Autor Thema: [Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 1488866 times)

NordWest

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3315 am: 10.05.2022 21:16 »
Wir hätten es alle gerne schneller - aber diese unsere Wünsche sind wenig realistisch, weil wir zugleich wollen, dass das Bundesverfassungsgericht nicht zum "Ersatzgesetzgeber" wird, für das es keinerlei demokratische Legitimität besitzt.

Niemand fordert, dass das BVerfG selbst direkt oder indirekt Gesetze macht. Und das wäre auch keine logische Konsequenz schnellerer Entscheidungen. Wenn die Gesetzgeber die Langsamkeit des BVerfG ausnutzt, um bewusst verfassungsgrenzwertige Gesetze zu verabschieden (und "grenzwertig" ist hier noch vorsichtig gewählt), dann muss es schnellere Entscheidungen geben, um die Verfassung zu schützen. Damit würde das BVerfG keienswegs selbst zur Legislative, aber es würde endlich dafür sorgen, dass die Legislative sich verfassungsgemäß verhält. Die langjährige verfassungswidrige Besoldung darf keine Alternative sein.

mit jeder ist der weite Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers weiter eingeschränkt worden, was die politische Gestaltungsmöglichkeit zunehmend einschränkt und also eine der zentralen Gefahren aller Verfassungsgerichtsbarkeit heraufbeschwört: die zukünftige Versteinerung von Politik. Denn die zukünftigen Mandatsträger, von denen das Bundesverfassungsgericht ausgehen muss, dass sie sich ohne Wenn und Aber an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden sehen, tragen keine Verantwortung für die Verfehlungen ihrer Vorgängergenerationen.

Hier geht mir zu viel durcheinander. Niemand fordert, dass neu gewählte Politiker irgendeine Verantwortung für frühere Entscheidungen tragen. Es wurde nicht einmal gefordert, dass die damals beschließenden Politiker in die Verantwortung genommen würden. Es geht schlicht und einfach um das Gesetz, das verfassungskonform sein muss - und wenn es das nicht ist, schnellstmöglich als verfassungswidrig erkannt werden soll.

Das Bundesverfassungsgericht sieht sich am Ende immer an zwei generellen Grundsätzen gebunden: (a) der verfassungskonformen Auslegung der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit (dafür bedarf es sachlich Zeit, um die soziale Wirklichkeit wiederholt zu prüfen, bis eindeutig wird, was der für sich genommen immer allgemein gehaltene Verfassungstext fordert) und (b) der Respektierung der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit (dafür bedarf es sachlich der Dauer - jene nehmen wir als verstreichende Zeit wahr -, um dem Gesetzgeber - der alle vier bis fünf Jahre ein neuer Gesetzgeber ist - Zeit zur Selbstkorrektur zu geben).

Für a) sind 10 Jahre mehr als genug Zeit. Und für b) ist längstens die Zeit anzunehmen, bis der Gesetzgeber reagiert hat. Wenn es ein neues Gesetz gibt, das wieder verfassungswidrig ist, warum sollte man dann noch warten? Ein verfassungswidriges Gesetz darf möglichst wenig, eigentlich gar keine, Wirkung entfalten.

Was Du also als "Unterlassen" auffasst, ergibt sich hingegen fast zwangsläufig aus der Stellung des Bundesverfassungsgerichts in unserer verfassungsmäßigen Ordnung. Hinsichtlich der Besoldung hätte ich das ähnlich wie Du manchmal ebenfalls gerne anders - aber im Großen und Ganzen ist es gut so: Das Bundesverfassungsgericht ist über sein Recht der Letztauslegung der Verfassung viel zu mächtig und ob keinerlei Legionen, die seine Rechtsprechung in die Tat umsetzten, viel zu machtlos, als dass es schneller entscheiden könnte

Das BVerfG hält sich zurück, weil es in der Durchsetzung seiner Rechtsprechung zu machtlos ist? Sorry, aber das kann und darf nicht Selbstanspruch des höchsten deutschen Gerichtes in einem Rechtsstaat sein.

Der Gesetzgeber soll jedes Recht behalten, seinen weit auszulegenden Spielraum zu nutzen. Aber wenn er die Untergrenze verletzt, dann sollte das BVerfG dem so schnell wie möglich einen Riegel vorschieben. Und zwar viel schneller als heute.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3316 am: 10.05.2022 23:57 »
Das Problem ist recht einfach: Jede Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts schafft Direktiven, die im Anschluss vom Gesetzgeber zu beachten sind, und zwar im Extremfall bis in alle Ewigkeit, da die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gesetzesgleiche Konsequenzen haben (können). Das nennt man in der Rechtswissenschaft "negative Gesetzgebung", was soviel bedeutet wie: "eine Gesetzgebung von einem Organ, das für sich genommen keine legislative Funktion hat", das also Normen nur aufheben, aber diese nicht reformulieren kann. Über die Direktiven, die das Bundesverfassungsgericht mit der Auslegung, was das Grundgesetz fordert, erlässt, schränkt es die Möglichkeit der positiv zur Gesetzgebung berechtigten (und verpflichteten) Gewalt, der Legislative, ein. Dessen ist sich jeder Richter am Bundesverfassungsgericht bewusst. Folge ist das, was ich vorhin geschrieben habe - oder in den Worten eines ehemaligen Richters am Bundesverfassungsgerichts:

"Das Grundgesetz hat in dem Bestreben, die unbedingte Geltung des Verfassungsrechts auch institutionell zu sichern, das Bundesverfassungsgericht mit einer Kompetenzfülle ausgestattet, die in keiner anderen Verfassung übertroffen wird. [...] Das letzte Wort liegt vielmehr gerade in politisch hoch umstrittenen Fragen bei einer Instanz, die demokratisch schwächer legitimiert ist als das Parlament und aus dem demokratischen Verantwortungszusammenhang gänzlich herausfällt. [... Dabei] enthält jeder Akt der [bundesverfassungsgerichtlichen] Rechtsanwendung einen mehr oder minder großen Anteil von Rechtserzeugung. [...] Aus diesem Grund ist die verfassungsgerichtliche Normenkontrolle funktional betrachtet Teilhabe an der Gesetzgebung, ohne freilich den vom Grundgesetz geforderten demokratischen Anforderungen an Gesetzgebung zu unterliegen." (Dieter Grimm, Zum Verhältnis von Interpretationslehre, Verfassungsgerichtsbarkeit und Demokratieprinzip bei Kelsen, in: Ders. Verfassungsgerichtsbarkeit, Berlin 2021, S. 172 (172 f.).

Wer also wiederkehrende, schnelle und einschneidende bundesverfassungsgerichtliche Entscheidungen fordert, fordert damit ebenso, dass mit jeder weiteren Entscheidung das Recht und die Pflicht des Gesetzgebers als die für die Gesetzgebung verfassungsrechtlich zuständige und vom Souverän legitimierte Gewalt auf eine dafür weder verfassungsrechtlich zuständige (Gerichte haben an sich der Kontrolle zu dienen) noch demokratisch durch Wahlen unmittelbar vom Volk dazu legitimierte Gewalt übergeht oder übergehen kann, die darüber hinaus innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung von keiner anderen Gewalt kontrolliert wird. Demokratietheoretisch ist das - um's so auszudrücken - recht komplex, weshalb überall auf der Welt wiederkehrend um das Maß der Einflussnahme von Verfassungsgerichten schwer gerungen wird, sofern eine Staatsordnung überhaupt über ein Verfassungsgericht verfügt.

Um sich also nicht zu einem nicht legitimierten "Ersatzgesetzgeber" aufzuschwingen, muss das Bundesverfassungsgericht wie vorhin dargestellt schonend vorgehen - und entwickelt es methodisch für die jeweiligen Rechtsgebiete eine "Dogmatik", also ein prinzipielles Gebäude an Sätzen, die an Präzedenzfällen entwickelt die zukünftigen Entscheidungen ausrechenbar macht (denn darum geht es ihm ja prinzipiell als Gericht, Kontrolle auszuüben und darin ausrechenbar zu sein; darin liegt der tiefere Sinn von Gerichten, ansonsten bräuchte es keiner Normen), die (die jeweiligen Sätze) in sich zueinander konsistent sein müssen und die als solche den Gesetzgeber binden. Auch darin zeigt sich die besondere Rolle von Verfassungsgerichten: Denn normalerweise kontrollieren Gerichte die Exekutive auf Grundlage der von der Legislative erzeugten Normen. Verfassungsgerichte kontrollieren aber die vom Gesetzgeber erzeugten Normen auf Grundlage von höherwertigen Verfassungsnormen, die wiederum in ihrem Kerngehalt als Verfassungsnormen von der Tendenz her sehr viel stärker auslegbar, weil allgemeiner gefasst sind ("Die Würde des Menschen ist unantastbar", "Die Freiheit der Person ist unverletzlich", "Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung", "Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln").

