Beamte und Soldaten > Beamte der Länder

[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)

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SwenTanortsch:

--- Zitat von: WasDennNun am 10.09.2020 10:26 ---
--- Zitat von: SwenTanortsch am 10.09.2020 08:16 ---um die im Durchschnitt weit über 35 Prozent Alimentationserhöhung, die das BVerfG für die Vergangenheit entschieden hat und die dann zwangsläufig in die Zukunft weiterwirken werden, möglichst kostengünstig zu drücken (das zentrale Mittel könnte dabei vielleicht das Beihilfesystem sein).
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--- Zitat von: BStromberg am 10.09.2020 08:18 ---Ja, wir drehen im Kreis! Die Sache ist inhaltlich (abgestellt auf den Beschluss) ausdiskutiert... es findet bloß noch Kaffeesatzleserei statt.

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Was ich noch nicht verstehe ist, wieso die zukünftige Besoldungssystematik nicht die Grundbesoldung an den Single ausrichten können soll.

Und wieso dann nicht pro Kind und Partner entsprechend hohe Zuschläge (~517€ Brutto pro Kind) gezahlt werden können soll.
Wo doch für NRW ein mindest Nettoalimentationsbedarf für Kind 3ff klar definiert wurde vom BVerG und die Folge eben eine solch hoher Zuschlag sein muss.
Wieso soll es also nicht statthaft sein, eben für jedes Kind einen solchen Zuschlag zu definieren?
Kind 1 und 2 sind doch nicht weniger "teuer".

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Das BVerfG gibt mit Blick auf die Mindestbesoldung nur einen einzigen Ausgangspunkt zur Erstellung der Besoldungssystematik vor. Damit geht es sicher, wie schon an anderer Stelle geschrieben, dass es diesbezüglich niemals zu einer Normenkollision kommen kann.

Dabei sind rechtlich die Wirkungen des ursprünglich sozialgesetzlich bestimmten Grundsicherungsniveaus zu beachten und ist rechtlich insbesondere die Zwitterproblematik zu beachten, dass die Grundsicherung eine sozialgesetzliche Grundlage aufweist, aber zugleich im Existenzminimum auch eine steuerrechtliche.

Die gesamte Problematik, die wegen der Komplexität der Materie als Ganze zu beachten ist (inhaltliche Verkürzungen führen fast automatisch in die Irre), habe ich in meinen beiden Beiträgen vom 20.08. (18:05 Uhr und 18:07 Uhr) dargelegt. Eventuell reicht es, um das zu verstehen, was die Wirkungen des ursprünglich sozialgesetzlich bestimmten Grundsicherungsniveaus auf die Mindestalimentation fortführen, wenn Du den Beitrag von 18:07 Uhr liest (siehe dort insbesondere die Abschnitte b) Die Wirkungen der Sozialgesetzgebung und c) Die Unterkunftskosten und das Grundgehalt). Allerdings gehören beide Beiträge zusammen - und eventuell kann man die Komplexität nur dann durchdringen, wenn man dort insgesamt Satz für Satz vorgeht (beide Beiträge sind lang, aber kürzer geht's kaum, ohne zu Verkürzungen zu kommen).

Und zugleich, jetzt kommen wir zu den Beamten mit mehr als zwei Kindern, ist es eben doch so, dass sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch die Besoldungsgesetzgeber davon ausgehen, dass die Lebenshaltungskosten ab mehr als zwei Kindern ökonomisch deutlich steigen (deshalb erfolgt eine eigene Rechtsprechung für Beamtenfamilien mit mehr als zwei Kindern) - und diese Annahme dürfte durchaus realitätsgerecht sein (s. z.B. in Hinblick auf die Unterkunfts- oder PKW-Größe). Dieser qualitative Sprung - so will ich ihn mal nennen - zeigt sich heute bereits in den Familienzuschlägen, was sich kurz anhand der Familienzuschläge in NRW veranschaulichen lässt. Diese sehen derzeit noch wie folgt für die R 1-Besoldung (und damit identisch ab A 9 aufwärts) aus (vgl. jeweils den Gehaltsrechner (https://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/beamte/nw?id=beamte-nrw&g=R_2&s=3&f=1&zulageid=10.1&zulageid=10.2&z=100&zulage=&stkl=3&r=0&zkf=):

Stufe 1 (verheiratet): 146,44 €
Stufe 2 (verheiratete und ein Kind): 273, 98 €
Stufe 3 (verheiratet und zwei Kinder): 401,51 €

Hier haben wir nun weitgehend eine schöne Gerade mit der Steigung von rund 127,5. Allerdings geht's so nicht weiter - denn jetzt zeigt sich der "qualitative Sprung":

Stufe 4 (verheiratet und drei Kinder): 793,91 €
Stufe 5 (verheiratet und vier Kinder): 1.186,31 €
Stufe 6 (verheiratet und fünf Kinder): 1.578,71 €
Stufe 7 (verheiratet und sechs KInder): 1.971,11 €

Hier haben wir nun ebenfalls eine schöne Gerade - jedoch mit der Steigung von 392,4, also einer mehr als dreimal so hohen Steigung.

