Autor Thema: [Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 1563230 times)

VierBundeslaender

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4590 am: 11.08.2023 23:48 »
Sorry Leute, aber da ist doch was faul.

Wenn nicht R2, sondern A5 geklagt hätte, wäre positiv entschieden worden. Es kann nicht sein, dass ein A5 weniger kriegt als Sozialleistungen. Wenn parallel zur Klage dann ein A6 geklagt hätte mit dem Argument: „ich weiß, wie die A5-Klage ausgeht und sehe, dass der dann mehr kriegen wird als ich“, wäre dem wegen des Abstandsgebots auch Recht gegeben worden. Und so schaukelt sich das hoch, bis A16 und das ist doch R2? Die Kammer muss falsch liegen.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4591 am: 12.08.2023 08:00 »
Tatsächlich hat die Prüfung die konkrete Besoldungsgruppe zu betrachten, um die es in der Klage geht. Zugleich ist die Entscheidung in ihrem sachlichen Gehalt komplex begründet, sodass es offensichtlich einer umfassenden Betrachtung bedarf, um die Stichhaltigkeit der Begründung hinreichend in den Blick zu nehmen; verschiedene Thematiken sind hier ja nach der Veröffentlichung bereits in den Blick genommen worden. Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen und ganz sicherlich auch im Hinblick auf die mögliche Berufung geschehen. Denn der sachliche Gehalt der Entscheidungsbegründung erscheint auch mir nicht immer ganz schlüssig, was es differenziert nachzuweisen gilt. Was man dem VG nicht vorwerfen kann, ist, dass es keine umfassende und abwägende Begründung erstellt hat. Darin zeigt sich gleichfalls, wie aufwändig die gerichtliche Prüfung zu erfolgen hat; diesbezüglich darf man - denke ich - die Entscheidung als vorbildlich betrachten. Auf der anderen Seite erscheint mir die innere Sachlogik der Argumentation nicht immer schlüssig, was zu betrachten sicherlich ein paar Seiten benötigen wird. Insbesondere die Ausstrahlungswirkung des auch ab 2018 eklatant verletzten Mindestabstandsgebots sehe ich in der Entscheidung als nicht hinreichend ausgeleuchtet an. Umso wichtiger erscheint es, dass das Bundesverfassungsgericht in der anstehenden Entscheidung hier für Klarheit sorgt, also den inneren Zusammenhang der beiden Abstandsgebote noch weiter konkretisiert, wie das der leider erst nach der Entscheidung des VG erschienene aktuelle ZBR-Beitrag aus dem Juli versucht. Die Entscheidung sollte Ansporn sein, die Begründung der Klage hinsichtlich der möglichen Berufung weiter zu substantiieren, was sicherlich geschehen wird, denke ich.

Ozymandias

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4592 am: 12.08.2023 11:51 »
Das interessante ist ja, dass in den Verfahren für 2016 und 2017 bezüglich R1 ein Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht gemacht wurde.

https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=VG%20Berlin&Datum=16.06.2023&Aktenzeichen=26%20K%20128.23

VG Berlin, 16.06.2023 - 26 K 128.23



Knapp 10.000 Euro Fehlbetrag bei A5 sind dann wohl doch auch zu viel für R1. Da kapiere ich die Logik immer noch nicht ganz, aber die Rechtswissenschaft ist wie von mir öfter kritisiert auch keine exakte Wissenschaft. Es wird von einer Gesamtabwägung gesprochen, ist aber aus meiner Sicht eher eine fiskalische. 30% Fehlbetrag ist für Beamte mit A4 oder A5 ein gewaltiger Betrag und vermutlich ist hier auch sehr vieles verjährt.
A4 wurde in Berlin gerade wegen diesem Schlamassel auch mittlerweile abgeschafft.

Immerhin hat man jetzt schöne Tabellen vom Gericht, also von 2016 bis 2021 47.500 Euro zu wenig bekommen. Und vor 2016 war es nicht besser und nach 2021 fehlt immer noch was.  8)

Mir fällt gerade ein in 2 BvL 4/18 ging es ja auch um Berlin von 2009 bis 2015. In Rn 153 sind alle Fehlbeträge aufgelistet.

2009 7041
2010 7738
2011 8628
2012 9532
2013 9347
2014 9456
2015 9310

Von 2009 bis 2021 also nur 108.000 Euro zu wenig bekommen.  ::)

Übrigens haben Stuttmann und auch Swen für Berlin im Jahr 2020 einen höheren Fehlbetrag ermittelt, ca. 1-2k. Erst A11 Stufe 1 war in Berlin 2020 nicht von der Verletzung des Mindestabstandgebots betroffen, so hat es damals Stuttmann in seinem Aufsatz Besoldungsrevolution berechnet. Vor allem bei den Wohnkosten dürfte es eine gehörige Differenz geben. Berlin rechnet mit 1026 Euro Wohnkosten monatlich für das Jahr 2020. Daher dürfte die Differenz herkommen. Der Rest der Berechnung scheint im Rahmen zu liegen.

Man wird ohnehin wegen Prozedualisierungspflichten Berufung einlegen müssen. Man kann nur hoffen, dass die kommende Entscheidung des BVerfG in allen Belangen Klarheit schaffen wird.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4593 am: 12.08.2023 14:11 »
Eine der m.E. Hauptproblematiken der Entscheidung liegt ein weiteres Mal in der Länge der Verfahren, auf die das Bundesverfassungsgericht in Zukunft reagieren muss, unabhängig davon, dass es sachlich offensichtlich kaum anders möglich gewesen ist, nach 2012/2015 schnellere Verfahren vor dem und vom Bundesverfassungsgericht zu initiieren, was ich ja in der Vergangenheit hier mit einigen umfassenderen Darlegungen begründet habe. Unabhängig davon, dass die lange Verfahrendauer m.E. sachlich rechtfertigbar ist, sind die Gerichte m.E. als Folge der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG nun nur umso mehr dazu verpflichtet, die lange Verfahrensdauer in ihre Betrachtung sachgerecht mit einzubeziehen, sofern sie eine Auswirkung auf die Entscheidung haben - und genau das ist hier der Fall: Die lange Verfahrensdauer entfaltet im Prüfverfahren eine signifikante Bedeutung, was das VG auch erkennt, jedoch m.E. nicht hinreichend in seiner Entscheidungsfindung beachtet. Als Folge der nicht hinreichenden Beachtung der Verfahrenslänge kommt das VG für die Jahre ab 2018 zu einer m.E. sachlich nicht zu rechtfertigenden Entscheidung, was nachfolgend an einem der zentralen Stränge der Begründung aufgezeigt werden soll, ohne das hier bereits eine vollständige Analyse der gesamte Entscheidung präsentiert werden könnte.

