Die Beamtenalimentation ist in Deutschland zwar seit spätestens 2008 ausnahmslos verfassungswidrig zu gering - aber erst durch die Entscheidung vom 04. Mai des vorletzten Jahres ist das so entschieden. Das Bundesverfassungsgericht hatte im November 2015 zwar entschieden, dass die zu gewährende Nettoalimentation mindestens 15 % oberhalb des Grundsicherungsniveau liegen muss, aber die Bemessungsmethodik insbesondere des Grundsicherungsniveaus hat es erst im Mai 2020 erstellt.
Insofern ist die Beamtenalimentation zwar seit mindestens 15 Jahren verfassungswidrig zu gering - aber dass dem so ist, kann erst seit rund eindreiviertel Jahren so erkannt werden.
Mittlerweile erkennen zumindest die Besoldungsgesetzgeber, die sich thematisch äußern, ausnahmslos an, dass die Alimentationspraxis in der Vergangenheit verfassungswidrig war und heute weiterhin ist. Das ist schon einmal der erste Schritt, der die heutige von der Situation vor dem 04. Mai 2020 unterscheidet. Nun versuchen die Besoldungsgesetzgeber - jedenfalls jene, die seitdem aktiv geworden sind - die Direktiven des Bundesverfassungsgerichts so zu verstehen, dass die Heilung des verfassungswidrigen Zustands für sie möglichst kostengünstig erfolgt, was zur Folge hat, dass die, die bislang tätig geworden sind, den verfassungswidrigen Zustand kaum verändert aufrechterhalten. Dennoch bleibt dabei zunächst einmal das nicht wegdiskutierbare Eingeständnis bestehen, dass die Alimentation bislang nicht verfassungskonform gewesen ist.
Das Bundesverfassungsgericht wird nun - davon ist auszugehen - seine Entscheidungen zunehmend weiter konkretisieren, je mehr die Besoldungsgesetzgeber seine Direktiven entsprechend freihändig auslegen, also das tun, was es seit elf Jahren macht, nämlich eine immer weiter fortgeführte neue Besoldungsdogmatik zu entwickeln. Daraus folgt für die Besoldungsgesetzgeber, dass der weite Entscheidungsspielraum, über den sie in der Ausgestaltung der sich aus Art. 33 Abs. 5 GG ergebenden Pflichten verfügen, zunehmend weiter eingeschränkt werden wird. Das ist die erste Folge aus dem entsprechenden Handeln der Besoldungsgesetzgeber - mit jeder neuen verfassungswidrigen Entscheidung wird ihnen das Bundesverfassungsgericht zeigen, dass diese verfassungswidrig ist und den Entscheidungsspielraum so immer weiter verengen.
Und irgendwann wird dann ggf. der Zeitpunkt kommen, da das Bundesverfassungsgericht eine Vollstreckungsanordung nach § 35 BVerfGG bzw. im Sinne des einstweiligen Rechtsschutzes eine einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG erlassen wird. Das wäre dann die zweite Folge, für die es aber bislang aus verschiedenen Gründen verfassungsrechtlich noch nicht Zeit (geworden) ist.
Der langen Rede kurzer Sinn: Das Bundesverfassungsgericht wird bis zum Beweis des (dauerhaften) Gegenteils von der Vernunft der weiteren Verfassungsorgane ausgehen, weil es davon ausgehen muss, dass auch sie sich an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden sehen; als Verfassungsorgan kann es von etwas anderem nicht ausgehen - und sollte sich diese Vernunft dann doch nicht einstellen, werden diese weiteren Verfassungsorgane nach und nach wieder zur Vernunft gebracht: So ist grundsätzlich der judikative Weg. Und dass das in diesem Fall etwas länger dauert, dürfte der verfassungsrechtlichen Komplexität der Materie und den gewaltigen Mehrkosten, die auf die Dienstherren zukommen, geschuldet sein. Die verfassungsrechtliche Komplexität liegt darin begründet, dass es dem Bundesverfassungsgericht nicht gestattet ist, zu prüfen, ob die Besoldungsgesetzgeber die sinnvollste Entscheidung getroffen haben. Denn das überschritte seinen Verfassungsauftrag. Es kann nur kontrollieren, ob ein Besoldungsgesetz evident sachwidrig ist - darin, in der Kontrolle, liegt seine Aufgabe. Von daher wiederholt es in ständiger Rechtsprechung:
"Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber dabei die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung gewählt hat (vgl. BVerfGE 103, 310 <320>; 117, 330 <353>; 121, 241 <261>; 130, 263 <294>; 139, 64 <112 Rn. 95>; 140, 240 <279 Rn. 75>). Dem weiten Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers entspricht vielmehr eine zurückhaltende, auf den Maßstab evidenter Sachwidrigkeit beschränkte Kontrolle der einfachgesetzlichen Regelung (vgl. BVerfGE 65, 141 <148 f.>; 103, 310 <319 f.>; 110, 353 <364 f.>; 117, 330 <353>; 130, 263 <294 f.>; 139, 64 <113 Rn. 96>; 140, 240 <279 Rn. 75>). Im Ergebnis beschränkt sich die materielle Kontrolle dabei auf die Frage, ob die Bezüge der Richter und Staatsanwälte evident unzureichend sind". (vgl. in der aktuellen Entscheidung die Rn. 27).
Es gilt also, sich in Geduld zu üben - auch die Besoldungsgesetzgeber werden wieder auf den Pfad der Tugend zurückfinden. Sie müssen aber erst einmal realisieren, wie sehr sie sich in den letzten elf Jahren selbst ihren weiten Entscheidungsspielraum eingeschränkt haben, weshalb ihnen die aktuelle Entscheidung nun schon so wehtut - und für sie ist zu befürchten, die nächste dürfte nur noch mehr wehtun... und die übernächste... und die danach... Hinsichtlich der Bemessung der Mindestalimentation ist der weite Entscheidungsspielraum schon sehr stark kanalisiert worden - aber es geht immer noch stärker. Und sofern sich die Besoldungsgesetzgeber dessen noch nicht bewusst sein sollten, werden sie zu diesem Bewusstsein schon noch kommen; der eine braucht halt länger und der andere noch länger.
Das Bundesverfassungsgericht dürfte seine Aufgabe dabei aber nicht darin sehen, Selbststrangulierungsprozesse von Gesetzgebern zu unterbinden. Denn das wäre eine politische Entscheidung - und für solche sieht man sich in Karlsruhe zurecht nicht zuständig.