@ shimanu
Das verstehtst Du jeweils richtig - zugleich sollten auch 2020 die vom VGH betrachteten Unterkunftskosten weiterhin eher zu gering bemessen worden sein, wenn auch der Unterschied ist nicht allzu groß sein sollte. Allerdings dürften die vom VGH nur pauschalisiert zu Grunde gelegten Kosten für die Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie die Sozialtarife deutlich zu gering ausfallen, da der VGH keine Handhabe hat, die nötigen realitätsgerechten Kosten zu ermitteln. Das Land hat sich in der aktuellen Gesetzgebung vorsätzlich darum herumgedrückt, die Mindestalimentation zu bemessen und dafür dann auch entsprechend realitätsgerechte Kosten zu ermitteln (vgl. die in vielfacher Hinsicht ungenügende HE-Drs. 20/6690 v. 09.11.2021, S. 10), wozu es verfassungsrechtlich verpflichtet gewesen wäre. Das am 08.12.2021 verabschiedete Gesetz hätte in dieser Form weder zur Abstimmung gestellt noch verabschiedet worden dürfen, da es sowohl materiell als auch prozedural nicht mit der Verfassungs in Einklang zu bringen ist. Als Folge lässt sich heute nichts zu realitätsgerechten Kosten für die Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie die Sozialtarife in Hessen sagen.
Der VGH hat für 2020 pauschalisierten Kosten für die Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie für die Sozialtarife in Höhe von 1.080,- € angesetzt, eben weil ihm hier keine realitätsgerechten Werte zur Verfügung standen (vgl. die Rn. 77 in der Entscheidung; vgl. zum grundsätzlich nicht realitätsgerechten Charakter der Pauschalisierungen in Rn. 64-71 sowie 142 f. der aktuellen BVerfG-Entscheidung). Thüringen hat unlängst diesbezüglich realitätsgerechtere Werte ausgeworfen (die Werte dürften mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ebenfalls noch zu gering sein, wenn auch nicht mehr in der deutlichen Höhe der hessischen Verhältnisse), die allerdings nicht so ohne Weiteres auf Hessen zu übertragen wären, jedoch die Dimensionen zeigen, in denen die pauschalisierten Werte zu gering sind. Für das Jahr 2020 liegen die Thüringer Kosten für die Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie für die Sozialtarife bei rund 3.100,- € (vgl. TH-Drs. 7/3575 v. 23.06.2021, Anlage 8, S. 104;
https://beteiligtentransparenzdokumentation.thueringer-landtag.de/7-3575/), also um rund 2.000,- höher als die pauschalisierten Werte. Auch deshalb wäre es verfassungsrechtlich wenig sinnvoll, sich mathematisierend an der Mindestalimentation zur Bemessung der zu gewährenden Nettoalimentation zu orientieren. Die gewährte Nettoalimentation sollte am Ende um einiges oberhalb der Mindestalimentation liegen, um die Gewähr zu bieten, dass sie am Ende verfassungsrechtlich Bestand haben sollte.
@ micha77
Wie vorhin schon geschrieben, wäre eine entsprechende Regelung nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen:
1. es fehlt ein sachlicher Grund für eine entsprechende gesetzliche Regelung. Der einzige Grund wäre, Personalkosten sparen zu wollen. Diese Motivation ist aber sachlich nicht hinreichend.
2. Hessen hat mit seinem Zweiten Dienstmodernisierunfsgesetz die Besoldungsgruppe A 3 zum 01.03.2014 abgeschafft und die entsprechenden Beamten nach A 4 übergeleitet; entsprechend wurden diese zum 01.07.2016 nach A 5 übergeleitet und die Besoldungsgruppe A 4 abgeschafft. Es ist bereits fraglich, ob diese Regelungen gleichheitsgerecht vollzogen worden sind, da den entsprechenden Beamten ein materiell höherwertiges Gut gewährt wurde als allen anderen Beamten. Es ist darüber hinaus fraglich, ob diese Regelung im Einklang mit dem Leistungsprinzip vollzogen worden ist, da sich die Leistungsfähigkeit der betreffenden Beamten durch die formale Überleitung konkret nicht erhöht hat, sie aber nun in ihrem Amt mit vormals formal leistungsfähigeren Beamten gleichgestellt wurden. Schließlich wäre zu fragen, inwiefern diese Regelung ggf. das systeminterne Abstandsgebot verletzte, da die Besoldungsordnung A durch den Wegfall zweier Besoldungsgruppen gestaucht wurde, wodurch sich das bis dahin geltende Verhältnis der Alimentation der vormals untersten Besoldungsgruppe zu allen anderen Besoldungsgruppen verändert hat.
3. Die also mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht verfassungskonforme Regelung der aktuellen Besoldungsordnung würde durch Deine Vorschläge noch weiter auf die Spitze getrieben werden. Darüber hinaus können Familienzuschläge nicht ohne Weiteres - also willkürlich - angehoben werden, um so die Mindestalimentation zu erfüllen. Vielmehr bedürfte es hier ebenfalls jeweils eines sachlichen Grundes, der aber offensichtlich nicht gegeben ist, da es nur darum ginge, Personalkosten zu sparen. Dieser sachliche Grund müsste aufzeigen, dass es um konkrete Unterhaltsbedarfe konkreter Besoldungsgruppen ginge und müsste dabei ebenfalls gleichheitsgerecht vollzogen werden und den Forderungen des Leistungsprinzips und des systeminternen Abstandsgebots Genüge tun.
Der langen Rede kurzer Sinn: Es geht nicht darum, ob eine zu gewährende Nettoalimentation in Abhängigkeit von der Mindestalimentation irgendwie "reichte" (diese Sichtweise könnten die Gerichte einnehmen, um festzustellen, ob die Alimentation evident unzureichend sei oder nicht). Der Besoldungsgesetzgeber muss im Sinne seines sich aus Art. 33 Abs. 5 GG ergebenden Gestaltungsauftrags eine in der Regel für alle Beamte amtsangemessene Alimentation gewährleisten und muss dazu jede seiner hierfür von ihm vorgenommene Entscheidung prozeduralisieren, also jeweils mit mindestens einem sachlichen Grund rechtssicher machen. In diesem Sinne führt das Bundesverfassungsgericht in seiner aktuellen Entscheidungerneut in aller Deutlichkeit aus: "Die Prozeduralisierung zielt auf die Herstellung von Entscheidungen und nicht auf ihre Darstellung, das heißt nachträgliche Begründung" (Rn. 97). Welches sollten jeweils die sachlichen Gründe für die von Dir genannten Entscheidungen sein, wie sollten sie also sachlich hergestellt werden?