Als eines der zentralen Hauptprobleme für den Entscheidungszeitraum ab 2018, zeigt sich heute als Folge der langen Verfahrensdauer, dass das Jahr 2003 aus dem Prüferverfahren ausscheidet (was das VG Berlin m.E. hinreichend zu berücksichtigen gehabt hätte, unabhängig von einer weiteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts; denn die nachfolgend entfaltete Problematik liegt m.E. sachlich auf der Hand). Betrachtet man die Entscheidung 26 K 245/23 (https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE235008240/part/L) über den Entscheidungszeitraum ab dem Jahr 2018, dann wird hier in der Rn. 85 festgehalten, dass im Jahr 2003 durch die Neuregelung der Sonderzahlungsregelung eine Besoldungskürzung um 5,56 % stattgefunden hat. Da dieser Prozentwert bis 2017 Teil der verpflichtenden Prüfung auf der ersten Prüfungsstufe ist, sind 2017 noch vier der fünf Parameter der ersten Prüfungsstufe verletzt, als mittelbare Folge kommt das VG in der Entscheidung 26 K 128/23 (https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE235008237) über den Entscheidungszeitraum 2016 bis 2017 zu dem Schluss, dass in beiden Jahren die Alimentation in der Besoldungsgruppe R 1 verfassungswidrig zu gering gewesen ist. Ab dem Jahr 2018 wird nun aber das Jahr 2003 zur Basis der Besoldungsprüfung, womit die in jenem Jahr vollzogene Besoldungskürzung aus dem Prüfhorizont verschwinden kann (jedoch m.E. nicht muss und es auch nicht darf). Die Folge zeigt sich in der Rn. 95 f. Denn sie zeigen in der Zusammenfassung den Besoldungsindex für den 15-jährigen Vergleichzeitraum, nachdem das Jahr 2003 nicht mehr Teil der unmittelbar vom VG zugrunde gelegten Reihe ist:

Besoldungsindex:
2004-2018: 27,75 %
2005-2019: 30,60 %
2006-2020: 36,22 %
2007-2021: 39,63 %

Der Besoldungsindex wird dann in der weiteren Prüfung zur Grundlage des Vergleichs mit den Tarifentwicklungen im und außerhalb des öffentlichen Diensts sowie mit der Entwicklung der Verbraucherpreise. Er ist das zentrale Prüfkritierium für die ersten drei Prüfparameter des bundesverfassungsgerichtlichen Prüfungshefts. Als Faustregel kann für alle jene, die nicht so tief in der Materie drinstecken, festgehalten werden: Je niedriger der Besoldungsindex, als desto wahrscheinlicher stellen sich im Ergebnis die ersten drei Prüfparameter auf der ersten Prüfungsstufe als verletzt dar (dieses Aussage ist eine sachliche Verkürzung, jedoch als Faustregel statthaft, um die nachfolgende Darlegung verständlich zu machen).

Als Folge der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung führt das VG verpflichtend eine Staffelprüfung durch, also betrachtet den fünfjährigen Zeitraum vor dem Jahr 2004, womit nun die Besoldungskürzung weiterhin im Betrachtungshorizont verbleibt, was genau auch der Zweck der entsprechenden bundesverfassungsgerichtlichen Direktiven ist. Nicht umsonst führt das Bundesverfassungsgericht in der Rn. 36 der aktuellen Entscheidunh aus (Hervorhebung durch ST.]: "Ausgehend vom verfahrensgegenständlichen Kalenderjahr ist die Betrachtung dabei auf den Zeitraum der zurückliegenden 15 Jahre zu erstrecken, um einerseits zufällige Ausschläge aufzufangen und andererseits eine methodische Vergleichbarkeit noch zu gewährleisten. Ergänzend ist gegebenenfalls für einen weiteren gleichlangen Zeitraum, der auch den Zeitraum der fünf Jahre vor Beginn des oben genannten 15-jährigen Betrachtungszeitraums abdeckt und sich mit diesem Zeitraum überlappt, eine Vergleichsberechnung durchzuführen. Durch eine derartige Staffelprüfung wird sichergestellt, dass etwaige statistische Ausreißer bereinigt werden."

Die Funktion der Staffelprüfung ist es also, etwaige statistische Ausreißer zu identifizieren. Denn der 15-jährige Betrachtungszeitraum garantiert in der Abfolge der jeweilig zu betrachtenden Jahre, dass der Besoldungsindex über die Jahre hinweg solange relativ ähnlich bleibt, solange es eben nicht innerhalb einer zeitlichen Reihe zu einer deutlichen und also signifikanten Veränderung kommt, wie sie die Besoldungskürzung um 5,56 % im Jahr 2003 darstellt. Das Ergebnis der Staffelprüfung fasst das VG in der Rn. 96 zusammen:

Besoldungsindex:
1999-2013: 14,13 %
2000-2014: 14,26 %
2001-2015: 17,69 %
2002-2016: 18,82 %

Das VG hätte nun m.E. die Staffelprüfung mit zur Grundlage der weiteren Argumentation machen müssen, denn der Unterschied zwischen dem Besoldungsindex im Jahr 2016 und dem des Jahres 2018 ist signifikant, wie auch das genannte Parallelverfahren für das Jahr 2017 in der Rn. 92 zeigt; hier wird ein Besoldungsindex in Höhe von 19,55 % bemessen. Das Ergebnis der jeweiligen Prüfung stellt sich also sowohl dem VG als auch uns wie folgt dar:

