlen werden, sodass sich die Besoldung also differenziert: In Gemeinden mit hohen Mietkosten dürfte ein höherer Ortszuschlag gezahlt werden müssen, in Gemeinden mit niedrigen Mietkosten ein niedrigerer. Nun gut, das sind jetzt erst einmal erste Ausblicke.
Entscheidend ist, wer bislang kein Widerspruch gegen seine Besoldung eingelegt haben sollte, sollte das bis Ende des Jahres tun, um Ansprüche zumindest für das laufende Kalenderjahr aufrecht zu erhalten (das Gericht hat darüber hinaus beschlossen, dass ein einfacher Widerspruch zur Aufrechterhaltung der Ansprüche genügt, also kein Klageverfahren angestrengt werden müsste, vgl. Rn. 183; auch das dürfte Maßstäbe für sämtliche weitere anhängige Verfahren setzen).
was_guckst_du:
..ein wenig viel Interpretation bei einem Verfahren, wo es um die Richterbesoldung in Berlin zwischen 2009 und 2015 geht... 8)
SwenTanortsch:
Die R-Besoldung ist in diesem wie in allen weiteren betreffenden Alimentationsverfahren über den Grundsicherungsbetrag mit der A-Besoldung verbunden - denn die niedrigste R-Besoldung kann per se nicht unterhalb der Grenze des Grundsicherungsniveaus liegen, weshalb die Höhe der R-Besoldung an die der A-Besoldung gekoppelt wird, um so den Sockel für eine amtsangemessene Höhe der R-Besoldung bestimmen zu können.
Nicht umsonst werden vom BVerfG nun folgende Netto-Fehlbeträge in der jeweilig niedrigsten A-Besoldungsgruppe konstatiert (Rn. 153), die der Berliner Senat jetzt als Grundlage seiner Berechnungen für eine amtsangemessene R-Besoldung heranziehen muss:
2009: 7.041,32 Euro
2010: 7.738,57 Euro
2011: 8.628,87 Euro
2012: 9.532,93 Euro
2013: 9.347,32 Euro
2014: 9.456,66 Euro
2015: 9.310,93 Euro
Diese Beträge sind die Mindestbeträge, um die am Ende die Nettoalimentation in der niedrigsten A-Besoldungsgruppe erhöht werden muss, um schließlich eine angemessene R-Besoldung erstellen zu können. Der nun geklärten Systematik des Beschlusses (insbesondere, wie sind die vergleichbaren Wohn- und Heizkosten im Grundsicherungsniveau zu bestimmen - hierzu hatte sich das BVerfG bislang nicht konkret geäußert; nun folgt es weitestgehend der für die Länder sehr teuren Methodik des Bundesverwaltungsgerichts, wie dieses sie 2017 und 2018 entwickelt hat, sodass die Mindestnettoalimentation der A-Besoldung nun deutlich höher liegt, als von allen deutschen Gesetzgebern bislang zugrunde gelegt worden ist) werden die noch ausstehenden Beschlüsse zur A-Besoldung folgen. Deshalb haben alle recht lange auf diesen Grundsatzbeschluss warten müssen, der bereits für 2019 vom BVerfG angekündigt worden war.
Das BVerfG hat nun rechtskräftig den konkreten Weg zur Bestimmung der Mindestalimentation dargelegt. Dahinter kann kein Gesetzgeber in Deutschland mehr zurück. Insofern glaube ich nicht, dass ich sehr weit interpretiere... Denn nach Berechnungen auf Grundlage der Bundesverwaltungsgerichtsmethodik hat selbst Bayern als Höchstbezahler im letzten Jahr seine Beamten in der niedrigsten A-Besoldungsgruppe um 1.413,24 Euro netto zu gering alimentiert (vgl. die Berechnungen im o. g. Link). Auch deshalb und weil es kaum möglich sein wird, die Vorgaben des BVerfG ohne Differenzierung der A-Besoldung zu befolgen, spreche ich von einer neuen Zeitrechnung - und das nur umso mehr, als dass das BVerfG nun auch ein für allemal die sog. "Prozeduralisierungspflichten", gegen die ebenfalls praktisch alle Länderparlamente in Deutschland bislang verstoßen, nicht nur ein weiteres Mal unmissverständlich dekretiert (Rn. 96 f.), sondern sie auch, eben weil das Land Berlin diesen nicht nachgekommen ist (und weiterhin nicht nachkommt), gegen es ins Feld führt (Rn. 177-180). Das wird Auswirkungen auf sämtliche weitere Gesetzgebung haben - und es den Ländern deutlich schwerer machen, sich aus ihrer Verantwortung zu drücken, die aus unserer lebenslangen Treupflicht und dem Streikverbot resultiert. Das BVerfG drängt nun recht deutlich darauf, dass die deutschen Gesetzgeber endlich wieder Rechtssicherheit einziehen lassen - die vielleicht beste Nachricht des Beschlusses...
Chrisdus:
@SwenTanortsch
Ich schließe mich deinen Ausführungen vollumfänglich an. Der Grundstein wurde 2015 vom BVerfG gelegt, heute die Konkretisierung sowie das flankierende Urteile vom BVerwG.
Letztlich werden die Länder umschwenken müssen, zumal die Urteilsbegründung kaum Interpretationsspielräume zulässt und sogar Handlungsanweisungen/Möglichkeiten vorgibt. Auch die Prozeduralen Pflichten zur Begründung und die Einordnung in die verfassungsrechtlichen Widersprüche zugunsten der Beamten fällt sehr deutlich aus und lässt keinen Spielraum für einseitige Opfer.
Die Frage, die ich mir stelle, ist, ob die Gewerkschaften endlich mal wach werden und das Urteil aufgreifen sowie die Tragweite verstehen.
Zum Zusammenhang R-Besoldung und A-Besoldung hast du alles richtig ausgeführt. Ich gehe davon aus, dass die Einordnung zur A-Besoldung zeitnah erfolgt unter Verweis auf das heutige Urteil.
SwenTanortsch:
Unabhängig von den anstehenden weiteren Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts in den anhängigen Verfahren ist es genauso, wie Du schreibst, Chrisdus. Wichtig dürfte nun werden, wie die Gewerkschaften und Verbände handeln werden. Ihr bislang diesbezüglich eher zahmes Auftreten ist einerseits nachvollziehbar, da sie auf die Rechtsprechung keinen Einfluss haben. Andererseits wäre nun der Zeitpunkt, mit Verweis auf den Beschluss die Landesregierungen aufzufordern, für verfassungskonforme Besoldungsgesetze zu sorgen - denn unabhängig von der Besoldungshöhe dürften im Spiegel des neuen Beschlusses eigentlich alle gegen die ihnen obliegenden Prozeduralisierungspflichten verstoßen. Das muss nicht so weit gehen wie hier in Niedersachsen, wo die Prozeduralisierung im aktuellen Besoldungsgesetz zu weit über 90 Prozent identisch mit der des letzten ist (was für sich schon ein Verstoß gegen die Prozeduralisierungspflichten darstellen dürfte). Aber verfassungsgemäß dürften auch die anderen Besoldungsgesetze nicht sein und insofern müssten sie nun an sich geändert werden, was aber im Spiegel der politischen Entscheidungen der letzten 15 Jahre wohl kaum geschehen wird. Bewegung wird wohl erst mit dem nächsten Beschluss des BVerfG zur A-Besoldung in die Sache kommen - und dann erst dürfte auch die Tragweite des aktuellen Beschlusses allgemein deutlich werden, denke ich.
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