Autor Thema: [Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 1529394 times)

DrStrange

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4215 am: 24.01.2023 16:54 »
Zitat

Es wird in dem Urteil übrigens mehrfach 2 BvL 4/18 zitiert und zwar als Art. 33 Abs. 5 GG BVerfGE 155, 1.
155 ist der Band in dem der Beschluss 4/18 veröffentlicht wurde.

Hier das Urteil und nicht nur der Pressetext:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/01/fs20230124_2bvf000218.html

"Die Ermittlung und Abwägung der berücksichtigten Bestimmungsfaktoren für das Vorliegen einer einschneidenden Veränderung der Verhältnisse müssen nachvollziehbar dargelegt werden (vgl. BVerfGE 155, 1 <48 Rn. 97>). "

Jawoll. Die zitieren ihre selbst festgelegten Standards. Ich finde das großartig. Alleine durch diese Randnummer werden alle bisherigen neuen Versuche für eine verfassungsgemäße Alimentation scheitern.

Danke für die Recherche, Ozy

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4216 am: 24.01.2023 17:48 »
Das ist eine wichtige und interessante Entdeckung, Ozymandias. Der Rückbezug findet sich ab den Rn. 128, wobei hier ein neuer Ton gesetzt wird, den es so m.W. auch in der Besoldungsrechtsprechung bislang explizit nicht gegeben hat. Jener lautet: Die prozeduralen Sicherungen dienten "der Einhegung des Entscheidungsspielraums des Gesetzgebers" (Hervorherbung durch mich). Bislang hat das Bundesverfassungsgericht die Prozeduralisierung eher als Teil des gesetzgeberischen Selbstvergewisserungsprozesses begriffen. Entsprechend heißt es in der Rn. 96 unserer aktuellen Entscheidung, auf die die Rn. 128 der heutigen explizit verweist: Die den Gesetzgeber treffenden Begründungspflichten würden "die Ausgleichsfunktion der prozeduralen Anforderungen, den weiten Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers durch eine Verpflichtung zur Selbstvergewisserung zu kanalisieren", gewährleisten (Hervorhebung durch mich).

Laut Duden wird durch eine "Kanalisierung" etwas in eine bestimmte Richtung gelenkt, um so ein bestehendes Problem zu bewältigen. Eine "Einhegung" ist hingegen eine Begrenzung oder Beschränkung. Auf den ersten Blick ist die Wortwahl der "Einhegung" gegenüber der "Kanalisierung" nur eine Nuance prononcierter. Aber das Schwergewicht der "Einhegung" ist die Begrenzung, das der "Kanalisierung" die Lenkung.

Es wird interessant werden, ob sich diese Formel in der anstehenden besoldungsrechtlichen Entscheidung ebenfalls so finden wird und damit die vormalige abgelöst werden würde. Da sich die Darlegungen ab der Rn. 128 eng an jenen zur Prozeduralisierung im Besoldungsrecht orientieren, würde mit der Formel der "Einhegung" vor allem eines gezeigt werden, dass nun auch das Bundesverfassungsgericht als Folge seines diesbezüglichen Rechtsprechungswandels im Besoldungsrecht von einer deutlichen Eischränkung des weiten Entscheidungsspielraums ausginge, über den der Gesetzgeber zumindest vor 2012 verfügt hat. Denn ein eingehegter Entscheidungsspielraum ist als solcher nur noch bedingt weit. Hier zeigt das Bundesverfassungsgericht erst einmal nur hinsichtlich der Parteienfinanzierung, dass der allgemeine weite Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers hier weitergehend eingeschränkt ist - das muss nicht bedeuten, dass er das dann auch hinsichtlich des Besoldungsrechts so sehen wird oder ob er dort weiterhin die "Kanalisierung" als im Vordergrund stehend betrachten wird. Schaun mer mal, was uns die anstehende Entscheidung bringen wird. Es bleibt spannend.

Titus

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4217 am: 24.01.2023 22:27 »
Hallo zusammen, habe gerade folgendes gelesen : "Klagewelle gegen Familienzuschlag für Beamte in NRW droht". Dazu mal eine Frage : Könnte durch eine Klage die bisherige Regelung des Familienzuschlags geändert werden? Ich meine, könnte dadurch eine Kürzung der bisher hohen Familienzuschläge erfolgen? Hier der Link zum Zeitungsartikel, leider nur Bezahlartikel. https://www.nw.de/nachrichten/zwischen_weser_und_rhein/23465822_Klagewelle-gegen-Familienzuschlag-fuer-Beamte-in-NRW-droht.html

Unknown

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4218 am: 25.01.2023 06:56 »
Hallo zusammen, habe gerade folgendes gelesen : "Klagewelle gegen Familienzuschlag für Beamte in NRW droht". Dazu mal eine Frage : Könnte durch eine Klage die bisherige Regelung des Familienzuschlags geändert werden?
Natürlich kann dieser geändert werden und meiner Meinung nach bedarf es dazu noch nicht mal einer Klage bzw. Urteil. Ich kann nur hoffen, dass das Gericht den Familienzuschlag in dieser Form zerlegt, denn dieser hat aus meiner Sicht nichts mit Rechtmäßigkeit zu tun, sondern wurde einzig und alleine eingeführt, dass das Land Haushaltsmittel spart.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4219 am: 25.01.2023 16:18 »
Leider habe ich im Moment nicht die Zeit, mich ausführlicher mit der gestrigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Normenkontrollantrag zu beschäftigen (insbesondere das rasche Durchbringen des Gesetzes innerhalb von zehn Tagen dürfte ggf. auch hinsichtlich mancher Besoldungsgesetzgebung im beschleunigten Verfahren ggf. noch Fragen aufwerfen können, vgl. in der gestrigen Entscheidung die Rn. 90 ff. mit dem Fazit der Rn. 103; das wäre also noch einmal gesondert und am jeweiligen Einzelfall zu betrachten). In ihr ist aber offensichtlich hinsichtlich der Begründungspflicht des Gesetzgebers zu einem nicht geringen Teil oder ggf. auch über den nicht geringen Teil hinausgehend das vollzogen worden, was ich für die anstehende Besoldungsentscheidung erwartet oder erhofft habe. Deshalb hatte ich hier in der Vergangenheit mehrfach hervorgehoben, dass es in der anstehenden Entscheidung über die Bremer Vorlagen insbesondere auch um die prozeduralen Anforderungen gehen wird. Nun ist in der gestrigen Entscheidung hierzu bereits einiges Substanzielles gesagt worden, was ebenso hinsichtlich der Begründung der Besoldungsgesetzgebung gelten wird.