Ziel des Bundesverfassungsgerichts ist dabei - und kann es verantwortungsvoll ausgefüllt unter den gerade und auch vorhin dargestellten (und noch einigen weiteren) Perspektiven kaum anders sein -, den weiten Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, der ihm verfassungsrechtlich als das dafür zuständige Verfassungsorgan zusteht, solange, wie es das nicht anders muss, möglichst gering einzuschränken, unter anderem deshalb - wie vorhin geschrieben -, um zukünftigen Gesetzgebern weiterhin die Möglichkeit zu geben, ihre ihnen verfassungsrechtlich zukommende Aufgabe zu erfüllen: also Politik durch Gesetzgebung zu gestalten (aber auch, weil mit jeder Einschränkung des weiten Entscheidungspsielraums für sich betrachtet unsere Freiheit eingeschränkt wird, da wir der Souverän sind, die wir nur von durch uns gewählte Repräsentanten vertreten werden; so jedenfalls ist unsere Verfassungstheorie). Dabei ist weiterhin zu beachten, dass das Bundesverfassungsgericht seit 2012 eine neue Dogmatik zum Alimentationsprinzip entwickelt - und dass es seitdem bereits recht weit in zukünftige Gesetzgebungsverfahren eingegriffen hat, jedenfalls sehr viel weiter, als es das die bis 2012 vollzogene Dogmatik je getan hat.

Von daher muss sich das Bundesverfassungsgericht zwischen zwei Entscheidungen per se Zeit nehmen, nämlich um nach der im letzten (Präzedenz-)Fall vollzogenen Kontrolle zu betrachten, wie der Gesetzgeber darauf reagiert, um erst dann wieder ins Kontrollverfahren einzutreten, was - sofern das Handeln des Gesetzgebers im Rahmen der dogmatischen Leitsätze geschieht - zu keiner weiteren "negativen Gesetzgebung" führen muss und die Fälle wieder zu Fällen und zu keinen Präzedenzfällen machte. Sofern das nicht der Fall ist - und das ist seit 2012 so -, kommt es zu einer immer umfangreicheren Ausarbeitung der Dogmatik, da wiederkehrend Präzedenzfälle vor das Bundesverfassungsgericht gelangen; und mit der dann umfangreicheren Ausarbeitung der Dogmatik wird dann erneut oder wiederum der weite Entscheidungsspielraum zukünftiger Gesetzgebung weiter eingeschränkt. Das liegt dann allerdings nicht in der Verantwortung des Bundesverfassungsgerichts - es sucht sich die Präzedenzfälle ja nicht aus, sondern sie werden an es herangetragen, eben weil der Gesetzgeber die entwickelte Dogmatik nicht hinreichend beachtet (hier liegt das Kernproblem allen Übels - dafür kann aber weiterhin nichts das Staatvolk, also wir mit unserer Freiheit, und können nichts unsere zukünftigen Repräsentanten, von denen das Bundesverfasungsgericht ausgehen muss, dass sie sich ob ihrer Funktion als Abgeordnete an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden sehen werden).

In diesem Sinne ist es zu verstehen, dass die Besoldungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem gewachsenen Selbstverständnis, das das Bundesverfassungsgericht als Organ maßgeblich prägt, kaum schneller erfolgen kann. Denn wie vorhin dargelegt, ist sie hinsichtlich dessen, dass seit 2012 jeweils Präzedenzfälle behandelt wurden und also eine neue Dogmatik entwickelt wird, mit zwischen 2012 und 2020 sechs Entscheidungen (2012, 2015, 2015, 2017, 2018 und 2020), mit rasender Geschwindigkeit vollzogen worden. Das mag auf uns anders wirken - aber das hat mit dem je unterschiedlichen Zeitempfinden von Individuen und Verfassungsorganen zu tun: Wir sind halt nicht ewig. Insofern mag Du Dich ärgern mögen; das wird aber nichts daran ändern, dass das Bundesverfassungsgericht an der prinzipiellen Art seiner Entscheidungsfindung nichts änderte oder ändern könnte oder wollte (denn die Art der beschriebenen Entscheidungsfindung hat sich seit 1951 sehr bewährt), was darüber hinaus auch noch damit etwas zu tun hat, dass das Bundesverfassungsgericht per se, was Entscheidungen angeht, ein konservatives - also bewahrendes - Selbstverständnis pflegen muss. Denn da Richter am Bundesverfassungsgericht nach zwölf Jahren das Gericht verlassen, zählt die gewachsene Dogmatik und Konsensfähigkeit sehr viel mehr als die einzelne Idee eines Richters, der also weiß, dass er - wie unlängst von 2008 bis 2020 Andreas Voßkuhle - allenfalls eine Handvoll Entscheidungen über ein Rechtsgebiet mitfällen wird und dass es hinsichtlich von Präzedenzfällen häufig oder in der Regel kaum eine Handvoll sein werden. Ein Richter am Bundesverfassungsgericht reiht sich seinem Selbstverständnis nach also grundsätzlich in die gegebene Dogmatik ein, die sich häufig in Rechtsgebieten während seiner Tätigkeit als Richter am Bundesverfassungsgericht gar nicht ändert, weil er all das, was ich hier schreibe, weiß und viel besser weiß.

Wie vor geraumer Zeit hier geschrieben, das Bundesverfassungsgericht wird in schnellerer Folge Entscheidungen vollziehen, sobald die neue Dogmatik hinsichtlich der bis 2020 in allen 17 Besoldungsrechtskreisen recht einheitlichen Gesetzeslage abgeschlossen sein wird, sodass dann keine Präzedenzfälle mehr entschieden werden müssen. In diesem Sinne halte ich es für wahrscheinlich, dass mit der anstehenden, spätestens der nächsten Entscheidung jener Teil der Dogmatik vollständig in Funktion gesetzt sein wird. Das dürfte dazu führen, dass über die heute über 40 anhängigen Vorlagebeschlüsse deutlich schneller entschieden werden wird, so ist zu vermuten. Denn sie werden schon recht bald wegen der hinreichend in Funktion gesetzten neuen Besoldungsdogmatik keine Präzedenzfälle mehr sein, wofür mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit - so vermute ich - die anstehende Entscheidung sorgen wird, auch wenn sich das die Besoldungsgesetzgeber heute wohl noch nicht vorstellen können oder zumindest ausmalen wollen.

Und zugleich dürfte es wahrscheinlich sein - das ist mir aber erst in den letzten Wochen deutlich geworden -, dass die bislang entwickelte neue Dogmatik schon so weit fortgeschritten ist, dass auch die seit 2020 verabschiedeten Gesetze in ihrer weit überwiegenden Zahl schon heute nicht mehr als Präzedenzfälle zu betrachten wären, also durch die bis heute entstandene neue Dogmatik quasi ebenfalls bereits entscheiden sind. Sofern ich das nicht falsch sehe, wird das von der anstehenden Entscheidung in prozeduraler Hinsicht konkretisiert werden. Darauf bin ich gespannt. Denn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit dürfte sich das Bundesverfassungsgericht gezielt genau diese fünf Fälle ausgesucht haben, in denen es um prozedurale und materielle Entscheidungsgründe des vorlegenden Verwaltungsgerichts geht.

Ich hätt's also ebenso lieber heute als morgen - aber die letzten zwei Jahre seit der letzten Entscheidung sind auch schon wieder schneller vorbeigegangen, als mir das mein eigenes Zeitverständnis suggeriert, und da wir hier in Niedersachsen seit 2005 auf eine Entscheidung warten, habe ich mir eine langmütige Geduld angewöhnt (man wird nicht jünger, und 2005 war von meinem Empfinden erst gestern oder maximal vorgestern, eigentlich ist es ja noch heute). Und diese Langmut empfinde ich als sehr gesund, wenn ich auch verstehen kann, dass das andere anders sehen oder empfinden. Aber egal, ob wir gerne schnellere Entscheidungen hätten oder nicht - erstmal wird's in diesem Jahr noch etwas dauern. Vielleicht ist ja schon die nächste, spätestens die übernächste Entscheidung kein Senats-, sondern schon eine Kammerentscheidung. Und die sind allemal schneller zu vollziehen, da sie auf einer für den konkreten Fall hinreichend voll ausgeprägten Dogmatik beruhen.
« Last Edit: 11.05.2022 00:14 von SwenTanortsch »

lotsch

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« Antwort #3317 am: 11.05.2022 09:54 »
Was die Legislative durch ihre fortwährenden verfassungswidrigen Besoldungsgesetze erreicht hat, ist ein nicht wieder gut zu machender Vertrauensverlust. Es wird weiterhin Massenwidersprüche und Massenklageverfahren geben. Der angerichtete Schaden ist noch gar nicht absehbar.

NordWest

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« Antwort #3318 am: 11.05.2022 16:48 »
Über die Direktiven, die das Bundesverfassungsgericht mit der Auslegung, was das Grundgesetz fordert, erlässt, schränkt es die Möglichkeit der positiv zur Gesetzgebung berechtigten (und verpflichteten) Gewalt, der Legislative, ein.

Diese Prämisse Deiner Argumentation ist jedoch falsch. Der Gesetzgeber wird nicht durch das BVerfG eingeschränkt, sondern ausschließlich durch die Verfassung selbst. Das BVerfG stellt dies lediglich fest. Mit keiner neuen Entscheidung des BVerfG wird der Spielraum des Gesetzgebers tatsächlich weiter eingeschränkt - das ist bestenfalls ein Eindruck, den der Gesetzgeber haben kann, wenn er Gesetze erlässt, die er für verfassungskonform gehalten hat, die aber verfassungswidrig waren. Und wenn der Gesetzgeber - wie im Falle der Besoldung - ganz bewusst die Grenzen der Verfassung austestet, dann muss er auch schnell eine Rückmeldung erhalten, ob er den verfassungskonformen Rahmen verlassen hat.

