Autor Thema: [Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 2674117 times)

SwenTanortsch

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Muss bei Anwärtern auch eine Mindestalimentation (15 % über Grundsicherung) gewährleistet sein? Die dürften doch auch weit unten liegen!!

Das Alimentationsprinzip besagt, dass der Dienstherr den Beamten und seine Familie lebenslang amtsangemessen zu alimentieren hat. Da Beamte auf Probe (genauso wie jene auf Widerruf) noch nicht auf Lebenszeit bestallt sind, kann für sie das Alimentationsprinzip allenfalls eingeschänkt gelten, weshalb aller Wahrscheinlichkeit nach auch keine Regelung zur Mindestalimentation greift - denn mindestens die Beamten im ehemals mittleren Dienst (der ehemals einfache Dienst kennt i.d.R. keinen Vorbereitungsdienst) erreichen nicht die Mindestalimentation.

Jedoch werden die Beamten im Vorbereitungsdienst i.d.R. an Besoldungserhöhungen beteiligt, was hier dann ebenfalls geschehen sollte.

ds78

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Auch nach Lesen der vielen Beiträge ist mir nicht ganz klar, ob die hier getätigten Äußerungen zu einem  Widerspruch gg. eine möglicherweise nicht amtsangemessene Besoldung auch auf den gemeinen Bundesbeamten (ggf. verheiratet, 2 Kinder) zutrifft. Kann man mich hier nochmal abholen?

Persönlich fühle ich mich nicht unteralimentiert. Aber mein Gefühl ist mit Hinblick auf die grundgesetzliche Pflicht des AG eventuell unbeachtlich. Zumal es tatsächlich "nur" um einen Zeitraum von Widerspruch bis Gesetzesänderung ginge? Nach meiner Kenntnis gab es auf Bundesebene letztes Jahr Bemühungen den Familienzuschlag mit dem BesStMG zu reformieren. Letztendlich fand der Teil sich dann nicht im Gesetz wieder und man wollte diesen später in Angriff nehmen. Was auch immer später heißt.

SwenTanortsch

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Auch nach Lesen der vielen Beiträge ist mir nicht ganz klar, ob die hier getätigten Äußerungen zu einem  Widerspruch gg. eine möglicherweise nicht amtsangemessene Besoldung auch auf den gemeinen Bundesbeamten (ggf. verheiratet, 2 Kinder) zutrifft. Kann man mich hier nochmal abholen?

Persönlich fühle ich mich nicht unteralimentiert. Aber mein Gefühl ist mit Hinblick auf die grundgesetzliche Pflicht des AG eventuell unbeachtlich. Zumal es tatsächlich "nur" um einen Zeitraum von Widerspruch bis Gesetzesänderung ginge? Nach meiner Kenntnis gab es auf Bundesebene letztes Jahr Bemühungen den Familienzuschlag mit dem BesStMG zu reformieren. Letztendlich fand der Teil sich dann nicht im Gesetz wieder und man wollte diesen später in Angriff nehmen. Was auch immer später heißt.

Mit Blick auf die aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgericht sollte es ausnahmslos jedem Beamten angeraten sein, Widerspruch gegen seine aktuelle Besoldung einzulegen. Zu verlieren hat er dadurch nichts, zu gewinnen mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit einiges.

Yvonne

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Mit Blick auf die aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgericht sollte es ausnahmslos jedem Beamten angeraten sein, Widerspruch gegen seine aktuelle Besoldung einzulegen. Zu verlieren hat er dadurch nichts, zu gewinnen mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit einiges.

Kann es sein, dass ich als NRW-Beamtin auch dann Widerspruch einlegen muss, wenn der Dienstherr auf die Einrede der Verjährung durch Allgemeinverfügung verzichtet hat?

Zitat
Die Beamtin, der Beamte, die Richterin oder der Richter verliert einen Anspruch auf Besoldung, der über die gesetzlich zustehende Besoldung hinaus geht, soweit sie oder er den Anspruch nicht in dem Haushaltsjahr, für das die zusätzliche Besoldung verlangt wird, schriftlich gegenüber der obersten Dienstbehörde oder der nach § 85 Absatz 1 oder 2 bestimmten Stelle geltend macht.

Landesbesoldungsgesetz NRW § 3 (7)

Pepper2012

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Ja. Wer nichts schreibt, guckt für die Vergangenheit definitiv in die Röhre.