Denn hier werden nun in der gestrigen Entscheidung an einem ähnlich gelagerten Fall die Begründungspflichten des Gesetzgebers weiterhin konkretisiert (die nachfolgende Betrachtung ist recht lang, weshalb ich sie in zwei Teile untergliedere). Die Ähnlichkeit der Sachlage liegt zunächst darin, dass sowohl hinsichtlich der amtsangemessenen Besoldungshöhe als auch hinsichtlich der Höhe der Obergrenze staatlicher Parteienfinanzierung ein fester und exakt bezifferbarer Betrag der Verfassung nicht unmittelbar zu entnehmen ist, weshalb es in solchen Fällen der prozeduralen Sicherungen bedarf, damit die verfassungsrechtliche Gestaltungsdirektive in unserem Fall des Art. 33 Abs. 5 GG auch tatsächlich eingehalten wird (Rn. 97 i.V.m. 26 der aktuellen Entscheidung), im gestrigen Fall des Art. 21 Abs. 1 GG, wie das die Antragssteller entsprechend begründet haben (vgl. in der gestrigen Entscheidung die Rn. 33 ff., insbesonder die Rn. 37, wo der Vergleich mit der Besoldungsgesetzgebung von den Antragsstellern explizit vorgenommen wird). Das ist für uns nun auch deshalb besonders interessant, weil es sich bei den Antragsstellern um die Mitglieder der Fraktionen von FDP, DIE LINKE und Bündnis 90/DIE GRÜNEN des 19. Bundestages gehandelt hat. Damit greifen sie nun das Prozeduralisierungsgebot in einem zu unserem Fall ähnlich gelagerten Fall auf, sodass das Bundesverfassungsgericht jetzt hier bereits die den Gesetzgeber treffenden Begründungspflichten in den entsprechenden Fällen, in denen ein fester und exakt bezifferbarer Betrag der Verfassung nicht unmittelbar zu entnehmen ist, weiterhin konkretisiert und in der Konkretisierung - wie gestern schon dargelegt - offensichtlich eine erste Verschiebung deutlich macht, nämlich weg von der "Kanalisierung" hin zur "Einhegung". Damit erfolgt hier hinsichtlich der Prozeduralisierungspflichten eine Art negative Gesetzgebung ("eine Art" deshalb, weil es hier nicht um materielle Rechtsgüter geht, sondern um die "zweite Säule", die in entsprechenden Gesetzgebungsverfahren zu beachten sind). Hinsichtlich der Bundesbesoldung, die ja in absehbarer Zeit zeit- und wirkungsgleich dem Tarifabschluss angepasst werden soll, sollte es für ihn, der er zu den Gewinnern des gestrigen Verfahrens zählt, als auch für die Bundesbeamten sehr erfreulich sein, denke ich, dass der Parteivorsitzende der Freien Demokraten die gestrige Entscheidung in seiner Funktion als Bundesfinanzminister gewissenhaft lesen wird, sodass er und sein Haus wissen werden, worauf prozedural zu achten ist, wenn am Ende der Gesetzentwurf zur Ressortabstimmung auf dem Tisch liegen wird, was also alles nicht gehen wird hinsichtlich des neuen Besoldungsanpassungsgesetzes und seiner Begründung.

Denn was hat nun der Gesetzgeber mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in der Besoldungsgesetzgebung zu beachten, und zwar nicht nur ab heute, sondern seit jeher, insbesondere seit 2012 (wie gesagt, ich habe die Begründung der gestrigen Entscheidung bislang nur überflogen, das Nachfolgende wird also eventuell nicht vollständig und kann auch fehlerbehaftet sein; aber die groben Linien sollten stimmen, denke ich)?

Zunächst einmal referieren die Antragsteller nicht wenige jener Sachverhalte, die in diesem Fall von ihnen als prozedurale Verfehlungen angesehen werden und die sich weitgehend auch in den Begründungen zur Besoldungsgesetzgebung der letzten rund zwei Jahre finden (nachfolgend geht es mir wie gesagt nur um die Begründungspflichten; darauf liegt in diesem Beitrag der Fokus):

1. Die als Begründung verstandenen Darlegungen würden vielfach nur die Rechtslage referieren und seien als solche keine Begründungen (hier wie nachfolgend in der gestrigen Entscheidung: Rn. 39, vgl. auch hinsichtlich der Stellungnahme der Bundesregierung und des Bundestages während des Verfahrens die Rn. 82).

2. Die zur Begründung getätigten Aussagen (hier festgemacht an (a) der Digitalisierung, (b) neuen innerparteilichen Partizipationsinstrumenten und (c) erhöhten Transparenz- und Rechenschaftsanforderungen) blieben floskelhaft und unpräzise. Die Veränderung der politisch-kulturellen und rechtlichen Rahmenbedingungen würden nur äußerst knapp benannt (Rn. 42).

3. Da der Gesetzgeber die Begründung innerhalb des Gesetzgebungsverfahren zu vollziehen habe, könne sie nicht nachträglich erfolgen, also auch nicht innerhalb des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht, da es verfassungsrechtlich nicht dazu berufen sei, die Gesetzgebung zu vollziehen. Die wesentlichen gesetzgeberischen Entscheidungen seien durch den Gesetzgeber innerhalb des Gesetzgebungsverfahren zu vollziehen (Rn. 43, vgl. auch die Rn. 81). Über die im Gesetzgebungsverfahren hinausreichende Rechtfertigungen seien entsprechend im Verfahren nicht erkennbar, weil sie nicht heranzuziehen seien (Rn. 43).

Die Bundesregierung hebt dahingegen hinsichtlich der Gesetzesbegründung hervor, dass diese nachvollziehbar und im Ergebnis nicht zu beanstanden sei (Rn. 53):

- Die Digitalisierung (im Sinne von 2a) stelle derart neuartige Herausforderungen, dass sie über die klassische Parteiarbeit einschneidend hinausginge, was zu deutlichen Mehrkosten führe (Rn. 57).

- Die neuen Instrumente innerparteilicher Partizipation (im Sinne von 2b) seien erkennbar erforderlich, damit politische Parteien attraktive Organisationen blieben und zu dauerhaftem Engagement motivieren könnten, und seien als solche mit offensichtlichen Mehrkosten verbunden (Rn. 58).