Die Alternative dazu ist eine langanhaltende verfassungswidrige Situation, die einem Rechtsstaat unwürdig ist.

Es gibt hier im übrigen auch kein Legitimationsproblem, denn die Verfassung ist legitimiert und gewählte Volksvertreter verfügen über keine höhere Legitimation als die Verfassung, das Gegenteil ist der Fall solange die Verfassung in Kraft bleibt. Genau das ist ja auch der Zweck einer Verfassung, sie SOLL die Legislative einschränken. Dieser Zweck wird aktuell häufig nicht hinreichend erfüllt.

Es ist eine Fehlannahme, dass das BVerfG mit seinen Entscheidungen die Gesetzgeber einschränkt. Dies geschieht bereits durch die Verfassung selbst - nur dass sich die Legislative darüber nicht immer bewusst ist, und genau dafür braucht es das BVerfG. Der rechtliche Spielraum für die Legislative bleibt dabei unverändert, weil auch die Verfassung unverändert bleibt.

Und zugleich dürfte es wahrscheinlich sein - das ist mir aber erst in den letzten Wochen deutlich geworden -, dass die bislang entwickelte neue Dogmatik schon so weit fortgeschritten ist, dass auch die seit 2020 verabschiedeten Gesetze in ihrer weit überwiegenden Zahl schon heute nicht mehr als Präzedenzfälle zu betrachten wären, also durch die bis heute entstandene neue Dogmatik quasi ebenfalls bereits entscheiden sind. Sofern ich das nicht falsch sehe, wird das von der anstehenden Entscheidung in prozeduraler Hinsicht konkretisiert werden. Darauf bin ich gespannt. Denn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit dürfte sich das Bundesverfassungsgericht gezielt genau diese fünf Fälle ausgesucht haben, in denen es um prozedurale und materielle Entscheidungsgründe des vorlegenden Verwaltungsgerichts geht.

Dein Wort in Gottes Ohr. Allerdings wirken die vorliegenden Klagen aus Bremen nicht sehr weitreichend. Der einzig wesentliche Unterschied zu früheren Vorlagen besteht meiens Erachtens darin, dass nur 2 der 5 Kriterien verletzt worden sind, insofern kann wohl leider auch im wesentlichen nur diesbezüglich Konkretisierung erwartet werden. Was wir aber mittlerweile vor allem brauchen, ist eine Rechtsprechung zu kinderlosen Beamten (ganz vielleicht kommt ja hierzu doch noch etwas mit dem neuen Urteil) und zu Versorgungsempfängern (die sind vermutlich alle tot bis es da mal ein Urteil gibt... - so bitter es ist).

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3319 am: 11.05.2022 19:41 »
Über die Direktiven, die das Bundesverfassungsgericht mit der Auslegung, was das Grundgesetz fordert, erlässt, schränkt es die Möglichkeit der positiv zur Gesetzgebung berechtigten (und verpflichteten) Gewalt, der Legislative, ein.

Diese Prämisse Deiner Argumentation ist jedoch falsch. Der Gesetzgeber wird nicht durch das BVerfG eingeschränkt, sondern ausschließlich durch die Verfassung selbst. Das BVerfG stellt dies lediglich fest. Mit keiner neuen Entscheidung des BVerfG wird der Spielraum des Gesetzgebers tatsächlich weiter eingeschränkt - das ist bestenfalls ein Eindruck, den der Gesetzgeber haben kann, wenn er Gesetze erlässt, die er für verfassungskonform gehalten hat, die aber verfassungswidrig waren.

Die Verfassungsnorm, über die seit Jahr und Tag gestritten wird und auf der aller Streit beruht, lautet:

"Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln." (Art. 33 Abs. 5)

Von diesem Artikel geht für sich genommen keinerlei konkrete Einschränkung des weiten Entscheidungsspielraums aus, über den der Gesetzgeber als solcher - abgeleitet aus der Verfassung (vgl. nicht zuletzt Art. 1 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 3) - verfügt. Wenn er nur den Wortlaut von Art. 33 Abs. 5 zu beachten hätte, dann wäre er letztlich gänzlich uneingeschränkt. Denn die "hergebrachten Grundsätze" werden im Artikel zwar genannt - ansonsten findet sich aber keinerlei weiterer Hinweis im Grundgesetz, was es denn nun mit ihnen auf sich haben sollte. Aus dem Grundgesetz ergab (und ergibt) sich der Verfassungsauftrag, erst einmal zu bestimmen, was sie sind, sodass das öffentliche Dienstrecht überhaupt erst unter ihrer Maßgabe geregelt und fortentwickelt werden kann (und konnte).

Was den Gesetzgeber also einschränkt, ist die konkrete Ausformung, was überhaupt ein hergebrachter Grundsatz ist und was unter einem hergebrachten Grundsatz sachlich zu verstehen ist, was also aus ihm folgt. Festgestellt hat das in den letzten gut 70 Jahren ausnahmslos nur ein Organ, nämlich das Bundesverfassungsgericht und ansonsten niemand sonst. Von daher basiert genau auf ihnen - den hergebrachten Grundsätzen - jede das Beamtenrecht leitende bundesverfassungsgerichtliche Dogmatik - die also ebenso von niemand anderem erstellt wurde - und also ebenso auch die Besoldungsdogmatik als ein kleiner Teil dessen, worauf das Beamtenrecht beruht. Denn zwar hatte sich schon ab dem Kaiserreich ein zunehmend ausdifferenziertes Beamtenrecht entwickelt. Aber 1949/51 gab es keine "hergebrachten Grundsätze", auf die der Gesetzgeber hätte zurückgreifen können. Jene mussten seitdem erst bis heute entwickelt (manche würden auch sagen: gefunden) und als solche entschieden werden - und in genau dieser Entwicklung zeigt sich, wie sehr das Bundesverfassungsgericht seitdem in den weiten Entscheidungsspielraum, über den der Gesetzgeber verfügt, eingegriffen hat: nämlich auch hier als "negative Gesetzgebung", indem es den Art. 33 Abs. 5 - das übliche Vorgehen des Bundesverfassungsgerichts - nicht isoliert betrachtet (hat). Denn da gäbe es für sich genommen, wie im Zitat gezeigt, isoliert nicht viel zu betrachten (wie Verfassungsnormen generell in der Regel deutlich abstrakter und weniger konkret formuliert sind als Gesetzesnormen). Der Art. 33 Abs. 5 ermöglicht erst im Konzert der anderen Verfassungsnormen im Zuge der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht, das also Dirigent und Orchester zugleich ist, Musik zu machen. Der Gesetzgeber spielt bei alledem keine Rolle, da er nicht Teil des Ensembles ist, also am Ende nur die vom Bundesverfassungsgericht betrachteten hergebrachten Grundsätze zu berücksichtigen (in Teile sie darüber hinaus zu beachten) hat, wenn er seinem Recht und seiner Pflicht zur Fortentwicklung nachkommt. Er hat also nicht nur das zu berücksichtigen und ggf. zu beachten, was das Bundesverfassungsgericht als hergebrachten Grundsatz betrachtet, und die Direktiven zu befolgen, die das Bundesverfassungsgericht auf Grundlage der Grundsätze erlässt, sondern ist genauso hinsichtlich der Grundsätze von der alleinigen Betrachtung durch das Bundesverfassungsgerichts abhängig. Insofern schränken sowohl der Blick des Bundesverfassungsgericht auf die hergebrachten Grundsätze als auch die direktiven Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts den Besoldungsgesetzgeber verfassungsrechtlich ein und wirken entsprechend als "negative Gesetzgebung". Für die These "Mit keiner neuen Entscheidung des BVerfG wird der Spielraum des Gesetzgebers tatsächlich weiter eingeschränkt" ist von daher offensichtlich wenig Raum.

Indem das Bundesverfasungsgericht also - das ist sein verfassungsmäßiger Auftrag und dazu hat es als einziges Organ in Deutschland das Recht - allgemeine Verfassungsnormen auf (in der Regel ebenfalls allgemeine, aber tendeziell bereits schon weniger allgemeine) Gesetzesnormen anwendet, vollzieht es - spätestens wenn es in Präzedenzfällen entscheidet - eine "negative Gesetzgebung", indem es die Freiheitsgrade möglicher zukünftiger gesetzgeberischer Entscheidungen einschränkt. Und da unsere Verfassung auf Ewigkeit angelegt ist, hat es das bei jeder entsprechenden Entscheidung in Rechnung zu stellen, da eben aus jeder entsprechenden Entscheidung eine Dogmatik wächst oder diese durch jene fortgesetzt wird - und die hat eben nicht nur Auswirkungen auf die je heutige Politikergeneration, sondern kann das genauso auch noch auf jene entfalten, die heute noch gar nicht geboren sind. "Traditionalität" als eine der notwendigen Voraussetzungen der hergebrachten Grundsätze bedeutet in diesem Sinne nicht nur eine mindestens seit der Weimarer Republik ungebrochene (die NS-Zeit steht dabei außerhalb der Rechtstradition) Kontinuität, sondern beinhaltet dabei ebenso das konservative Element, von dem ich gestern gesprochen habe, das also das ganze Handeln des Bundesverfassungsgerichts (mit)leitet.

