Der Besoldungsgesetzgeber verkennt hier aus meiner Sicht die Tragweite des Urteils. Nach meinem Verständnis des Urteils muss der kleinste Beamte lediglich theoretisch in der Lage sein, eine vierköpfige Familie zu ernähren und trotzdem mindestens 15 % mehr Einkommen haben. Ob er alleinstehend ist oder tatsächlich 2 Kinder hat, ist bei der Bemessung der Besoldung unerheblich. Wenn die Familienzuschläge bei einer 4 köpfigen Familie so groß sind, dass damit ganze Laufbahngruppen übersprungen werden können, ist nicht mehr das Amt als Ausgangspunkt der Berechnung zu sehen sondern andere Komponenten.
Ich habe das Urteil genauso verstanden wie Du. Die Besoldungsgeber haben leider zielsicher die Schwachstelle identifiziert und genutzt: Indem der Familienzuschlag in die obige theoretisch Betrachtung mit einbezogen wird, wird der theoretische Ansatz (egal ob tatsächlich Kinder oder nicht) wieder zu einem konkreten Ansatz und damit ausgehebelt.
Das BVerfG hält erhöhte Familienzuschläge grundsätzlich aber auch für ein legitmes Mittel - nur die Grenzen dessen sowie die konkrete Mindestbesoldung von Singles wurde leider nicht beschrieben. Ganz zu schweigen von Pensionären/Versorgungsempfängern, mit denen bislang wohl von allen verbeamteten Gruppen am meisten Schindluder getrieben worden ist. Nicht einmal die Einmalzahlung haben sie dieses Jahr erhalten.
Deine und Rentenonkels Darstellungen finde ich sehr gelungen, weil verständlich formuliert, ohne inhaltlich zu verkürzen.
Zwei Ergänzungen:
1. Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden - das ist den Besoldungsgesetzgebern aber tatsächlich nicht bewusst, weil man dort die aktuelle Entscheidung nicht präzise genug gelesen hat -, dass sämtliche in den letzten zwei Jahren verabschiedete gesetzliche Regelungen, die exorbitante Erhöhungen familienbezogener Besoldungskomponenten vorgenommen haben, verfassungswidrig sind. Denn mit der Kategorie der "Mindestbesoldung" hat es ein indiziellen Vergleichsparameter eingeführt, der wiederum materiell mit der Mindestalimentation verbunden ist. Als Folge sind ausnahmslos alle entsprechenden gesetzlichen Regelungen verfassungswidrig, da nicht hinreichend prozeduralisiert. Soll heißen: Die Begründung der exorbitanten Erhöhungen familienbezogener Besoldungskomponenten ist jeweils nicht sachgerecht erfolgt, was zur Folge hat, dass die entsprechenden Gesetze allesamt verfassungswidrig sind. Das gilt ebenso für die gesetzliche Regelung in Nordrhein-Westfalen.
2. Von daher gibt es die von den Besoldungsgesetzgebern identifizierte "Schwachstelle" in der aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht. Vielmehr befindet sich die Schwachstelle in der jeweiligen Gesetzesbegründung der Besoldungsgesetzgeber. Das wurde im Mai im entsprechenden ZBR-Beitrag am Berliner Beispiel exemplifiziert und wird demnächst in einem weiteren ZBR-Beitrag noch weitergehend präzisiert, in dem gezeigt werden wird, wie präzise das Bundesverfassungsgericht in seiner aktuellen Entscheidung den vierten Parameter der ersten Prüfungsstufe bereits sachlich ausgeformt hat, was vor der aktuellen Entscheidung nicht der Fall gewesen ist.
Auf den Punkt gebracht: Es ist dem Besoldungsgesetzgeber verwehrt, deutlich höhere Familienzuschläge als bislang einzuführen, um damit das Ziel, die Mindestalimentation geradeso zu übersteigen, zu erreichen. Denn als Folge kommt es zu einer Verletzung systeminterner Abstände, die aber zwingend vom Gesetzgeber zu berücksichtigen sind. All das ist übrigens recht umfassend im aktuellen niedersächsischen Gesetzgebungsverfahren innerhalb des Anhörungsverfahrens dem Landtag dargelegt worden und liegt ihm nach meinem Kenntnisstand bis ins Detail berechnet und entsprechend umfangreich begründet - nicht zuletzt umfassend an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - vor. Schauen wir also mal, wie der niedersächsische Gesetzgeber darauf reagiert.
@ smiteme
Das Bundesverfassungsgericht führt in der aktuellen Entscheidung in der Rn. 61 u.a. aus:
"Eine an Wohnsitz oder Dienstort anknüpfende Abstufung ist mit dem Alimentationsprinzip vereinbar, sofern sie sich vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen lässt (vgl. BVerfGE 107, 218 <238, 243 ff.>; 117, 330 <350 f.>). Mit den Mietenstufen des Wohngeldgesetzes, denen alle Kommunen entsprechend den örtlichen Verhältnissen des Mietwohnungsmarktes zugeordnet sind, stünde ein leicht zu handhabendes Kriterium bereit."
Da zwischen dem Grundsicherungsempfängern zustehenden Wohngeld und der Besoldung eines Beamten ein qualitativer Unterschied besteht, stände es dem Besoldungsgesetzgeber frei, in Ortszuschlägen höhere monetäre Unterschiede einzupflegen, als es das Wohngeldgesetz hinsichtlich von Wohngeldbeziehern vorsieht. Der Besoldungsgesetzgeber müsste ein entsprechendes Vorgehen jedoch sachlich hinreichend begründen und dabei allerdings ebenso den ersten Satz der eben zitierten Direktive beachten.
Da der nordrhein-westfälische Gesetzgeber jedoch keinen Ortszuschlag gewährt, sondern einen an den Familienstatus gebundenen regionalen Ergänzungszuschlag, hätte er darüber hinaus das beachten müssen, was ich eingangs an Rentenonkel und NordWest geschrieben habe. Das hat der Gesetzgeber aber ebenfalls wie alle anderen auch nicht hinreichend getan. Als Folge ist auch diese Regelung nicht hinreichend prozeduralisiert und entsprechend verfassungswidrig.