- Die Kosten erhöhter Transparenz- und Rechenschaftspflichten (im Sinne von 2 c) seien gestiegen, wenn man auf eine solche Veränderung auch erst mit zeitlicher Verzögerung reagiert habe (Rn. 59).

Darüber hinaus erhebt der Bundestag gegen die Anhebung der absoluten Obergrenze der staatlichen Parteienfinanzierung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (Rn. 60) und hebt hinsichtlich der Gesetzesbegründung hervor, dass besondere Darlegungs- und Begründungspflichten für die gesetzliche Erhöhung der absoluten Obergrenze zur Parteienfinanzierung nicht bestünden. "Der Gesetzgeber schulde das Gesetz, aber keine Begründung. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur gesetzlichen Festlegung des Existenzminimums und zur Professorenbesoldung könne nicht auf die vorliegende Materie übertragen werden. Auf die Parteienfinanzierung bestehe kein grundrechtlicher oder sonstiger verfassungsrechtlicher Anspruch, der leerlaufen könne. Unabhängig davon habe der Gesetzgeber sowohl in der Entwurfsbegründung als auch in den Beratungen im Plenum ausführlich die Gründe dargelegt, die eine einschneidende Veränderung der Verhältnisse belegten." (Rn. 75)

Wie hat nun das Bundesverfassungsgericht entschieden?

Zu Beginn seiner Ausführungen zu den prozeduralen Pflichten des Gesetzgebers in Fällen, in denen ein fester und exakt bezifferbarer Betrag der Verfassung nicht unmittelbar zu entnehmen ist, benutzt das Bundesverfassungsgericht durchaus etwas metaphorisch den neuen Begriff der "Einhegung" und nicht mehr jenen der "Kanalisierung" (Rn. 128), was insofern passend ist, weil mit dieser Entscheidung eben nicht mehr nur eine Kanalisierung erfolgt, sondern in jenen Fällen, die so gelagert sind wie der vorliegende, eine deutliche Begrenzung des weiten Entscheidungsspielraums erfolgt, über den der Gesetzgeber verfügt, nämlich indem er in diesen Fällen eine deutlich präzisere Gesetzesbegründung vorzulegen hat als in all jenen anderen Fällen, wo er von dieser Einschränkung nicht betroffen ist. Deshalb wird das neue Bild der "Einhegung" verwendet und nicht mehr das der "Kanalisierung", was schlüssig werden dürfte, wenn man die weiteren Zeilen liest.

Danach referiert das Bundesverfassungsgericht seine auch bislang bereits entwickelten Kriterien, wie wir sie nicht zuletzt aus der aktuellen Berliner Entscheidung kennen (Rn. 129 ff.), um dann den konkreten Fall zu betrachten. Es geht dabei vor allem auf die o.g. Ziff. ab 2a ein, spart aber - wenn ich das richtig sehe - eine Behandlung der Ziff. 1 weiterhin weitgehend aus, also die Frage des Verhältnisses von Referat der Rechtslage und deren Anwendung auf das Gesetzesvorhaben. Es ist zu vermuten, dass es sich dieser Frage zukünftig stellen dürfte, sofern es zukünftig wiederkehrend auf zur Entscheidung vorgelegte Fälle stoßen würde oder wird, die einer Antwort bedürfen. Das war hier offensichtlich noch nicht der Fall, weil bereits durch die Beantwortung der Fragen ab der Ziff. 2a gezeigt wird, dass das zu betrachtende Gesetz nicht den Anforderungen der Prozduralisierung entsprochen hat. Was sagt das Bundesverfassungsgericht nun konkret zu den in den geannten Ziffern aufgeworfenen Fragen?

Zur Ziff. 2a) Hier hebt es zunächst allgemein hervor, dass nicht nur die Gesetzesbegründung als solche (die sich in der Regel in Drucksachen findet), sondern ebenso die Plenardebatte als begründend zu beachten sind (Rn. 138). Dabei weist es offensichtlich den erhobenen Vorwurf einer nur floskelhaften und zu unpräzisen Begründung mit Verweis auf die betreffende Drucksache hier noch zurück (Rn. 138 f.), und verstärkt dies mit dem Verweis auf die Plenardebatten (Rn. 140). Allgemeine höhere Kostenfakoren, ausgelöst durch den von der Digitalisierung ausgelösten gesellschaftlichen Wandel, werden folglich als im Gesetzgebungsverfahren sachgerecht begründet angesehen (Rn. 141). Da eine offensichtlich sachgerechte Begründung des Sachverhalts im Allgemeinen im Gesetzgebungsverfahren erfolgt ist, werden ebenso die die Begründung stützenden Ausführungen eines Sachverständigen sowie von Parteienvertretern innerhalb des Verfahrens zugelassen und vom Bundesverfassungsgericht zur Betrachtung der Sachlage herangezogen (Rn. 142).

Zur Ziff. 2b) Auch der verstärkte Einsatz innerparteilicher Partizipationsinstrumente als weitere allgemeine einschneidende Veränderung der Verhältnisse wird vom Bundesverfassungsgericht als im Gesetzgebungsverfahren hinreichend begründet betrachtet, wobei auch hier neben der maßgeblichen Drucksache ebenso die Parlamentsdebatte als Teil des Begründungsverfahren angesehen wird (Rn. 143 f.), sodass auch hier wiederum die Hinzuziehung eines Sachverständigen im Verfahren zugelassen und seine die in der Gesetzgebung erfolgten Begründungen stützenden Darlegungen herangezogen werden (Rn. 145).

Zur Ziff. 2c) Die von der Gesetzesbegründung behaupteten erhöhten Transparenz- und Rechenschaftsanforderungen als Grund für die Anhebung der Parteienfinanzierung betrachtet das Bundesverfassungsgericht hingegen als nicht nachvollziehbar (Rn. 146). Hier wird offensichtlich dem Antrag gefolgt, die Begründung sei bereits schon im Allgemeinen nur floskelhaft und unpräzise. Der Gesetzentwurf präsentiere nur Behauptungen, die auch nicht in der Gesetzesberatung erhärtet worden seien (ebd.).

