Meine Vermutung: Der EuGH wird sich auf irgendeine Weise formaljuristisch vor einer wirklichen Entscheidung drücken, im Sinne von Richter müssen auch unteralimentiert ihre Entscheidungen treffen, etc.
Da wäre ich mir eher nicht so sicher - denn zum einen ist der EuGH in Grundrechtsfragen zumeist recht klar und mit Asylverfahren sind in starkem Maße Grundrechtsfragen verbunden. Zum anderen hat DrStrange heute morgen berechtigt auf die gefestigte Rechtsprechung des EuGH hinsichtlich der richterlichen Unabhängigkeit hingewiesen, die der EuGH besonders in den Blick nimmt, weil sie - die richterliche Unabhängigkeit - nicht in allen EU-Staaten im allerhöchsten Maße garantiert ist; mit ihr verbunden ist wie vom VG sachlich berechtigt gezeigt die sachgerechte Entlohnung (in Deutschland Alimentation) von Richtern in der EU. Darüber hinaus erfreut sich der EuGH generell einer recht starken gerichtlichen Beinfreiheit (um's mal so auszudrücken), da er anders als nationale Gerichte nicht in ein über Jahrzehnte gewachsenes und tradiertes nationalstaatliches Rechtsverständnis eingebunden ist. Und schließlich befindet sich der EuGH hinsichtlich des jeweiligen Vorrangs der Rechtssprechung in Grundrechtsfragen in einem dynamischen Spannungsverhältnisses zum Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht dürfte dabei in seiner generell europafreundlichen Auslegung von EuGH-Entscheidungen hinsichtlich von Asyl-Entscheidungen ggf. deutlich mehr sachliche Schnittmengen mit Auslegungen des EuGH bilden können und wollen als das eventuell hinsichtlich der Bedeutung des Art. 33 Abs. 5 GG und dessen Auslegung der Fall wäre, wie sich das offensichtlich weiterhin im Spannungsverhältnis von EGMR und Bundesverfassungsgericht hinsichtlich des Streikrechts von Beamten finden lässt. Denn ganz egal, wie der EGMR in der in den nächsten Monaten anstehenden Entscheidung urteilen wird, das Bundesverfassungsgericht wird sich aus seiner Rechtsauffassung heraus nicht an diese Entscheidung gebunden sehen, sondern sie ggf. nur umso europfreundlicher interpetieren, je begründeter dessen Entscheidung mit der eigenen Auslegung des Streikverbots deutscher Beamter sachlich vereinbar wäre.
Übertragen auf die nun zu erwartende (Eil-)Entscheidung des EuGH hinsichtlich der richterlichen Unabhängigkeit dürfte es in summa m.E. eher keine Entscheidung geben, die sich wie ein Lippenbekenntnis liest - vielmehr wird der EuGH mit hoher Wahrscheinlichkeit die in nachgewiesener Weise im europäischen Kontext deutlich (zu) geringe Richterbesoldung in Deutschland (stellvertretend am ihm vorgelegten hessischen Beispiel) als solche betrachten, um dann in einem zweiten Schritt Folgerungen für die richterliche Unabhängigkeit der deutschen Judikative in Asylfragen zu vollziehen - wobei diese Asylfragen ggf. mit Grundrechtsfragen generell verbunden werden (könnten). Denn sofern der EuGH hinsichtlich von Asylfragen eine wie auch immer geartete eingeschränkte oder gar nicht gegebene richterliche Unabhängigkeit in Deutschland konstatieren würde, dürften davon weitere über das Asylrecht hinausgehende Grundrechtsfragen zwangsläufig nicht so ohne Weiteres auszunehmen sein können.
Ergo könnte die Entscheidung des EuGH, sofern jenes und das Bundesverfassungsgericht sich nicht willens oder in der Lage sehen, hinsichtlich der nun aufgeworfenen Fragen zu einer weitgehend einheitlichen Sicht auf die Dinge zu gelangen, zum gegebenen Konflikt beitragen, den zu kanalisieren das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit allerdings deutlich gemacht hat, ohne jedoch seinen Standpunkt aufzugeben - und auch unter keinen Umständen je bereit zu sein, ihn aufzugeben -, dass es und nicht der EuGH als einziges Gericht berechtigt ist, das Grundgesetz hinsichtlich von Grundrechtsfragen in Deutschland rechtsgültig auszulegen; oder die Rechtsprechung des EuGH könnte sich in einem weitgehenden sachlichen Gleichklang mit der beamtenrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die als zentraler Faktor auch mit auf dem Beamtenstreikverbot beruht, zu einer weitgehend gemeinsamen Linie verstärken, die es den deutschen Besoldungsgesetzgebern noch einmal erschweren dürfte, ihren konzertierten Verfassungsbruch sachlich weiterhin aufrechtzuerhalten.
