Autor Thema: [Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 2654001 times)

sapere aude

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3240 am: 31.03.2022 18:02 »
Die heutige Aktuelle Stunde im Hessischen Landtag war schon so etwas wie eine Satireshow.
Warum?
Was war?

Die Ausführungen des Staatsministers sagen - so glaube ich - alles:
https://forum.oeffentlicher-dienst.info/index.php/topic,117117.75.html

SwenT hat mitstenografiert. Demnächst ist die Sitzung bestimmt bei youtube abrufbar.

Big T

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3241 am: 31.03.2022 18:43 »
Bereits 43 Verfahren beim BverfG..  :o
https://www.berliner-besoldung.de/bverfg-kommt-nicht-mehr-hinterher/

Hatte das jemand (Swen?) in dem Ausmaß auf dem Schirm?

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3242 am: 31.03.2022 19:19 »
@ sapere aude
... das ist leider noch nicht abrufbar - bevor ich weggefahren bin, war das Video des dort gerade beendeten TOPs noch abrufbar, nun ist wohl nur noch der letzte TOP einsehbar: https://hessischer-landtag.de/termine/101-plenarsitzung

Aber es ist so, wie Du schreibst: In ein paar Tagen sollte das hier eingestellt werden: https://www.youtube.com/channel/UCXSXIdD3uUFCfU3Eb1ZxLQA

Betrachtet man die Rede des Innenministers, dann sind mehrere Details interessant, finde ich: Er streitet zu Beginn und auch wieder am Ende des Zitats ab, dass der Landtag vorsätzlich verfassungswidrig gehandelt habe. Dazwischen gibt er aber zu, dass Bund und Länder allesamt - also alle 17 Besoldungsgesetzgeber - ein massives Problem hätten. Wahrheitswidrig stellt er darüber hinaus in den Raum, dass das Land ohne eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Vorlage des VGH gar nicht handeln könne. Damit wird die sich aus Art. 33 Abs. 5 GG ergebende Pflicht des Besoldungsgesetzgebers, das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln, offensichtlich auf das Bundesverfassungsgericht übertragen und förmlich darum gebeten, dass es den breiten Entscheidungsspielraum des Besoldungsgesetzgebers weiter einschränkt. Zugleich wird die Verantwortung für die vom Gesetzgeber vollzogene verfassungswidrige Alimentationpraxis auf das Bundesverfassungsgericht übertragen: "Wir haben, meine Damen und Herren, hier wirklich ein nennenswertes, ein nennenswertes Problem, und das liegt schlicht und ergreifend daran, dass die Berechnungsgrundlagen für das Grundsicherungsniveau durch das Bundesverfassungsgericht entsprechend verändert worden sind, und zwar massiv verändert worden sind", das "Problem in der Besoldungsstruktur des Bundes und der Länder" sei also nicht ausgelöst worden durch die wiederholte Verabschiedung verfassungswidriger Gesetze, sondern sei "ausgelöst durch eine Rechtsprechung, die wir selbstverständlich anerkennen werden und die wir selbstverständlich entsprechend umsetzen werden". Diese verquere Sicht auf die Dinge, mit der sich die Landesreigerung offensichtlich weiterhin so hilflos wie nicht verantwortlich zeigen möchte, wird verbunden mit der Feststellung, dass man als Landesregierung weiterhin untätig bleiben werde und auf die Geduld der hessischen Beamtinnen und Beamten hoffe. Darüber hinaus wird auch die materielle Relation des Verfassungsbruchs genannt: Das "wirkt sich aus in einer Größenordnung von über 8.000,- € Veränderung des Grundsicherungsbedarfs" - worin sich zeigt, dass man vorsätzlich verfassungswidrig gehandelt hat; denn dieses Wissen war ja auch schon im Dezember des letzten Jahres gegeben -, um schließlich mit einem freud'schen Versprecher zu enden, nämlich im falschen Gebrauch der Konjunktion "aber" (argumentativ korrekt hätte es "und" heißen müssen): "Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sehen, wir sind hier an dieser Stelle nicht ignorant, aber wir werden auch in Zukunft in diesen Fragen seriös arbeiten." Damit erfolgt auch am Ende eine schöne Selbstentlarvung.