Weitere sachfremde Erwägungen werden im Anschluss als solche für eine Begründung zurückgewiesen (Rn. 147 f.), um dann die Frage zu entscheiden, wie mit nachträglichen - also erst nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahren erfolgten - Begründungen im Sinne der Ziff. 3 zu verfahren ist, was eindeutg beantwortet wird: "Da sie weder im Gesetzentwurf noch im weiteren Gesetzgebungsverfahren zur Begründung der Anhebung herangezogen wurden, stellt ihre Geltendmachung angesichts der Begründungspflicht des Gesetzgebers ein unzulässiges Nachschieben von Gründen dar" (Rn. 149). Eine nachträgliche Begründung kann das vormalige Gesetzgebungsverfahren sachlich nicht stützen, womit die bisherige Linie der Rechtsprechung fortgesetzt und am Einzelfall eindeutig geklärt wird (die Rn. 149 verweist entsprechend auf die Rn. 131).

Im Anschluss wägte das Bundesverfassungsgericht die Begründung als prozeduralen Teil des Gesetzgebungsverfahrens hinsichtlich des materiellen Gehalts ab, womit es von der Betrachtung des Falles im Allgemeinen hin zur Konkretisierung wechselt (Rn. 150 ff.). Konkret meint: Da ein fester und exakt bezifferbarer Betrag der Verfassung in diesen Fällen (wie der Parteienfinanzierung oder der Richter- und Beamtenbesoldung) nicht unmittelbar zu entnehmen ist, bedarf es in diesen Fällen der prozeduralen Sicherungen, damit die verfassungsrechtliche Gestaltungsdirektive tatsächlich auch eingehalten wird. Von daher war eine Entscheidung wie die vorliegende schon länger erwartbar - da die prozedurale Sicherung konkret sein muss, um als solche eine Sicherung zu sein, wie es das hinsichtlich der Besoldungsgesetzgebung bereits 2012 und 2018 weitergehend konkretisiert hat. Nun erfolgt eine weitere und deutlich konkretere Präzisierung. Denn in seiner weiteren Betrachtung kommt das Bundesverfassungsgericht zu dem Schluss, dass die Begründung als solche nicht hinreichend ist, um das konkrete materielle Rechtsgut sachgerecht zu prozeduralisieren.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4220 am: 25.01.2023 16:20 »
Und hier die Fortsetzung

Denn zwar werden Folgen von Digitalisierung und dem verstärkten Einsatz innerparteilicher Partizipationsinstrumente im Rahmen der Gesetzgebung hinreichend als einschneidende Veränderungen der Verhältnisse bei der Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes dargelegt (Rn. 150), womit sie als allgemeine Betrachtung und Begründung zulässig sind. Allerdings bleibt diese Darlegung innerhalb des Gesetzgebungsverfahren zu wenig konkret, um genau jene gesetzliche Höhe des materiellen Rechtsguts hinreichend zu begründen, die am Ende von dem Gesetz festgelegt wird (ebd.). Damit lässt sich hier bereits ein erster wesentlicher Grundsatz festlegen: Das eine ist offensichtlich die allgemeine Begründung, das Sachverhalte ursächlich für Gesetzesregelungen vorhanden sind; das andere ist nun die Konkretisierung der jeweiligen Höhe, mit der die anvisierte gesetzliche Regelung in die gesellschaftliche Realität eingreift. Auch sie ist hinreichend zu begründen, da sie sich ja nicht als ein fester und exakt bezifferbarer Betrag der Verfassung unmittelbar zu entnehmen ist. Mit diesen Ausführungen erfolgt nun eine weitere Konkretisierung des Prozeduralisierungsgebots, die offensichtlich einige Bedeutung auch für die Besoldungsgesetzgebung als formal ähnlich gelagertem Fall entfaltet. Die konkretisierende Kritik des Bundesverfassungsgerichts stützt sich in dem gestern entschiedenen Fall auf vier Punkte (nachfolgend stelle ich die Kritik jeweils zunächst an jenem Fall dar, um dann erste Ableitungen für das Besoldungsrecht in gesperrter Hervorhebung anzuschließen):

a) Weder dem Gesetzentwurf noch den nachfolgenden Gesetzesberatungen sind nachvollziehbare Anhaltspunkte für die Bestimmung der Höhe des durch die einschneidende Veränderung der Verhältnisse verursachten zusätzlichen Finanzbedarfs der politischen Parteien zu entnehmen. Liegt eine einschneidende Veränderung der Verhältnisse vor, hat der Gesetzgeber darzulegen, welche Faktoren für die Annahme ausschlaggebend sind, und dass der von ihm festgelegte Betrag für die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Parteiensystems unerlässlich ist (Rn. 151). Eine hinreichende Konkretisierung, in welcher Größenordnung derartige Investitionen und laufende Kosten anfallen oder zu erwarten sind, bleibt im Gesetzgebungsverfahren offen (Rn. 152), obgleich der Gesetzgeber auf die Notwendigkeit der Konkretisierung aus dem Parlament wie auch von unabhängigen Sachverständigen hingewiesen worden ist (Rn. 153). Stattdessen hätte eine deutlich konkretere Begründung erfolgen müssen, die die Höhe des materiellen Guts konkret prozeduralisiert (Rn. 154)

Übertragen auf die Besoldungsgesetzgebung sollte das bedeuten, die konkreten Erhöhungen der familienbezogenen Besoldungsbestandteile, die in den letzten zwei Jahren fast durchgehend vollzogen worden sind (um das Mindestabstandsgebot in der eigenen Vorstellung erfüllen zu wollen) wären präzise in ihrem materiellen Gehalt, also der jeweiligen Höhe und der Unterschiede in der Höhe, wie sie verschiedenen Besoldungsgruppen, aber auch einer unterschiedlichen Kinderzahl gewährt werden, zu begründen. Die Begründung kann sich dabei nicht darauf zurückziehen, dass es darum gehen würde, das Mindestabstandsgebot zu erfüllen. Denn das wäre keine sachgerechte Begründung - sachgerecht ist es, nachzuweisen, dass ein konkreter Bedarf mit diesen Zuschlägen gedeckt werden soll. Das hat in den letzten zwei Jahren keine Gesetzesbegründung vollzogen. Darüber hinaus sind nicht nur der Thüringer, Niedersächsische und Schleswig-Holsteinische Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren auf entsprechende Problematiken und darüber hinausgehende Problematiken hingewiesen worden, ohne dass diese Hinweise im Gesetzgebungsverfahren sachgerecht entkräftet worden wären, auch sind in diesen und allen anderen Gesetzgebungsverfahren der letzten zwei Jahren vielfach innerhalb der Anhörung viele der in den jeweiligen Gesetzentwürfen vorgefundenen Probleme thematisiert worden, wobei diese Kritik zumeist nur wenig konkret zurückgewiesen worden ist. Auch das dürfte kaum hinreichend (gewesen) sein, um das Prozeduralisierungsgebot im Besoldungsgesetzgebungsverfahren hinreichend zu erfüllen, wie es sich jetzt zeigt. Denn die sachliche Kritik hätte sachlich entkräftet und dabei konkret werden müssen - insbesondere hinsichtlich des neuen Zuschlagswesens, dessen konkreten Beträge hinreichend zu rechtfertigen gewesen wären.

