Autor Thema: [Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 2699973 times)

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3555 am: 10.08.2022 10:59 »
Es mag aus der Zeit gefallen sein, aber der Beamte ist ja aber gesetzlich durch Heirat dazu verpflichtet, seinen Ehepartner mit zu versorgen, wodurch auch der Splitting-Tarif begründet ist. Der Ehepartner bekommt ja aus diesem Grund auch kein Hartz IV oder sonstige staatliche Leistungen. Wenn die Frau aus der Bedarfsgemeinschaft herausgenommen wird, dann muss sie der Staat den Ehepartner per Hartz IV oder zukünftig über das Bürgergeld versorgen, damit die Hartz IV-Familie nicht bessergestellt ist, als eine Beamten-Familie. Das ist ja der Kern des Urteils...

Diese Verpflichtung besteht aber bei allen Verheirateten. Also unabhängig vom beruflichen Status. Insofern wäre eine Alimentation des Beamten und seinen Kindern nachvollziehbar, nicht jedoch des Ehepartners; letzterer kann für sich selber sorgen.
Ich hab halt das Problem, dass ich das Alleinverdienermodell veraltet finde.

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3556 am: 10.08.2022 11:02 »
Ich hatte das so verstanden, dass die Logik nichts mit der Zeit zu tun hat. Natürlich ist die klassische Ein-Verdiener-Ehe aus der Zeit gefallen. Aber das Verfassungsgericht musste doch irgendeine Kontinuität wahren und hat sich deshalb an dem Modell orientiert, dass in den 50ern die Norm war und wo es genug Zahlen gibt. Wahrscheinlich könnten die auch die LBGT-WG mit zehn Patchworkkindern vergleichen, wenn das in den 50ern normal gewesen wäre  8)

Spätestens nach so einem Urteil muss doch der Gesetzgeber handeln und nicht ein nicht mehr aktuelles Gesellschaftsbild auch auf Gesetzesebene anpassen. So wird nur rumgepfuscht und irgendwelche unteren Besoldungsgruppen abgeschafft. Führt im Ergebnis dazu, dass es keinen einfachen Dienst mehr geben wird und man bei Angestellten keine Sorgen um verfassungsgemäße Alimentation haben muss.

VierBundeslaender

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3557 am: 10.08.2022 11:03 »
Ihr sagt immer "das Modell ist veraltet". Das ist nicht der Punkt, finde ich:
  • Zuerst einmal wird Unteralimentierung geprüft. Das macht man mit dem Modell, dass in den 50ern die Norm war und das es heute noch gibt, also hat man gute Vergleichsmöglichkeiten. Eben die klassische Ehe und zwei Kinder.
  • Jetzt kommt die Frage, was mit den Alleinverdienern ist. Bisher scheint das Gericht dazu nichts zu sagen. Daraus folgt aber nicht, dass die vergessen wurden. Die dürfen auch nicht unteralimentiert sein. Wie man das prüft, ist eine andere Frage. Ich weiß nicht, ob hierzu schon Dogmen entwickelt wurden und wie die aussehen.

    Ich halte es für wahrscheinlich, dass der Gesetzgeber da sagt "dann senken wir die ordentlich ab, damit es passt". Ich halte es für wahrscheinlich, dass das Gericht dann das antwortet, was die Ukrainer auf der Schlangeninsel gesagt haben sollen. Nur freundlicher.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3558 am: 10.08.2022 11:46 »
Dass der Dienstherr den Beamten und seine Familie lebenslang amtsangemessen alimentiert, ist nicht aus der Zeit gefallen, sondern bislang eine der verfassungsrechtlichen Konsequenzen des besonderen Gewaltverhältnisses, dem der Beamte unterliegt. Denn er ist unter anderem unmittelbar sowohl in seinen Freizügigkeitsrechten eingeschränkt (Art. 11 Abs. 1 GG) als auch in seiner Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3). Damit unterliegt ebenso seine Familie - mittelbar - diesen Einschränkungen, was sich weiterhin auf die (schulische) Ausbildung der Kinder, deren Freizügigkeit an die der Eltern gebunden ist, als auch die der Ehepartner, die mittelbar in der Freizügigkeit ihrer Berufswahl Einschränkungen erfahren können, auswirken kann. Wer also Vergleiche zwischen Dienst- und Arbeitsverhältnissen anstellen will, der sollte sich zunächst einmal die jeweiligen Rechtsverhältnisse vergegenwärtigen: "Die Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses ist der einseitigen Regelungskompetenz des Beamtengesetzgebers unterstellt. Der Beamte ist seinem Dienstherrn zur Treue verpflichtet, was auch Folgen für die Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts hat. Mit diesen und weiteren Vorteilen für den Dienstherrn sind umgekehrt die Bindungen verbunden, die sich aus Art. 33 Abs. 5 GG ergeben, insbesondere auch die Anforderungen des Alimentationsprinzips. Ein „Rosinenpicken“ erlaubt die Verschiedenheit der Beschäftigungssysteme dem Gesetzgeber nicht" (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 14. Februar 2012 - 2 BvL 4/10 -, Rn. 156)

