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[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
Rainer Hohn:
--- Zitat von: SwenTanortsch am 29.11.2021 08:46 ---
--- Zitat von: Rainer Hohn am 29.11.2021 08:18 ---Guten Morgen zusammen,
auch in Sachsen beschäftigt man sich derzeit mit der Herstellung einer verfassungsgemäßen Alimentation.
Es wurde im Austausch mit den Gewerkschaften festgestellt, dass eine Lücke von ca. 12% zum Grundsicherungsniveau vorliegt (bezogen auf eine vierköpfige Familie).
Der Lösungsvorschlag des Finanzministeriums sieht folgendermaßen aus:
Schritt 1:
Die Besoldungsgruppe A4 wird entsprechend dem Vorhaben der Koalition
gestrichen. Niedrigste Besoldung wird A5 mit Amtszulage.
Schritt 2:
Der Beihilfesatz für beihilfeberechtigte Kinder wird auf 100 % erhöht. Dadurch
erspart der Referenzbeamte Aufwendungen für eine private Krankenversicherung in Höhe
von monatlich 38 €/Kind und erhöht sich das verfügbare Nettoeinkommen entsprechend.
Schritt 3:
Der Beihilfesatz für beihilfeberechtigte Ehe- oder Lebenspartner wird auf 100 %
erhöht. Dadurch erspart der Referenzbeamte Aufwendungen für eine private
Krankenversicherung in Höhe von monatlich ca. 260 € und erhöht sich das verfügbare
Nettoeinkommen entsprechend.
--- End quote ---
Der zu erwartende Unsinn, wie wir ihn nun schon aus anderen Ländern kennen (und mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit in den nächsten Wochen noch von vielen anderen Ländern kennenlernen werden). Das Problem ist verfassungsrechtlich offensichtlich ein Besoldungsproblem und kann von daher nicht grundlegend über die Beihilfe gelöst werden. Mit jeder weiteren offensichtlich verfassungswidrigen Gestaltung der Alimentation treiben die Besoldungsgesetzgeber das BVerfG wohl dazu, dass es deren Spielräume zunehmend weiter begrenzen muss, um das Recht wieder zu seiner Geltung kommen zu lassen. Wenn das Land dann zugleich auch noch gezielt das systeminterne Abstandsgebot verletzt (siehe unter dem genannten Punkt 1) wie unlängst gerade auch Thüringen zum wiederholten Male, dann fragt man sich wirklich, wie unverantwortlich man sein kann. Denn langfristig wird es nur noch teurer, wenn man allenthalben untere Besoldungsgruppen verfassungswidrig auflöst und dann bald die entsprechend überführten Beamten ebenfalls verfassungskonform in den entsprechend höheren Besoldungsgruppen alimentieren muss. Das verfassungswidrige Handeln schafft dabei also neue Besitzstände, was nicht unendlich schwer zu verstehen ist. Der Schaden wird mit jeder weiteren verfassungswidrigen "Reform" nur immer noch größer und wird folglich zukünftig nur immer noch schwieriger zu reparieren sein. Die Thüringer Besoldungssystematik dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit kaum noch verfassungskonform zu reparieren sein und wird also einer grundlegend neuen Struktur bedürfen, um dann das systeminterne Abstandsgebot wieder erfüllen zu können, ohne dass ich mir vorstellen kann, wie eine solche Struktur aussehen sollte - und Sachsen befindet sich offensichtlich auf einem guten Weg, es Thüringen mehr und mehr gleichzutun. Wer beständig mit Art. 3 Abs. 1 GG einen der wichtigsten Baupfeiler unserer Demokratie verletzt, darf sich nicht wundern, wenn das auf solchem Handeln aufbauende Gebäude irgendwann wie nichts in sich zusammenfällt. Man muss schon wirklich mit politischer Blindheit geschlagen sein, um so unverantwortlich zu handeln!
--- End quote ---
Dass die Streichung unterer Besoldungsgruppen im Hinblick auf das systeminterne Abstandsgebot (vorsichtig ausgedrückt) sehr problematisch ist, wurde ja bereits hinlänglich diskutiert und leuchtet auch ein.
Die Punkte 2 und 3 wären aber doch durchaus ein Instrument zur Herstellung eines verfassungsgemäßen Zustandes oder etwa nicht? Schließlich fließen doch die Kosten für Kranken- und Pflegeversicherung in die Berechnung/Ermittlung des Grundsicherungsniveaus mit ein. Wenn ich mich recht entsinne (ich habe den Artikel leider gerade nicht zur Hand) hat Stuttmann diese Option auch in seinem Artikel "Die Besoldungsrevolution des BVerfG" thematisiert und "lediglich" die Auswirkungen auf die PKV und das Gesundheitssystem kritisch betrachtet.