Die weitgehende Einschränkung, die das Bundesverfassungsgericht seit 2012 durch die Entwicklung einer neuen Besoldungsdogmatik vollzogen hat, sieht nun übergreifend betrachtet wie folgt aus:

2012 hat es den Gesetzgeber verpflichtet - in einem methodischen Rückgriff auf die damals ebenso auch noch im Ersten Senat entsprechend so vertretene Linie -, Besoldungsgesetze bereits in ihrem Entstehungsprozess umfassend zu begründen und zu überprüfen und dazu die gesellschaftliche Wirklichkeit hinreichend zu beobachten. Das Besoldungsrecht ist bis heute eines der wenigen Rechtsgebiet geblieben, indem prozedural so weitgehende Anforderungen an den Gesetzgeber gestellt werden. Denn gemeinhin gilt das Diktum: "Der Gesetzgeber schuldet gar nichts anderes als das Gesetz" (Schlaich).

2015 hat es in zwei weitgehenden Entscheidungen ein umfassendes Prüfheft entwickelt und damit den Gesetzgeber auferlegt, den materiellen Gehalt des Gesetzes entsprechend im Gesetzgebungsverfahren bis ins Detail zu prüfen. Auch das sind Einschränkungen, die in insbesondere in der konkreten materiellen Form bis heute in kaum einem anderen Rechtgebiet so weit gehen.

2017 hat es das systeminterne Abstandsgebot als hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums betrachtet und damit das Leistungs- und Laufbahnprinzip noch enger in ihrem materiellen Gehalt festgelegt. Veränderungen zwischen Besoldungsgruppen sind nun noch einmal deutlich stärker an das Amt gebunden, als das zuvor vom Gesetzgeber zu beachten war.

2018 hat es die prozeduralen Pflichten des Gesetzgebers noch weiter präzisiert und dabei zugleich das Gebot der Prozeduralisierung vollständig als "zweite Säule des Alimentationsprinzips" in Funktion gesetzt. Eine nicht hinreichende Prozeduralisierung kann spätestens seitdem zur Verfassungswidrigkeit der Norm führen, unabhängig von dessen materiellen Gehalt. Auch das findet man in dieser Form - "Der Gesetzgeber schuldet gar nichts anderes als das Gesetz" - in kaum einem anderen Rechtsgebiet in dieser weitgehenden Form.

2020 hat es das Mindestabstandsgebot als hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums betrachtet und insbesondere durch eine umfassende Methodik zur Bemessung des Grundsicherungsniveaus und der gewährten Nettoalimentation den "archimedischen Punkt" aller Besoldung fassbarer gemacht, nämlich den Grundgehaltssatz.

Wenn man also die Besoldunsdogmatik Ende 2011 mit der Mitte 2022 vergleicht, dann sind dem Besoldungsgesetzgeber in jener Zeit, anders als Du meinst, sehr weitgehende Einschränkungen auferlegt worden, die in dieser Qualität und in der vollzogenen Geschwindigkeit eher sehr selten vorkommen und die zugleich die Gefahr beinhalten - insbesondere hinsichtlich des Mindestabstandsgebots -, dass die gesetzgeberische Handlung zunehmend versteinert und also eher den Grad von Verwaltungshandeln annehmen kann. Davon sind wir heute noch in einem weiteren Maße entfernt - aber das eben auch nur deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht offensichtlich wie gehabt sehr methodisch und systematisch vorgegangen ist. Schnellschüsse hat es sich zum Glück nicht geleistet.

Die für 2022 angekündigte Entscheidung wird sich nicht mehr mit der vormaligen "3-Parameter-Regel" beschäftigen. Denn diese Entscheidung hat es schon 2020 gefällt: Die Regel darf seitdem als solche nicht mehr angewendet werden. Zu vermuten dürfte sein, dass es prozedural um andere Themen gehen wird. Eventuell weist darauf der aktuelle ZBR-Beitrag zur "Mindestbesoldung" hin. Denn jene ist unmittelbar mit dem Grundgehaltssatz verbunden - und wie dort gezeigt, hat das Bundesverfassungsgericht dafür in seiner letzten Entscheidung bereits die sachlichen Grundlagen hinreichend angelegt. Darüber hinaus stellt sich materiell ggf. die Frage, wie es verfassungsrechtlich einzuordnen wäre, dass mindestens zwischen 2008 und 2020 in ausnahmslos allen Besoldungsrechtskreisen und damit auch in Bremen lange vor 2013 und ebenso noch lange nach 2014 der absolute Alimentationsschutz verletzt worden ist. Es stellt sich von daher eventuell die Frage, ob und ggf. wie das Bundesverfassungsgericht das mit seinem bisherigen Blick auf die Besoldungsgesetzgebung verbindet - denn zwar hat es schon 2007 nicht mehr ausschließen wollen, dass in Deutschland einzelne Beamtengruppen bishin zu alle Beamte nicht (mehr) amtsangemessen alimentiert wurden. Aber der Nachweis, dass dem mindestens im genannten Zeitraum so gewesen ist - 2013 und 2014 und lange davor und lange danach -, ist eben erst vor wenigen Wochen öffentlich für alle zugänglich erbracht worden. Rechtlich gesehen besteht zwischen einer Vermutung - das war das, wovon bislang ausgegangen worden ist - und einer Tatsache, die die Vermutung als nicht mehr sachgerecht belegt, ein nicht nur gradueller Unterschied. Denn die soziale Wirklichkeit hat das Bundesverfassungsgericht ja spätestens 2015 in einem bis dahin nicht gegebenen Maße in die Besoldungsdogmatik mit einbezogen, weshalb entsprechende Berechnungen wie die genannten tatsächlich erst durch und in den bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen möglich wurden.

Schauen wir also mal, was passiert - die Besoldungsgesetzgeber werden, so ist zu vermuten, den Saal nicht überschäumend jubend verlassen...

NordWest

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« Antwort #3320 am: 13.05.2022 17:26 »

Die Verfassungsnorm, über die seit Jahr und Tag gestritten wird und auf der aller Streit beruht, lautet:

"Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln." (Art. 33 Abs. 5)

Von diesem Artikel geht für sich genommen keinerlei konkrete Einschränkung des weiten Entscheidungsspielraums aus, über den der Gesetzgeber als solcher - abgeleitet aus der Verfassung (vgl. nicht zuletzt Art. 1 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 3) - verfügt. Wenn er nur den Wortlaut von Art. 33 Abs. 5 zu beachten hätte, dann wäre er letztlich gänzlich uneingeschränkt. Denn die "hergebrachten Grundsätze" werden im Artikel zwar genannt - ansonsten findet sich aber keinerlei weiterer Hinweis im Grundgesetz, was es denn nun mit ihnen auf sich haben sollte. Aus dem Grundgesetz ergab (und ergibt) sich der Verfassungsauftrag, erst einmal zu bestimmen, was sie sind, sodass das öffentliche Dienstrecht überhaupt erst unter ihrer Maßgabe geregelt und fortentwickelt werden kann (und konnte).

Was den Gesetzgeber also einschränkt, ist die konkrete Ausformung, was überhaupt ein hergebrachter Grundsatz ist und was unter einem hergebrachten Grundsatz sachlich zu verstehen ist, was also aus ihm folgt. Festgestellt hat das in den letzten gut 70 Jahren ausnahmslos nur ein Organ, nämlich das Bundesverfassungsgericht und ansonsten niemand sonst.

Es ist richtig, dass die verfassungsrechtlichen Folgerungen aus dem Grundgesetz erst genauer zu bestimmen sind und daher eine gewisse Rechtsunsicherheit herrschen kann. Es ist auch (sachlich) richtig, dass diese Folgerungen seit Bestehen der Bundesrepublik fast ausnahmslos durch das BVerfG vorgenommen worden sind.

Das ist aber keineswegs selbstverständlich, hier liegt das Problem und endet die Überzeugungskraft Deiner Argumentation. Das BVerfG hat zwar das letzte Wort darüber, ob die Gesetzgeber verfassungskonforme Gesetze beschließen. Das entbindet aber die Gesetzgeber nicht von ihrer Pflicht, sich selbst bereits um eine verfassungsmäßige Besoldung zu bemühen. Hierzu müssten sie sich eigene Vorstellungen der Verfassungskonformität bilden, die über die vom BVerfG gezogenen Grenzen hinausgehen. Nur weil das BVerfG noch nicht in allen Teilbereichen klare Grenzen geurteilt hat, heißt das nicht, dass es diese Grenzen noch nicht gäbe - sie sind nur noch nicht eindeutig bestimmt.

Solange die Gesetzgeber aber diese Grenze aus Sparzwecken möglichst weit strapazieren wollen statt sich selbst bereits ernsthaft (!)  um eine verfassungsmäßige Besoldung auch im noch uneindeutigen Bereich zu bemühen, ist geradezu selbstverständlich, dass ständig neue Verfassungsbrüche auftreten.

