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[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)

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Opa:

--- Zitat von: WasDennNun am 22.01.2022 13:47 ---Ich wage zu behaupten, dass auch 2005 und vorher die Alimentation nicht verfassungskonform war.
Oder waren die ~1760 € Brutto der damaligen unterste Besoldungsgruppe in der ersten Stufe mit Frau und 2 Kinder nicht auch schon damals schon unterhalb - der derzeit noch "Hartz 4" genannte- Mindestalimentationsgrenze (inkl. 15% Aufschlag)?
Hat da jemand Zahlen?

--- End quote ---

Wie Swen schrieb, müsste eine Gesamtbetrachtung der damaligen rechtlichen Strukturen erfolgen.

Ausgehend von den damaligen Grundsicherungssätzen spricht aber einiges dafür, dass schon 2005 der Abstand bei einer 4-köpfigen Familie unterschritten wurde:
Regelleistung Eltern: 2x 311€=622€
Regelleistung Kinder unter 14: 207 Euro
Regelleistung Kinder ab 14: 276 Euro
Kindergeld pro Kind: 154 Euro

Die Bedarfsgemeinschaft hätte damals also mit 2 Kindern Ü14 insgesamt 1.174€ an „Regelbedarf“ gehabt, von dem das Kindergeld -um eine Pauschale von je 30€ gemindert- als Einkommen abzuziehen war. Also 1.174€ - 248€ = 926€.

Zu der Regelleistung wäre dann noch ein regionalabhängiger Betrag für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen. Der dürfte auch zu den damaligen (niedrigen) Mietpreisen in westlichen Ballungsräumen locker über 800€ gelegen haben, sodass die Bedarfsgemeinschaft monatlich realistisch zwischen 1.700 und 1.800 Euro vom Jobcenter bekommen hätte.

Eine Besoldung von 1.760 Euro Brutto hätte also dem Abstandsgebot zumindest in den Regionen mit durchschnittlichen bis hohen Wohnkosten bereits damals nicht genügt.

WasDennNun:

--- Zitat von: Opa am 24.01.2022 12:19 ---Wie Swen schrieb, müsste eine Gesamtbetrachtung der damaligen rechtlichen Strukturen erfolgen.

--- End quote ---
Das ist mir durchaus bewusst. Aber leider Schnee von gestern.
Mir ging es ja auch nicht um eine historisch korrekte, gerichtsfeste Beurteilung, sondern um eine grobe Einschätzung, welche du ja gemacht hast. Von daher vielen Dank für deine Darstellung.

--- Zitat ---Ausgehend von den damaligen Grundsicherungssätzen spricht aber einiges dafür, dass schon damals der Abstand bei einer 4-köpfigen Familie unterschritten wurde:
Regelleistung Eltern: 2x 311€=622€
Regelleistung Kinder unter 14: 207 Euro
Regelleistung Kinder ab 14: 276 Euro
Kindergeld pro Kind: 154 Euro

Die Bedarfsgemeinschaft hätte damals also mit 2 Kindern Ü14 insgesamt 1.174€ an „Regelbedarf“ gehabt, von dem das Kindergeld -um eine Pauschale von je 30€ gemindert- als Einkommen abzuziehen war. Also 1.174€ - 248€ = 926€.

Zu der Regelleistung wäre dann noch ein regionalabhängiger Betrag für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen. Der dürfte auch zu den damaligen (niedrigen) Mietpreisen in westlichen Ballungsräumen locker über 800€ gelegen haben, sodass die Bedarfsgemeinschaft monatlich realistisch zwischen 1.700 und 1.800 Euro vom Jobcenter bekommen hätte.

Eine Besoldung von 1.760 Euro Brutto hätte also dem Abstandsgebot zumindest in den Regionen mit durchschnittlichen bis hohen Wohnkosten bereits damals nicht genügt.

--- End quote ---
Da kann man also sehen, dass der Staat schon seeeehr lange (oder gar schon immer?)  die Beamten zu niedrig alimentiert(e) und er Glück gehabt hat, dass dies nicht schon früher einen Betroffenen aufgefallen und dieser dagegen vorgegangen ist.