Wenn Du jetzt also die rund 10.000,- € brutto, die anhand eines verheirateten Beamten mit zwei Kindern juristisch bestimmt wurden, auf einen verheirateten Beamten mit drei Kindern überführen würdest, ginge es dort dann um mehr als 30.000,- €, um die sich der Familienzuschlag ab dem dritten Kind erhöhen müsste, also von jetzt jährlich derzeit noch 9.526,92 € auf dann über 40.000,- €.

Auch dieser Wert zeigt, dass ohne Beachtung der Wirkung des ursprünglich sozialgesetzlich bestimmten Grundsicherungsniveaus die Erstellung einer neuen Besoldungssystematik direkt in die Verfassungswidrigkeit führt.

Denn als Folge würde eben das Leistungs- durch ein Fertilitätsprinzip ersetzt werden und auch würden Beamtenkinder sehr viel mehr wert sein als Nicht-Beamtenkinder, was ein elementarer Verstoß gegen den Gleichheitssatz darstellte.

Ergo, lies noch einmal Satz für Satz, was ich in den beiden genannten Beiträgen geschrieben habe. Das dauert leider lange - aber ich gehe davon aus, dass das inhaltlich nicht völlig verkehrt ist.

SwenTanortsch:

--- Zitat von: Spid am 10.09.2020 10:40 ---Neben dem hier verbreiteten Blick in die Zukunft stellen sich mir einige Fragen hinsichtlich der Vergangenheit.

Gab es einen frühestmöglichen Zeitpunkt des Widerspruchs? Außer dem Bestehen des Beamtenverhältnisses usw. Oder anders gefragt: ein Beamter, der in den Jahren 2013 bis 2019 zeitgerecht Widerspruch gegen seine Besoldungshöhe erhoben hätte (und dies dieses Jahr und in den Folgejahren fortsetzt) und über dessen Widersprüche noch nicht rechtskräftig entschieden worden wäre, könnte für die bezeichneten Jahre Ansprüche gegen seinen Dienstherrn aus dem Urteil herleiten? Bedarf es dazu zunächst einer (rückwirkenden) gesetzlichen Regelung?

--- End quote ---

Das Problem der Unteralimentation begann weitgehend mit dem Jahr 2003: Denn im Sommer 2003 hat die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) einseitig die Sonderzahlungstarife (also landläufig: das Urlaubs- und Weihnachtsgeld) für Landesbeamte gekürzt. Mit diesem Vorgehen verunmöglichte sie es den Arbeitnehmervertretungen, weiterhin über bundeseinheitliche Tarife zu verhandeln. Damit endete der Tarifverbund im öffentlichen Dienst. Als Folge entlasteten zunächst alle Landesregierungen durch eine Reduzierung oder gar gesamte Streichung der entsprechenden Sonderzahlung ihre Haushalte.

Dieser Prozess beschleunigte sich 2006, als die Länder mit der Föderalismusreform I die vollständige Gesetzgebungskompetenz über das Besoldungs- und Versorgungsrecht zurückerhielten. Ihre Gestaltungsmacht erstreckte sich seitdem konkurrenzlos auf die gesamte Alimentation ihrer Beamten. Zeitgleich begannen die Verhandlungen über die Föderalismusreform II, die den Ländern ab 2009 auferlegte, dass ihre Haushalte bis 2020 ausgeglichen sein müssen. Gemeinsam mit der 2008 einsetzenden Finanzmarktkrise setzte sie die Länder gehörig unter Druck, was den Wildwuchs unterschiedlicher Gehälter noch einmal vergrößerte.

Hier in Niedersachsen ist vonseiten der Gewerkschaften und Verbände bereits 2005 empfohlen worden, Widerspruch einzulegen - auf jenes Datum bezogen erfolgten dann auch die Musterklagen, die 2009 vom VG Lüneburg vollständig abgewiesen, 2017 vom OVG Lüneburg mit Ausnahme des Jahres 2013 abgewiesen (und für jenes Jahr nach Karlsruhe überwiesen wurde) und denen 2018 für alle Jahre seit 2005 (außer 2013, das nicht betrachtet wurde) vom Bundesverwaltungsgericht stattgegeben wurden, um jenen Vorlagebeschluss ebenfalls nach Karlsruhe zu überweisen.

