Hallo,
ich muss sagen, so ganz habe ich die Materie noch immer nicht verstanden. Beim Überfliegen der 87 Seiten hier und bei diversen Gewerkschaftsartikeln habe ich den Eindruck gewonnen, dass v.a. bei kinderreichen Familien kein hinreichender Abstand zum Hartz IV Niveau in den unteren Besoldungsgruppen gegeben ist. Und da innerhalb des Besoldungsgefüges auch ein hinreichenden Abstand der Besoldungsgruppen untereinander gegeben sein muss, sind auch die höhere Besoldungsgruppen bis A16 hinauf und die Richter unteralimentiert. Soweit richtig?
Vorsichtshalber habe ich Ende letzten Jahres auch Widerspruch eingelegt und mittlerweile eine Eingangsbestätigung mit Verzicht auf Einrede der Verjährung bekommen.
Meine Fragen sind nun, gilt das Argument der Unteralimentation auch für Singles und Paare ohne Kinder?
Ich entnehme der Diskussion, dass der Gesetzgeber sich primär daran denkt, Ortszuschläge und erhöhte Kinderzuschläge einzuführen bei gleichbleibende Grundbesoldung. Ist das ein verfassungskonformer Ansatz oder dürfen sich alle klitzekleine Hoffnungen machen?
Bitte steinigt mich nicht, dass ich nicht tagelang versuche, Swen Tanortsch Postings in Gänze zu verstehen. Ich bin ihm jedoch ziemlich dankbar, dass er die Steine ins Rollen bringt.
Ich versuche das mal äußerst verkürzt zu beantworten:
Es gibt zwei relevante BVerfG-Beschlüsse zur Thematik, jeweils aus Mai 2020, veröffentlicht im Juli 2020. Zum einen (2 BvL 6/17), welches sich mit der Unteralimentierung kinderreicher Richter (und mittelbar Beamter) beschäftigt (+3 Kinder) und dann der hier diskutierte Beschluss (2 BvL 4/18), welcher sich generell mit der Amtsangemessenheit der R-Besoldung in Berlin beschäftigt und darin die Modalitäten der Bemessung Mindestalimentation über dem Sozialhilfeniveau (115%) konkretisiert. Da geht es um die Stufen aus 2015, Wohnkostenberechnung, soziale Teilhabe etc pp. Das BVerfG hat seine Rechtsprechung der Bemessung der Beamtenbesoldung damit weiter konkretisiert und dem Land Berlin, sowie mittelbar allen anderen Dienstherrn in Deutschland eine schallende Ohrfeige verpasst. Es ist unmöglich, das Gesamtgefüge hier in wenigen Zeilen zusammenzufassen. Absolut unstrittig ist jedenfalls, dass es alle Beamten in Deutschland betrifft, völlig unabhängig ihres Familienstandes und ihrer Fertilität. Alle gegenwärtig gültigen Besoldungsgesetze in Deutschland sind damit verfassungswidrig ausgestaltet. Vermutlich auch die Neufassung aus Berlin aus 01/2021.
Das ist nicht nur die Auffassung von SwenT, sondern auch von Dr. Stuttmann. Letzterer hat einen lesenswerten Fachartikel geschrieben. Die Gewerkschaften halten sich bislang merkwürdigerweise komplett zurück und haben den Beschluss und die Sprengkraft noch gar nicht verstanden. Auch das Video von Ex-Verfassungsrichter Di Fabio (DBB.de, Fachtagung) ist zur Sache sehenswert.
Die Beiträge von“ WasDennNun“ zum Thema sind zwar philosophisch nicht uninteressant, jedoch trägt er mantraartig sachfremde Erwägungen vor, die nicht mit der Rechtsprechung des BVerfG in Einklang zu bringen sind. Mit der Wiederholung wird’s nicht korrekter.
Es betrifft nicht nur kinderreiche Richter-Familien mit Ehering! Auch der Single ist nicht unerheblich unteralimentiert. Durch die Bank weg wird in Deutschland erst ab A10 mittlere Stufe bzw. ab A11 gegenwärtig der Abstand zur Sozialhilfe eingehalten (vgl. Dr. Stuttmann). Es kann nur in der Bezugsgröße Vier-Kopf-Familie gerechnet werden, eine andere ist derzeit nicht zulässig und damit auch nicht für die Vergangenheit. In Zukunft könnten die Dienstherren bzw. Gesetzgeber die Besoldung grundliegend umstrukturieren.
Über die Details der monetären sowie juristischen Behebung des Problems gibt es Streit. Ich weiß noch nicht ganz warum, jedoch behauptet der Richterbund konträr zu Stuttmann und Dr. Schwan, dass die Unteralimentierung aus der untersten Stufe (in Berlin sind’s höchstrichterlich ca. 25% Unteralimentierung bei A4/A5) nicht linear auf das gesamte Besoldungsgefüge durchgereicht werden muss. Erklärung hierzu fehlt. Ich habe auch noch nicht alles verstanden. SwenT. neigt zu komplexen Erläuterungen in bestem Edelfeder-Amtsdeutsch, jedoch ist die Sach- und Rechtslage derartig komplex, dass entsprechend pointierte Vereinfachungen meist falsch sind.
Wir werden alle Abwarten müssen, bis die A-Besoldungsverfahren der jeweiligen Bundesländer vom BVerfG beschieden sind. Bis dahin sollte hier jeder jährlich neu Widerspruch einlegen, egal welche Absichtserklärungen politisch kamen oder was die Bezügestellen geantwortet haben. „Dezemberfieber“.
Meine Prognose ist weiterhin, dass die Dienstherren völlig rechtswidrige Regelungen erlassen werden, um sich insbesondere der ruhend gestellten Ansprüche zu entledigen. Nur ein Bruchteil der Beamten wird klagen. Der Rest wird aufgeben, aufgrund von Risiko und Aufwand - und der Anspruch ist dahin. Es wird ordentliche Anwaltsrechnungen geben. Hohe Streitwerte. Die Gewerkschaften haben Rechtsschutz in der Sache bereits ausgeschlossen.
Lasst euch nicht unterkriegen! Evtl. ordnet das BVerfG im nächsten Beschluss die Vollstreckung an. Dann geht’s doch schnell. Das Feuer brennt noch.