In diesem Sinne war es gemeint, wenn ich gestern abschließend betont habe, dass nun mit dem EuGH ein weiterer Akteur die Besoldungsbühne betreten wird, womit mindestens weitere Facetten an diesem an Komplexität nicht armen Thema sichtbar werden dürften. Wenn sich der EuGH und das Bundesverfassungsgericht sachlich verständigen können, dürfte sich der Anruf des EuGH als positiv hinsichtlich des Interesses, zu einer wieder amtsangemessenen Alimentation in Deutschland zurückzukehren, herausstellen - und sofern diese sachliche Verständigung nicht zustandekäme, dürfte es hinsichtlich der nur politisch vollziehbaren Rückkehr zu einer amtsangemessenen Alimentation eher nicht einfacher werden. So oder so dürfte also damit gerechnet werden, dass der EuGH sich eher nicht um eine wirkliche Entscheidung herumdrücken wird - denn entweder wird er sich mit dem Bundesverfassungsgericht in zentralen Fragen als einheitlich (wieder-)finden, dann hätte er keinen Grund für eine flaue Entscheidung; oder er wird sich entsprechend hier nicht weitgehend einig mit dem Bundesverfassungsgericht (wieder-)finden, dann dürfte er erst recht kaum zu einer eher flauen Entscheidung gelangen, weil es dann gegenüber dem Bundesverfassungsgericht direkt oder indirekt auch (und gerade) um Kompetenzfragen gehen dürfte. Und schließlich könnte es zwischen EuGH und Bundesverfassungsgericht zu einem (sich ggf. über Bande herzustellenden) Formelkompromiss kommen, weil man den generellen Dissens an diesem Thema nicht vertiefen wollte, weil man es als so wenig relevant erachtete, dass es innerhalb des grundlegenden Dissens nicht die Bedeutung hätte, ihn weiter öffentlich auszutragen - dann wäre aber mindestens erwartbar, dass der EuGH die massive Unteralimentation der Richter in Hessen in deutlicher Art und Weise so benennen würde, da er hier mit dem Bundesverfassungsgericht d'accord gehen wird; hinsichtlich der Frage nach der Bedeutung dieser Unteralimentation dürfte sich dann der genannte Formelkompromiss herauskristallisieren - damit wäre dann aber weitgehend nur indirekt die Frage des zweiten Strangs ausgeklammert, nicht aber die des ersten: Denn der Formelkompromiss erstreckte sich dann offensichtlich auf diesen ersten Strang, also den, ob es im konkreten Fall als Grundrechtsverletzung zu werten wäre, wenn das Aufenthaltverbot und der Vollzug der Abschiebung unter den gegebenen Bedingungen vom VG als rechtens betrachtet werden dürften.
Nun gut, interessant wird die (Eil-)Entscheidung des EuGH auf jeden Fall. Denn es wäre erstaunlich, wenn er nicht hinsichtlich der sachlich gegebenen und vom Land Hessen auch freimütig eingeräumten massiven Unteralimentation der Richter in diesem und nächsten Jahr zu deutlichen Worten käme. Denn damit würde er die eigene sich in gefestigter Rechtsprechung herauskristallisierende Dogmatik zur richterlicher Unabhängigkeit torpedieren, was die sachliche Konsistenz zukünftiger Entscheidungen kaum erhöhen sollte. Daran könnte der EuGH kein Interesse haben. Ob die EuGH-Entscheidung den politischen Prozess der Überwindung des konzertierten Verfassungsbruchs mit verstärken wird, wird sich zeigen müssen - aber peinlich wird das, was der EuGH zur gegebenen und freimütog eingeräumten Unteralimentation in Hessen sagen wird, für das Land und ggf. für weitere Dienstherrn in Deutschland allemal. Sofern der EuGH dem Antrag folgt, im Sinne von Art. 107 EuGH-VerfO ein Eilvorabentscheidungsverfahren zu vollziehen, dürften wir die Antwort darüber hinaus schneller erhalten, als gerichtliche Entscheidungen in Deutschland zumeist benötigen. Schauen wir also mal, wohin die Reise geht. Interessant wird' allemal - und wirklich wirkungsvoll, sofern sich die beiden Gerichte auf weitgehend gleiche Sichtweisen verständigen könnten, könnte es auch werden.