WasDennNun

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Persönlich fühle ich mich nicht unteralimentiert. Aber mein Gefühl ist mit Hinblick auf die grundgesetzliche Pflicht des AG eventuell unbeachtlich. Zumal es tatsächlich "nur" um einen Zeitraum von Widerspruch bis Gesetzesänderung ginge?
Nun das Urteil zeigt ja deutlich nach welchen Kriterien man erkennen kann wo wann und in welchem Bereich eine klare Unteralimentierung vorliegt.

Ein Kriterium ist halt die Betrachtung, ob die unterstere Besoldungsgruppe 15% über "H4 Einkommen" liegt, "exemplarische" gerechnet im Urteil für allein verdienende Familie mit 2 Kinder.
Dieses muss jetzt vom Gesetzgeber geheilt werden. Daraus ergibt sich (nach meinem Verständnis) das diverse andere Konstellationen dieses Kriterium auch unterschreiten, was inakzeptabel ist.

Die anderen Kriterien waren ja schon vorher spezifiziert und werden zumindest in den letzten Jahren nicht mehr verschärft (Weil idR im Gleichklang mit den TVxx gelaufen wird.)
Ob und wo diese jedoch zusätzlich gerissen wurden, werden die folgenden Urteile zeigen.

SwenTanortsch

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Wie angekündigt, habe ich mir jetzt mal angeschaut, ob die Besoldungsgesetzgeber die Alimentation trotz der aktuellen BVerfG-Entscheidung in Regionen mit einem unterdurchschnittlichen Mietenniveau und also unterdurchschnittlichen Unterkunftskosten auf dem gleichen Niveau belassen können wie bisher (das BVerfG nennt die Mietenniveaus und von diesen abhängig die Mietenstufen des Wohngeldgesetzes (WoGG) ein mögliches, weil leicht zu handhabendes Kriterium zur regionalen Differenzierung der Alimentation anhand von (Orts-)Zuschlägen; vgl. Rn. 61).

Das ist auch von daher wichtig, da flächenmäßig in den größten Teilen Deutschlands ein unterdurchschnittliches Mietenniveau herrscht. Zwar lebt in Deutschland rund dreiviertel der Bevölkerung in Städten - aber nicht in allen Städten herrrscht ein überdurchschnittliches Mietenniveau und auf dem Land praktisch durchgehend ein deutlich unterdurchschnittliches. Ein überdurchschnittliches und vielfach deutlich überdurchschnittliches Mietenniveau herrscht hingegen vor allem in den Agglomerationen, also den reichen bzw. großen Städten und ihren "Speckgürteln" wie beispielsweise München oder Hamburg und Umgebung.

Nun ist die Frage, ob es den Ländern - insbesondere den Flächenländern (für die Stadtstaaten Berlin und Hamburg gilt jeweils eine einheitliche Mietenstufe, IV für Berlin und VI für Hamburg; für Bremen und Bremerhaven gelten die Mietenstufe IV und II) - mit stark differierenden Mietenstufen verfassungsrechtlich möglich ist, das Grundgehalt an der Mietenstufe I (der niedrigsten Mietenstufe; sie bildet die Mietenniveaus ab, die mehr als 15 % unterdurchschnittlich sind; vgl. hier wie im Folgenden § 12 (5) WoGG ) zu orientieren und in den Regionen des betreffenden Landes, die über ein höheres Mietenniveau verfügen, als es die Mietenstufe I abbildet, entsprechend angepasste Ortszuschläge zu gewähren.

Darin, dass in allen Ländern mit Ausnahme der genannten Stadtstaaten die niedrigste Mietenstufe die Mietenstufe I ist, Sachsen und Sachsen-Anhalt als höchste die Mietenstufe III (- 5 % unterdurchschnittlich bis unter + 5 % überdurchschnittlich), Mecklenburg-Vorpommern, das Saarland und Thüringen als höchste die Mietenstufe IV (+ 5 % bis unter + 15 % überdurchschnittlich), Brandenburg die Mietenstufe V (+ 15 % bis unter + 25 % überdurchschnittlich), Niedersachsen, NRW und Rheinland-Pfalz die Mietenstufe VI (+ 25 % bis unter + 35 % überdurchschnittlich) und die restlichen Länder die Mietenstufe VII (+ 35 % und höher überdurchschnittlich) als höchste Mietenstufe ausweisen, zeigt sich zunächst die hohe bis sehr hohe Spreizung der Mietenniveaus und damit der Unterkunftskosten, die also in allen Flächenländern gegeben ist; sie liegt nicht selten bei (deutlich) über 50 % (s. die Differenz zwischen den Mietenstufen I und VII).