Entscheidend ist: Mit neueren Urteilen verschiebt das BVerfG Grenze der Verfassungsmäßigkeit nicht, sondern es stellt fest, wo sie verläuft - sie verlief dort aber schon immer, nur wurde sie eben nicht eindeutig erkannt, weil sie im Grundgesetz so abstrakt formuliert worden ist.

Mit neueren Urteilen konkretisiert das BVerfG also die Grenze nur statt sie zu verschieben. Der Spielraum des Gesetzgebers wird dadurch de jure nicht kleiner - ihm wird nur endlich klar aufgezeigt, wo seine Grenzen liegen. Alle Einschränkungen gemäß den Urteilen, die Du im folgenden benennst, gibt es durch die Verfassung selbst; die Urteile machen sie nur klar erkennbar. Daher bergen auch viele schnelle Urteile des BVerfG keineswegs ein Demokratieproblem. Das wahre Demokratieproblem liegt darin, dass der Gesetzgeber nicht bereits von sich auch ernsthafte Bemühungen zeigt, die Verfassungsgrundsätze objektiv auszulegen.

lotsch

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« Antwort #3321 am: 13.05.2022 22:04 »
Das BVerfG zeigt die Grenzen der Verfassungsmäßigkeit bereits jetzt in weiten Abschnitten auf und der Gesetzgeber hält sich trotzdem nicht daran.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3322 am: 14.05.2022 01:40 »
Das, was Du am Ende im letzten Satz schreibst, ist für unseren Fall richtig: Nur kann dafür das Bundesverfassungsgericht nichts. Fakt ist: Das Bundesverfassungsgericht hat bis 2012/15 mit Ausnahme des andersgearteten Rechtszweigs des alimentativen Mehrbedarfs für kinderreiche Familien praktisch ausnahmslos alle Vorlagebeschlüsse zur Beamtenalimentation zurückgewiesen, sie darüber hinaus zumeist gar nicht erst als zulässig betrachtet. Das war so zwischen 1951 und 2012/15, obgleich sich in diesem Zeitraum der Art. 33 Abs. 5 nicht geändert hat. Vielmehr ist das Bundesverfassungsgericht zwischen 1951 bis etwa 2003/06 davon ausgegangen, dass der materielle Gehalt der gewährten Alimentation amtsangemessen war. Erst mit der Reföderalisierung des Besoldungsrechts ab 2003, die 2006 ihren grundgesetzlichen Abschluss fand und ab 2003 zu einer deutlichen Absenkung des Alimentationsniveaus in allen ab 2006 dann wieder zur ungeteilten Gesetzgebungsgewalt ermächtigten 17 Besoldungsrechtskreisen führte, hat es 2007 darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit einer Unteralimentation einzelner Beamten bis hin zur gesamten Beamtenschaft eventuell nicht mehr auszuschließen sei. Damit hat es angedeutet, dass sich ab da zukünftig ggf. seine bisherige Besoldungsdogmatik ändern könnte, da die vormalige grundsätzliche und über Jahrzehnte tradierte Sichtweise, dass der materielle Gehalt der gewährten Alimentation in Deutschland hinreichend gewährleistet ist, mit dieser Aussage nicht mehr aufrechterhalten wurde, ohne dass diese Sichtweise bislang durch eine andere ersetzt wurde, und zwar bislang "mangels gegenteiliger Anhaltspunkte" (ob das allerdings nun in der anstehenden Entscheidung so bleiben wird, schauen wir mal: Denn seit dem aktuellen DÖV-Beitrag gibt es nicht nur deutlich andere Anhaltspunkte, sondern beruhen diese auf Bemessungen auf Grundlage der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung; sie sind also hchstwahrscheinlich nicht nur Anhaltspunkte).

Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht ab 2007 die Gerichte darauf hingewiesen, dass sie mindestens verschiedene hinreichende volkswirtschaftliche und weitere ökonomische Vergleiche heranzuziehen hätten, um so in eventuellen Vorlagebeschlüssen überhaupt erst einmal für das Bundesverfassungsgericht prozedural die Möglichkeit zu schaffen, in ein Klageverfahren einzutreten, das erst danach zur Entscheidung berechtigt ist, ob ein zulässiger Vorlagebeschluss auch statthaft ist. Dieses ist das typische Vorgehen des Bundesverfassungsgerichts: Denn als Folge haben verschiedene Gerichte und hat die rechtswissenschaftliche Literatur begonnen, entsprechende Betrachtungen und Indices in den Blick zu nehmen, und haben erstere dann angefangen, sie in Vorlagebeschlüssen vorzulegen. Die entsprechenden Vorlagen waren nun bis einschließlich noch 2012 nicht hinreichend für entsprechende Entscheidungen - wenn auch nun schon wiederholt hinreichend genug, dass nun verschiedentlich bereits in ein Klageverfahren eingetreten werden konnte, auf denen dann wiederum Gerichte und Literatur aufbauen konnten: so entstehen gemeinhin neue Dogmatiken -; 2012 hat das Bundesverfassungsgericht dann das unlängst zuvor verabschiedete hessische Professorenbesoldungsgesetz für materiell verfassungswidrig betrachtet, weil die dort vollzogene Regelung deutlich abgeschmolzener Grundgehaltssätze bei stark angehobenen Leistungszulagen (die Darlegung ist hier etwas vereinfacht) gegen das Alimentationsprinzip verstoßen hat. Zugleich setzte es mit den in derselben Entscheidung festgelegten Prozeduralisierungspflichten, die den Besoldungsgesetzgeber seitdem treffen, die Entwicklung der neuen Besoldungsdogmatik in Gang, deren Verlauf ich im letzten Beitrag mit dem seitdem deutlich eingeschränkten weiten Entscheidungsspielraum, über den der Besoldungsgesetzgeber (heute noch) verfügt, dargelegt habe.

Nun kann man sagen, all das war 1949 bereits nicht nur vollständig in den bekannten 17 Worten angelegt:

"Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln" (Art. 33 Abs. 5),

sondern eigentlich war es auch schon beschlossene Sache, nur wusste das damals noch keiner. Denn davon scheinst Du auszugehen, wenn Du hervorhebst, dass es in den 17 Worten "schon immer" eine jeweils an einem bestimmten Punkt gesetzte Grenze geben würde, die bislang nur "eben nicht eindeutig erkannt [worden sei], weil sie im Grundgesetz so abstrakt formuliert worden ist". Allerdings unterschlägt eine solch teleologische Betrachtung die jederzeit gegebene Möglichkeit des Gesetzgebers, all das, was seit spätestens 2012 an starken Einschränkungen seines weiten Entscheidungsspielraums vonseiten des Bundesverfassungsgerichts erlassen worden ist, bis Ende 2011 verhindert zu haben. Denn wenn es ab 2003/2006 nicht von den ab 2006 wieder 17 konkurrenzlos ermächtigten Besoldungsgesetzgebern dazu gekommen wäre, dass sie das Recht des öffentlichen Dienstes unter der Berücksichtigung (und in Teilen Beachtung) der hergebrachten Grundsätze entsprechend so fortentwickelt hätten, dass als Folge eine massive Abschmelzung der Alimentation das Ergebnis gewesen war, dann hätte das Bundesverfassungsgericht auch über 2012 hinaus seine vormalige Besoldungsdogmatik nicht in Zweifel gezogen, und wären diese Zweifel also 2007 nicht zum ersten Mal geäußert worden.

Das Alimentationsniveau des Jahres 2003 wäre also das heute weiterhin prägende und fortentwickelte gewesen. Eventuell hätte sich das Bundesverfassungsgericht im Zuge der ab den beginnenden 2000er Jahren mit den Hartz-Gesetzgebungen einsetzenden starken Veränderungen in der Sozialgesetzgebung irgendwann veranlasst gesehen, diese Veränderungen in seine Betrachtungen mit einzubeziehen - aber auch das bleibt nur eine kontrafaktische Vermutung, was zeigt, dass Teleologien nicht weiterhelfen. Das, was heute die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums sind - und nur sie sind als Grenze bei der Fortentwicklung des öffentlichen Dienstrechts zu berücksichtigen -, sind ausnahmslos (und nicht nur "fast ausnahmslos", wie Du meinst) die Schöpfungen des Bundesverfassungsgerichts, das in ganzheitlicher Betrachtung des Grundgesetzes diese im Zuge seiner Rechtsprechung entwickelt und als solche verpflichtend vom Besoldungsgesetzgeber zu berücksichtigen in die Tat umghesetzt hat. Die von Dir unterstellte Teleologie, also ein Zielpunkt, eine Grenze, die heute "nur noch nicht eindeutig bestimmt" sei, gibt es nicht - denn andere vom Gesetzgeber vollzogene Abzweigungen hätten als Konsequenz heute eventuell ähnliche, aber vielfach anders vollzogene Auslegungen, wie ein jeweiliger Grundsatz zu verstehen ist, zur Folge gehabt. Es geht eben gerade nicht um's Suchen, was irgendwie schon im Art. 33 Abs. 5 enthalten ist, wie Du meinst - also im Letzten um einen formalen Rechspositivismus oder Originalismus, der sich an Buchstaben vermeintlich ontologischer Qualität hält und den das Bundesverfassungsgericht gezielt ab 1951 überwunden hat oder in den Worten Dieter Grimms, der hier nicht zum ersten Mal zu Wort kommt:

"Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem formalen Verfassungsverständnis gebrochen, das sich im Kaiserreich gebildet hatte und noch in der Weimarer Republik vorherrschte, wenn auch nicht mehr unangefochten. Es pflegt ein materiales Verfassungsverständnis und versteht das Grundgesetz als 'living constitution' [lebende Verfassung/Kontextualismus]. [...] Desgleichen folgt das Gericht nicht dem juristischen Positivismus, der als Mittel zur Sinndeutung von Rechtsnormen nur Wortbedeutung und Logik gelten ließ. Originalismus und Positivsmus fehlt die Möglichkeit, den Sinn verfassungsrechtlicher Regelungen an neue Herausforderungen anzupassen, die sich aus dem sozialen Wandel ergeben. Sie stehen im Gegensatz zu der Idee von einer 'living constitution'." (Dieter Grimm, Das Bundesverfassungsgericht im Überblick, in: Ders., Verfassungsgerichtsbarkeit, Berlin 2021, S. 13 (22 f.).)