Also als Beispiel: Sofern der Gesetzgeber statt die Grundgehaltssätze zu erhöhen eine Anhebung familienbezogener Besoldungskomponenten vornimmt, lässt sich das allgemein erklären, indem auf höhere Kosten des Kindesunterhalt hingewiesen wird, denke ich - das reicht aber konkret nicht aus, um erstens die jeweils konkrete unterschiedlich angehobene Höhe solcher Zuschläge zu begründen. Auch müssten die Folgen konkret für die weiteren Beteiligten betrachtet und abgewogen werden, jedenfalls spätestens ab jenem Moment, in dem einzelnen nun deutlich höhere Zuschläge als anderen gewährt werden, da dieser Gewährung sachlich "eine einschneidende Veränderung der Verhältnisse" zugrunde liegen müsste - und zugleich müsste dann gezeigt werden, dass die von den höheren Zuschlägen Ausgeschlossenen von den einschneidenden Veränderungen der Verhältnisse nicht betroffen wären. Sofern also bspw. Ortszuschläge an die Kinderzahl gebunden werden, müsste in der Begründung gezeigt werden, dass die betreffenden Unterkunftskosten für jene Familien deutlich gestiegen sind und dass sie für die anderen nicht deutlich gestiegen wären, da man sie ansonsten kaum von der Gewährung des größeren materiellen Guts ausschließen könnte, denke ich. Weder das eine noch das andere ist bislang in jenen Gesetzesbegründungen (ich denke gerade insbesondere an NRW) vollzogen worden. Als Folge sollten jene Ortszuschläge in NRW prozedural nicht hinreichend sein, was als weitere Folge zur Verfassungswidrigkeit der Norm führen müsste


b) Zudem findet eine Gegenrechnung mit durch den Prozess der Digitalisierung eröffneten Einsparpotentialen nicht statt (Rn. 156). Eine Gesetzesbegründung hat von daher nicht nur den Kostenfaktor zu betrachten, sondern ebenso das Einsparpotenzial und damit offensichtlich auch dieses hinreichend abzuwägen (ebd.).

Daraus dürfte für unseren Fall folgen: Mit der massiven Anhebung der familienbezogenen Besoldungskomponenten geht ein gehöriges Einsparpotenzial einher - der Gesetzgeber hätte nun aber auch deshalb konkret begründen müssen, denke ich, (1.) wieso genau der jeweilige Zuschlag wem gewährt wird und (2.) welche Folgen aus der damit einhergehenden Einsparung an Personalkosten für all jene resultieren, die von der Erhöhung der familienbezogenen Besoldungskomponenten nicht bzw. nicht so profitieren. Auch das sollte von keinem Gesetzgeber in den letzten zwei Jahren hinreichend so vollzogen worden sein, obgleich i.d.R. vom Gesetzgeber darauf hingewiesen worden ist, dass man die familienbezogenen Besoldungskomponenten (massiv) erhöht hat, da eine Anhebung der Grundgehaltssätze zu erheblichen Mehrkosten geführt hätte.

c) Stattdessen spricht viel dafür, dass sich die Bestimmung der Höhe der absoluten Obergrenze in unzulässiger Weise an den Beträgen orientiert, die als Vergleichsgegenstand nicht sachgerecht sind (Rn. 157). Dabei kommt das Bundesverfassungsgericht auf die Zusammenhänge bzw. Unterschiede zwischen der absoluten und relativen Obergrenze der Parteienfinanzierung zurück (Rn. 157 ff.), was hier nicht als solches im Detail betrachtet werden soll.

Allerdings ist für unseren Fall von Interesse, dass die Gesetzgeber innerhalb ihrer Begründung wiederkehrend genau jenes gerade im letzten Punkt betrachtete Einsparpotenzial als für sie handlungsleitend hervorgehoben haben, obgleich auch jenes eben nicht sachgerecht ist. Einsparungen bedürfen eines sachlichen Grunds, entsprechend ist in den Gesetzgebungsverfahren auch von dritter Seite wiederholt auf die sachfremden Erwägungen hingewiesen worden, von denen sich die Gesetzgeber haben leiten lassen. Sie sind weiterhin als solche weder allgemein noch konkret statthaft, um eine sachgerechte Begründung zu vollziehen. Das war auch schon vor der gestrigen Entscheidung klar, ist jetzt aber noch einmal deutlich umfassender betrachtet worden.

d) Nachträgliche Stellungnahmen sind unerheblich: Die "bestehenden Begründungsmängel können durch die umfänglichen Darlegungen zu digitalisierungs- und partizipationsbedingten Mehrkosten der politischen Parteien, die der Deutsche Bundestag während des vorliegenden Normenkontrollverfahrens vorgetragen hat, nicht geheilt werden, da es sich insofern um ein unzulässiges Nachschieben von Gründen handelt (s.o. Rn. 131)." (Rn. 160) All jene nur "nachgeschobenen" Begründungen, die also erst nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens, angestellt worden sind, können im Gerichtsverfahren nicht betrachtet werden. Sie sind entsprechend gegenstandslos (Rn. 161).

Daraus sollte folgen, dass das ebenso für sämtliche Besoldungsgesetze gilt. Es bleibt in der gerichtlichen Prüfung zu betrachten, was in der Gesetzesbegründung, der Ausschussarbeit, der Reaktion auf Einwände wie im Anhörungsverfahren und innerhalb der Debatten im Plenum zur sachlichen Stützung der anvisierten gesetzlichen Regelung vorgebracht worden ist bzw. wird - mit Abschluss des Gesetzgebungsverfahren sind keine nachträglichen Begründungen mehr möglich. Nachträglich angebrachte Materialien können die im Gesetzgebungsverfahren getätigten allgemeinen Begründungen stützen , sofern entsprechende allgemeine Ausführungen dort getätigt worden snd (s. das, was ich zu den Ziff. 2a und 2b zusammengefasst habe), sie können sie aber offensichtlich nicht konkretisieren, also einen konkreten materiellen Gehalt begründen, der nicht schon innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens (hinreichend) begründet worden wäre.