Wenn nun die Besoldungsgesetzgeber der Flächenstaaten das Grundgehalt jeweils nach der Mietenstufe I ausrichteten, um in den Regionen ihres Landes, die über ein höheres Mietenniveau verfügen, die auszugleichende Alimentation mittels an die Mietenstufen gekoppelte Ortszuschläge ausgleichen wollten, würden sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig handeln. Denn in Anbetracht des großen monetären Umfangs, den die Unterkunftskosten bei der Bestimmung der Mindestalimentation spielen (vgl. im aktuellen BVerfG-Beschluss, Rn. 145 f.), müsste das zur Einebnung der grundgesetzgleich garantierten Wertigkeit der Ämter und also zur Verzerrung der Besoldungsstruktur führen: ein beispielsweise nach A 5 alimentierter Beamter in einer Region mit einem sehr hohen Mietenniveau würde so durch die sehr hohen Ortszuschläge (deutlich) höher alimentiert werden als ein nach A 6 alimentierter Beamter, dem durch seinen Wohn- oder Dienstsitz nur das Grundgehalt gewährt werden würde. Das aber wäre offensichtlich verfassungswidrig.

Darüber hinaus unterscheiden sich die Mietenniveaus in den Flächenländern nicht nur regional stark, sondern sie differieren zum Teil auch lokal deutlich. So befindet sich beispielsweise hier in Niedersachsen die Gemeinde Buchholz in der Nordheide (Mietenstufe VI) zentral gelegen innerhalb des Kreises Harburg (Mietenstufe III); zugleich grenzt sie unter anderem an die Samtgemeinde Tostedt (Mietenstufe III). Wenn nun allen niedersächsischen Landesbeamten einer Besoldungsgruppe das an der Mietenstufe I ausgerichtete Grundgehalt gewährt werden würde, würden in einem lokal eng begrenzten Gebiet die Alimentationsunterschiede durch die entsprechend deutlich unterschiedlich hohen Ortszuschläge offensichtlich (deutlich) zu hoch bzw. zu unterschiedlich ausfallen, um das Abstandsgebot zwischen den einzelnen Besoldungsgruppen zu gewährleisten, was dann direkt in die Verfassungswidrigkeit führte.

Auch deshalb machen regelmäßige Zuschläge, die der Dienstherr gewährt, grundsätzlich nur einen verhältnismäßig kleinen Teil der Gesamtalimentation aus. In diesem Sinne spricht das Bundesverfasungsgericht in seiner für regional begrenzte Ortszuschläge zentralen Entscheidung vom 06.03.2007 - 2 BvR 556/04 - Rn. 57 mit Blick auf die Ausgestaltung der Zulagen zur Beamtenbesoldung von einer "Detailregelung", wodurch es offensichtlich deutlich macht, dass einzelne regelmäßige Zuschläge und damit auch Ortszuschläge jeweils keinen für die Alimentationshöhe überdurchschnitlichen hohen Anteil haben können, um nicht ihren Charakter als (dauerhafte) Zuschläge zu verlieren.

So verstanden scheint ein möglicher Weg zu sein, die Grundgehälter in den Flächenländern anhand des Kriteriums einer mittleren oder überdurchschnittlich hohen Mietenstufe auszurichten und den dann geringeren Betrag bis zum Kriterium der jeweils höchsten im Land geltenden Mietenstufe - also für die Regionen mit noch einmal einer höheren Mietenstufe - entsprechend mit Ortszuschläge auszugleichen. Damit könnte einerseits auf die Spreizung der Wohnkosten reagiert werden und andererseits das zu beachtende Abstandsgebot zwischen den unterschiedlichen Besoldungsgruppen - so wie bei den anderen Zulagen auch - gewahrt bleiben.