Wenn Du also meinst, dass im Grundgesetz eine "dort aber schon immer" gegebene Grenze vorhanden gewesen sei, die nur bislang "eben nicht eindeutig erkannt [worden sei], weil sie im Grundgesetz so abstrakt formuliert worden ist", dann endet für Dich genau in dieser Ablehnung die Überzeugungskraft meiner Argumentation, die aber nicht die meine ist, sondern die des Bundesverfassungsgerichts, das eben gerade nicht davon ausgeht, dass in den Wortlauten des Grundgesetzes ein originaler Sinn verborgen sei, der bislang nur "noch nicht eindeutig bestimmt" sei, wie Du meinst, sondern das vielmehr die Artikel des Grundgesetzes als zu kontextualisierende Verfassungsnormen begreift, die also in ihrem Bedeutungsgehalt in die je sich ändernde gesellschaftliche Wirklichkeit einzupassen sind, eben als lebende Verfassung. Was Du also als "noch nicht eindeutig bestimmt" ansiehst, ist tatsächlich nichts anderes als der weite Entscheidungsspielraum, über den der Gesetzgeber verfügt. Und der bleibt vom Bundesverfassungsgericht solange unangetastet, solange es keine (weitere) "negative Gesetzgebung" vollziehen muss. Der weite Entscheidungsspielraum wäre also offensichtlich heute viel weitergefasst, sofern die Besoldungsgesetzgeber in der Vergangenheit andere Entscheidungen getroffen (und damit eine in Teilen andere gesellschaftliche Wirklichkeit verrechtlicht) hätten. Da sie das nicht getan haben, sind die durch die "negative Gesetzgebung" des Bundesverfassungsgericht errichteten Grenzen des möglichen Besoldungsrechts enger geworden (das ist das, was ich vor ein paar Tagen als Einschränkung von Freiheitsgraden bezeichnet habe), also z.B., dass ab 2020 ein Mindestabstandsgebot vom Gesetzgeber zu beachten ist. Diese Grenze ist nun gegeben und vom Gesetzgeber zu beachten - sie findet sich aber nicht im Grundgesetz und ist in diesem auch nicht irgendwie bereits angelegt, sondern ist 2020 als solcher so festgelegter hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums vom Gesetzgeber ab 2020 zu beachten und war also nicht schon in der Vergangenheit vor dem 04.05.2020 von ihm zu beachten, da es ihn bis dahin nicht als solchen gab. Was vom Gesetzgeber hinsichtlich des mit der Entscheidung vom 04.05.2020 als hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums betrachteten Mindestabstandsgebots generell zu beachten ist, ist, dass er eine nicht mit der Verfassung in Einklang stehende Rechtslage auch für die Vergangenheit zu ändern hat. Also auch hier ist folglich keine Teleologie gegeben - eine in der Verfassung angelegt Zielgerichtetheit, die immer klarer zu Tage treten könnte -, sondern es gelten die entsprechenden Bindungen des Grundgesetzes. Insofern verlief die Grenze zur Verfassungswidrigkeit dort nicht "aber schon immer, nur wurde sie eben nicht eindeutig erkannt, weil sie im Grundgesetz so abstrakt formuliert worden ist", sondern sie verläuft mit dem 04.05.2020 und keinem Tag früher dort, wohin sie mit jenem Tag vom Bundesverfassungsgericht mittels "negativer Gesetzgebung" gesetzt worden ist; und sie gilt ab dem Moment ebenso für die Vergangenheit, weil der Gesetzgeber eine mit der Verfassung nicht in Einklang stehende Rechtslage auch für die Vergangenheit zu ändern hat. Aber auch dort ist keine Teleologie dahinter, sondern das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG: "Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung" gebunden. Denn die Ewigkeitsklausel besagt, dass sie seit dem 23. Mai 1949 daran gebunden ist, und zwar unabänderlich, von daher hat der Gesetzgeber - ganz ohne Teleologie - eine nicht mit der Verfassung in Einklang stehende Gesetzgebung auch für die Vergangenheit zu ändern, nämlich um das Rechtsstaatspeinzip uneingeschränkt zu gewährleisten.

1951 war es also nicht in teleologischer Weitsicht zu erkennen, dass 2020 ein Mindestabstandsgebot vom Bundesverfassungsgericht als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums betrachtet werden würde; allerdings hätten sich die Besoldungsgesetzgeber spätestens 2015 ausrechnen können, dass das Bundesverfassungsgericht die 2015 noch nicht konkretisierten Bemessungsgrundlagen für die Mindest- und gewährte Nettoalimentation irgendwann festlegen würde, sofern sie weitermachten wie bisher. Keine Teleologie, sondern politische Kurzsichtigkeit ist von daher die Ursache dessen, was heute der Fall ist. Und darüber hinaus gilt, um die Folgen der Kurzsichtigkeit in Gänze offenzulegen, dass das Alimentationsprinizp vom Bundesverfassungsgericht als ein besonders wesentlicher Grundsatz des Berufsbeamtentums betrachtet wird, was den Besoldungsgesetzgeber nur umso mehr in seinem weiten Entscheidungsspielraum einschränkt. Denn ein solcher besonders wesentlicher Grundsatz ist nicht nur zu berücksichtigen, sondern er zu beachten - das ist Teil der inneren Differenzierung der Grundsätze, wie sie das Bundesverfassungsgericht entwickelt hat -, woraus folgt, dass ebenso das Mindestabstandsgebot zu beachten ist, da es vom absoluten Alimentationsschutz umfasst ist. Genau deshalb wird's nun für die Dienstherrn so teuer, da sie nun genau zu beachten haben, was vor dem 04.05.2020 noch eher unbestimmt war: die realtitätsgerecht bemessene Mindest- und gewährte Nettoalimentation.

Ohne dass da also eine Teleologie im Spiel gewesen wäre, haben sich folglich die Besoldungsgesetzgeber nach 2015 nach und nach die Entscheidung von 2020 selbst so - also absehbar - eingebrockt, in der das Bundesverfassungsgericht mittels Rechtsprechung eine "negative Gesetzgebung" vollzogen hat, indem es das Berliner Besoldungsgesetz im Zeitraum für 2009 bis 2015 als verfassungswidrig betrachtete und dabei zugleich ebenso das Mindestabstandsgebot als hergebrachten Grundsatz betrachtet hat (was es 2017, als es dort den systeminternen Abstand entsprechend zu einem Grundsatz erklärte, noch nicht getan hat), das nun wiederum seit November 2015 unaufhebbar mit dem Alimentationsprinzip verbunden ist, wodurch zukünftig ihr weiter Entscheidungsspielraum recht deutlich eingeschränkt worden ist. Denn hätten sie sich nach 2015 eng an die beiden Entscheidungen jenes Jahres angelehnt und jenen Rahmen akzeptiert, dann hätte sich das Bundesverfassungsgericht mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit 2020 nicht gezwungen gesehen, anhand des Zeitraums 2009 bis 2015 eine Konkretisierung des Mindestabstandsgebots zu vollziehen und dieses dabei in den Stand eines hergebrachten Grundsatzes zu erheben. Es hätte dann die entsprechende R-Besoldung von 2009 bis 2015 ebenso als als verfassungswidrig betrachtet, da das auch ohne weiter konkretisierte Bemessungsverfahren zur Mindest- und gewährten Nettoalimentation anhand der Parameter der beiden ersten Prüfungsstufen der Fall gewesen wäre. Nur dürfte das Bundesverfassungsgericht dann 2020 mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so weit gegangen sein, wie es nun gegangen ist - denn wenn das erklärtermaßen von Beginn an sein Ziel gewesen wäre, dann wäre es schon im November 2015 oder im Mai 2017 so verfahren und hätte also dort die Bemessungsverfahren für die Mindest- und gewährte Nettoalimentation realitätsgerecht vorgeschrieben. Auch hier zeigt sich also, dass das Bundesverfassungsgericht schonend nach Ausgleich sucht, eben weil es unterstellen muss, dass ebenso die anderen Verfassungsorgane sich ausnahmslos an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden sehen (auch dazu hatte ich die letzten Tage schon geschrieben). Wäre es aber aus freien Stücken dann 2020 nicht so weit in seiner "negativen Gesetzgebung" gegangen, dann könnten die Besoldungsgesetzgeber heute weiterhin Gesetze, angelehnt weitgehend pauschalisierten Beträgen des Existenzminimumsberichts, ohne konkrete realitätsgerechteBemessungen die beiden genannten Alimentationsbetrachtungen, so vollziehen wie bisher. Diese Möglichkeit haben sie sich offensichtlich selbst nach 2015 genommen und nicht zwischen 2009 und 2015, also in dem unlängst vom Bundesverfassungsgericht betrachteten Zeitraum.