SwenTanortsch:
--- Zitat von: Rainer Hohn am 29.11.2021 11:57 ---
--- Zitat von: SwenTanortsch am 29.11.2021 08:46 ---
--- Zitat von: Rainer Hohn am 29.11.2021 08:18 ---Guten Morgen zusammen,
auch in Sachsen beschäftigt man sich derzeit mit der Herstellung einer verfassungsgemäßen Alimentation.
Es wurde im Austausch mit den Gewerkschaften festgestellt, dass eine Lücke von ca. 12% zum Grundsicherungsniveau vorliegt (bezogen auf eine vierköpfige Familie).
Der Lösungsvorschlag des Finanzministeriums sieht folgendermaßen aus:
Schritt 1:
Die Besoldungsgruppe A4 wird entsprechend dem Vorhaben der Koalition
gestrichen. Niedrigste Besoldung wird A5 mit Amtszulage.
Schritt 2:
Der Beihilfesatz für beihilfeberechtigte Kinder wird auf 100 % erhöht. Dadurch
erspart der Referenzbeamte Aufwendungen für eine private Krankenversicherung in Höhe
von monatlich 38 €/Kind und erhöht sich das verfügbare Nettoeinkommen entsprechend.
Schritt 3:
Der Beihilfesatz für beihilfeberechtigte Ehe- oder Lebenspartner wird auf 100 %
erhöht. Dadurch erspart der Referenzbeamte Aufwendungen für eine private
Krankenversicherung in Höhe von monatlich ca. 260 € und erhöht sich das verfügbare
Nettoeinkommen entsprechend.
--- End quote ---
Der zu erwartende Unsinn, wie wir ihn nun schon aus anderen Ländern kennen (und mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit in den nächsten Wochen noch von vielen anderen Ländern kennenlernen werden). Das Problem ist verfassungsrechtlich offensichtlich ein Besoldungsproblem und kann von daher nicht grundlegend über die Beihilfe gelöst werden. Mit jeder weiteren offensichtlich verfassungswidrigen Gestaltung der Alimentation treiben die Besoldungsgesetzgeber das BVerfG wohl dazu, dass es deren Spielräume zunehmend weiter begrenzen muss, um das Recht wieder zu seiner Geltung kommen zu lassen. Wenn das Land dann zugleich auch noch gezielt das systeminterne Abstandsgebot verletzt (siehe unter dem genannten Punkt 1) wie unlängst gerade auch Thüringen zum wiederholten Male, dann fragt man sich wirklich, wie unverantwortlich man sein kann. Denn langfristig wird es nur noch teurer, wenn man allenthalben untere Besoldungsgruppen verfassungswidrig auflöst und dann bald die entsprechend überführten Beamten ebenfalls verfassungskonform in den entsprechend höheren Besoldungsgruppen alimentieren muss. Das verfassungswidrige Handeln schafft dabei also neue Besitzstände, was nicht unendlich schwer zu verstehen ist. Der Schaden wird mit jeder weiteren verfassungswidrigen "Reform" nur immer noch größer und wird folglich zukünftig nur immer noch schwieriger zu reparieren sein. Die Thüringer Besoldungssystematik dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit kaum noch verfassungskonform zu reparieren sein und wird also einer grundlegend neuen Struktur bedürfen, um dann das systeminterne Abstandsgebot wieder erfüllen zu können, ohne dass ich mir vorstellen kann, wie eine solche Struktur aussehen sollte - und Sachsen befindet sich offensichtlich auf einem guten Weg, es Thüringen mehr und mehr gleichzutun. Wer beständig mit Art. 3 Abs. 1 GG einen der wichtigsten Baupfeiler unserer Demokratie verletzt, darf sich nicht wundern, wenn das auf solchem Handeln aufbauende Gebäude irgendwann wie nichts in sich zusammenfällt. Man muss schon wirklich mit politischer Blindheit geschlagen sein, um so unverantwortlich zu handeln!
--- End quote ---
Dass die Streichung unterer Besoldungsgruppen im Hinblick auf das systeminterne Abstandsgebot (vorsichtig ausgedrückt) sehr problematisch ist, wurde ja bereits hinlänglich diskutiert und leuchtet auch ein.
Die Punkte 2 und 3 wären aber doch durchaus ein Instrument zur Herstellung eines verfassungsgemäßen Zustandes oder etwa nicht? Schließlich fließen doch die Kosten für Kranken- und Pflegeversicherung in die Berechnung/Ermittlung des Grundsicherungsniveaus mit ein. Wenn ich mich recht entsinne (ich habe den Artikel leider gerade nicht zur Hand) hat Stuttmann diese Option auch in seinem Artikel "Die Besoldungsrevolution des BVerfG" thematisiert und "lediglich" die Auswirkungen auf die PKV und das Gesundheitssystem kritisch betrachtet.