Zugleich dürfte - da das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidungen in die gesellschaftliche Lebenswirklichkeit stellt - unabhängig vom besonderen Rechtsverhältnis des Beamtentums zu beachten sein, dass die Berufstätigkeit von Müttern mit unter dreijährigen Kindern bundesweit deutlich unter 50 % liegt, das darüber hinaus die Berufstätigkeit von Müttern mit (kleinen) Kindern in einem hohen Maße in Teilzeit verläuft und dass sich diese Faktoren bei den Vätern nicht wiederfinden. Denn dort erfolgt die Fortsetzung der Berufstätigkeit deutlich weniger ungebrochen, sobald sie Väter werden. Wenn nun also der Gesetzgeber seiner weiterhin nicht teilbaren Verpflichtung, den Beamten und seine Familie lebenslang amtsangemessen zu alimentieren, durch die Aufhebung des Alleinverdienerprinzips gegenüber heute verändern will, dann muss er das in einem rechtlichen Rahmen vollziehen, der die Konsequenzen der beiden hier gerade dargelegten Absätze beachtet und nicht direkt in eine mittelbare Geschlechterdiskriminierung führt, die gerade Niedersachsen plant und die verfassungswidrig ist.

Das Alleinverdienerprinzip kann dabei sicherlich - anders als die weiterhin bestehende Pflicht des Dienstherrn, den Beamten und seine Familie lebenslang amtsangemessen zu alimentieren - modifiziert werden. Das bedarf aber sachlich präziser Begründungen, die bislang kein Gesetzgeber vollzogen hat, da die Begründungen in Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und aktuell in Niedersachsen auch diesbezüglich sachlich so niveaulos sind, dass man beim Lesen wiederkehrend Nackenschmerzen vom vielen Kopfschütteln bekommt.

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3559 am: 10.08.2022 12:09 »
Das Alleinverdienerprinzip kann dabei sicherlich - anders als die weiterhin bestehende Pflicht des Dienstherrn, den Beamten und seine Familie lebenslang amtsangemessen zu alimentieren - modifiziert werden. Das bedarf aber sachlich präziser Begründungen, die bislang kein Gesetzgeber vollzogen hat, (...).

Vielen Dank für die erläuternden Worte. Der von mir teilw. zitierte Absatz trifft es aus meiner Sicht sehr gut.

Vielleicht hat mich hinsichtlich des Alleinverdienerprinzips auch mein privat/dienstliches Umfeld getäuscht. Lokalempirisch gehen 100 % aller Mütter spätestens nach 1 jahr wieder arbeiten, mit einer Arbeitzeit von min. 75%.

superdash

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3560 am: 10.08.2022 13:11 »
Diese Verpflichtung besteht aber bei allen Verheirateten. Also unabhängig vom beruflichen Status. Insofern wäre eine Alimentation des Beamten und seinen Kindern nachvollziehbar, nicht jedoch des Ehepartners; letzterer kann für sich selber sorgen.

Doch, da die Familie (zu Recht) weiterhin eine entscheidende Größe darstellt. Dies hat Verfassungsrang und trifft ja auch auf alle zu, die nicht Beamte sind, wie du selbst schreibst. Diese Fälle gibt es ja auch für Nicht-Beamte, nämlich in dem Sinne, dass kinderreiche Familien über Hartz IV und zukünftig dem Bürgergeld mit dem Existenzminimum abgesichert werden (müssen). Warum sollte das bei Beamtenfamilien nicht der Fall sein?

