Der Gesetzesentwurf Sachsen-Anhalt widerspricht dem aber ein bisschen. Hier wird angenommen, dass die Bezugsgröße kein Leitbild sei und wohlaber auch der Verdienst der Ehefrau/ des Ehemanns in die Bemessung der Besoldung mit anzunehmen sei. Ich verstehe nicht ganz ob sich da etwas schöngeredet werden soll oder aber wieder ein neues Faß der igrnoranz gegenüber bisheriger Rechtssprechung geöffnet wird.
Auch dieser Gesetzentwurf zimmert sich die je eigene Welt, was für Regierungen Sachsen-Anhalts mittlerweile eine gute Tradition darstellt. Nach 2015 hat man sich eng an den verfassungswidrigen Regelungen Sachsens orientiert, die das Bundesverfassungsgericht 2017 entsprechend behandelt hat (BVerfG, Beschl. v. 23.05.2017, 2 BvR 883/14). Derzeit orientiert man sich eng an den Ideen der Thüringer Landesregierung, zu der das Battis-Gutachten gerade alles, was nötig ist, gesagt hat (und für die es sicherlich interessant werden wird, was der Wissenschaftliche Dienst des Landtages zum Thema sagen wird, den die Grünen mit einer Begutachtung des aktuellen Gesetzentwurfs beauftragt haben). Das lässt sich für Sachsen-Anhalt beispielsweise anhand der Bemessung der Unterkunftskosten zeigen, mit denen das Land nun Thüringer Ideen folgt. Denn auch hier wird zunächst zwar die BVerfG-Entscheidung vom 04.05.2020 korrekt referiert (ST-Drs. 8/138 v. 7.9.2021, S. 45 f.), jedoch dabei ebenfalls die maßgebliche sozialgerichtliche Rechtsprechung ausgeklammert. Als Folge werden nicht das vom Bundesverfassungsgericht auf Grundlage der maßgeblichen BSG-Entscheidungen zu Grunde gelegte 95 %-Perzentil als Summe der laufenden Unterkunfts- und laufenden Betriebskosten und danach die realitätsgerechten Heizkosten betrachtet, sondern wie in Thüringen eine nicht realitätsgerechte Betrachtung vorgenommen. Als Ergebnis werden beispielsweise für das Jahr 2008 monatliche warme Unterkunftskosten in Höhe von 594,- € zu Grunde gelegt (vgl. ebd., S. 91). Nach Maßgabe der aktuellen BVerfG-Entscheidung betragen sie realitätsgerecht hingegen 720,- € als Summe der entsprechenden 95 %-Perzentile und der laufenden Heizkosten unter Beachtung des Heizspiegels für Deutschland, sodass allein diesbezüglich ein Fehlbetrag von monatlich 126 € bei der Bemessung des Grundsicherungsniveaus vorliegt, der sich bei der Bemessung der Mindestalimentation auf rund 145,- € erhöht und also im Jahr 2008 zu einem jährlichen Fehlbetrag von rund 1.740,- € führt. Allein diese fehlerhafte Bemessung macht die weiteren rund 230 Seiten des Gesetzentwurfs gegenstandslos, da unter Beachtung der realitätsgerechten Kosten für die Unterkunft in jedem Jahr seit 2008 eine amtsangmessene Alimentation deutlich verfehlt wird. So würde allein unter Beachtung der gerade dargelegten Prämisse die Mindestalimentation 2008 nicht 23.780,72 € betragen, sondern 25.519,52 € (vgl. ebd., S. 91 f.). Denn die gewährte Nettoalimentation - über deren Berechnung ebenfalls noch etwas zu sagen wäre - betrug 2008 nach Ansicht der Landesregierung nur 23.869,27 € (ebd., S. 94). Da der Gesetzgeber aber, wie gestern schon hervorgehoben, eine mit der Verfassung unvereinbare Rechtslage weder für die Gegenwart noch für die Vergangenheit fortbestehen lassen darf (BVerfG, Beschl. v. 22.3.1990, 2 BvL 1/86, Rn. 65), braucht es keine weitere Betrachtung jenes Entwurfs mehr, da er bereits durch diese paar Zeilen im Sinne unserer Rechtsordnung gegenstandslos geworden ist.
Um nun aber solche durch nichts zu rechtfertigende Konstruktionen irgendwie scheinbar rechtfertigen zu wollen, sind als wiederehrende Folge auch hier Destruierungen unserer Rechtsordnung fast zwangsläufig nötig, so wenn die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gezielt diskreditiert wird, als handelte es sich bei ihm um einen politischen Gegner in Wahlkampfzeiten und nicht um eine unabhängige staatliche Gewalt, die offensichtlich ein Bisschen mehr Respekt verdiente, wenn man sich nicht auf das Niveau auftrumpender und piseliger Vertreter anderer Rechtauffassungen herabbegeben möchte: "Die 'Alleinverdienerfamilie', bestehend aus der Beamtin oder dem Beamten, der nicht erwerbstätigen Ehegattin/des nicht erwerbstätigen Ehegatten sowie zwei Kindern, bezeichnet das Bundesverfassungsgericht als 'Bezugsgröße, jedoch nicht Leitbild der Beamtenbesoldung' (BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2020 - 2 BvL 4/18 - Rdnr. 47), wobei den Berechnungen dieser vierköpfigen Alleinverdienerfamilie die niedrigste Besoldungsgruppe und die niedrigste Erfahrungsstufe zugrunde gelegt werden müssen. In der Wirklichkeit dürfte diese Bezugsgröße gar nicht oder im Einzelfall nur kurzzeitig auftreten, denn bei jedem Stufenaufstieg erhöht sich bereits die Besoldung und die beiderseitige Berufstätigkeit dürfte in der Realität angestrebt und umgesetzt werden. Demnach kann davon ausgegangen werden, dass keine Beamtin oder kein Beamter Bezüge bezieht oder zukünftig beziehen wird, die nur knapp oberhalb der verfassungsrechtlichen Untergrenze liegen." (ST-Drs. 8/138 v. 7.9.2021, S. 8 ) In der Wirklichkeit werden weiterhin diverse Besoldungsgruppen unterhalb der verfassungsrechtlichen Untergrenze alimentiert und sollen das auch weiterhin auf Grundlage eines Gesetzes werden, das Abgeordnete beschließen sollen, die nach Maßgabe der gerade zitierten Betrachtung nur kurzzeitig dafür ein Mandat haben, was deren Entscheidung genauso wenig delegitimierte, wie eine amtsangemessene Alimentation von Leitbildern abhängig ist, unabhängig davon, von welcher Partei diese produzieren werden. Die Norm setzt das Recht und nicht Leitbilder - dieser letzte Satz dürfte weitgehend das zusammenfassen, was das BVerfG in der besagten Rn. 47 sagen möchte.