@ Big T
Ich habe vor rund drei Jahren eine Tabelle angelegt, in der ich auf Grundlage einer Recherche in den Entscheidunfsdatenbanken der Länder sämtliche dort gespeicherten Vorlagebeschlüsse gesammelt, kategorisiert und in Beziehung zueinander gesetzt habe. Jene habe ich dann nach und nach weiter aktualisiert. Insofern komme ich ebenso auf eine hohe Zahl - jedoch nicht auf die Zahl 43, was allerdings auch daran liegen kann, dass in den Datenbanken Entscheidungen, die einen praktisch identischen Begründungstext aufweisen (weil am selben Tag beispielsweise identische Besoldungsgruppen betrachtet worden sind), wiederkehrend nur einmal eingestellt werden - auch kann es sein, dass ich damals ebenso verfahren bin (daran kann ich mich nicht mehr erinnern) und also weitgehend identische Begründungen nur einmal abgespeichert habe. So kann ich beispielsweise von den anstehenden Entscheidung zur Bremer Alimentationspraxis derzeit weiterhin nur vier der fünf Vorlagebeschlüsse nachweisen, die ich vor ein paar Tagen noch einmal gelesen habe, um mir ein Bild machen zu können. Die Zahl 43 (42 hätte ich besser gefunden...) hat mich ebenso überrascht.
« Last Edit: 31.03.2022 19:27 von SwenTanortsch »

Opa

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3243 am: 31.03.2022 22:18 »
(42 hätte ich besser gefunden...)

Und wenn wir in Pension gehen, rezitieren wir auf der Abschiedsfeier fröhlich ein vogonisches Gedicht („Ode an den kleinen grünen Kittklumpen, den ich eines Morgens in meiner Achselhöhle fand“).
Die letzten Worte werden sein: „Machts gut und danke für den Fisch“.

was_guckst_du

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3244 am: 01.04.2022 07:23 »


Die Ausführungen des Staatsministers sagen - so glaube ich - alles:
https://forum.oeffentlicher-dienst.info/index.php/topic,117117.75.html

SwenT hat mitstenografiert. Demnächst ist die Sitzung bestimmt bei youtube abrufbar.

...hier wird schonungslos die Wirklichkeit aufgezeigt...

...Politiker sind in der Regel Blender, die überwiegend von dem, was sie tun, entweder wenig Ahnung haben oder grottenschlecht informiert sind...

...das Bundesverfassungsgericht soll eine Tabelle aufstellen, was die Besoldungsgesetzgeber zu zahlen haben? :D :D :D

...hierzu ein runtergebrochenes Beispiel:
B (Bürger): hier meine Einkommensteuererklärung. Wann kann ich mit einem Ergebnis rechnen?
F (Sachbearbeiter Finanzamt): das ist mir alles zu kompliziert, wir warten mal ab, was der Finanzgerichtshof dazu sagt..
B: wann wird das sein?
F: wenn Sie sich durch alle Instanzen geklagt haben!
Gruß aus "Tief im Westen"

Meine Beiträge geben grundsätzlich meine persönliche Meinung zum Thema wieder und beinhalten keine Rechtsberatung. Meistens sind sie ernster Natur, manchmal aber auch nicht. Bei einer obskuren Einzelfallpersönlichkeit antworte ich auch aus therapeutischen Gründen

Der Obelix

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3245 am: 01.04.2022 12:01 »
Selten so einen schlechten Redebeitrag gelesen wie der des hessischen Vertreters vor dem Landtag. Sich als Opfer des Bundesverfassungsgerichts darstellend. Wie traurig und armselig ist das denn..............

NordWest

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3246 am: 01.04.2022 17:53 »
Selten so einen schlechten Redebeitrag gelesen wie der des hessischen Vertreters vor dem Landtag. Sich als Opfer des Bundesverfassungsgerichts darstellend. Wie traurig und armselig ist das denn..............