Es wäre doch extrem beschämend, wenn der Staat seine verbeamteten Staatsdiener so schlecht finanziell ausstattet, das kinderreiche Familien unterhalb der Armutsgrenze landen. Dass dies überhaupt ein Thema ist, spricht doch schon Bände.

Verfassungsrechtlich auch eindeutig, nur ein kleiner zusammenfassender Ausschnitt dazu aus Wikipedia:
"Dem Einkommensteuerpflichtigen muss nach Erfüllung seiner Einkommensteuerschuld von seinem Erworbenen soviel verbleiben, als er zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts und desjenigen seiner Familie bedarf („Existenzminimum“).[13] Maßgröße für die Bemessung des steuerfrei zu stellenden sächlichen Existenzminimums ist das sozialhilferechtlich definierte Existenzminimum, das über-, aber nicht unterschritten werden darf.[14]" [Artikel zum Grundfreibetrag]
« Last Edit: 10.08.2022 13:25 von superdash »

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3561 am: 10.08.2022 13:12 »
Das Alleinverdienerprinzip kann dabei sicherlich - anders als die weiterhin bestehende Pflicht des Dienstherrn, den Beamten und seine Familie lebenslang amtsangemessen zu alimentieren - modifiziert werden. Das bedarf aber sachlich präziser Begründungen, die bislang kein Gesetzgeber vollzogen hat, (...).

Vielen Dank für die erläuternden Worte. Der von mir teilw. zitierte Absatz trifft es aus meiner Sicht sehr gut.

Vielleicht hat mich hinsichtlich des Alleinverdienerprinzips auch mein privat/dienstliches Umfeld getäuscht. Lokalempirisch gehen 100 % aller Mütter spätestens nach 1 jahr wieder arbeiten, mit einer Arbeitzeit von min. 75%.

Nur kurz: In Niedersachsen ist die Erwerbstätigkeitsquote von Müttern unter dreijähriger Kinder zwischen 2008 und 2019 von 29,6 % auf 35,7 % kaum gestiegen, während die der Väter sich im gleichen Zeiraum von 87,7 % auf 88,5 % kaum verändert hat. Die geringe Erwerbstätigkeitsquote von Müttern unter dreijähriger Kinder korreliert dabei mit der Betreuungsquote von unter dreijährigen Kindern in Tageseinrichtungen, die 2021 bei 31,9 % lag. Darüber hinaus wird Teilzeittätgkeit weiterhin weit überwiegend von Frauen geleistet: Der Anteil sozialversicherungspflichtig teilzeitbeschäftigter Frauen stieg zwischen 2008 und 2019 von 39,1 % auf 52,0 %, bei Männern von 5,6 % auf 10,3 %. Darüber hinaus wird die von Teilzeitbeschäftigten verrichtete unentgeltliche Betreuungsarbeit im weitestegehenden Maße von Frauen verrichtet, wobei sich ihr Anteil insbesondere in der Kinderbetreuung zwischen 2013 und 2019 noch einmal signifikant erhöht hat, sicherlich als Folge der zunehmenden Erwerbstätigkeit (in Teilzeit) von Frauen. Die familiäre Betreuungsarbeit wird weiterhin überbordend deutlich von Frauen vollzogen, während auf der anderen Seite der Gender Pay Gap sich zwischen 2008 und 2019 von 23 % auf 20 % kaum verringert hat und heute wieder - deutschlandweit, dafür liegen noch keine Daten für Niedersachsen vor - auf dem Stand von 2008 liegt. Genau wegen dieser Daten - die sich noch deutlich verlängern lassen würden und die dem niedersächsischen Gesetzgeber vorliegen, weil er sie selbst erhoben hat - ist es eine solche Dreistigkeit, nun eine Herprämie einführen zu wollen, die die Teilzeittätigkeit für Frauen als das Geschlecht, das diese weit überweigend verrichtet, deutlich unattraktiver macht, womit zugleich ihre Aufstiegs, Partizipations- und Rentenansprüche deutlich verschlechtert werden, da als Folge nicht wenige Frauen von Beamten aus dem ehemals mittleren Dienst ihre nun finanziell nicht mehr attraktive Teilzeittätigkeit aufgeben werden. All das ist mittelbar geschlechterdiskriminierend und damit verfasungswidrig. Wie das insbesondere die niedersächsischen SPD- und CDU-Frauen mitmachen wollen, bleibt mir weiterhin ein Rätsel... (noch ist das für mich weniger rätselhaft, da sie bislang darüber kaum informiert sein werden, auch wenn der Rundblick bereits auf die mittelbare Geschlechterdiskriminierung hingewiesen hat, die in einer umfassenden Stellungnahme nachgewiesen worden ist). Instruktive Daten - die die Landesregierung im aktuellen Gesetzgebungsverfahren allesamt nicht beachtet - findest Du hier: https://www.ms.niedersachsen.de/startseite/frauen_gleichstellung/atlas_zur_gleichstellung/atlas-zur-gleichstellung-von-frauen-und-maennern-112647.html