Besoldungsindex:
2002-2016: 18,82 %
2003-2017: 19,55 %
2004-2018: 27,75 %

Der deutliche Unterschied des Besoldungsindex zwischen der Zeit bis 2017 und der Zeit ab 2018 ist nun aber nicht darauf zurückzuführen, dass es im Jahr 2018 zu einer signifkanten Verbesserung der Besoldung gekommen wäre, sondern ist ein Problem des Prüfverfahrens, sofern man die Folgen der Staffelprüfung m.E. sachlich nicht ernst genug nimmt. Denn die Besoldungentwicklung in den Jahren 2016 bis 2018 hat sich wie folgt vollzogen (vgl. die Rn. 67 ff.):

Erhöhung der Grundgehaltssätze zum
01.08.2016 um 2,8 %
01.08.2017 um 2,6 %
01.06.2018 um 3,2 %

Während in der Entscheidung 26 K 128/23 nun dem Bundesverfassungsgericht für die Jahre 2016 und 2017 vom VG die Frage vorgelegt wird, ob die Grundgehaltssätze in jenen beiden Jahren mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar sind (vgl. in der Entscheidung den Tenor), geht man mittelbar auf Grundlage der m.E. nicht genügend beachteten Staffelprüfung in dem Verfahren 26 K 245/23 für die Jahre ab 2018 nun davon aus, dass die Besoldung der Berliner Richter und Staatsanwälte in der Besoldungsgruppe R 1 in den Jahren 2018 bis 2021 nicht verfassungswidrig zu niedrig bemessen war (vgl. dort den Leitsatz). Diese argumentative Diskrepanz ist m.E. sachlich nicht zu rechtfertigen, da sie Folge des Prüfverfahrens, nicht aber der tatsächlichen Besoldungsentwicklung ist.

Nicht umsonst wird in der Gesamtbetrachtung ab der Rn. 294 die argumentative Diskrepanz nicht genügend gewürdigt, sondern wird hier - m.E. die Problematiken argumentativ nicht hinreichend beachtend - nur ausgeführt (vgl. die Rn. 313):

"Unabhängig davon, ob die gesonderte Anwendung der ersten drei Parameter auf einen überlappenden gleichlangen, aber um fünf Jahre vorverlagerten Zeitraum tatsächlich Rückschlüsse auf die Amtsangemessenheit der Besoldung im – außerhalb dieses Zeitraums liegenden – jeweils streitgegenständlichen Kalenderjahr erlaubt, geben die Staffelprüfungen vorliegend jedenfalls keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung der Ergebnisse der ersten Prüfungsstufe. Ihnen können – ebenso wie den eingeholten Daten zu Tariflohn-, Nominallohn- und Verbraucherpreisentwicklung – keine Anhaltspunkte für relevante statistische Verzerrungen in den streitgegenständlichen Jahren entnommen werden (zur Funktion der Staffelprüfung, 'statistische Ausreißer' zu identifizieren, BVerfG, Beschl. v. 4.5.2020 – 2 BvL 4/18 –, juris, Rn. 36). Dass die Staffelprüfungen bei einzelnen Parametern teils zu Überschreitungen der Schwellenwerte führen, gebietet nicht bereits als solches die Ergebnisse der ersten Prüfungsstufe zu korrigieren. Die Überschreitung bzw. Unterschreitung der Grenzwerte eines Prüfungsparameters im Zeitraum der Staffelprüfung ist für die Annahme, dass der Parameter im streitgegenständlichen Jahr erfüllt bzw. nicht erfüllt wurde, kein notwendiges Kriterium (vgl. auch Jerxsen, Besoldungsfragen vor dem Bundesverfassungsgericht, in: Scheffczyk/Wolter, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2016, 343 (347)). Dies belegt die Anwendung der Staffelprüfung durch das Bundesverfassungsgericht selbst (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.5.2020 – 2 BvL 4/18 –, juris, Rn. 133, 137, 161ff., 167)."

Denn zwar führt die Darlegung berechtigt aus, dass die Staffelprüfung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kein notwendiges Kriterium dafür ist, dass das Ergebnis der ersten Prüfungsstufe automatisch zu korrigieren sei. Allerdings verfehlt eine nicht hinreichende Würdigung der Ergebnisse der Staffelprüfung meiner Meinung nach die Funktion des bundesverfassungsgerichtlichen Prüfungshefts. Denn es hat eine Orientierungsfunktion (vgl. in der aktuellen Entscheidung die Rn. 28 ff.) und soll darin den ggf. amtsangemessenen oder nicht amtsangemessenen Gehalt mit aufschließen, sodass es m.E. an der gerade zitierten Stelle der Entscheidung geboten gewesen wäre, den langen Zeitraum des Klageverfahrens und damit den Ausschluss des Jahres 2003 aus dem unmittelbaren 15-Jahres-Zeitraum zu gewichten. Es hätte hier also ein weiteres Mal darum gehen müssen, was das Bundesverfasungsgericht in der aktuellen Entscheidung in der Rn. 30 zusammenfasst:

"Die Parameter [der ersten Prüfungsstufe; ST.] sind weder dazu bestimmt noch geeignet, aus ihnen mit mathematischer Exaktheit eine Aussage darüber abzuleiten, welcher Betrag für eine verfassungsmäßige Besoldung erforderlich ist. Ein solches Verständnis würde die methodische Zielrichtung der Besoldungsrechtsprechung des Senats verkennen."

Nun kann man dem VG nicht den Vorwurf machen, dass es ein rein mathematisches Vorgehen vollzogen hätte. Denn das hat es nicht und die eigene Prüfung wird umfassend, abwägend und tiefgehend begründet. Allerdings bleibt dennoch die Frage, wieso eine 2017 noch als evident verfassungswidrig betrachtete Besoldung 2018 verfassungskonform sein soll, obgleich es in diesem Zeitraum zu keiner hinreichend signifikanten Änderung der Besoldungssystematik und der Besoldungshöhe gekommen ist. Nicht umsonst hat das VG für die Jahre 2016 und 2017 in der Gesamtbetrachtung der Entscheidung 26 K 128/23 ab der Rn. 278 festgehalten (vgl. dort die Rn. 294 f.):