Er tut echt so, als müsse das BVerfG ihm exakt vorrechnen, wie viel genau er den Beamten zu zahlen habe.
Offenbar ist seine Angst, ein paar Cent "zu viel" zu zahlen größer als sein Problem mit eienr verfassungsmäßigen Besoldung. Das zeigt, dass er NICHTS verstanden hat.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3247 am: 01.04.2022 17:55 »
Wie auf der Hessenseite angekündigt, eine kurze Betrachtung zur Bemessung der gewährten Netto- und der Mindestalimentation, die die Ausflüchte entsprechend politisch Handelnder erörtert. Hierzu wird zunächst noch einmal die Bedeutung der Mindestalimentation prägnant betrachtet (I.). Im Anschluss erfolgt die Darlegung zur Bemessung von gewährter Netto- und Mindestalimentation (II.). Das Ganze mündet in einem Fazit (IIi.).

I. Die Bedeutung der Mindestalimentation in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Bereits seit der im November 2015 erfolgten Präzisierung der Mindestalimentation in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, noch mehr allerdings seit dessen Präzisierung im Mai 2020 unterläuft den Besoldungsgesetzgebern beinahe unisono ein Kategorienfehler: Denn die Mindestalimentation ist in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung kein Mittel zur Herstellung einer amtsangemessenen Alimentation; sie ist vielmehr ein Instrument zur Prüfung des gegebenenfalls nicht amtsangemessenen Gehalts der gewährten Nettoalimentation. Nicht umsonst hebt das Bundesverfassungsgericht in mittlerweile ständiger Rechtsprechung hervor, dass die Parameter der ersten Prüfungsstufe, zu denen ebenso die Mindestalimentation gehört, „weder dazu bestimmt noch geeignet“ seien, „aus ihnen mit mathematischer Exaktheit eine Aussage darüber abzuleiten, welcher Betrag für eine verfassungsmäßige Besoldung erforderlich ist. Ein solches Verständnis würde die methodische Zielrichtung der Besoldungsrechtsprechung des Senats verkennen.“ (vgl. in der aktuellen Entscheidung die Rn. 30). Was bedeutet das?

Die Mindestalimentation hat in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Zwitterbedeutung: (a) Sie markiert die vom absoluten Alimentationsschutz umfasste Grenze, die aus dem Alimentationsprinzip abgeleitet wird: Ein Einschnitt in die Alimentation, die zum Unterschreiten der Mindestalimentation führt, ist per se nicht möglich und in allen Fällen verfassungswidrig: deswegen absoluter Alimentationsschutz. In diesem Sinne hebt das Bundesverfassungsgericht – weiterhin auf den Prüfcharakter der Mindestalimentation verweisend – hervor: „Wird bei der zur Prüfung gestellten Besoldungsgruppe der Mindestabstand zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht eingehalten, liegt allein hierin eine Verletzung des Alimentationsprinzips.“ (vgl. in der aktuellen Entscheidung die Rn. 48). Darüber hinaus hat sie im Prüfverfahren der ersten Prüfungsstufe neben den weiteren Parametern eine (b) indizielle Bedeutung. Was bedeutet das? Auf der ersten Prüfungsstufe der Prüfmethodik des Bundesverfassungsgerichts wird anhand von fünf Parametern betrachtet, ob die Vermutung einer verfassungswidrigen Alimentation indiziert wird oder nicht. Sofern die Mindestalimentation als einer der beiden vierten Parameter die gewährte Nettoalimentation überschreitet, indiziert das, dass die Alimentation amtsangemessen ist – das bedeutet aber nicht, dass damit bewiesen wäre, dass die gewährte Nettoalimentation oberhalb der Mindestalimentation automatisch amtsangemessen sein muss. Denn zwar sind oberhalb der Mindestalimentation Einschnitte in die Alimentation möglich – oberhalb der Mindestalimentation ist nur der relative Alimentationsschutz gegeben (vgl. in der aktuellen Entscheidung die Rn. 95) –; aber diese Einschnitte sind wie immer eine Sache der Begründetheit. Diese Begründetheit bezieht sich insofern auf alle Einschnitte in die Alimentation: Wenn also beispielsweise die Mindestalimentation die gewährte Nettoalimentation überschreitet – also die Alimentationshöhe, die vom absoluten Alimentationsschutz umschlossen ist, überschritten wird –, können dennoch die weiteren Parameter der ersten Prüfungsstufe die Vermutung einer nicht amtsangemessenen Alimentation indizieren – und das ist im Übrigen derzeit sogar deutlich wahrscheinlicher als noch vor wenigen Monaten.