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3562 am: 10.08.2022 14:12 »
Doch, da die Familie (zu Recht) weiterhin eine entscheidende Größe darstellt. Dies hat Verfassungsrang und trifft ja auch auf alle zu, die nicht Beamte sind, wie du selbst schreibst. Diese Fälle gibt es ja auch für Nicht-Beamte, nämlich in dem Sinne, dass kinderreiche Familien über Hartz IV und zukünftig dem Bürgergeld mit dem Existenzminimum abgesichert werden (müssen). Warum sollte das bei Beamtenfamilien nicht der Fall sein?

Das soll auch bei Beamtenfamilien der Fall sein! Indem nämlich der Beamte und seine Kinder alimentiert werden. Der Ehepartner jedoch nicht. Ähnlich wie bei Harz4-Familien sind nämlich alle Erwachsenen zur Arbeitsaufnahme verpflichtet.

Somit wären der leistungsfähige Beamte und die nicht leistungsfähigen Kinder überhalb des Existenzminimums abgesichert. Der Ehepartner kann, aber muss nicht, seinen Anteil dazu leisten.

Der besondere Schutz der Familie und die des Beamtens bedeutet eben nicht, dass einer der Ehepartner arbeitslos sein muss. Sonst wären wir wieder beim Bild aus den 50ern

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3563 am: 10.08.2022 14:15 »
Darüber hinaus wird Teilzeittätgkeit weiterhin weit überwiegend von Frauen geleistet: Der Anteil sozialversicherungspflichtig teilzeitbeschäftigter Frauen stieg zwischen 2008 und 2019 von 39,1 % auf 52,0 %, bei Männern von 5,6 % auf 10,3 %. Darüber hinaus wird die von Teilzeitbeschäftigten verrichtete unentgeltliche Betreuungsarbeit im weitestegehenden Maße von Frauen verrichtet, wobei sich ihr Anteil insbesondere in der Kinderbetreuung zwischen 2013 und 2019 noch einmal signifikant erhöht hat

Wobei ich mich frage, warum das heutzutage so ist. Es ist doch eine Entscheidung zwischen gleichberechtigten Partnern wer ggf. in Teilzeit arbeitet. Im öffentlichen Dienst wo zumindest im mD/gD eine ausgeglichene Geschlechterverteilung zu beobachten ist, wäre es zumindest finanziell egal.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3564 am: 10.08.2022 15:10 »
Darüber hinaus wird Teilzeittätgkeit weiterhin weit überwiegend von Frauen geleistet: Der Anteil sozialversicherungspflichtig teilzeitbeschäftigter Frauen stieg zwischen 2008 und 2019 von 39,1 % auf 52,0 %, bei Männern von 5,6 % auf 10,3 %. Darüber hinaus wird die von Teilzeitbeschäftigten verrichtete unentgeltliche Betreuungsarbeit im weitestegehenden Maße von Frauen verrichtet, wobei sich ihr Anteil insbesondere in der Kinderbetreuung zwischen 2013 und 2019 noch einmal signifikant erhöht hat

Wobei ich mich frage, warum das heutzutage so ist. Es ist doch eine Entscheidung zwischen gleichberechtigten Partnern wer ggf. in Teilzeit arbeitet. Im öffentlichen Dienst wo zumindest im mD/gD eine ausgeglichene Geschlechterverteilung zu beobachten ist, wäre es zumindest finanziell egal.