Der langen Rede kurzer Sinn: Das Bundesverfassungsgericht hat für Berlin anhand des Kriteriums der Mietenstufe IV - also einer mittleren Mietenstufe - eine so hohe Mindestalimentation festgelegt, dass sie für das Jahr 2015 (dem letzten vom BVerfG betrachteten Jahr) um rund 3.965,- Euro über der Mindestalimentation lag, die Baden-Württemberg nach seinen Berechnungen 2019 seinen Beamten ohne Beachtung von Mietenstufen gewährt hat. Extrapolierte man den Berliner Wert von 2015 nach 2019, wäre die Differenz noch einmal um einiges höher als rund 3.965,- Euro. Darüber hinaus müsste Baden-Württemberg die Bestimmung der Mindestalimentation anhand des Kriteriums der höchsten im Bundesland vorhandenen Mietenstufe, also der Mietenstufe VII, ausrichten. Damit sollte sich die Höhe der Mindestalimentation noch einmal recht deutlich gegenüber der Berliner erhöhen.

Dieser deutlich erhöhte Betrag wäre nun die Mindestalimentation, die Baden-Württemberg in der Regionen zu beachten hätte, für die als Kriterium die Mietenstufe VII zuzuordnen wäre; das wäre in BW ausschließlich die Stadt Tübingen. In den Regionen Baden-Württembergs, denen als Kriterium ein niedrigere Mietenstufe zugeordnet ist, kann das Land seine Beamten niedriger alimentieren.

Allerdings könnte es nicht - wie oben dargelegt - das Grundgehalt auf Grundlage des Kriteriums der Mietenstufe I bestimmen und dann Ortszuschläge in analogen Schritten, wie sie die Mietenstufen II bis VII abbilden, gewähren. Denn dann würde es offensichtlich wie dargestellt gegen das Abstandsgebot verstoßen.

Insofern könnte es eventuell möglich sein (das müsste genau durchgerechnet werden), dass Baden-Württemberg das zu gewährende Grundgehalt anhand der Mietenstufe V als Kriterium ausrichtete und dann entsprechend in den Regionen mit höheren Unterkunftskosten realitätsgerechte Ortszuschläge anhand der Mietenstufen VI und (für Tübingen) VII als Kriterium gewährte; vielleicht wäre aber die sich auf Grundlage der Mietenstufe V als Kriterium (+ 15 % bis unter + 25 % überdurchschnittliches Mietenniveau) ergebende Grundbesoldung bereits zu gering, da die Mietenstufe VII (höher als + 35 % überdurchschnittliches Mietenniveau) um mindestens mehr als zehn Prozent höhere Unterkunftskosten ausweist. Sofern das der Fall wäre, sollte die Mietenstufe VI (oder ein monetärer Wert, der zwischen den von den Mietenstufen V und VI abgebildeten Niveaus liegt) als Kriterium herangezogen werden müssen. Da realitätsgerechte Bedingungen zu beachten sein werden, dürfte dabei einiges zu durchdenken und zu berechnen sein - nur eines dürfte nicht möglich sein, die heutige Alimentationshöhe auf dem bisherigen Niveau zu belassen und dann in Regionen mit höheren Mietenniveaus nach den Mietenstufen gestaffelte Ortszuschläge zu gewähren. Da also von einem insgesamt deutlich höheren Mindestalimentationniveau auszugehen ist als bisher, werden auch die Grundgehälter erhöht werden müssen.

Nun gut, mit den entsprechenden Berechnungen wird man jetzt eventuell in den verschiedenen Finanziministerien der Länder beginnen. Letztlich dürfte es eine Kärrnerarbeit sein, ein verfassungskonformes Besoldungssystem zu entwickeln, das eine Alimentationsdifferenzierung anhand von Ortszuschlägen beinhaltet. Da dürfte sich Berlin vielleicht ja fast schon freuen, dass es dort laut Wohngeldgesetz ein weitgehend einheitliches Mietenniveau gibt, dass durch die Mietenstufe IV abgebildet wird...

Ozymandias

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Wie sich Baden-Württemberg in der Vergangenheit zur amtsangemessenen Besoldung geäußert hat:

https://i.imgur.com/w6DtayB.png

Unterkunftskosten + ein Zuschlag in unbekannter Höhe seien bei der Besoldung schon berücksichtigt.