"In den Jahren 2016 und 2017 waren bei Spitzausrechnung jeweils vier Parameter der ersten Prüfungsstufe erfüllt. Dabei wurden die Grenzwerte teils erheblich überschritten. Die Verletzung des Mindestabstandsgebots ist bei einer Unterschreitung der gebotenen Mindestalimentation um 28,36 % bzw. 26,25 % in 2016 und 2017 evident (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.5.2020 – 2 BvL 4/18 –, juris, Rn. 162, wo es einen Fehlbetrag von 24 % als 'deutliche Missachtung' des Mindestabstandsgebots einordnete). Besonders ins Gewicht fällt zudem der große Abstand von der Besoldung zur Tariflohnentwicklung. Dieser beträgt 8,27 % (2016) bzw. 9,76 % (2017) bzw. bei Spitzausrechnung der Besoldungsentwicklung 11,00 % (2016) und 12,25 % (2017). In diesem Kriterium erblickt das Bundesverfassungsgericht 'ein wichtiges Indiz für eine evidente Missachtung des Alimentationsgebotes' und hebt dessen Bedeutung innerhalb der Prüfungsparameter auf der ersten Stufe besonders hervor, da es neben der allgemeinen ökonomischen Entwicklung auch – anders als der zweite und dritte Prüfungsparameter – die spezifische wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte widerspiegelt, an denen Richter und Staatsanwälte angemessen zu beteiligen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.5.2020 – 2 BvL 4/18 –, juris, Rn. 34; zur besonderen Bedeutung dieses Parameters auch Jerxsen, Besoldungsfragen vor dem Bundesverfassungsgericht, in: Scheffczyk/Wolter, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2016, 343 (346f.)). Auch das weite Organisationsermessen des Dienstherrn bei einer Verbeamtung hebt die Bedeutung des Vergleichs der Besoldungsentwicklung der Beamten mit den Tarifabschlüssen im öffentlichen Dienst hervor: Da der Dienstherr regelmäßig die Wahl hat, eine Stelle mit Beamten oder Tarifangestellten zu besetzen, ist es besonders erklärungsbedürftig, sofern sich deren Einkommen unterschiedlich entwickeln (vgl. Leisner-Egensperger, NVwZ 2019, 425 (430)). Das Bundesverwaltungsgericht misst diesem Parameter ebenfalls einen besonderen Stellenwert zu und sieht bereits in einer Überschreitung von 7,73 % eine 'sehr deutliche' Differenz (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.9.2017 – 2 C 56.16 –, juris, Rn. 55). Auch der Berliner Besoldungsgesetzgeber betont, dass eine Anpassung der Besoldung 'insbesondere unter Berücksichtigung der sonstigen Einkommensentwicklung im öffentlichen Dienst' erfolgen müsse, was abermals den Stellenwert der Differenz von Besoldungs- zu Tariflohnlohnentwicklung im öffentlichen Dienst hervorhebt (vgl. Begründung zum BerlBVAnpG 2016 in AbgH-Drs. 17/2934 v. 24.5.2016, S. 2).

Zudem zeigt der systemexterne Besoldungsvergleich, dass die Berliner R 1-Bruttobesoldung in der Endstufe in den Jahren 2016 und 2017 zwar die Schwellenwerte des 5. Parameters nicht überschritt, jedoch jeweils knapp 5 % – und damit deutlich – unterhalb des Bundesdurchschnitts lag."

Denn die hier genannten sachlichen Problematiken sind ab dem Jahr 2018 zum Teil eben nicht mehr zu finden, weil sie eher mathematisierend und also ohne Beachtung der Staffelprüfung nicht nachweisbar sind, sie zeigen sich aber in der Staffelprüfung auch mathematisch weiterhin und sind darüber hinaus sachlich 2018 nicht aus der Welt geschaffen worden, sondern haben - da es zwischen den Jahren 2017 und 2018 zu m.E. keiner hinreichend signifikanten Veränderung der Besoldungssystematik und Besoldungshöhe gekommen ist - weiterhin ihre Wirkung entfaltet. Entsprechend hätten sie m.E. sachlich in die Gesamtbetrachtung mit einfließen müssen, so wie das eben in der Kontinuität der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung über die Jahre 2009 bis 2016 sowie des VG für die Jahre 2016 bis 2017 ebenfalls geschehen ist. Eine andere sachlogische Lösung der Problematik kann ich jedenfalls nicht erkennen. Denn wenn die genannte Besoldungskürzung um 5,56 % nicht im Jahr 2003, sondern im Jahr 2004 erfolgt wäre, dann hätte das in der Logik des VG offensichtlich zu dem Ergebnis geführt, dass es auch für das Jahr 2018 einen Vorlagebeschluss gefasst hätte (so wie es das auch noch für das Jahr 2017 getan hat). Nun kann aber der amtsangemessene oder nicht amtsangemessene Gehalt der 2017 oder 2018 gewährten Alimentation sachlich nicht davon abhängen, ob nun eine signifikante Besoldungskürzung im Jahr 2003 oder 2004 vollzogen worden ist, da diese für den Zeitraum 2017 oder 2018 keine sachlich unmittelbare, sondern eine ausschließliche Bedeutung nur für das Prüfungsverfahren hat, eben als ein mathematischer Wert.

Hier liegt nun ein zentraler Strang vor, weshalb die sachliche Argumentation des VG m.E. nicht überzeugt, dass die Grundgehaltssätze ab dem Jahr 2018 amtsangemessen gewesen sein sollen. Obgleich das VG eine umfassende, differenzierende und abwägende Entscheidung trifft, bleibt diese m.E. an einer ihrer zenralen Stellen sachlich unschattiert, erkennt sie also nicht, dass als Folge der Staffelprüfung (und des Parallelverfahrens) eine sachlich deutlich tiefergehende Betrachtung des Prüferverfahrens ab dem Jahr 2018 hätte erfolgen müssen. Nicht umsonst zeigt die lange Reihe aller Entscheidungsdaten für das Jahr 2018 einen deutliche Kontinuitätsbruch, der offensichtlich auf einen statistischen Ausreißer hinweist. Entsprechend hätte tiefergehend geklärt werden müssen, ob und wo die Zahlenwerte auf materiell-rechtliche und ob und wo sie auf indizielle Problematiken hinweisen:

Besoldungsindex:
1999-2013: 14,13 %
2000-2014: 14,26 %
2001-2015: 17,69 %
2002-2016: 18,82 %
2003-2017: 19,55 %