Insgesamt bleibt also die in der gestrigen Entscheidung betrachtete Gesetzesbegründung, sobald es um konkrete Beträge geht, die also auch konkret in ihrer Höhe abzuwägen und also zu begründen sind, floskelhaft, auf jeden Fall nicht präzise genug, so wie das die Antragssteller im Verfahren begründet haben (s.o.). Die Ansicht der Bundesregierung, die Gesetzesbegründung sei nachvollziehbar und im Ergebnis nicht zu beanstanden (s.o.), ist umfassend zurückgewiesen worden. Mit der sachlich erstaunlichen Ansicht des Bundestags, dass besondere Darlegungs- und Begründungspflichten für die gesetzliche Erhöhung der absoluten Obergrenze zur Parteienfinanzierung nicht bestünden (s.o.), setzt sich das Bundesverfassungsgericht schon nicht mehr auseinander, weil sie sachlich offensichtlich bereits soweit von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entfernt gewesen ist, dass es darauf keiner Reaktion mehr bedurfte.

Wie gesagt, ich habe die Darlegungen bislang nur überflogen, sodass mir ggf. die kleinen, feinen (Wider-)Haken entgangen sein werden, die bei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts immer zu beachten und mit denen also jederzeit zu rechnen ist. Aber bereits die dargelegten groben Linien dürften zeigen, dass insbesondere die Besoldungsgesetzgebungsverfahren der letzten rund zwei Jahre mit ihren zumeist vielfach nicht sachgerechten und darüber hinaus vielfach unklaren, weil - wie nun gezeigt - nicht konkret genug erfolgten Begründungen kaum einen Bestand vor dem Bundesverfassungsgericht haben können, da sie den an sie gerichteten prozedrualen Anforderungen nicht entsprechen - unabhängig von der durchgehend evident unzureichenden Bemessung der Mindest- und gewärten Nettoalimentation, also des materiellen Gehalts der Alimentation. In der Haut der Dienstherrn möchte ich nach dieser gestrigen Entscheidung wahrlich nicht stecken - und zugleich liegt nun genau das vor, von dem ich vor ein paar Tagen gesprochen habe, dass ich mir solche Konkretsierungen in der anstehenden Entscheidung wünschen bzw. mit entsprechenden Konkretisierungen rechnen würde. Denn sie führen die bisherigen Direktiven des Bundesverfassungsgericht schlüssig fort, waren also erwartbar. Man kann sich von daher zunächst einmal nur bei den Freidemokraten, Linken und Bündnisgrünen bedanken, dass sie nun offensichtlich auch für weitere Klarheit hinsichtlich der Besoldungsgesetzgebung gesorgt haben, auch wenn es ihnen hier nicht um die Besoldungsgesetzgebung gegangen ist. Es ist davon auszugehen, dass der Zweite Senat in seiner anstehenden Entscheidung auf die hier präzisierten Anforderungen zurückkommen wird. Und auch die Innen- und Finanzminister in Bund und Ländern sollten sich hinsichtlich der bald anstehenden Besoldungsanpassungsgesetze schon einmal auf die hier präzisierten prozeduralen Anforderungen einstellen. Denn sie dürften spätestens in den Beteiligungsverfahren mit ihnen konfrontiert werden. Die Unterlagen der Anhörung gehen als Teil des Gesetzgebungsverfahrens in die gerichtliche Kontrolle mit ein.
« Last Edit: 25.01.2023 16:36 von SwenTanortsch »

Nordlicht97

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4221 am: 26.01.2023 07:49 »
Das wäre ja wirklich zu schön, um wahr zu sein, dass es wirklich mal einen Richtungswechsel gibt und wir endlich verfassungsgemäß besoldet werden.

Ich habe das Gefühl, egal wie eine gerichtliche Entscheidung aussehen wird, dass die Dienstherren sich mit immer neuen (vmtl verfassungswidrigen) Ideen aus der Affäre ziehen werden.

An eine verfassungsgemäße Besoldung glaube ich persönlich erst, wenn die Zahl auf dem Kontoauszug das bestätigt.

DeGr

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4222 am: 26.01.2023 11:16 »
Leider habe ich im Moment nicht die Zeit, mich ausführlicher mit der gestrigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Normenkontrollantrag zu beschäftigen

Da frage ich mich, was für einen Text wir bekommen hätten, wenn du mehr Zeit hättest  ;D

Danke für die interessanten Ausführungen!

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4223 am: 26.01.2023 13:18 »
Hm, höchstwahrscheinlich doppelt bis dreimal so lang, wie ich mich kenne...

Gern geschehen, DeGr!

was_guckst_du

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4224 am: 27.01.2023 08:17 »
Auch von mir ein Fleißkärtchen....allerdings sind mir zuviel Deutungen enthalten, die die Politik natürlich anders sehen werden...
Gruß aus "Tief im Westen"

Meine Beiträge geben grundsätzlich meine persönliche Meinung zum Thema wieder und beinhalten keine Rechtsberatung. Meistens sind sie ernster Natur, manchmal aber auch nicht. Bei einer obskuren Einzelfallpersönlichkeit antworte ich auch aus therapeutischen Gründen

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4225 am: 27.01.2023 10:22 »
Dienstherrn können so viel anders sehen, wie sie wollen: Was sie wie sehen wollen, ist ihre Sache und können sie als politische oder moralische Diskussion führen. Solche politischen oder moralischen Diskusssionen sind generell auch nötig, um nicht aus der Zeit zu fallen. Nur sind sie - wie hier im Forum wiederkehrend gezeigt - solange rechtlich gänzlich unerheblich, solange mit ihnen keine statthaften und sachgerechten Begründungen ihrer Entscheidungen einhergehen, die darüber hinaus zum zeitlich richtigen Zeitpunkt stattfinden. Denn das ist die Quintessenz der Entscheidung 2 BvF 2/18:

1) Die Besoldungsgesetzgeber können schreiben oder sagen, was sie wollen, bleibt das allerdings hinsichtlich der Begründung der Höhe der Alimentation als Ganzer und ggf. einzelner Besoldungskomponenten im Ergebnis nicht hinreichend, führt das zur Verfassungswidrigkeit der Norm. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2015 mit Blick auf das Gesetzgebungsverfahren als solchem hervorgehoben, dass es eine Frage der Begründetheit ist, ob einzelne Besoldungskomponenten tatsächlich bei der Bestimmung des amtsangemessenen Besoldungsniveaus heranzuziehen sind (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 05. Mai 2015 - 2 BvL 17/09 -, Rn. 88). Dabei war aber offengeblieben, wie tiefgehend die Begründung erfolgen muss.