Denn hinsichtlich der vom Grundsicherungsniveau abhängigen Mindestalimentation sind 2022 kaum größere monetäre Veränderungen feststellbar; aber die exorbitant steigenden Verbraucherpreise dürften im Vergleich zu den 2021 und 2022 nur begrenzt gestiegenen Gehältern bereits für dieses Jahr mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit als dritter Parameter der ersten Prüfungsstufe die Vermutung einer nicht mehr amtsangemessenen Alimentation recht deutlich indizieren, worin sich zweierlei zeigen sollte: Erstens kann, wie schon dargelegt, eine amtsangemessene Alimentation nicht mathematisch exakt berechnet werden: Die Mindestalimentation wird vom absoluten Alimentationsschutz umschlossen, ist aber nicht hinreichend, um eine amtsangemessene Alimentation zu gewähren; zweitens stellen die Parameter der ersten Prüfungsstufe, wie ebenso schon dargelegt, nur Indizien zur Prüfung einer gewährten Alimentation dar: Denn die tatsächlichen Werte eines Jahres liegen erst nach dessen Ende vor, nicht aber bereits im Gesetzgebungsverfahren, das hinsichtlich der Zukunft, für die das im Anschluss zu verabschiedende Besoldungsanpassungsgesetz dann gilt, bestenfalls Prognosen treffen kann: Für 2022 dürften diese 2021 oder früher erstellten Prognosen am Ende mit hoher Wahrscheinlichkeit nur nutzlose Makulatur gewesen sein. Nach 2022 kann die 2022 gewährte Nettoalimentation hingegen anhand der sich dann nicht mehr verändernden gesamtwirtschaftlichen Werte geprüft werden. Auch und gerade das verweist darauf, dass die Mindestalimentation ein Mittel zur Prüfung des amtsangemessenen Gehalts einer gewährten Nettoalimentation ist, aber keines zu dessen Herstellung sein kann.

II. Zur Bemessung der gewährten Netto- und der Mindestalimentation

Die gerade getätigten Darlegungen sind im Blick zu behalten, wenn wir uns nun die Bemessung der gewährten Netto- und der Mindestalimentation anschauen. Denn dabei ist zu beachten, dass beide Bemessungsverfahren – wie dargelegt – Teil der gegebenenfalls vorzunehmenden oder vorgenommenen Prüfung des amtsangemessenen Gehalts, nicht aber Mittel zu dessen Herstellung sein können – und darüber hinaus bedarf es zeitlich jeweils rund zehn Minuten, um beide Bemessungsverfahren zu vollziehen: Das sage ich als jemand, der im Verlauf der letzten eindreiviertel Jahre viele solcher Bemessungen durchgeführt habe und also weiß, wovon ich spreche.