Aber eben nicht in der freien Wirtschaft, wie der Gender Pay Gap zeigt. Darüber hinaus finden sich weiterhin tradierte Rollenverständnisse, die die unterschiedlichen Verdienstmöglichkeiten sowohl abbilden als auch weiterhin verstärken. Genau diese tradierten Rollen(verständnisse) mittelbar zu verstärken, ist dem (Besoldungs-)Gesetzgeber verfassungsrechtlich verboten, da das dem Gleichstellungsgebot nach Art. 3 Abs. 2 GG widerspricht.

Zugleich sind nicht, so wie Du schreibst, alle Erwachsenen zur Arbeit verpflichtet (allein schon spitzfindig: der Beamte arbeitet nicht, sondern leistet Dienst). Denn wer es sich finanziell leisten kann, braucht rechtlich nicht zu arbeiten. Hinsichtlich von Ehepartnern hebt entsprechend das BGB in § 1360 hervor: "Die Ehegatten sind einander verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten. Ist einem Ehegatten die Haushaltsführung überlassen, so erfüllt er seine Verpflichtung, durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, in der Regel durch die Führung des Haushalts." Es besteht insofern innerhalb der Ehe eine Verpflichtung zur Arbeit, aber eben keine zur Erwerbstätigkeit, sodass ein solches Argument, das Niedersachsen verkappt anführen möchte (ähnlich auch Schleswig-Holstein), verfassungsrechtlich nicht stichhaltig ist. Hierzu hat unlängst das OVG Schleswig-Holstein entsprechend ausgeführt:

„Zwar trifft es zu, dass mittlerweile in vielen Familien beide Elternteile (Eheleute) arbeiten gehen und so gemeinsam für den Familienunterhalt sorgen, aber dies ist immer noch nicht als der ausnahmslose Regelfall anzusehen […]. Der Gesetzgeber hat im Bürgerlichen Gesetzbuch keineswegs das Modell einer Familie mit zwei Verdienern als den Regelfall manifestiert. § 1360 BGB in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung regelt, dass die Ehegatten einander verpflichtet sind, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten (Satz 1) und dass, wenn einem Ehegatten die Haushaltsführung überlassen ist, dieser seine Verpflichtung, durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, in der Regel durch die Führung des Haushalts erfüllt (Satz 2). Aus dieser gesetzlichen Regelung folgt, dass die Eheleute keineswegs gehalten sind, beide einer Beschäftigung nachzugehen, um ihrer Verpflichtung nachzukommen. Das Bürgerliche Gesetzbuch typisiert vielmehr die Familie mit einer Alleinverdienerin oder einem Alleinverdiener als ein (Regel-)Modell, welches nach wie vor in der Gesellschaft vertreten wird und daher einer entsprechenden Regelung bedarf. […] Zu berücksichtigen ist, dass gerade in den ersten Monaten und Jahren nach der Geburt ein Elternteil wegen der Kinderbetreuung unter Umständen überhaupt nicht arbeiten gehen kann.“ (Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschl. v. 23.03.2021 – 2 LB 93/18 –, Rn. 107)

Opa

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3565 am: 10.08.2022 15:18 »
Doch, da die Familie (zu Recht) weiterhin eine entscheidende Größe darstellt. Dies hat Verfassungsrang und trifft ja auch auf alle zu, die nicht Beamte sind, wie du selbst schreibst. Diese Fälle gibt es ja auch für Nicht-Beamte, nämlich in dem Sinne, dass kinderreiche Familien über Hartz IV und zukünftig dem Bürgergeld mit dem Existenzminimum abgesichert werden (müssen). Warum sollte das bei Beamtenfamilien nicht der Fall sein?

Das soll auch bei Beamtenfamilien der Fall sein! Indem nämlich der Beamte und seine Kinder alimentiert werden. Der Ehepartner jedoch nicht. Ähnlich wie bei Harz4-Familien sind nämlich alle Erwachsenen zur Arbeitsaufnahme verpflichtet.

Somit wären der leistungsfähige Beamte und die nicht leistungsfähigen Kinder überhalb des Existenzminimums abgesichert. Der Ehepartner kann, aber muss nicht, seinen Anteil dazu leisten.