2) 2018 hat es betont, dass Sparmaßnahmen - die Erhöhung familienbezogener Besoldungskomponenten sind i.d.R. als solche begründet worden, indem in den Gesetzgebungsverfahren hervorgehoben worden ist, dass eine Erhöhung der Grundgehaltssätze (zu) teuer sei - hinreichend konkretisiert werden müssen, weil sich formelhaften Erwägungen und entsprechende Rechtfertigung als unzureichend erweisen (Beschluss des Zweiten Senats vom 16. Oktober 2018 – 2 BvL 2/17 –, Rn. 30), um aber in der Konkretisierung 2018 nur weiter auszuführen, was als Wenigstes in der Begründung zu leisten ist, nämlich die "konkrete Benennung" der alternativ in Betracht gezogenen Mittel und der Gründe, die gegen deren Anwendung sprechen (ebd.). Auch das war so formuliert eher vage geblieben.

3) Als Ergebnis der Entscheidung aus dem Jahr 2018 waren die noch recht allgemein gebliebenen Prozeduralisierungs-Direktiven der Entscheidung aus dem Jahr 2012 (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 14. Februar 2012 - 2 BvL 4/10 -, Rn. 163 ff.) weiterhin konkretisiert worden, aber dennoch insgesamt hinsichtlich ihres konkreten Gehalts vage geblieben. Als Ergebnis konnte jedoch festgestellt werden, dass der Besoldungsgesetzgeber wegen des ihm unverändert zustehenden weiten Gestaltungsspielraum nicht hinsichtlich jeder Detailfrage rechtfertigungspflichtlich ist, dass aber eine Begründung, sofern sie vorgenommen wird, sachgerecht, inhaltlich abwägend und offensichtlich hinreichend zielgenau zu geschehen hat (Beschluss des Zweiten Senats vom 16. Oktober 2018 – 2 BvL 2/17 –, Rn. 32 ff). Was dabei also "hinreichend zielgenau" bedeuten sollte, war auch hier insgesamt noch unklar geblieben.

In der aktuellen Entscheidung finden wir nun - wenn ich das richtig sehe - ein Novum in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte. Das Bundesverfasungsgericht hat - nicht zuletzt in seiner Besoldungsrechtsprechung - wiederholt hervorgehoben, dass allein eine nicht hinreichende Erfüllung der prozeduralen Pflichten unabhägig vom materiellen Gehalt der angegriffenen Norm zur Verfassungswidrigkeit der Norm führen kann. Entsprechend wurde die Pflicht zur Prozeduralisierung in unserem Fall als "zweite Säule" des Alimentationsprinzips begriffen und hervorgehoben, dass beide "Säulen" für sich tragfähig errichtet werden müssen, um die Norm verfassungskonform zu machen (vgl. zuletzt in der aktuellen Entscheidung die Rn. 96). Es hatte daraus aber bislang keine abschließenden Konsequenzen gezogen, war also den letzten Schritt nicht gegangen und hatte entsprechend bislang eine Norm nicht allein aus prozeduralen Gründen als verfassungswidrig betrachtet. Das ist nun aber seit Montag anders. Denn in der Entscheidung 2 BvF 2/18 wird die absolute Obergrenze der Parteienfinanzierung, wie sie im Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze vom 10.07.2018 (BGBl. I 2018 S. 1116) geregelt worden ist, ausschließlich wegen einer nicht hinreichenden Erfüllung der prozedrualen Pflichten als nicht mit Art. 21 GG vereinbar betrachtet, womit jenes Gesetz für nicht erklärt worden ist. Damit ist das Prozeduralisierungsgebot nun aber nicht nur theoretisch, sondern auch in praxi vollständig in Funktion gesetzt; denn es (bzw. genauer: dessen nicht hinreichende Beachtung) hat nun offensichtlich zum ersten Mal gänzlich eigenständig die Verfassungswidrigkeit einer Norm begründet.

All das lässt sich - nun komme ich zum Anfang meiner in diesem Beitrag gemachten Aussagen zurück - weder moralisch noch politisch wegdiskutieren (vgl. oben die Ziff. 1). Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht am Montag konkretisiert (vgl. oben die Ziff. 2), was es heißt, dass in einer Gesetzesbegründung hinsichtlich von Fällen, in denen ein fester und exakt bezifferbarer Betrag der Verfassung nicht unmittelbar zu entnehmen ist (wie das ebenso hinsichtlich der Besoldungsgesetzgebung der Fall ist), mindestens die konkrete Benennung der alternativ in Betracht gezogenen Mittel und der Gründe, die gegen deren Anwendung sprechen, zu leisten ist. Denn die Entscheidung 2 BvF 2/18  führt nun aus, was eine "konkrete Benennung" bedeutet (vgl. meine entsprechenden Ausführungen vom Mittwoch). Und das gilt ebenso (vgl. oben die Ziff. 3) für die Frage, wann eine vorgenommene Begründung "hinreichend zielgenau" vorgenommen worden ist (vgl. auch hier meine Ausführungen).

Denn für eine "hinreichend zielgenau[e]" Begründung ist es unabdingbar, dass sie in Alternativen denkt und diese also auch thematisiert, und zwar spätestens dann, wenn es um Kosteneinsparungen geht. Diese Thematisierung der Alternativen muss nun aber als "konkrete Benennung" erfolgen, wie sie in der Entscheidung 2 BvF 2/18 umfassend dargelegt worden ist - und damit wären wir offensichtlich beim Punkt a) meiner Darlegungen von 16:20 Uhr, die ich hier nicht noch einmal zusammenfasse, da sie dort ja vorliegt. Genauso ist nun hinsichtlich des Ziels der Kosteneinsparung all das von Interesse, denke ich, was ich dort unter dem Punkt b) nenne (und dabei sollte es unerheblich sein, ob die Alternative der Erhöhung der Grundgehaltssätze in einer Gesetzesbegründung genannt wird oder nicht - denn sie ist ja gar keine "Alternative", sondern auf sie zielen die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich des Leistungsprinzips; dahingegen sind Nebenkomponenten der Besoldung wie bspw. familienbezogene Zuschläge als mögliche Alternativen zu betrachten und dann im Rahmen dessen, was sie leisten sollen und können, in ihrer Höhe konkret zu begründen: dass die Erhöhung wie die Nicht-Erhöhung von Grundgehaltssätzen als Hauptkomponente der Besoldung grundsätzlich der erheblichste Kostenfaktor des Besoldungsgefüge ist und bleibt, lässt sich nicht wegdiskutieren). Und schließlich hat der Gesetzgeber seine Begründung definitiv im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zu vollziehen; sie kann also nicht erst, wenn das Kind mit einem Kopfsprung den Brunnenrand bereits verlassen hat, nachgereicht werden - es ist also zu beachten, was neben dem, was sich in den Drucksachen findet, ebenso im Beteiligungsverfahren und in der Plenardebatte ausgeführt wird (vgl. den Punkt d). Damit wird festgelegt, dass die wesentlichen Entscheidungen auch hinsichtlich der prozeduralen Anforderungen vom Gesetzgeber im Gesetz(gebungsverfahren) zu vollziehen sind.