a) Die gewährte Nettoalimentation

Zur Bemessung der gewährten Nettoalimentation muss zunächst die gewährte Bruttobesoldung in der Eingangsstufe der untersten Besoldungsgruppe ermittelt werden: Das Grundgehalt und die Familienzuschläge der anhand eines verheirateten Beamten mit zwei Kindern zu ermittelnden Bruttobesoldung können anhand der jeweiligen Tabellenwerte bemessen werden. Darüber hinaus sind alle weiteren Bezügebestandteile zu beachten und hinzuzuziehen, die allen Beamten der entsprechenden Besoldungsgruppe gewährt werden (vgl. in der aktuellen Entscheidung die Rn. 73): Das sind in der Regel neben den Familienzuschlägen ggf. Sonderzahlungen und das Urlaubsgeld (vgl. ebd., 93). Stellenzulagen sind in der Regel nicht zu berücksichtigen, darüber hinaus ist bei unterjährigen Besoldungsanpassungen eine Spitzausrechnung vorzunehmen (vgl. ebd., Rn. 147 i.V.m. BVerwG, Beschluss vom 22.09.2017 – 2 C 56.16 –, Rn. 175 ff.). Diese Bruttobesoldung ist dem steuerlichen Abzug zuzuführen (vgl. im Folgenden ebd., Rn. 147 f.), wozu der Lohnsteuerrechner des BMF hinreichend ist; dabei sind die aus einer Tabelle mit einem Blick ablesbaren absetzbaren Kosten für die die Beihilfeleistungen ergänzende Kranken- und Pflegeversicherung in Abzug zu bringen (der sog. „BEG-Anteil“). Von der so ermittelten Nettobesoldung sind die von derselben Tabelle wiedergegebenen PKV-Kosten abzuziehen (diese Werte liegen den Ministerien als Mitteilung des PKV-Verbands vor) und am Ende ist noch das gewährte Kindergeld zu addieren. Als Ergebnis liegt die gewährte Nettoalimentation vor: Das ist die ganze Hexerei – eine Ministerialbürokratie, die dafür länger als zehn Minuten benötigte, sollte sich ggf. hinsichtlich des Leistungsprinzips Gedanken machen und ob man nicht in den letzten Jahren wegen der anhaltenden Unteralimentation aller Beamten nicht mehr hinreichend genügend Fachkräfte rekrutieren konnte und kann, die also sicher die Grundrechenarten beherrschen.

b) Die Mindestalimentation

Die Bemessung der Mindestalimentation ist mit einer Ausnahme ebenso rasch zu vollziehen. Zunächst entnimmt man dem Existenzminimumbericht der Bundesregierung die Regelleistung für zwei Erwachsene und für zwei dem Alter nach gewichtete Kinder (vgl. im Folgenden ebd., Rn. 141). Im Anschluss entnimmt man der vorliegenden BfA-Tabelle die beiden Werte des zugrundezulegenden 95 %-Perzentils für die kalten Unterkunftskosten. Danach bemisst man auf Grundlage des vorliegenden Heizspiegels der Beratungsgesellschaft co2online die Heizkosten, indem man den dort vorliegenden Tabellenwert mit der entsprechenden Unterkunftsgröße multipliziert, die von jedem Gesetzgeber i.d.R. in Bezug auf § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung festgesetzt worden ist. Damit liegen mit Ausnahme der Kosten für die Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie die Sozialtarife alle nötigen Werte vor: Wer zur Bemessung mehr als fünf Minuten benötigt, wird höchstwahrscheinlich einen Umweg über den vorrätigen Kaffeevollautomaten gemacht haben.

Damit bleiben nur noch die gar furchteinflößenden Kosten für die Bedarfe für Bildung und Teilhabe, die nach der neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insofern konkretisiert zu beachten sind, als dass sie als sozialhilferechtlicher Grundbedarf über Regelbedarfe hinausreichen können (vgl. im Folgenden ebd., Rn. 64 ff.). Insofern sind hier alle Bedarfe des § 28 SGB II zu berücksichtigen, die über Ausnahmefälle hinausreichen; darüber hinaus gilt dasselbe für die Mehrbedarfe nach § 21 SGB II. Ihre Konkretisierung kann tatsächlich einige Arbeit machen – allerdings zunächst einmal nur, um nachträglich eine gewährte Alimentation auf ihren amtsangemessenen Gehalt hin zu prüfen, nicht aber, um im Gesetzgebungsverfahren eine amtsangemessene Alimentation zu erstellen, für die – wie oben gezeigt – die Mindestalimentation nicht hinreichend wäre. Darüber hinaus sind entsprechende Bemessungen vom Land Berlin bis zum Januar des letzten Jahres (BE-Drs. 18/3285 vom 06.01.2021, Anlage 4b, S. 77) und von Thüringen bis Juni des letzten Jahres vollzogen worden (TH-Drs. 7/3575 vom 23.06.2021, Anlage 8, S. 104). Wenn also andere Besoldungsgesetzgeber sich dazu bislang nicht in der Lage sehen sollten, dann dürfte diese Unfähigkeit irgendwo zu verorten sein – und es ist davon auszugehen, dass sie sich nicht im Bereich der Beamtenschaft identifizieren ließe, dächte ich.