--- End quote ---
Die Berechnung der Mindestalimentation ist ein indizielles Mittel, um die Alimentation auf ihren amtsangemessenen Charakter hin zu untersuchen - sie ist kein legislatives Mittel, um die amtsangemessene Alimentation mathematisch exakt zu berechnen. Der Besoldungsgesetzgeber ist durch Art 33 Abs. 5 GG gezwungen, das Recht des öffentlichen Diensts unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln, und dabei steht es ihm bis zu einem gewissen Grad frei, sofern indiziell anhand der Mindestalimentation feststeht, dass die Nettoalimentation der untersten oder weiterer Besoldungsgruppen nicht mehr amtsangemessen ist, wie er einen verfassungskonformen Zustand herstellt - wenn jedoch die Nettoalimentation in der untersten Besoldungsgruppe in dem Maße zu gering ist, wie es das Land und die Gewerkschaften einig feststellen (die Werte decken sich mit dem, was ich für 2020 berechnet habe), dann kann das nicht ohne Erhöhung der Besoldung wieder in ein amtsangemessenes Maß überführt werden - sicherlich nicht zuletzt auch, weil vom Beihilferegiment nicht sämtliche Beamten betroffen sind und also die freiwillig gesetzlich Versicherten aus der Regelung keinerlei Nutzen ziehen können wie auch die unverheirateten und/oder kinderlosen Beamten. Wenn ich es nicht gänzlich falsch sehe, wird dazu im Verlauf des nächsten Jahres ein Beitrag in einer der maßgeblichen beamtenrechtlichen Zeitschriften erscheinen, der das in einem umfassenderen Maße anhand der BVerfG-Rechtsprechung begründet.
CK7985:
Besoldunganpassung in Thüringen rückwirkend ab 01.01.2020:
Das Gesetz zur Gewährleistung einer verfassungsgemäßen Alimentation wurde am 22. Oktober 2021 vom Thüringer Landtag von den Regierungsfraktionen beschlossen. Das Gesetz sieht vor, dass rückwirkend ab 1. Januar 2020 in den Besoldungsgruppen A 6 und A 7 jeweils die Erfahrungsstufen 1 gestrichen und die kinderbezogenen Familienzuschläge für alle Besoldungsgruppen in gleicher Höhe angehoben werden. So steigt der Kinderzuschlag für das erste Kind um 112 €, für das zweite Kind um 277,38 €, für das dritte um 308 € und für das vierte und jedes weitere um 290 €. Jedoch wurden von allen Fraktionen und Gruppen nahezu einheitlich Anträge verabschiedet, das Besoldungsgefüge im Freistaat zu evaluieren sowie jährlich für das vorangegangene Jahr die Besoldung nach den Kriterien des BVerfG zu überprüfen. Eine generelle Anhebung der Grundbesoldung, wie vom tbb gefordert, konnte nicht erreicht werden. Der tbb wird Klagen gegen die Besoldung in Thüringen führen, um langfristig für Rechtssicherheit zu sorgen. Gespräche mit dem Finanzministerium, in denen es auch um eine Musterklagevereinbarung gehen soll, sind für Mitte des Monats angesetzt.
https://www.thueringer-beamtenbund.de/aktuelles/news/gesetz-beschlossen-was-im-landtag-geschah/
micha77:
Beamtenbesoldung in Hessen ist verfassungswidrig zu niedrig
https://osthessen-news.de/n11659077/beamtenbesoldung-in-hessen-ist-verfassungswidrig-zu-niedrig.html
lotsch:
--- Zitat von: micha77 am 30.11.2021 15:25 ---Beamtenbesoldung in Hessen ist verfassungswidrig zu niedrig
https://osthessen-news.de/n11659077/beamtenbesoldung-in-hessen-ist-verfassungswidrig-zu-niedrig.html
--- End quote ---
Dazu gibt es auch einen Artikel bei Spiegel online: In den einzelnen Jahren werde »bis zur Besoldungsgruppe A9, teilweise auch bis zur Besoldungsgruppe A10, der notwendige Mindestabstand zur Grundsicherung für Arbeitssuchende nicht eingehalten«, führte der zuständige 1. Senat seinen Beschluss aus. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung dafür gebe es nicht.
Ich bin mittlerweile zu der Meinung gekommen, dass es sich bei dem Verhalten der Dienstherrn um finanzielle Repression handelt. Der Staat hat auf allen Ebenen massive Schulden aufgebaut und versucht nun durch verschiedene repressive Maßnahmen diese Schulden in den Griff zu bekommen. Eine Maßnahme ist rechtswidrige Einsparung bei der Beamtenbesoldung.
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