Die Verwaltungsrichtervereinigung NRW (BDVR NRW) spricht in ihrem aktuellen Rundschreiben von einem „Paukenschlag“. So unterschiedlich kann die Wahrnehmung (auch im wörtlichen Sinne) der ureigensten Interessen sein.
Der Paukenschlag betrifft zwingend aber nur die Beamten mit Kindern.
Für die anderen könnte sich das ganz auch als Pyrrhussieg erweisen, wenn z.B. die Besoldungssystematik komplett umgekrempelt wird und sich an der zu niedrigen Steigerung der Nettoalimentation (wie es im Urteil 2 BvL 6/17 für das 3./4. Kind bei den Richtern errechnet wurde) orientiert.
Für zukünftige Besoldungsregelungen mag das so sein - oder auch nicht. Jedenfalls werde ich der Empfehlung des BDVR folgen, wie auch in den letzten Jahren Widerspruch gegen die bestehende Besoldung einzulegen. Alles weitere wird man sehen.
Genauso ist es, Bernd – denn wie Stuttmann zeigt, sind die Wirkungen des ursprünglich sozialgesetzlich bestimmten Grundsicherungsniveaus in der Fortführung der Mindestalimentation zu beachten, weshalb
juristisch zwangsläufig „alle Besoldungsgruppen erheblich an[zu]heben“ sind: „Schließt sich das BVerfG dem an, müssen die Besoldungstabellen wegen des Gebots, einen Mindestabstand zu den ‚Sozialhilfesätzen‘ einzuhalten, neu geschrieben werden. In Berlin beispielsweise muss dann
jeder Beamte mindestens A8 verdienen.“ (S. 552)
Da sich das Bundesverfassungsgericht dem Bundesverwaltungsgericht durchgehend im Kern angeschlossen hat und in der Methodik zur Bestimmung der Unterkunftskosten noch einmal deutlich über es hinausgeht, müssen die Tabellenwerte in der untersten Besoldungsgruppe noch einmal – wie gezeigt – über die Höhe von A 8 hinausreichen.
Nicht umsonst hat es das Bundesverwaltungsgericht auf juristischer Grundlage als
ökonomisch erwiesen angesehen, dass insgesamt„die Besoldungsentwicklung von den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen
abgekoppelt worden ist“ (Beschluss vom 22.09.2017 – BVerwG 2 C 56.16 – Rn. 60). Das Bundesverfassungsgericht ist ob seiner dargestellten Methodik noch darüber hinausgegangen, indem es hervorhob, dass „neben der eklatanten Verletzung des Mindestabstandsgebots eine
besonders deutliche Abkopplung der Besoldung von der Tariflohnentwicklung“ zu konstatieren sei (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 04. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 –, Rn. 163).
Die extremen ökonomischen Folgen der jahrzehntelangen deutlichen Abkopplung zeigt nun die Deutsche Richterzeitung in seinem aktuellen „Top-Thema Besoldung“ (
https://rsw.beck.de/driz), indem sie ebenfalls die ökonomischen Folgen beleuchtet:
„Wer heute als
lediger Richter oder Staatsanwalt in den Beruf einsteigt, erhält im bundesweiten Schnitt weniger als 55.000 Euro brutto im Jahr. Ein vergleichbarer Prädikatsjurist in einem Unternehmen verdient nach einer Kienbaum-Studie im Mittel hingegen mehr als 90.000 Euro jährlich, während ein Anwalt in einer Großkanzlei auf der ersten Karrierestufe im Schnitt mit mehr als 120.000 Euro pro Jahr beginnt. Der 25-Jahres-Vergleich verdeutlicht die ganze Dramatik der Entwicklung. Verdienten junge Richter und Staatsanwälte 1992 noch rund 10.000 Euro weniger im Jahr als vergleichbare Juristen in Unternehmen, beträgt die Differenz heute fast 40.000 Euro. Hinkten die Einstiegsgehälter der Justizjuristen vor 25 Jahren knapp 30.000 Euro hinter den Einkünften in Großkanzleien her, ist der Gehaltsvorsprung der Anwälte heute im Durchschnitt auf fast 70.000 Euro pro Jahr gewachsen.“ (
https://rsw.beck.de/driz/top-thema/2014/12/09/besoldung-bundesverfassungsgericht)
Diese gewaltigen ökonomischen Differenzen, die alle Richter und Staatsanwälte betreffen, lassen sich nur heilen, indem man sowohl mit Blick auf die Vergangenheit als auch mit Blick auf die Zukunft die Grundgehaltssätze erhöht. Zugleich ist das auch in Hinblick auf die
Qualität und die
Anreizfunktion für junge Assessoren entscheidend; denn jene sind nach dem zweiten Examen überwiegend unverheiratet und kinderlos. Ließe man folglich die Grundgehaltssätze eklatant abgekoppelt, wäre das nicht nur – wie gezeigt – verfassungswidrig, sondern würde auch kaum dazu führen, den fortschreitenden Qualitätsverlust zu stoppen.
Von daher wäre es unsinnig, auch als Beamter egal welchen Familienstands keinen Widerspruch einzulegen – oder wie Stuttmann es formuliert:
„Die Besoldung muss also praktisch um eine gesamte (frühere) Laufbahngruppe erhöht werden. Das entspricht vier (!) Beförderungsstufen. Rechnet man den Beitragsanstieg der Krankenversicherung seit 2009 hinzu, liegt man fast bei A10. Wegen des verfassungsrechtlichen Verbots, die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen einzuebnen, wird in den darüber liegenden Besoldungsgruppen die Steigerung ebenfalls tabellenwirksam. Dabei ist darauf zu achten, dass das prozentuale Verhältnis zwischen den Besoldungsgruppen nicht geschleift werden darf.“ (S. 554)