Fakt ist also, dass das Bundesverfassungsgericht seit 2012/15 entsprechend wie gestern oder vorgestern aufgelistet gehandelt hat und dass es damit - darum ging unsere Debatte - in einem hohen Maße eine "negative Gesetzgebung" vollzogen hat, wie das mit diesem Sachbegriff in den Rechtswissenschaften betrachtet wird, auch wenn Du das anders sehen magst. Denn die sich aus § 78 BVerfGG ergebenden Konsequenzen werden entsprechend so betrachtet und benannt, eben als "negative Gesetzgebung":

"Kommt das Bundesverfassungsgericht zu der Überzeugung, daß Bundesrecht mit dem Grundgesetz oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder dem sonstigen Bundesrecht unvereinbar ist, so erklärt es das Gesetz für nichtig. Sind weitere Bestimmungen des gleichen Gesetzes aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar, so kann sie das Bundesverfassungsgericht gleichfalls für nichtig erklären."

Damit wird das gerade skizzierte Rechtsstaatsprinzip endgültig in Funktion gesetzt, weil nun die legislative Gewalt von einer judikativen kontrolliert und von dieser - dem Bundesverfassungsgericht - ohne Wenn und Aber zur Korrektur gezwungen werden kann, sofern die kontrollierende Prüfung zu dem Ergebnis kommt, ein Gesetz breche Verfassungsrecht. Die Folgen habe ich gestern oder davor bereits beschrieben. Sie werden noch einmal deutlich klarer vom unlängst 85 Jahre alt gewordenen Dieter Grimm in der ihm eigenen eleganten Sprache und klaren Gedankenführung wie folgt zusammengefasst, womit wir wieder bei der Verantwortung der Exe- und Legislative wären, die wir - wenn ich es richtig sehe - nicht unterschiedlich betrachten:

"Wo verfassungsrechtliche Kriterien dafür, was 'besser' ist, fehlen, ist die Politik frei zu handeln oder untätig zu bleiben, hat aber auch die Verantwortung für ihre Entscheidung zu tragen. [Absatz] Der Vorwurf der Juridifizierung [der Politik; Hervorh. durch mich]  trifft aber nicht nur Verfassungsgerichte. Oft ist es die Politik selbst, die ein Interesse am Überspringen der politischen Phase der [exekutiven und legislativen; Hervorh. durch mich] Auseinandersetzung hat. Politiker können dann die Verantwortung für Maßnahmen, die unpopulär sind und Wählerstimmen kosten könnten, auf das Gericht abschieben. Allerdings profitiert die Politik davon meist nur kurzfristig. Auf lange Sicht kommt es zu einer Schwächung der Politik, weil Handlungsfelder, die einmal an das Gericht abgetreten worden sind, schlecht in die politische Arena zurückgeholt werden können. Die Spirale sieht so aus: Je mehr Entscheidungen der Verfassungsrechtsprechung überlassen werden, desto weniger Raum bleibt für politische Entscheidungen, desto geringer wird die Bedeutung der Wahl, desto schwerer wird die Durchsetzung von Innovationen oder Politikveränderungen. Die Tendenz der Rechtsprechung zur Stärkung des Status quo entwertet den demokratischen Wettbewerb und fördert die Versteinerung der Verhältnisse. Am Ende können politische Blockaden und ein Legitimationsverlust für das ganze System stehen." (Dieter Grimm, Weder Widerspruch noch Bedingung: Verfassungsrechtsprechung und Demokratie, in: Ders., Verfassungsgerichtsbarkeit, Berlin 2021, S. 61 (83).)

Und weil wir die maximale Länge erreicht haben: das abschließende Fazit in einem neuen Tweet...

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3323 am: 14.05.2022 01:41 »
Da das, was hier beschrieben wird, nicht nur der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Dieter Grimm weiß, sondern auch seine aktuellen Kollegen, handelt es, wie ich es unlängst beschrieben habe: eben nach Möglichkeit so, dass die dargelegte "Versteinerung" vermieden oder möglichst mild vollzogen wird - und hat es diese, seine eigentliche und es kennzeichnende Zurückhaltung mit den seit 2012 in für ein ewiges Organ rasender Geschwindigkeit beiseitegelegt und sich gezwungen gesehen, entsprechend so zu entscheiden, wie die Tage dargelegt, eben in systematischer Einengung des weiten Entscheidungsspielraums, die 2020 mit der kategorialen Innovation der "Mindestbesoldung" nun das indizielle Besteck zur Entscheidung darüber, ob die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation gegeben ist, (vorläufig) abgeschlossen hat, um so die Prüfkriterien des materiellen Gehalts einer Alimentation und die prozeduralen Anforderungen zur Begründung deren amtsangemessenen Charakters noch einmal enger miteinander zu verzahnen: eine Eleganz an Präzision, die mich noch immer begeistert und die man nicht mal eben so in loser Abfolge noch einmal rascherer Entscheidungen entwickeln kann, weil jede weitere Entscheidung in die Systematik der zunehmend differenzierteren, weil immer umfassender begründeten, also komplexer juridifizierten Dogmatik eingepasst werden muss. Wie schon geschrieben: Ich hätte es auch gerne schneller, aber ich bin nun ebenfalls wie Du nicht ewig; und von den Richtern, die 2005, als ich zum ersten Mal Widerspruch gegen die mir gewährte Alimentation eingelegt habe, den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts gebildet haben, ist heute schon sehr lange keiner mehr aktiv - und der Richter (und ab 2010 Präsident) des Bundesverfassungsgerichts, der ab 2008 maßgeblich mit dafür verantwortlich gewesen ist, dass die neue Besoldungsdogmatik nach und nach entwickelt worden ist - Andreas Voßkuhle -, ist es ebenfalls seit 2020 nicht mehr. Auch deshalb - wie schon geschrieben -: Die Dogmatik, die das Bundesverfassungsgericht entwickelt, und nicht die Idee eines einzelnen Richters leitet dessen Handeln - und deshalb bedarf es zum Durchdenken, Durchdiskutieren, Durchformulieren eines Entscheidungsentwurfs, wiederkehrend erneuten Abwägens und also am Ende zu einer möglichen Konsensbildung des Zweiten Senats, der sich seit der letzten Entscheidung hinsichtlich des Berichterstatters und einer neuen Richterin bereits etwas gegenüber der letzten Entscheidung geändert hat und sich im November diesen Jahres in zwei weiteren Richterinnen oder Richtern ändert und sich darüber hinaus im Dezember 2023 noch einmal entsprechend in zwei Richterinnen und Richtern ändern wird, Zeit und Muße und Gelassenheit. Spätestens die übernächste Entscheidung wird also von einem Senat gefällt werden - wenn es eine Senatsentscheidung geben wird -, von dem nur noch drei der acht Richter, die im Mai 2020 jenen Senat gebildet hatten, aktiv sein. Dieser personelle Umbruch, der bevorsteht, dürfte nur umso mehr dazu geführt haben, dass man die letzte Entscheidung, die man für 2018/19 angekündigt hatte, bis in den Mai 2020 geschoben hat (auf Grundlage des Entscheidungsentwurfs Andreas Voßkuhles, der im Juni 2020 als Präsident und aktiver Richter ausschied) - nämlich um sachliche Präzision und Kontinuität gewährleisten zu können -,  und dass man sich nun mit dem absehbaren personellen Umbruch im Zweiten Senat nur umso mehr um eine weiter durchdeklinierte Dogmatik kümmern dürfte, die also auch nachfolgend konsistente Fortführungen erfahren soll. Nicht zuletzt, weil Einstimmigkeit in Entscheidungen in beiden Senaten nicht als Nachteil der eigenen Rechtsprechung aufgefasst wird, um es am Ende so auszudrücken.