Der besondere Schutz der Familie und die des Beamtens bedeutet eben nicht, dass einer der Ehepartner arbeitslos sein muss. Sonst wären wir wieder beim Bild aus den 50ern
Und wie wird der nicht leistungsfähige Ehegatte abgesichert? Wer prüft die Leistungsfähigkeit?

Der Einschluss der Beamtenfamilie in das Alimentationsprinzip hat u.a. den Zweck, dass der Beamte seine dienstlichen Pflichten ohne finanzielle Sorgen ausüben kann. Sorgen, die ihn in Abhängigkeiten bringen könnten, welche seine hoheitlichen Entscheidungen beeinflussen. Wenn man so will eine verfassungsmäßig festgeschriebene Korruptionsprävention.

Da hingegen niemand dem Ehegatten verbietet, selbst zu arbeiten, ist das „Bild aus den 50ern“ ein Fehlschluss.

NordWest

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3566 am: 10.08.2022 15:31 »
Oder vielmehr, ob man sich von einem antiquiierten Alleinverdienermodell mal frei macht und bei der Alimentation die Leistungsfähigkeit des Ehepartners mit einbezieht?

Das kann man machen, aber es hilft nicht. Was ist mit alleinstehenden Beamten? Auch die haben ein Recht auf amtsangemessene Alimentation.

Es gibt da ein häufiges Missverständnis: Das BVerfG unterstellt kein tatsächliches Alleinverdienermodell, sondern orientiert sich nur rechnerisch daran. Das schreibt es auch klar in seinen Urteilen. Irgendeine Musterrechnung benötigt man eben, um die Kontinuität der Besoldung sicherzustellen. Wenn Du eine andere Rechnung etwa für Alleinstehende wählst, hat das u.U. Auswirkungen auf die Mindestbesoldung (selbst das ist juristisch fraglich), nicht aber auf die unzureichenden jährlichen Erhöhungen.

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3567 am: 10.08.2022 16:02 »
Zugleich sind nicht, so wie Du schreibst, alle Erwachsenen zur Arbeit verpflichtet (allein schon spitzfindig: der Beamte arbeitet nicht, sondern leistet Dienst). Denn wer es sich finanziell leisten kann, braucht rechtlich nicht zu arbeiten. Hinsichtlich von Ehepartnern hebt entsprechend das BGB in § 1360 hervor: "Die Ehegatten sind einander verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten. Ist einem Ehegatten die Haushaltsführung überlassen, so erfüllt er seine Verpflichtung, durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, in der Regel durch die Führung des Haushalts." Es besteht insofern innerhalb der Ehe eine Verpflichtung zur Arbeit, aber eben keine zur Erwerbstätigkeit, sodass ein solches Argument, das Niedersachsen verkappt anführen möchte (ähnlich auch Schleswig-Holstein), verfassungsrechtlich nicht stichhaltig ist. Hierzu hat unlängst das OVG Schleswig-Holstein entsprechend ausgeführt:

Dann habe ich mich etwas unsauber ausgedrückt - verpflichtet sein, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen ;)

und natürlich sind Ehepartner zum gegenseitigen Unterhalt verpflichtet. Ebenso wie gegenüber den Kindern. Wenn sich aber einer von beiden um den Haushalt kümmern soll und somit nicht erwerbstätig ist, ist dies eine individuelle Lebensentscheidung, und somit ein Modell von vielen.

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« Antwort #3568 am: 10.08.2022 16:07 »
Und wie wird der nicht leistungsfähige Ehegatte abgesichert? Wer prüft die Leistungsfähigkeit?
Dies steht im Ermessen jedes Einzelnen, wie er mögliche Lebensrisiken abdeckt. Ob man mit einem Beamten verheiratet ist oder nicht.

Der Einschluss der Beamtenfamilie in das Alimentationsprinzip hat u.a. den Zweck, dass der Beamte seine dienstlichen Pflichten ohne finanzielle Sorgen ausüben kann. Sorgen, die ihn in Abhängigkeiten bringen könnten, welche seine hoheitlichen Entscheidungen beeinflussen. Wenn man so will eine verfassungsmäßig festgeschriebene Korruptionsprävention.