Opa:

--- Zitat von: WasDennNun am 24.01.2022 12:33 ---
--- Zitat von: Opa am 24.01.2022 12:19 ---Wie Swen schrieb, müsste eine Gesamtbetrachtung der damaligen rechtlichen Strukturen erfolgen.

--- End quote ---
Das ist mir durchaus bewusst. Aber leider Schnee von gestern.
Mir ging es ja auch nicht um eine historisch korrekte, gerichtsfeste Beurteilung, sondern um eine grobe Einschätzung, welche du ja gemacht hast. Von daher vielen Dank für deine Darstellung.

--- Zitat ---Ausgehend von den damaligen Grundsicherungssätzen spricht aber einiges dafür, dass schon damals der Abstand bei einer 4-köpfigen Familie unterschritten wurde:
Regelleistung Eltern: 2x 311€=622€
Regelleistung Kinder unter 14: 207 Euro
Regelleistung Kinder ab 14: 276 Euro
Kindergeld pro Kind: 154 Euro

Die Bedarfsgemeinschaft hätte damals also mit 2 Kindern Ü14 insgesamt 1.174€ an „Regelbedarf“ gehabt, von dem das Kindergeld -um eine Pauschale von je 30€ gemindert- als Einkommen abzuziehen war. Also 1.174€ - 248€ = 926€.

Zu der Regelleistung wäre dann noch ein regionalabhängiger Betrag für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen. Der dürfte auch zu den damaligen (niedrigen) Mietpreisen in westlichen Ballungsräumen locker über 800€ gelegen haben, sodass die Bedarfsgemeinschaft monatlich realistisch zwischen 1.700 und 1.800 Euro vom Jobcenter bekommen hätte.

Eine Besoldung von 1.760 Euro Brutto hätte also dem Abstandsgebot zumindest in den Regionen mit durchschnittlichen bis hohen Wohnkosten bereits damals nicht genügt.

--- End quote ---
Da kann man also sehen, dass der Staat schon seeeehr lange (oder gar schon immer?)  die Beamten zu niedrig alimentiert(e) und er Glück gehabt hat, dass dies nicht schon früher einen Betroffenen aufgefallen und dieser dagegen vorgegangen ist.

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Damals war ich noch Dozent für Leistungsrecht SGBII. Ich erinnere mich in dem Zusammenhang an einen Fall, in dem ein Beamter tatsächlich einen Anspruch auf aufstockende Grundsicherung gehabt hätte. Der Anspruch wurde von der ARGE berechnet, der Antrag dann aber mit Verweis auf das Alimentationsprinzip abgelehnt.
Im Anschluss gab es dann ein Klageverfahren des Beamten gegen seinen Dienstherrn; letzterer wurde erstinstanzlich dazu verurteilt, dem Beamten eine Zulage zu gewähren, deren Höhe den Anspruch auf Grundsicherung verhindert.
Leider habe ich dazu keine Fundstelle mehr…

SwenTanortsch:
Mit der Verringerung und dann dem (vielfachen) Wegfall des Weihnachtsgelds ab 2003/05 hat es vielfach Klagen vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit gegeben, aber auch Vorlagebeschlüsse, die vom BVerfG behandelt wurden. Darauf wird einleitend demnächst in dem genannten Beitrag in der ZBR eingegangen werden. Das OVG Schleswig-Holstein hat deshalb unlängst die Besoldung des Jahres 2007 geprüft und der vorliegende Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgericht, Niedersachsen betreffend, behandelt jenen Zeitraum ab 2005.