2004-2018: 27,75 %
2005-2019: 30,60 %
2006-2020: 36,22 %
2007-2021: 39,63 %

lotsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4594 am: 12.08.2023 16:30 »
Wenn man jetzt die Bürgergeldfamilie mit der Beamtenfamilie vergleicht, was soll man dann noch raten? Bleib lieber gleich daheim, du bekommst dann mehr Bürgergeld als Besoldung. Denk lieber darüber nach, ob du dir noch ein Kind anschaffst, da hast du mehr davon und Spaß machts auch noch. Außerdem wurden auch noch die Hinzuverdienste erhöht, du und deine Frau kannst also offiziell noch weiteres Geld dazuverdienen, wenn du um die Ecke bei Aldi noch ein paar Stunden Regale einräumst. Selbst die Fahrtkosten zur Arbeit werden zusätzlich erstattet. Ihr könnt auch zu Hause bleiben und ein wenig Vereinsarbeit machen, da darf dann jeder Ehepartner 3000,00 € im Jahr ohne Anrechnung aufs Bürgergeld hinzuverdienen. Und inoffiziell darfst du dich halt nicht erwischen lassen.

Und was kann man der Beamtenfamilie raten? Du kannst ja mal aufs Amt gehen, vielleicht kannst du ja aufstocken. Es ist aber nicht sicher, ob dir noch zusätzliche soziale Leistungen zustehen, versuch es halt mal. Der Beamtenfamilie ab A 11 kann man sagen, eigentlich darf der Abstand zwischen den Besoldungsgruppen nicht abgeschmolzen werden, aber durch die Entscheidungen der Gerichte wird das trotzdem geduldet, weil ihr ja noch nicht direkt von der Unterschreitung der Mindestalimentation betroffen seid.


Paterlexx

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4595 am: 12.08.2023 17:46 »
Wenn doch die Tabellen für die Berechnung der Besoldung von Hamburg von der Behörde/Senat selbst kommt, dann erschließt sich mir nicht, wieso überhaupt noch verhandelt wird. Mehr kann man nicht erwarten. Die Berechnung ist nicht nur Analog zum Richterbund sondern auch zum Verfassungsgerichtsurteil der erstes Instanz.

Oder hat das Landesverwaltungsgericht deswegen das Verfahren auf Eis gelegt?

BVerfGBeliever

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4596 am: 12.08.2023 20:17 »
Der Beamtenfamilie ab A 11 kann man sagen, eigentlich darf der Abstand zwischen den Besoldungsgruppen nicht abgeschmolzen werden, aber durch die Entscheidungen der Gerichte wird das trotzdem geduldet, weil ihr ja noch nicht direkt von der Unterschreitung der Mindestalimentation betroffen seid.

Nach meinem Verständnis ist diesbezüglich ja unter anderem der vierte Prüfparameter relevant.
Das VG Berlin schreibt in seinem Urteil zur R2-Besoldung (26 K 246/23) Folgendes:

1.) In den Randnummern 181-192 vergleicht es den Abstand zwischen A4/A5 und R2 und kommt zum Ergebnis, dass dieser im betrachteten Zeitraum weitgehend unverändert blieb.
2.) In den Randnummern 193-287 rechnet es anschließend vor, dass das Mindestabstandsgebot in der untersten Besoldungsgruppe (A4/A5) in allen betrachteten Jahren klar verletzt wurde.
3.) In Randnummer 323 behauptet es schließlich lapidar, dass diese Mindestabstandsgebot-Verletzung (in A4/A5) keinerlei Relevanz für die R2-Besoldung habe.

Aus meiner Sicht hätte es jedoch mindestens auch einen Vergleich zwischen einer fiktiven A4/A5-Besoldung (die hoch genug ist, um nicht mehr das Mindestabstandsgebot zu verletzen) und der R2-Besoldung durchführen müssen!

So hat es zumindest das OVG Berlin-Brandenburg in seinem Urteil 4 B 37.12 in den Randnummern 109-110 getan.
(siehe https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE160017516)

VierBundeslaender

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4597 am: 12.08.2023 23:44 »
„Denn wenn die genannte Besoldungskürzung um 5,56 % nicht im Jahr 2003, sondern im Jahr 2004 erfolgt wäre, dann hätte das in der Logik des VG offensichtlich zu dem Ergebnis geführt, dass es auch für das Jahr 2018 einen Vorlagebeschluss gefasst hätte (so wie es das auch noch für das Jahr 2017 getan hat)“

Sehr schön - daran sieht man, wo das VG falsch liegt. Wieso dort aber so stur formal argumentiert wurde, erschließt sich mir nicht. Das wird doch kassiert, das müssen die doch auch geahnt haben.

cyrix42

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4598 am: 13.08.2023 00:10 »
Ich finde es ja immer wieder amüsant, wie hier fast alle mit ihrem juristischen Laienverstand es besser wissen als die Damen und Herren höherer juristischer Weihen, die tatsächlich zu entscheiden haben… :)

Verwaltungsgedöns

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4599 am: 13.08.2023 00:19 »
"Hier irrt der BGH..."  ;D

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4600 am: 13.08.2023 00:27 »
Der Beamtenfamilie ab A 11 kann man sagen, eigentlich darf der Abstand zwischen den Besoldungsgruppen nicht abgeschmolzen werden, aber durch die Entscheidungen der Gerichte wird das trotzdem geduldet, weil ihr ja noch nicht direkt von der Unterschreitung der Mindestalimentation betroffen seid.

Nach meinem Verständnis ist diesbezüglich ja unter anderem der vierte Prüfparameter relevant.
Das VG Berlin schreibt in seinem Urteil zur R2-Besoldung (26 K 246/23) Folgendes:

1.) In den Randnummern 181-192 vergleicht es den Abstand zwischen A4/A5 und R2 und kommt zum Ergebnis, dass dieser im betrachteten Zeitraum weitgehend unverändert blieb.
2.) In den Randnummern 193-287 rechnet es anschließend vor, dass das Mindestabstandsgebot in der untersten Besoldungsgruppe (A4/A5) in allen betrachteten Jahren klar verletzt wurde.
3.) In Randnummer 323 behauptet es schließlich lapidar, dass diese Mindestabstandsgebot-Verletzung (in A4/A5) keinerlei Relevanz für die R2-Besoldung habe.