Insofern würde ich - unter Beachtung weniger allgemeiner Betrachtungen, sondern auch hier in Anbetracht einer konkreteren Betrachtung von Bedingungen - diesbezüglich ebenfalls nicht unbedingt solche Sätze wie diesen schreiben: "Daher bergen auch viele schnelle Urteile des BVerfG keineswegs ein Demokratieproblem." Doch, das tun sie oder können sie tun, nämlich wenn diese Entscheidungen am Ende dahinlaufen, dass eine nächste Generation an Richterinnen und Richter, die ab Ende des nächsten Jahres auf lange Zeit die Mehrheit des Senats bilden, Dogmatiken ggf. nicht fortsetzten, weil deren Entscheidungsgrundlagen ihnen nicht einleuchteten. Damit aber könnten sich durchaus Demokratieprobleme bilden, nicht nur, weil der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts nicht nur über Besoldungsfragen entscheidet, sondern weil unsere Gesellschaft offensichtlich vor Umbrüchen steht, in denen ein in Koninuität berechenbarer Zweiter Senat potenziell eine deutlich stabilsierendere Wirkung entfalten kann als ein dieses Kriterium nicht erfüllender. Wenn spätestens ab Ende des nächsten Jahres der Zweite Senat anfinge, gegenüber heute Zickzackkurse zu fahren, weil ihm beispielsweise die Literatur bis dahin nachwiese, wie ungelenk und sachlich fraglich die in schneller Folge gefällten Entscheidungen wären, dann dürfte das kaum in unserem Interesse liegen und würde - sofern die Kritik berechtigt wäre - ggf. genau jenen Zickzackkurs mindestens potenziell erhöhen, der also durchaus nicht zur Stabilität unserer Demokratie beitragen müsste. Insofern bleibt mir auch diese Deine Darlegung zu unkonkret und also eher recht allgemein dahergesprochen. Es gibt nicht nur ein Demokratieproblem in unserem Thema hier, wenn wir auch beide sicherlich der gleichgestimmten Ansicht sind, dass das Verhalten aller 17 Besoldungsgesetzgeber nicht erst seit gestern ein echte Problem für unsere Demokratie ist.

maxigott

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3324 am: 20.05.2022 06:37 »
Der Niedersächsische Beamtenbund und Tarifunion begrüßt im Grundsatz die Entscheidungen zur Alimentation der niedersächsischen Beamtinnen und Beamten. Gleichzeitig sieht der NBB noch erheblichen Handlungsbedarf um eine verfassungskonforme Alimentation in Niedersachsen zu erreichen.

Finanzminister Hilbers hat heute im Rahmen einer Landespressekonferenz die Entscheidungen der Landesregierung zu einer Verbesserung der Beamtenalimentation bekanntgegeben.

So hat das Niedersächsische Kabinett zunächst einen Gesetzentwurf beschlossen, wonach das Ergebnis der Tarifverhandlungen wirkungsgleich auf die Beamtinnen und Beamten sowie die Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger in Niedersachsen übertragen wird. Vom 01.12.2022 an sollen die Bezüge um 2,8 Prozent angehoben werden.

Zudem wurde ein zweiter Gesetzentwurf zum Thema Alimentation verabschiedet, um aus Sicht der Landesregierung die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen.

Bereits ab Dezember 2022 soll die Sonderzahlung für die Besoldungsgruppen bis A 8 auf 1.200 Euro und für die übrigen Besoldungsgruppen auf 500 Euro angehoben werden. Anwärter sollen 250 Euro erhalten. Für das erste und zweite Kind gäbe es 250 Euro je Kind, für jedes Weitere 500 Euro.

Darüber hinaus gibt es Verbesserungen bei der Berechnung von Erfahrungsstufen und den Familienzuschlägen. Für Beamtinnen und Beamte bis zur Besoldungsgruppe A 7 soll die erste Erfahrungsstufe zum 01.01.2023 entfallen.

In den Besoldungsgruppen bis A 8 soll der Familienzuschlag für erste und zweite Kinder um 100 Euro erhöht werden und für dritte und weitere Kinder soll dieser in allen Besoldungsgruppen um 100 Euro erhöht werden. Zudem soll einen Familienergänzungszuschlag aufgenommen werden, der zur Auszahlung kommt, wenn das gemeinsame Einkommen beider unterhaltspflichtiger Elternteile zur Wahrung des Abstandes zwischen Grundsicherung und Alimentation nicht ausreicht.

Nach Bewertung des NBB stellen diese Maßnahmen zur Verbesserung in der Alimentation der niedersächsischen Beamtinnen und Beamten keinesfalls einen großen Wurf dar.

Bastel

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3325 am: 20.05.2022 08:10 »
Der Niedersächsische Beamtenbund und Tarifunion begrüßt im Grundsatz die Entscheidungen zur Alimentation der niedersächsischen Beamtinnen und Beamten. Gleichzeitig sieht der NBB noch erheblichen Handlungsbedarf um eine verfassungskonforme Alimentation in Niedersachsen zu erreichen.

Finanzminister Hilbers hat heute im Rahmen einer Landespressekonferenz die Entscheidungen der Landesregierung zu einer Verbesserung der Beamtenalimentation bekanntgegeben.

So hat das Niedersächsische Kabinett zunächst einen Gesetzentwurf beschlossen, wonach das Ergebnis der Tarifverhandlungen wirkungsgleich auf die Beamtinnen und Beamten sowie die Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger in Niedersachsen übertragen wird. Vom 01.12.2022 an sollen die Bezüge um 2,8 Prozent angehoben werden.

Zudem wurde ein zweiter Gesetzentwurf zum Thema Alimentation verabschiedet, um aus Sicht der Landesregierung die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen.

Bereits ab Dezember 2022 soll die Sonderzahlung für die Besoldungsgruppen bis A 8 auf 1.200 Euro und für die übrigen Besoldungsgruppen auf 500 Euro angehoben werden. Anwärter sollen 250 Euro erhalten. Für das erste und zweite Kind gäbe es 250 Euro je Kind, für jedes Weitere 500 Euro.

Darüber hinaus gibt es Verbesserungen bei der Berechnung von Erfahrungsstufen und den Familienzuschlägen. Für Beamtinnen und Beamte bis zur Besoldungsgruppe A 7 soll die erste Erfahrungsstufe zum 01.01.2023 entfallen.

In den Besoldungsgruppen bis A 8 soll der Familienzuschlag für erste und zweite Kinder um 100 Euro erhöht

Sehe ich das richtig, das da ein A8er mit zwei Kindern mehr bekommt als ein A9er mit zwei Kindern? Haben die Lack gesoffen?

maxigott

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3326 am: 20.05.2022 10:42 »
Wenn man das hier zumindest im Besoldungsrechner vergleicht und anhand der 100 € Brutto je Kind hochrechnet, dann bekommen A8 und A9 jetzt so ziemlich das gleiche Netto raus. Wenn man dann noch das deutlich höherer Weihnachtsgeld in A8 mit einbezieht, was ich nicht gemacht habe, dann hat der A8er auf Jahressicht definitiv mehr.

Grundsätzlich sowieso interessant, dass die Kinder bis A8 zumindest "mehr Wert" sein sollen. Unglaublich sowas.
(Das ist keine Kritik an den Kolleginnen und Kollegen bis A8. Ich gönne euch jeden Cent.)

Bastel

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3327 am: 20.05.2022 11:58 »
Es ist eben nicht das gleiche sondern geringfügig mehr!

HansGeorg

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3328 am: 23.05.2022 12:23 »
Ich habe eine Frage wie ich mich jetzt verhalten soll. Ich hatte für 2020 und 2021 jeweils im Dezember für das Jahr Widersprüche eingelegt. Ich kann belegen, dass diese eingegangen sind (Einwurf und Bestätigung der Sachbearbeiter). Ich hatte jetzt schon mehrfach darum gebeten, mir eine Bestätigung des Verzichts auf Einrede der Verjährung als auch die Ruhendstellung zu bestätigen. Leider kommt da nichts. Es wird immer gesagt, dass das Anliegen weitergeleitet wurde. Dann höre ich aber nichts mehr. Was mache ich jetzt?

lumer

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3329 am: 24.05.2022 08:10 »
@HansGeorg: Abwarten und ggf. Untätigkeitsklage erheben (§ 75 VwGO). Ich habe bei meinem Widerspruch mehr als ein Jahr gewartet. Und das war, bevor die Konsequenzen aus der Entscheidung von 2020 klar war. Nun wird es vermutlich länger dauern. Sofern du Widerspruch erhoben udn der Eingang bestätigt worden ist, warte am besten einfach ab. Wenn du Glück hast, kommt eine gesetzgeberische Entscheidung, bevor du einen Widerspruchsbescheid bekommst. Dann kannst du dir nämlich die Klage sparen. ;)

Bzgl. der ellenlagen Diskussion um die Lebendigkeit der Verfassung und eines möglichen Demokratieproblems: Vielleicht hätte es weniger Text bedurft, wenn man den Kommentar von NordWest einfach im Lichte dessen gelesen und interpretiert hätte, wie er vermutlich gemeint ist: Normenkontrollentscheidungen des BVerfG sind nur deklaratorisch, nicht konstitutiv. Das ist unabhängig davon, ob die Verfassung eine lebendige ist oder ein "original approach" angelegt wird oder wie die Verfassung vor Jahren ausgelegt wurde. Der Verfassungswandel kann dazu führen – und hat ja auch dazu geführt –, dass Entscheidungen mittlerweile anders getroffen werden. Das ändert nichts daran, dass die betroffenen Normen dennoch von Anfang an nichtig sind, selbst wenn das BVerfG über die gleiche Norm schon mal entschieden haben sollte. Zickzackkurse in kurzer Folge dürfte es auch bei Richterwechseln kaum geben. Man darf nicht vergessen, dass die Richter einen wissenschaftlichen Unterbau haben, der die Entscheidungen vorbereitet, und dass einige von den neuen Richtern auch mal als Hilfskraft am BVerfG waren. Und von den jetzigen werden einige von denen später wahrscheinlich selbst mal Verfassungsrichter, sodass es durchaus Kontinuitäten gibt. ;)