Der letzte Satz ist ein schöner Schluss aus dem Alimentationsprinzip, den ich auch so teile. Was auch durch seine Alimentation und die der Kinder gewährleistet. Wer sich einen arbeitslosen Ehepartner leisten möchte, muss es auch können.

semper fi

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3569 am: 10.08.2022 17:49 »
Im Endeffekt lange Rede kurzer Sinn, man kann sich zwar streiten, ob das Alleinverdienermodell herangezogen werden sollte oder nicht, der Streit an sich hat aber keine Auswirkung. Das Bundesverfassungsgericht zieht dieses Modell als Berechnungsgrundlage zurate, Punkt, Aus, fertig.

Wie soll es auch anders gerechnet werden? Ich jeden Falls wüsste nicht wie. Wenn andere Bundesländer jetzt die Besoldung abhängig machen vom Gehalt des Ehegatten, dann und da stimmen sicher alle zu, dann ist das Berufsbeamtentum im Grunde quasi abgeschafft. Nehmen wir mich, ich bin Beamter und meine Frau ist Angestellte. Sie verdient allerdings wesentlich mehr als ich. Bei dem was so manche Politiker für Schwachsinn in den Raum werfen würde das am Ende unter Umständen bedeuten, weil meine Frau so viel verdient und als Ehegatte mir zu Unterhalt verpflichtet ist, braucht mich der Dienstherr nicht mehr zu alimentieren. Ja, dann brauch ich auch nicht mehr um 5 Uhr aufstehen, schlafe aus und lege mich Nachmittags in die Hängematte. Habe ich im Grunde nix gegen einzuwenden, meine Frau sieht das aber sicherlich anders  ;).

Wenn die Politiker als Wahlbeamte ihre Diäten anhand der Entwicklung der Löhne und der Lebenshaltungskosten jährlich (automatisch) anpassen, so würde ich es als vernünftig erachten, dies bei den allgemeinen Beamten (die im Gegensatz zu vielen Wahlbeamten auch die Voraussetzung erfüllen überhaupt Beamte sein zu dürfen) eben auch eine solche jährliche Überprüfung und Anpassung ihrer Bezüge erhalten. Wenn Löhne sinken, wie 2020, dann eben auch die Bezüge der Beamten. Steigen Kosten und steigen Löhne, dann entsprechende Übertragung auf die Beamten. Dagegen hätte ich nichts einzuwenden. Wenn ich aber lese, dass wie in Thüringen trotz sinkender Löhne die Politiker eine kräftige Erhöhung ihrer Diäten erhalten und den Beamten aber gesagt wird sie seien zu teuer, dann geht mir eben die Hutschnur. Dann schafft das ganze Beamtentum eben ab, alle sind nur noch Angestellte und fertig. Dann aber bitte auch nicht jammern, dass die 110 nicht kommt, weil dort gerade gestreikt wird, dass das Haus eben abbrennt, weil die Feuerwehr im Arbeitskampf statt bei der Feuerbekämpfung ist, dass die Steuererstattung mal ein paar Wochen länger braucht, weil die Finanzer gerade demonstrieren. Könnte man endlos fortsetzen.

Sagen will ich damit nur, die Besoldung sollte komplett einmal überdacht und nach den Regeln des BVerfG überprüft und angepasst werden und zwar in allen Ländern und m.E. am Besten zurück zur einheitlichen Besoldung. Es kann doch nicht sein, dass sehr viele Kollegen sich Nebentätigkeiten suchen, weil sie mit ihren Bezügen nicht mehr hinkommen, dies gerade in Ballungszentren. Ich glaube um die 15 % der Beamten betrifft das mittlerweile. Das Geld reicht einfach nicht mehr zum Leben und das ist ein Unding wie ich finde. Ich fände auch nicht schön, wenn mir ein Polizist ein Knöllchen verpasst und mir dann abends die Pizza ausliefert (ist für beide nicht schön, für ihn nicht, weil er aufgrund des Knöllchens kein Trinkgeld bekommt und für mich nicht, weil er sieht, dass ich immer noch keinen TÜV habe machen lassen).

Also mein Appel: Liebe Gesetzgeber, einfach mal in sich gehen, schauen, ob nicht doch noch irgendwo Geld rum liegt (in einigen Schließfächern von so manchem SPD Politiker soll sich ja was finden lassen) und das Ganze mal auf vernünftige Füße stellen, dann sind die Beamten auch alle wieder ruhig und fleißig.