Das juristische Problem war in den 2000er Jahren mindestens ein dreifaches: Erstens veränderte sich im Zuge insbesondere der sogenannten Hartz-Gesetzgebung die Sozialgesetzgebung grundlegend und führte zunächst die gerade genannte Ermächtigung der Länder über das Sonderzahlungsrecht zwischen 2003 und 2005 sowie dann ab 2006 die gesamte Reföderalisierung des Besoldungsgechts zu einer komplexen neuen Situation. Zweitens mussten zunächst entsprechende Kriterien zur Betrachtung und Unterscheidung einer amtsangemessen und einer nicht (mehr) amtsangemessenen Alimentation entwickelt werden, was ein komplexes juristisches Unterfangen war. Und drittens hatte das Bundesverfassungsgericht - und hat es das verfassungsrechtlich auch weiterhin - den weiten Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers zu beachten, der sich aus Art. 33 Abs. 5 ergibt. In diesem Sinne hebt es in ständiger Rechtsprechung hervor: "Bei dem Erlass besoldungsrechtlicher Vorschriften hat der Gesetzgeber eine verhältnismäßig weite Gestaltungsfreiheit [...]. Dies gilt sowohl mit Blick auf Art. 33 Abs. 5 GG als auch hinsichtlich Art. 3 Abs. 1 GG [...]. Wegen dieses weiten Spielraums politischen Ermessens, innerhalb dessen er das Besoldungsrecht den tatsächlichen Notwendigkeiten und der fortschreitenden Entwicklung anpassen und verschiedenartige Gesichtspunkte berücksichtigen darf, überprüft das Bundesverfassungsgericht nicht, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung gewählt hat [...]. Es kann, sofern nicht von der Verfassung selbst getroffene Wertungen entgegenstehen, nur die Überschreitung äußerster Grenzen beanstanden, jenseits derer sich gesetzliche Vorschriften bei der Abgrenzung von Lebenssachverhalten als evident sachwidrig erweisen [...]. Jede Besoldungsordnung enthält unvermeidbare Härten und mag aus Sicht der Betroffenen fragwürdig sein. Solche Unebenheiten, Friktionen und Mängel müssen in Kauf genommen werden, solange sich für die Regelung ein plausibler und sachlich vertretbarer Grund anführen lässt" (vgl. beispielsweise BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 16. Oktober 2018 - 2 BvL 2/17 -, Rn. 18).

Dabei ist zugleich in Rechnung zu stellen, dass die Abschmelzung der Alimentation ein langer Prozess war, wie hier schon im letzten Dezember besprochen. Erst im Zuge der im letzten Absatz skizzierten Prozesse entwickelte sich in den 2000er Jahren zunehmend die Vorstellung, die noch in den 1990er Jahren (insbesondere in deren ersten Hälfte) als undenkbar galt, nämlich das die Alimentation bis dahin so weit abgeschmolzen worden war, dass sie eventuell sogar flächendeckend nicht mehr amtsangemessen sein könnte - dabei ist schließlich ebenfalls historisch zu betrachten, dass die 2000er Jahre gesamtgesellschaftlich von starken ökonomischen Verwerfungen geprägt waren, die also nicht nur den Beamten, sondern auch den Arbeitnehmern vielfach starke Einschränkungen nicht zuletzt hinsichtlich der Reallöhne gebracht haben.

Genau in diese Zeit fällt dann auch das Beispiel, von dem Du sprichst, Opa. Und es ist sehr wahrscheinlich, WasDennNun, dass ich Dir Recht geben würde, wenn es möglich wäre, entsprechende Berechnungen und Betrachtungen anzustellen - also sofern wir den Zeitraum vor 2005 betrachten könnten. Da wir das aber - wie dargelegt - nicht können, halte ich mich mit solchen Aussagen zurück, sondern versuche auch dort, mich aus verschiedenen Gründen von Spekulationen fernzuhalten. Die jüngste Vergangenheit der letzten rund 15 Jahre und die heutige Gegenwart sind thematisch vielfach schon extrem genug, als dass es der Spekulation bedürfte, finde ich - und ich kann zugleich verstehen, das man das so nicht empfindet. Denn es ist ja kein Muss, das so zu empfinden, sondern darin zeigt sich eine meiner Werteentscheidungen - und die bleiben immer relativ.

Aloha:
In diesem Zusammenhang noch ein spannender Beschluss aus Hessen für alle Gruppen bis A10 sowie A15/A16 und W2, wo das Abstandsgebot/Leistungsprinzip einmal gerichtlich angegangen wird:
https://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE220002265

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