Aus meiner Sicht hätte es jedoch mindestens auch einen Vergleich zwischen einer fiktiven A4/A5-Besoldung (die hoch genug ist, um nicht mehr das Mindestabstandsgebot zu verletzen) und der R2-Besoldung durchführen müssen!

So hat es zumindest das OVG Berlin-Brandenburg in seinem Urteil 4 B 37.12 in den Randnummern 109-110 getan.
(siehe https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE160017516)

Hier hätte bspw. eine Methodik vorgelegen, anhand derer die Prüfung, so wie Du das ausführst, BVerfGBeliever, hätte sachgerecht vertieft werden können. Gleichfalls hätte die vom Bundesverfassungsgericht unlängst in das Prüfungsheft eingeführte Mindestbesoldung anhand des ZBR-Beitrags aus dem Jahr 2022 herangezogen werden können, insbesondere, da der Beitrag, auf den das VG verschiedentlich zurückkommt, die Methodik am Beispiel der Berliner Besoldung exemplifiziert, sodass sie weitgehend ohne weiteren Aufwand hätte herangezogen werden können. Das wäre eine zweite diskutierbare Methodik gewesen, mit der die m.E. verletzte Besoldungssystematik hätte weiter aufgeschlossen werden können; denn dass die Besoldungssystematik verletzt ist, ergibt sich offensichtlich zwingend aus der eklatanten Verletzung des Mindestabstandsgebots, die das VG in der Entscheidung 26 K 245/23 (https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE235008240/part/L) ab der Rn. 189 ff. mit dem entsprechenden Ergebnis in der Rn. 282 differenziert nachweist. Darüber hinaus hätte es ebenso der Entscheidung des VGH Hessen vom 30.11.2021 - 1 A 2704/20 -, S. 64 ff. i.V.m. S. 38 ff. folgen können (https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/jportal/recherche3doc/Hessischer_Verwaltungsgerichtshof_1_A_2704-20_LARE220002134.pdf?json=%7B%22format%22%3A%22pdf%22%2C%22docPart%22%3A%22L%22%2C%22docId%22%3A%22LARE220002134%22%2C%22portalId%22%3A%22bshe%22%7D&_=%2FHessischer_Verwaltungsgerichtshof_1_A_2704-20_LARE220002134.pdf), der die Alimentation der Besoldungsgruppe W 2 geprüft hat und auf Grundlage der hier entworfenen Methodik zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Besoldungsgruppen A 15 und W 2 auf Grundlage der eklatanten Verletzung des Mindestabstandsgebots nicht amtsangemessen sein können, auch wenn die beiden genannten Besoldungsgruppen weder direkt von der Verletzung betroffen sind und damit hier nicht der absolute, sondern nur der relative Alimentationsschutz hinreichend verletzt worden ist. Hier wird eine dritte Methodik entworfen, um den Verletzungsgrad der Besoldungssystematik weiter aufzuschließen. Alle drei Methoden hätten mit hoher Wahrscheinlichkeit gezeigt, dass eine umfassende Verletzung der Besoldungssystematik auch in den Jahren 2018 bis 2021 vorgelegen hat.

All das unterlässt das VG aber, was m.E. zu der an einer zentralen Stellen sachlich unschattierten Argumentation führt, wie ich sie vorhin herausgearbeitet habe. Als Ergebnis bleibt die Ansicht, dass die Besoldungssystematik trotz der eklatanten Verletzung des Mindestabstandsgebots nicht verletzt sei, wie sie das VG in der Entscheidung wiederholt (vgl. ebd., Rn. 28 und 172), unschattiert, weil sie zuvor nicht methodisch überprüft wird, obgleich das VG die diesbezüglich grundlegende Direktive des Bundesverfassungsgerichts selbst in der Rn. 176 hervorhebt, wenn es hier ausführt:

"Daneben besteht eine Indizwirkung für eine verfassungswidrige Unteralimentation, wenn die Besoldung in der untersten Besoldungsgruppe den gebotenen Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau nicht wahrt, so dass der qualitative Unterschied zwischen der Grundsicherung als staatlicher Sozialleistung und der erwerbstätigen Richtern und Beamten gewährten Besoldung nicht mehr hinreichend erkennbar wird (BVerfG, Beschl. v. 4.5.2020 – 2 BvL 4/18 –, juris, Rn. 46f.). Eine Verletzung des Mindestabstandsgebots betrifft damit den Ausgangspunkt des gestaffelten Besoldungsgefüges und hat somit auch für die Beurteilung der amtsangemessenen Besoldung höherer Besoldungsgruppen indizielle Bedeutung (BVerfG, Beschl. v. 4.5.2020 – 2 BvL 4/18 –, juris, Rn. 48f.). Dieser Mindestabstand wird unterschritten, wenn die Nettoalimentation in der untersten Besoldungsgruppe um weniger als 15 % über dem Grundsicherungsniveau liegt (sog. Mindestabstandsgebot; BVerfG, Beschl. v. 4.5.2020 – 2 BvL 4/18 –, juris, Rn. 47 m.w.N. [...])".

Hierbei bleibt schließlich insbesondere die Zusammenfassung in der Rn. 319 unklar, da spätestens hier m.E. ein weiterer Aufschluss der Folge einer eklatanten Verletzung des Mindestabstandsgebots notwendig gewesen wäre. Nicht umsonst kann die hier vorgenommene Argumentation, der Besoldungsgesetzgeber hätte in der Vergangenheit über einen weiten Entscheidungsspielraum verfügt, um der Verletzung des Mindestabstandsgebots hinreichend zu begegnen, ohne die Grundgehaltssätze anzuheben, m.E. sachlich nicht überzeugen. Denn diese Ansicht ist für sich genommen zukunftsorientiert sachlich richtig. Allerdings hat die gerichtliche Prüfung nicht die vom Gesetzgeber in der Vergangenheit nicht vollzogenen Möglichkeiten zu prüfen, sondern es hat die von ihm vollzogenen Entscheidungen zu prüfen. Wenn also das VG an der genannten Stelle hervorhebt: "Es bestehen für den Besoldungsgesetzgeber verschiedene Möglichkeiten, seiner Verletzung entgegenzuwirken, die nicht zwingend eine Veränderung der Grundgehaltssätze voraussetzen – z.B. durch Anhebung des Bemessungssatzes der Beihilfe, Erhöhung der Familienzuschläge oder ein Wohngeldmodell", dann ist das zukunftsorientiert sachlich richtig - allerdings hat der Gesetzgeber in der Vergangenheit keine dieser Alternativen in der Norm umgesetzt, sodass sie nicht Teil der Prüfung sein können. Auch darin zeigt sich der m.E. hier argumentativ unschattierte Gehalt der Entscheidungsbegründung des VG.