III. Fazit

Zur Bemessung des Grundsicherungsniveaus liegen insofern mit Ausnahme der genannten Kosten der Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie die Sozialtarife alle Werte seit langem vor. Einen realitätsgerechten Überblick über diese Kosten der Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie die Sozialtarife könnte jedes federführende Ministerium innerhalb von vielleicht einen Monat erhalten, indem ein entsprechender Sachbearbeiter an das Thema gesetzt werden würde – und wenn dessen Ergebnis am Ende nicht auf den letzten Cent genau sein sollte, wäre das – anders kann man es nicht sagen – völlig egal: Denn wie dargelegt, muss eine selbst bis in den letzten Cent korrekte Bemessung des Grundsicherungsniveaus und also der sich daraus durch Multiplikation mit dem Faktor 1,15 ergebenden Mindestalimentation nicht hinreichend sein, um eine amtsangemessene Alimentation zu gewährleisten, so wie die Mindestalimentation nicht dazu geeignet ist, eine amtsangemessene Alimentation exakt zu berechnen. Der nicht hinreichende Regelsatz für die entsprechenden Kosten betrug 2021 109,66 €, Berlin ist von 176,55 € ausgegangen, Thüringen von 255,29 €. Da die zu gewährende Nettoalimentation am Ende sowieso recht deutlich über der Mindestalimentation liegen sollte, um nicht in der nachträglichen Prüfung bereits den absoluten Alimentationsschutz zu unterlaufen (s.o.), dürfte eine nach einem Monat erstellte Bemessung sicherlich zu mindestens ausreichenden Ergebnissen führen. Und sofern nun ein Politiker meinte: Das Ergebnis könnte dazu führen, dass aus der Beamtenschaft Klage geführt werden könnte – so könnte man ihn beruhigen: Die fortgesetzte vorsätzlich verfassungsbrüchige Alimentationspraxis dürfte ein deutlich erhöhtes Klageverhalten nach sich ziehen, da in Deutschland die gewährte Nettoalimentation weiterhin ausnahmslos völlig jenseits von Gut und Böse ist.

Das war nun mal wieder länger – aber wer es gelesen hat, wird sich bezüglich des Themas Mindest- und gewährte Nettoalimentation von niemandem mehr Sand in die Augen streuen lassen, sofern das vorher der Fall gewesen sein sollte.

sapere aude

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3248 am: 01.04.2022 18:22 »
Ich frage für einen "Bekannten" aus Wiesbaden:
... und wie bestimmt man 115% davon?

Es ist wohl kein rechtliches sondern ein rechnerisches Problem!  ;)

Finanzer

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3249 am: 01.04.2022 18:32 »
Ich frage für einen "Bekannten" aus Wiesbaden:
... und wie bestimmt man 115% davon?

Es ist wohl kein rechtliches sondern ein rechnerisches Problem!  ;)

Juristen und Grundrechenarten vertragen sich einfach nicht  ;D

WasDennNun

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3250 am: 02.04.2022 11:32 »
Ich frage für einen "Bekannten" aus Wiesbaden:
... und wie bestimmt man 115% davon?

Es ist wohl kein rechtliches sondern ein rechnerisches Problem!  ;)
Naja, in einigen Bereichen ist es einfach das Versagen, vernünftige Daten zu erheben, obwohl es ein leichtes wäre.
Sieht man doch bei dem permanentem Versagen was angemessener Wohnraum ist bzw. bei der Erstellung eines Mietspiegels.

sapere aude

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3251 am: 02.04.2022 18:27 »
https://www.dbb-hessen.de/aktuelles/news/gigantische-forderung-ans-land-hessen/

u.a.
 "Angesichts der Größenordnung könnten wir uns eine „Reparatur“ des Besoldungsgefüges in mehreren Stufen über einen Zeitraum von drei oder gar vier Jahren durchaus vorstellen, wobei eine erste wesentliche Stufe im laufenden Jahr 2022 auf den Weg gebracht werden muss. ..."