Und sofern Dir das zu viele Deutungen sind, ist mir das recht. Denn hier gibt es nicht viel (mehr) zu deuten - oder anders: Die Gesetzgeber können die Entscheidung 2 BvF 2/18 gänzlich anders deuten, so wie sie auch die Entscheidung 2 BvL 4/18 vielfach recht eigenwillig deuten - aber weder die Rechtswissenschaft noch die Verwaltungsgerichte und sicherlich auch das Bundesverfassungsgericht werden seine Ausführungen anders deuten, als sie sachlich zu deuten. Wenn die Gesetzgeber die Entscheidung 2 BvL 4/18 weiterhin - nicht zuletzt gar wissentlich und willentlich - sachwidrig deuten werden und das mit der Entscheidung 2 BvF 2/18 ebenso halten wollen, ist das eben nicht ihr gutes Recht, sondern handeln sie entgegen der sie bindenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - und die Konsequenz daraus ist so einfach wie kurz zu formulieren: Das Bundesverfassungsgericht wird daraufhin, sofern es angerufen wird, Rechsprechung tätigen. Auch jene Rechtsprechung wird als negative Gesetzgebung wirken. Wenn die Gesetzgeber das wollen, werden sie es kriegen. Und das wissen sie auch. Schauen wir also mal, wie sie auf diese und die anstehende Rechtsprechung zu den bremischen Vorlagebeschlüssen reagieren werden.
« Last Edit: 27.01.2023 10:33 von SwenTanortsch »

Nordlicht97

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4226 am: 27.01.2023 13:18 »
Vielen Dank Swen für deine unermüdlichen Ausführungen!

Jetzt heißt es das Urteil im Bremer Verfahren abzuwarten und dann wird es wohl richtig spannend.
Bin gespannt, was bei den Tarifverhandlungen im Herbst passiert und wie die Gewerkschaften reagieren werden...

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4227 am: 27.01.2023 14:23 »
Gern geschehen, Nordlicht!

Nach der Entscheidung 2 BvF 2/18 ist bei mir die Spannung hinsichtlich der anstehenden Entscheidung gleichfalls noch einmal gestiegen - wobei dort jetzt bereits ein zentraler Teil dessen nicht mehr thematisiert werden braucht, den die Entscheidung 2 BvF 2/18 nun geklärt hat. Es dürfte diesbezüglich nun interessant werden, inwieweit das Bundesverfassungsgericht nun auf die Folgen der Entscheidung 2 BvF 2/18 in der anstehenden Entscheidung explizit oder implizit zurückkommen wird - tiefergehende Relevanz werden die Ausführungen der Entscheidung 2 BvF 2/18 spätestens dann haben, wenn es um die seit 2021 vielfach massiv gestiegenen familienbezogenen Besoldungskomponenten gehen wird. Allerspätestens wenn es um die seit 2021 vollzogenen Gesetzesbegründungen gehen wird - so ist begründet zu vermuten -, dürfte das Bundesverfassungsgericht auf die Entscheidung 2 BvF 2/18 zurückkommen.

bigbroen

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4228 am: 28.01.2023 09:40 »
Mal eine Frage zu den Nachzahlungen bei fehlendem Widerspruch in BW. Das Land hat jetzt geregelt, dass
Sollten Regelungen des BVAnp-ÄG 2022 im Zuge dieser Überprüfung durch künftige
höchstrichterliche Rechtsprechung als nicht verfassungsgemäß eingestuft werden,
wird das Ministerium für Finanzen etwaige Nachzahlungen entsprechend einer vom
Gesetzgeber dann zu treffenden Korrekturregelung von Amts wegen rückwirkend leisten. Ähnliches hat das Land bereits 2020 zugesagt. Sinngemäß damals kein Widerspruch bis Verfassungskonform besoldet wird. Auch wieder von Amts wegen. Text liegt mir gerade nicht vor. Wenn sich jetzt herausstellt das BVAnp-ÄG 2022 nicht Verfassungskonform ist müsste das Land doch eigentlich nach erneuter Neufassung wieder bis 2020 rückzahlen?
Hat man darauf Rechtsanspruch? Wer soll das bezahlen? Oder versucht das Land hier durch Verschachtelung und Beschwichtigung gezielt zu ver* ?

Versuch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4229 am: 28.01.2023 10:18 »
Mal eine Frage zu den Nachzahlungen bei fehlendem Widerspruch in BW. Das Land hat jetzt geregelt, dass
Sollten Regelungen des BVAnp-ÄG 2022 im Zuge dieser Überprüfung durch künftige
höchstrichterliche Rechtsprechung als nicht verfassungsgemäß eingestuft werden,
wird das Ministerium für Finanzen etwaige Nachzahlungen entsprechend einer vom
Gesetzgeber dann zu treffenden Korrekturregelung von Amts wegen rückwirkend leisten. Ähnliches hat das Land bereits 2020 zugesagt. Sinngemäß damals kein Widerspruch bis Verfassungskonform besoldet wird. Auch wieder von Amts wegen. Text liegt mir gerade nicht vor. Wenn sich jetzt herausstellt das BVAnp-ÄG 2022 nicht Verfassungskonform ist müsste das Land doch eigentlich nach erneuter Neufassung wieder bis 2020 rückzahlen?
Hat man darauf Rechtsanspruch? Wer soll das bezahlen? Oder versucht das Land hier durch Verschachtelung und Beschwichtigung gezielt zu ver* ?
Einfach Widerspruch einlegen und man ist auf der sicheren Seite.
Dem Dienstherr vertraue ich, das ist schade und besorgniserregend, schon lange nicht mehr.