Denn da der Gesetzgeber in der zu prüfenden Norm keine der genannten Möglichkeiten umgesetzt hat, das Mindestabstandsgebot hingegen im gesamten Betrachtungszeitraum deutlich bis eklatant verletzt ist, wäre es nun m.E. Aufgabe des VG gewesen, den Verletzungsgrad systematisch zu betrachten, wozu ihm mindestens die o.g. drei Methodiken zur Verfügung gestanden hätten. Ohne eine solche Prüfung bleibt es aber m.E. weitgehend eher ein Postulat, wenn das VG in der genannten Rn. 319 im Anschluss an der berechtigten Benennung des verletzten Mindestabstandsgebots betont:

"Die Überschreitung des Mindestabstandsgebots fiel hingegen klar aus (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.5.2020 – 2 BvL 4/18 –, juris, Rn. 162, wo es einen Fehlbetrag von 24 % als „deutliche Missachtung“ des Mindestabstandsgebots einordnete), jedoch z.B. niedriger als in den Jahren 2016 und 2017 (vgl. Beschluss der Kammer v. 16.6.2023 – 26 K 128/23 –). Zudem nahm der Fehlbetrag des Nettoalimentationsniveaus im Verhältnis zum Mindestalimentationsniveau mit jedem Jahr – von 23,08 % der Nettoalimentation in 2018 zu 11,15 % in 2021 – sukzessive ab. Weiter gilt es zu beachten, dass eine Verletzung des Mindestabstandsgebots zwar das gesamte Besoldungsgefüge betrifft, da dieses entsprechend der Wertigkeit der Ämter zwingend eine gestufte Staffelung voraussetzt, jedoch führt sie für höhere Besoldungsgruppen – die den Mindestabstand selbst wahren – nicht bereits für sich genommen zu einem Verstoß gegen das Alimentationsprinzip oder einer Vermutung der Verfassungswidrigkeit der Besoldung: Die Verletzung des Mindestabstandsgebots bei einer niedrigeren als der streitgegenständlichen Besoldungsgruppe bleibt – neben den anderen Parametern der ersten Prüfungsstufe – ein bloßes Indiz für die unzureichende Ausgestaltung höherer Besoldungsgruppen, das mit dem ihm nach den Umständen des Falles zukommenden Gewicht in die Gesamtabwägung einzustellen ist (BVerfG, Beschl. v. 4.5.2020 – 2 BvL 4/18 –, juris, Rn. 48f.). Zwar stellt allein das Mindestabstandsgebot eine 'absolute' Untergrenze der Alimentation dar, während die anderen Parameter stets nur die relativen Veränderungen der Besoldung im Verhältnis zu den jeweiligen Vergleichskriterien abbilden. Die Parameter der ersten Prüfungsstufe bilden aber in ausgewogener Weise gerade unterschiedliche Dimensionen der Besoldungsgerechtigkeit ab, so dass sie stets in einer Gesamtschau zu betrachten und nicht in ein strenges qualitatives Stufenverhältnis einzuordnen sind (vgl. Tepke/Becker, ZBR 2022, 145 (146)). Zudem betrifft das Mindestabstandsgebot nur den Ausgangspunkt der Besoldungsstaffelung. Es bestehen für den Besoldungsgesetzgeber verschiedene Möglichkeiten, seiner Verletzung entgegenzuwirken, die nicht zwingend eine Veränderung der Grundgehaltssätze voraussetzen – z.B. durch Anhebung des Bemessungssatzes der Beihilfe, Erhöhung der Familienzuschläge oder ein Wohngeldmodell (vgl. auch BVerfG, Urt. v. 5.5.2015 – 2 BvL 17/09 u.a. –, juris, Rn. 94; entsprechend zur beschränkten Direktivkraft des Mindestabstandsgebots Leisner-Egensperger, NVwZ 2019, 425 (429); zur Reaktion der Landesgesetzgeber auf die alimentationsrechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Mindestabstandsgebot Färber, ZBR 2023, 73)."

Denn so wird die Begründung der Ansicht, dass die Verletzung der höheren Besoldungsgruppen auszuschließen ist, weitgehend auf Basis der vorhin betrachteten und m.E. nicht hinreichenden Beachtung der langen Verfahrensdauer vorgenommen, die aber - wie in meinem vorherigen Beitrag gezeigt - offensichtlich sachlich nicht zu überzeugen mag. Entsprechend fährt die Gesamtabwägung in der Rn. 320 fort:

"Insbesondere fällt in den Augen der Kammer in der Gesamtabwägung weiter ins Gewicht, dass die Schwellenwerte der ersten drei Parameter zwischen 2018 und 2021 stets deutlich unterschritten wurden. Dies gilt selbst bei Spitzausrechnung der Besoldungsentwicklung und insbesondere auch für den besonders aussagekräftigen (vgl. im Folgenden) Abstand der Besoldungs- zur Tariflohnentwicklung. Dem Schwellenwert am nächsten kommt der Abstand zur Tariflohnentwicklung in 2018, der aber mit 2,67 % (ohne Spitzausrechnung) bzw. 3,49 % (mit Spitzausrechnung) weiterhin klar unterhalb Grenze der Indizwirkung für eine Unteralimentation liegt. Dabei fielen die Ergebnisse selbst bei einer Spitzausrechnung der Besoldungsentwicklung weiterhin so deutlich aus, obwohl eine solche nicht zugleich hinsichtlich der Tariflohnentwicklung vorgenommen wurde, also auch die mitunter vorkommenden unterjährigen Tarifanpassungen (z.B. im Jahr 2004, vgl. Bochmann, ZTR 2011, S. 459) so behandelt wurden, als ob sie für das gesamte Besoldungsjahr gelten würden".