Quelle:
https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP16/Drucksachen/8000/16_8487_D.pdf

Relevanter Part der Drucksache 16/6493 auf die verwiesen wird
https://i.imgur.com/DjTrNsY.png





SwenTanortsch

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Wie sich Baden-Württemberg in der Vergangenheit zur amtsangemessenen Besoldung geäußert hat:

https://i.imgur.com/w6DtayB.png

Unterkunftskosten + ein Zuschlag in unbekannter Höhe seien bei der Besoldung schon berücksichtigt.

Quelle:
https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP16/Drucksachen/8000/16_8487_D.pdf

Relevanter Part der Drucksache 16/6493 auf die verwiesen wird
https://i.imgur.com/DjTrNsY.png

Es ist gut, dass Du diese Begründungen des Baden-Württembergischen Landtags hier noch einmal einstellst, Ozymandias; daran lässt sich nämlich noch einmal zeigen, dass das Land - wie alle anderen und der Bund auch - die Besoldungsanpassung auf verfassungswidriger Grundlage vornahm.

Der Baden-Württembergische Landtag hat in der letztjährlichen Begründung zum derzeit geltenden Besoldungsanpassungsgesetzes (Drs. 16/6493) im Sinne seiner Prozeduralisierungspflichten auch seine Berechnungen und Berechnungsgrundlagen zur Mindestalimentation dargestellt (S. 46-49). Es ist dabei - wie alle anderen Bundesländer auch - davon ausgegangen, dass zur Bestimmung des sozialhilferechtlichen Grundsicherungsniveaus undifferenziert auf die Pauschalbeträge im 12. Existenzminimumbericht der Bundesregierung zurückgegriffen werden kann (vgl. ebd., S. 47). Dieses von allen Ländern und dem Bund praktizierte Vorgehen erklärt das Bundesverfassungsgericht nun für verfassungswidrig, was es in einer längeren Passage durchdekliniert (vgl. im aktuellen Beschluss die Rn. 46-79).

Obgleich der aktuelle Beschluss noch einige wichtige Konkretisierungen beinhaltet, ist diese Passage von ihrer praktischen Relevanz her das Herzstück der aktuellen Entscheidung: Denn hier legt das Verfassungsgericht rechtswirksam fest, wie auf der einen Seite das sozialhilferechtliche Existenzminimum zu bestimmen ist, sodass es realitätsgerechten Prüfungen standhält; auf der anderen Seite stellt es dar, wie die Nettoalimentation zu berechnen ist - für die Nettoalimentation ergänzt es an zwei Stellen das bisher von ihm schon festgelegte Verfahren um zwei Details. Die Bestimmungsmethodik für das sozialhilferechtliche Existenzminimum ist hingegen gänzlich neu; denn dazu hatte sich das Bundesverfassungsgericht bislang nicht geäußert, weshalb mit Spannung auf diese Entscheidung gewartet worden ist, weil im Vorhinein klar war, dass das Gericht in ihr die Methodik vorlegen würde; nicht klar war, wie sie wohl aussehen würde (deshalb die Spannung).

Vor der aktuellen Entscheidung war zur Bestimmung des sozialhilferechtlichen Grundsicherungsniveau nur unstrittig, dass die Regelbedarfssätze für zwei Erwachsene undifferenziert anhand des Existenzminimumberichts ermittelt werden dürfen, was vom Verfassungsgericht so auch bestätigt worden ist.

Alle anderen Faktoren zur Bestimmung des sozialhilferechtlichen Grundsicherungsniveaus dürfen allerdings nach der aktuellen Entscheidung nicht mehr undifferenziert anhand der pauschalisierten Werte des Existenminimumberichts erfolgen, wobei die Begründung insgesamt zu umfänglich und komplex ist, als dass sie hier dargelegt werden könnte. Vereinfacht kann man sagen, dass das Verfassungsgericht den Existenminimumbericht wegen seiner anderen Zweckstellung - eben das sozialgesetzliche Existenzminimum zu bestimmen, das steuerrechtlich nötig ist, da genau dieser Mindestbedarf steuerfrei gestellt wird (jeder darüber liegende Euro muss versteuert werden; das ist steuerrechtlich der eigentliche Sinn der Bestimmung des sozialgesetzlich zu bestimmenden Existenzminimums) - als nicht hinreichend zur Bestimmung einer beamten- und besoldungsrechtlich begründeten (Mindest-)Alimentation ansieht, da das, was realitätsgerecht für Sozialhilfeempfänger gilt und also auch unter steuerrechtlichen Prämissen erstellt wird, nicht ohne Weiteres auf Beamte übetragen werden kann, da eben eine jeweils unterschiedliche Rechtsstellung vorliegt, die sich aus der unterschiedlichen Zweckstellung der jeweils verschiedenen juristischen Bedingungsfaktoren ergibt.