Wer also ab 2005 hier in Niedersachsen Widerspruch eingelegt hat - das Land hat damals und auch danach wiederkehrend auf die Einrede der Verjährung verzichtet -, für den sollten gerichtlich festgelegte Nachzahlungen gelten. Analog gilt das für alle weiteren Länder, wobei hier vielfach erst zu späteren Zeitpunkten Widerspruchsverfahren angelaufen sind.

Zugleich gehe ich davon aus, dass die Länder rückwirkend entsprechend neue Besoldungsgesetze beschließen müssen. So wie das Bundesverfassungsgericht nun das Land Berlin verpflichtet: "Der Gesetzgeber des Landes Berlin hat verfassungskonforme Regelungen mit Wirkung spätestens vom 1. Juli 2021 an zu treffen. "

Spid:
Interessant, aber leider nicht hilfreich. Liegt aber nicht an Dir, sondern mutmaßlich an meiner Fragestellung. Sie hat nur indirekt etwas mit der Thematik zu tun, aber die Antwort mag ja dennoch auch für andere erhellend sein, weshalb ich das Ganze kontextuiere und dennoch auf eine Antwort hoffe: mein im Jahre 2013 geschlossener AT-Vertrag sichert mir ein Entgelt in Höhe der Bruttobesoldung eines Beamten in B10 in gleichen Lebensumständen beim Zuwendungsgeber zu. Neben einer vergleichbaren Altersversorgung haben wir - ich habe nie auf die Rechtmäßigkeit dessen vertraut, was die Besoldungsgesetzgeber veranstaltet haben - auch vereinbart, daß rückwirkende Eingriffe des Besoldungsgesetzgebers ebenso auf das Entgelt wirken und ich - in Ermangelung eines eigenen Widerspruchsrechts - bei einer Entscheidung über die Unrechtmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit der Besoldung hinsichtlich der Ansprüche beim Entgelt so gestellt werde wie ein vergleichbarer Beamter, der zum frühest möglichen Zeitpunkt Widerspruch gegen seine Besoldung eingelegt und diesen auch weiterverfolgt hätte. Ich bin - im Lichte der Ereignisse - ein wenig stolz auf die Klausel, bin mir aber gleichzeitig unsicher über Berechnung der Ansprüche und ihren Entstehungszeitpunkt.

SwenTanortsch:

--- Zitat von: Spid am 10.09.2020 17:59 ---Interessant, aber leider nicht hilfreich. Liegt aber nicht an Dir, sondern mutmaßlich an meiner Fragestellung. Sie hat nur indirekt etwas mit der Thematik zu tun, aber die Antwort mag ja dennoch auch für andere erhellend sein, weshalb ich das Ganze kontextuiere und dennoch auf eine Antwort hoffe: mein im Jahre 2013 geschlossener AT-Vertrag sichert mir ein Entgelt in Höhe der Bruttobesoldung eines Beamten in B10 in gleichen Lebensumständen beim Zuwendungsgeber zu. Neben einer vergleichbaren Altersversorgung haben wir - ich habe nie auf die Rechtmäßigkeit dessen vertraut, was die Besoldungsgesetzgeber veranstaltet haben - auch vereinbart, daß rückwirkende Eingriffe des Besoldungsgesetzgebers ebenso auf das Entgelt wirken und ich - in Ermangelung eines eigenen Widerspruchsrechts - bei einer Entscheidung über die Unrechtmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit der Besoldung hinsichtlich der Ansprüche beim Entgelt so gestellt werde wie ein vergleichbarer Beamter, der zum frühest möglichen Zeitpunkt Widerspruch gegen seine Besoldung eingelegt und diesen auch weiterverfolgt hätte. Ich bin - im Lichte der Ereignisse - ein wenig stolz auf die Klausel, bin mir aber gleichzeitig unsicher über Berechnung der Ansprüche und ihren Entstehungszeitpunkt.

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Ich finde, da kannst Du tatsächlich stolz drauf sein, denn das erforderte ganz schönen Weitblick!

Die Frage ist in diesem Zusammenhang, was ein "vergleichbarer Beamter" ist. Wenn es sich um einen Landesbeamten handeln sollte, sollte das jeweilige Landesrecht gelten. Dann wäre zu schauen, inwiefern bzw. ab wann dort Widerspruchs- bzw. Klageverfahren laufen (letzteres kann ich Dir für erschiedene Länder sagen). Sofern der Bund der Vergleichsmaßtab wäre, könnte ich im Moment nicht so viel dazu sagen, weil ich mich bislang weitgehend nur mit den Ländern beschäftigt habe.

Spid:
Ich hatte befürchtet, daß Du das schreiben würdest. Dann warte ich mal ab, bis ein Bundesbeamter sich durchgeklagt hat...

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