Neuer12

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3252 am: 03.04.2022 08:40 »
https://www.dbb-hessen.de/aktuelles/news/gigantische-forderung-ans-land-hessen/

u.a.
 "Angesichts der Größenordnung könnten wir uns eine „Reparatur“ des Besoldungsgefüges in mehreren Stufen über einen Zeitraum von drei oder gar vier Jahren durchaus vorstellen, wobei eine erste wesentliche Stufe im laufenden Jahr 2022 auf den Weg gebracht werden muss. ..."

Und es wurde "grob verfassungswidrig gehandelt", aber trotzdem in mehreren Schritten?
Auch hier scheint man mit dem Kopf gegen die Wand gelaufen zu sein...
Unglaublich, was AN- bzw. Beamtenvertreter so von sich geben.

clarion

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3253 am: 03.04.2022 12:03 »
Zitat
Unglaublich, was AN- bzw. Beamtenvertreter so von sich geben.

Du hast ja so recht.

Dav0HH

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3254 am: 06.04.2022 09:14 »
Moin,
war bisher nur stiller Mitleser, seit Seite 130 ca.- umso mehr freue ich mich auch mal etwas beitragen zu können.

In Hamburg gibt's Neuigkeiten- hier die Mitteilung der GdP dazu:

https://www.facebook.com/gdphamburg/photos/pcb.4828261630630698/4828261353964059/

Zitat:

"Information für Mitglieder der

DGB-Gewerkschaften im öffentlichen Dienst der Freien und Hansestadt Hamburg

Senat legt Gesetzesentwurf zur Anpassung der Besoldung und Versorgung vor

Der Senat hat am 5. April 2022 dem DGB den Entwurf eines Hamburgischen Gesetzes zur Besoldungs- und Beamtenversorgungsanpassung 2022 zum beamtenrechtlichen Beteili gungsverfahren vorgelegt. Mit dem Gesetzesentwurf soll unter anderem die lineare Kom ponente des Tarifergebnisses für den öffentlichen Dienst der Länder auf die Besoldung und Versorgung übertragen werden.

Am 2. März hat die Bürgerschaft bereits die Übertragung der steuerfreien, tariflichen Ein malzahlung auf die aktiven Beamt innen beschlossen. Der DGB und seine Gewerkschaften haben dabei gegen die Nichtberücksichtigung der Versorgungsempfänger innen deutlich Position bezogen.

Was sieht der aktuelle Gesetzesentwurf nun vor?

Der Gesetzesentwurf sieht im Wesentlichen zwei Regelungen vor: Zum einem werden ge mäß dem Tarifabschluss für die Beschäftigten der Länder die Besoldung und Versorgung zum 1. Dezember 2022 um 2,8 Prozent erhöht, zum anderen für die Jahre 2021 bis 2025 rückwirkend eine zeitlich befristete Angleichungszulage eingeführt. Die Anglei chungszulage sollen nur die aktiven Beamt*innen erhalten.

Die rückwirkende Auszahlung der Angleichungszulage für 2021 soll zeitnah nach Verkün dung des Gesetzes erfolgen, in den Jahren 2022 bis 2025 erfolgt die Auszahlung mit den Dezemberbezügen. Nach dem Jahr 2025 soll die Angleichungszulage wieder entfallen.

Die Höhe der Angleichungszulage richtet sich nach der durchschnittlichen monatlichen Be

soldung im Bezugsjahr, sie beträgt in den Jahren 2021 und 2022 jeweils 33 Prozent und

in den Jahren 2023 bis 2025 jeweils 20 Prozent des Bezugswertes.

Warum soll eine Angleichungszulage eingeführt werden?