Das formuliert das Gericht an einer der entscheidenden Stellen des aktuellen Beschlusses wie folgt (hier für die und anhand der Unterkunftskosten, an anderen Stellen und mit anderen Worten auch für die weiteren oben genannten Faktoren):

"Eine Übernahme der in den Existenzminimumberichten angewandten Methode kommt nicht in Betracht. [...] Dass die Auffassung der Bundesregierung, diese Methodik sei auch für die Bestimmung der Mindestalimentation heranzuziehen, nicht zutreffen kann, folgt schon daraus, dass sie in ihrer Stellungnahme die Beamten ausdrücklich auf den Wohngeldbezug verweist [also einen sozialgesetzlichen Bezugspunkt einbringt; Anm. durch mich]. Der Besoldungsgesetzgeber kann sich seiner aus dem Alimentationsprinzip ergebenden Verpflichtungen [also mit Blick auf das Beamten- und Besoldungsrecht; Anm. durch mich] aber nicht mit Blick auf Sozialleistungsansprüche entledigen; die angemessene Alimentation muss durch das Beamtengehalt selbst gewahrt werden". (Rn. 56; Fettdruck durch mich)

Auf dieser Grundlage sind alle bislang vorgenommenen Bestimmungen auf Grundlage des Existenzminimumberichts verfassungswidrig, sodass das Bundesverfassungsgericht die Regelleistung für zwei Kinder, die Bedarfe für Bildung und Teilhabe, die Heiz- und die Unterkunftskosten jeweils höher bestimmt (für die Unterkunftskosten sehr deutlich höher), als das die sechszehn Länder und der Bund bislang getan haben. Dadurch erhöht sich der Wert für das sozialhilferechtliche Grundsicherungsniveau beträchtlich, was dann Auswirkungen auf die 115%ige Vergleichsschwelle, also die Mindestalimentation, nach sich zieht.

Wenn nun also das die Landesregierung Baden-Württembergs in ihrer aktuellen Begründung zum neuen Gesetzentwurf zur Änderung des Landesbesoldungsgesetzes (Dr. 16/8487), der kurz vor der Veröffentlichung der aktuellen BVerfG-Entscheidung vorgelegt worden ist, schreibt:

"Eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit die Besoldung in unteren Besoldungsgruppen anzuheben, ergibt sich - wie in der Gesetzbegründung zum BVAnpGBW 2019/2020/2021 dargestellt - nicht, weil der Abstand der Nettobesoldung zum sozialhilferechtlichen Existenzminimum eingehalten wird (vgl. Landesdrucksache 16/6493). Der bei der Ermittlung des Abstands der Nettobesoldung zum sozialhilferechtlichen Existenzminimum unter anderem auch hinsichtlich der Unterkunftskosten erfolgte Rückgriff auf Daten des 12. Existenzminimumberichts der Bundesregierung (zuzüglich eines Zuschlags wegen höherer Mietkosten in Baden-Württemberg) entspricht den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und wahrt die verfassungsrechtlichen Grenzen der Typisierung" (S. 97 f.; Fettdruck durch mich), dann kann sie ihren Gesetzentwurf gleich wieder einstampfen. Denn der in der Drs. 16/6493 vorgenommene Rückgriff auf den Existenzminimumbericht ist mit Blick auf die Regelbedarfe für zwei Kinder, der Bedarfe für Bildung und Teilhabe, der Heiz- und Unterkunftskosten (trotz des hier vorgenommenen Zuschlags) verfassungswidrig, entspricht eben seit dem 04.05. diesen Jahres nicht mehr den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wie auch der Fettdruck im obigen Zitat aus dem aktuellen BVerfG-Beschluss zeigt.