Denn wie vorhin gezeigt, vermittelt die Staffelprüfung innerhalb der sachlichen Argumentation ein offensichtlich anderes Bild, sodass es m.E. nun die Aufgabe des VG gewesen wäre, den tatsächlichen Verletzungsgrad der Besoldungssystematik methodisch weiter aufzuschließen, um diesen Aufschluss unter Beachtung auch der Staffelprüfung und der an ihr ersichtlichen Problematik der Indizienlage zu einem schattierteren Ergebnis zu führen, als es das am Ende in der Gesamtabwägung vollzieht. In diesem Zusammenhang wäre dann auch noch weitere sachliche Problematiken zu beachten, die hier heute in Anbetracht der Uhrzeit nicht weiter betrachtet werden können.

lotsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4601 am: 13.08.2023 09:37 »
Eine einfache Betrachtung zeigt doch, dass durch das VG-Urteil die Abstände bei den höheren Bes.Gr. abgeschmolzen werden. Wie wir alle wissen, muss der Gesetzgeber und die Exekutive nur die höchstrichterliche Rechtsprechung beachten. Wenn das Urteil aber so vom BVerfG gesprochen worden wäre, könnte der Gesetzgeber in einem Reparaturgesetz nur jene Bes.Gr. anheben die direkt von der eklatanten Unterschreitung der Mindestalimentation betroffen sind, sagen wir mal bis zur Bes.Gr. A 10. Der Unterschied zur Bes.Gr. A 11 würde dann extrem zusammen schrumpfen. Das ist jetzt nur mal so eine Überlegung aus der hohlen Hand heraus.

Versuch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4602 am: 13.08.2023 10:03 »
Eine einfache Betrachtung zeigt doch, dass durch das VG-Urteil die Abstände bei den höheren Bes.Gr. abgeschmolzen werden. Wie wir alle wissen, muss der Gesetzgeber und die Exekutive nur die höchstrichterliche Rechtsprechung beachten. Wenn das Urteil aber so vom BVerfG gesprochen worden wäre, könnte der Gesetzgeber in einem Reparaturgesetz nur jene Bes.Gr. anheben die direkt von der eklatanten Unterschreitung der Mindestalimentation betroffen sind, sagen wir mal bis zur Bes.Gr. A 10. Der Unterschied zur Bes.Gr. A 11 würde dann extrem zusammen schrumpfen. Das ist jetzt nur mal so eine Überlegung aus der hohlen Hand heraus.

So hat es BW dich gemacht

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4603 am: 13.08.2023 10:21 »
Der Gedankengang ist zwar allgemein, aber in sich schlüssig, lotsch. Nicht umsonst betrachtet das Bundesverfassungsgericht in seiner aktuellen Entscheidung, die die Besoldungsgruppen R 1 und R 2 für die Jahre 2009 bis 2015, und die Besoldungsgruppe R 3 für das Jahr 2015 betrachtet, die Grundgehaltssätze der gesamten Besoldungsordnung R als evident verletzt und also verfassungswidrig. Zu dem gleichen Ergebnis kommt das VG hinsichtlich der Jahre 2016 und 2017. Das Bundesverfassungsgericht ist dabei zu folgendem prozentualen Fehlbetrag zwischen der Mindest- und der gewährten Nettoalimentation im Betrachtungszeitraum gekommen (vgl. die Rn. 153 f. der aktuellen Entscheidung):

2009: rd. 24 %
2010: rd. 26 %
2011: rd. 28 %
2012: rd. 29 %
2013: rd. 29 %
2014: rd. 29 %
2015: rd. 28 %

Das VG kommt in den beiden genannten Entscheidungen für die Jahre 2016 und 2017 (Rn. 267 der Entscheidung 26 K 128/23) und 2018 bis 2021 (Rn. 282 der Entscheidung 26 K 245/23) zu folgenden prozentualen Fehlbeträgen:

2016: 28,36 %
2017: 26,25 %
2018: 23,08 %
2019: 22,18 %
2020: 21,08 %
2021: 11,15 %

Unabhängig davon, dass auch die über weite Strecken schlüssig Bemessungmethodik der VG hinsichtlich der kalten Unterkunftskosten innerhalb der Gesamtargumentation zu diskutieren wäre, liegt bis auf das Jahr 2021 eine eklatante Verletzung des Mindestabstandsgebots vor, die sich in den Jahren 2018 bis 2020 in etwa auf dem Niveau befindet, das das Bundesverfassungsgericht für das Jahr 2009 konstatiert hat (die Problematik des Jahres 2021 muss gleichfalls noch einmal gesondert betrachtet werden, allein schon, weil die Gesetzgebung eine massive Erhöhung der familienbezogenen Besoldungskomponenten vorgenommen hat, die in ihrem sachlichen Gehalt in Zweifel zu ziehen ist). In Anbetracht der Tatsache, dass sich damit die Besoldungsordnung A zumindest bis mindestens 2020 bis in die Besoldungsgruppen des gehobenen Diensts hinein als verletzt erweist, kann es, wie die drei in meinem letzten Beitrag genannten Methodiken zeigen, vergangenheitsbezogen nicht zu einer Anhebung des gesamten Besoldungsniveaus in den unteren Besoldungsgruppen kommen, ohne dass davon nicht auch die höheren Besoldungsgruppen betroffen sein könnten. Denn das würde im Ergebnis das Abstandsgebot zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen verletzen, eben weil der jeweilige Fehlbetrag deutlich zu groß ist. Da das VG keine der drei Methoden zum Aufschluss des Verletzungsgrads der Besoldungssystematik heranzieht, bleibt ihm - wie gezeigt - der Aufschluss der Verletzung verschlossen, worin sich hier der genannten unschattierte Gehalt der Begründung zeigt.

Ozymandias

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4604 am: 13.08.2023 12:23 »
Ich finde es ja immer wieder amüsant, wie hier fast alle mit ihrem juristischen Laienverstand es besser wissen als die Damen und Herren höherer juristischer Weihen, die tatsächlich zu entscheiden haben… :)

Beim Beschluss 2 BvL 4/18 lief es aber auch so. VG und OVG haben geurteilt, dass alles paletti ist. BVerwG hat es dem BVerfG vorgelegt und schuwpps, dann gab es den Salat.

Auch beim Dieselzeugs geht es ständig die Instanzen rauf und runter. Nur weil man ein Urteil in der Hand hat, heißt es nicht, dass es richtig ist.