Der Gesetzesentwurf kommt im Rahmen seiner Prüfung der Verfassungskonformität zu dem Ergebnis, dass mehrere Prüfparameter aus der Rechtsprechung des Bundesverfas sungsgerichts zur amtsangemessenen Alimentation nicht eingehalten werden. Mit der An gleichungszulage und einem noch in 2022 folgenden weiteren Gesetzesentwurf für ein Besoldungsstrukturgesetz soll die Verfassungskonformität der Hamburger Beamten besoldung gesichert werden. Dies erklärt auch die rückwirkende Gewährung der geplanten Angleichungszulage für 2021."

Und weiter:

"Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes sieht vor, dass im Rahmen der Prü fung der amtsangemessenen Alimentation immer ein Zeitraum von 15 Jahren rückwirkend betrachtet wird. Im Jahr 2026 fällt damit die Kürzung der Sonderzählung im Jahr 2011 aus dem 15-jährigen Betrachtungszeitraum heraus. Dies ist eine wesentliche Ursache für die zeitliche Befristung der Angleichungszulage auf die Jahre 2021 bis 2025.

Wie bewertet der DGB den Gesetzesentwurf?

Die zeit- und wirkungsgleiche Übertragung der linearen Anpassung des Tarifergebnisses auf die Besoldung und Versorgung ist grundsätzlich zu begrüßen. Mit der vorgesehenen Angleichungszulage unternimmt der Senat jedoch bisher nur den Schritt, der unbedingt notwendig erscheint, um eine verfassungskonforme Besoldung zu erreichen. Hier ist eine dauerhafte und zeitlich unbefristete Einführung zwingend, um die Wettbewerbsfähigkeit der Hamburger Beamtenbesoldung beispielsweise im Vergleich zu Schleswig-Holstein zu sichern. Die dortige Landesregierung hat mit einer Reihe von Maßnahmen die Attraktivität der dortigen Besoldung deutlich gestärkt.

Als hochgradig problematisch bewerten der DGB und seine Gewerkschaften die erneute Nichtberücksichtigung der Versorgungsempfänger innen bei der Gewährung der Anglei chungszulage. Damit wird erneut diese Gruppe benachteiligt. Dies ist nicht hinnehmbar.

Was macht der DGB?

Der DGB und seine Gewerkschaften werden sich intensiv in die Diskussion zum vorliegen den Gesetzesentwurf und zum angekündigten Besoldungsstrukturgesetz einbringen. Ein Gesprächstermin mit dem Personalamt ist vereinbart. Der DGB und seine Gewerkschaften werden dabei u. a. folgende Forderungen vorbringen:

> Die geplante Angleichungszulage ist über das Jahr 2025 hinaus fortzuführen. Hier muss mindestens eine Prüfklausel im Gesetzesentwurf verankert werden. > Der Senat ist gefordert, die zeit- und wirkungsgleiche Übertragung der Tarifergeb nisse auf die Besoldung und Versorgung bis zum Ende der Legislaturperiode ver

bindlich zuzusagen. Die bisherige Unsicherheit muss ausgeräumt werden.

> Im Rahmen des vorliegenden Gesetzesentwurfes sollten auch bisher statische Zu lagen nach dem Vorbild Schleswig-Holsteins und Mecklenburg-Vorpommerns dy namisiert werden. In beiden Bundesländern sind beispielsweise die Stellenzulagen für die Polizei, Berufsfeuerwehren und den Justizvollzug deutlich höher als in Ham burg.

Im Rahmen des angekündigten Besoldungsstrukturgesetzes müssen auch die Wie dereinführung der Freien Heilfürsorge und der Ruhegehaltsfähigkeit der Polizei-, Feuerwehr- und Justizvollzugszulage ernsthaft geprüft werden.

Der DGB und seine Gewerkschaften werden über die weitere Entwicklung informieren."


Ist das jetzt die Verfassungskonformität auf Zeit oder wie ist das zu verstehen?!

Viele Grüße
« Last Edit: 06.04.2022 09:30 von Dav0HH »