Insofern wird es nun interessant, wie Baden-Württemberg jetzt mit dem Gesetzesentwurf verfahren wird. Hat die Landesregierung doch das letzte Zitat wie folgt fortgesetzt: "Die Entscheidung des BVerfG zu den Aussetzungs- und Vorlagenbeschlüssen des BVerwG vom 22.09.2017 zur Besoldung im Land Berlin bleibt abzuwarten und muss nach ihrem Vorliegen im Detail auf etwaige Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Besoldung in Baden-Württemberg überprüft werden." (ebd.)

Und da haben nun doch Regierung und Landtag eine schöne Aufgabe vor sich und für sich formuliert... Denn der Teufel steckt bekanntlich im Detail... Und leider ist das Detail mit Blick auf den von der Regierung genannten aktuellen BVerfG-Beschluss eine ganze Hölle. Wünschen wir also Regierung und Landtag alles Gute für das frohgemute Werk, auch wenn's nicht mehr der Erwin der Teufel zu verantworten hat, sondern der Winnfried der Kretschmann.

Finanzer

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@SwenTanortsch: Vielen Dank für die Ausführungen. So langsam glaube ich die Thematik zu verstehen.
Ich bin ja mal sehr gespannt ob vor Jahresende noch ein Schreiben der Fachgewerkschaften kommt, die DSTG Hessen hüllt sich bisher in Schweigen.

SwenTanortsch

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@SwenTanortsch: Vielen Dank für die Ausführungen. So langsam glaube ich die Thematik zu verstehen.
Ich bin ja mal sehr gespannt ob vor Jahresende noch ein Schreiben der Fachgewerkschaften kommt, die DSTG Hessen hüllt sich bisher in Schweigen.

Gern geschehen - je mehr von uns (Landes-)Beamten die Thematik durchdringen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sich schon vor einer BVerfG-Entscheidung zur A-Besoldung etwas tut, da wir allesamt Multiplikatoren sind. Die Hoffnung sollte zwar gering sein - aber besser, als gar nichts zu tun… Denn die Gewerkschaften und Verbände haben offensichtlich die Sprengkraft des aktuellen Beschlusses noch nicht erkannt; je häufiger sie auf sie hingewiesen werden, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sich das ändert...

BerndStromberg

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Vielen Dank auch von mir nochmal für deine Beiträge!

Ich hoffe ebenfalls sehr, dass unsere Verbandsvertreter bald aufwachen. Vielleicht laufen aber auch im Hintergrund schon längst Gespräche. Offiziell aufs Gleis gesetzt hatte man sie ja schon im Abschluss an die letzten Besoldungsgespräche der Länder („Attraktivitätsoffensive“). Dann kann man sich am Ende vor seine Mitglieder stellen und die vom BVerfG erzwungenen Änderungen als die eigenen Erfolge verkaufen.

Eine zusätzliche Dynamik dürfte die Sache jedenfalls bekommen, wenn weitere Besprechungen in den jeweiligen Fachzeitschriften stattfinden. Dann sollte eigentlich dem auch letzten klar werden, dass er unbedingt Widerspruch einlegen sollte.  Ich hoffe, dort liest man auch intensiv deine Beiträge! 😃

Diplom Verwaltungswirt

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Für Bayern gibt es ein Schreiben vom Finanzministerium. Für 2020 ist KEIN Widerspruch erforderlich.
Zitat
Anträge oder Widersprüche gegen die Höhe der Besoldung sind insofern nicht erforderlich und bringen im weiteren Verfahren keine Vorteile.

https://www.lff.bayern.de/download/bezuege/besoldung/2020-04-08_fms.pdf

Gruenhorn

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Die Hoffnung, die ich an die Verbände habe, ist ja, dass sie im Herbst lieber erstmal eine Absenkung der Arbeitszeit verhandeln und dann mit den Forderungen aus den Beschlüssen um die Ecke kommen. Das wäre doch das beste und strategisch sinnvoll. Ob das aber der Fall ist..

rw

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Zunächst herzlichen Dank für die intensive Begleitung und Aufarbeitung des Themas. Die teilweise scharfzüngigen, aber immer sachlich-seriös dargestellten Inhalte seitens SwenTarnotsch und einiger anderer sind schon bemerkenswert. Sicherlich gibt es auch einige die die Urteilsbegründung anders interpretieren, aber in einem Forum geht es um einen Austausch von Meinungen.

Bezugnehmend auf diesen Thread und insbesondere den TE habe ich die damals schon mit einem gewissen Befremden/fehlenden Verständnis gelesene Begründung des Niedersächsischen MF zum Entwurf des Besoldungsanpassungsgesetz vom Mai 2019 herausgekramt. Auch in dieser war schon der "Nachweis" einer verfassungskonformen Alimentation enthalten.

Nach Meinung unseres MF wäre durch die  Einhaltung von drei der fünf Parameter von einer verfassungsgemäßen Besoldung auszugehen. Schöner und pulssteigernder ist jedoch die Aussage „ Auch die Besoldungsanpassung 2018 ist ebenfalls verfassungsgemäß, da auch hier unverändert nur zwei von fünf Parametern nicht eingehalten werden.“ Interessanterweise handelt es sich hier um die Abweichung der Besoldung zwischen Tariflohn > 5 % und Nominallohn > 5 %. Also wird die verfassungskonformität trotz der Abkopplung von der Lohnentwicklung der Tarifbeschäftigten im ÖD und der allgemeinen Lohnentwicklung bejaht. (Vielleicht sollten wir mal auf dem Balkon für unseren Finanzminister klatschen?! Gute Arbeit!)
Eine Wertigkeit der einzelnen 5 Parameter zu diskutieren, würde hier sicherlich den Rahmen sprengen. Bösgläubige Zungen würden behaupten, dass beim Vergleich zur Besoldung mit anderen Ländern auch nur festzustellen sei, dass diese ebenfalls "unterdurchschnittlich" besoldet werden, ein Abstand von 15% eines Vollzeitbeamten zum Existenzminimum eine selbstverständlichkeit darstellen sollte und die nicht abkopplung vom Verbraucherpreisindex bestenfalls wirtschaftlichen Entwicklungen bedingt sei, schlechtenstenfalls "pures Glück" (für wen auch immer) ist.

So weit, so (damals schon nicht) gut.

Von daher begrüße ich den 6. Leitsatz "[...]Sind ein oder zwei Parameter erfüllt, müssen die Ergebnisse der ersten Stufe [...] eingehend gewürdigt werden."

Mit dem Urteil des BVerfG wurde die Ermittlung des Mindestabstandsgebotes zum Grundsicherungsniveau näher differenziert. In diesem Zusammenhang stellt sich mir die Frage, inwieweit sich irgendjemand, vllt. Du SwenTanortsch (ggf. auch nur näherungsweise, Du hattest dich ja bereits zu den Mietstufen ausgiebig ausgelassen & auch eine Verletzung von 3x,xx % festgestellt) mit dem Vergleich der Berechnungen des Nds. MF vom Mai 2019 und dem des BVerfG Mai 2020 auseinandergesetzt hat. Dieses wird ja im 5. Leitsatz explizit nochmal ausgeführt, dass umso näher die Mindestbesoldung an dem Grundsicherungsniveau liegt, umso eher eine verfassungswidrige Ausgestaltung der Alimentation vorliegt. Und dieses, "der Hebel des Abstandsgebotes" auf die folgenden Besoldungen, ist sicherlich auch des Pudels Kern.

Zwar "hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, wie er bei der Festsetzung der Bezüge den Anforderungen des Gebotes eines Mindestabstands zum Grundsicherungsniveau Rechnung trägt", allerdings "hat er diesen realitätsgerecht zu ermitteln". Bei dieser Ermittlung, bzw. dem Versuch einer "realitätsgerechten Nachbildung" kann man naturgemäß schnell in kleinteilige, akademische Diskussionen verfallen. Da jedoch anhand der "eingehenden Würdigung der 1. Prüfstufe" der (selbstverständliche) Abstand zum Grundsicherungsniveau m.E. tragend ist für die Besoldung, ist eine Tendenz doch recht wegweisend (für Niedersachsen).

Meiner Meinung wird eine ggf. fehlerhafte Ermittlung (Gestaltungsspielraum hin oder her) des Mindestabstandes der Hebel sein, mit dem insgesamt die Besoldungsanpassung "begründet/erstritten/herbeigeführt/eingehend gewürdigt" werden kann. Das bloße Abschaffen von unteren Besoldungen ist ja nun wirklich ein blanker Hohn und wäre ein weiteres Indiz des Verstoß gegen die "Bestenauslese".