@ Unterbezahlt
Es ist zugleich, wie Du schreibst. Interessant wird es sein, wie der Bund am Ende des Jahres agieren wird. Er wird die Messlatte legen, wie es zukünftig weitergeht. Deshalb genau müssten jetzt die Gewerkschaften und Verbände – auch mit Blick auf die Bundestagswahl – ihn und auch die weiteren Besoldungsgesetzgeber wiederkehrend an die Rechtslage erinnern, insbesondere mit Blick auf die Glaubwürdigkeit der politischen Verantwortungsträger. Die wiederkehrend zu stellende Frage wäre beispielsweise, wie glaubwürdig politische Versprechungen jener generell wären, wenn sie mehr als ein Jahrzehnt verfassungswidrig handelten und das, wenn es rechtskräftig beschieden ist, nicht änderten (sofern sie es nicht änderten).
Daran sollten die Gewerkschaften und Verbände die Bundesregierung und die Bundestagsparteien jetzt vor der Verabschiedung eines neuen Besoldungsanpassungsgesetzes erinnern und dabei zugleich klar machen, dass man sie auch nach der Verabschiedung, aber vor der Bundestagswahl an ihrem aktuellen Verhalten messen und das auch wiederkehrend öffentlich kundtun wird. Der Souverän wird ganz sicherlich vor einer wichtigen Wahl erfahren wollen, welche Parteien rechtstreu sind und welche sich eventuell lieber in anderen geografischen Gefilden verorten würden. Das wäre meiner Meinung nach verantwortliche Gewerkschaftspolitik – und da nicht wenig von uns Gewerkschaftsmitglied sind, sollte man sie jetzt auch daran erinnern, weshalb man Mitglied ist.
Und zugleich ist das Positive an den Antworten, dass der Senat nun immerhin schon einmal die Höhe der aus der Vergangenheit herrührenden und in die Zukunft fortwirkenden Ansprüche anerkennt: Die Senatsverwaltung erkennt folglch an, dass die Nettoalimentation bis 2015 mindestens 24 % hinter der aus dem Grundsicherungsniveau abgeleiteten Mindestalimentation zurückbleibt, also um deutlich mehr als 30 % erhöht werden muss. Diese Messlatte gilt: über ein Drittel Nettoaimentationssteigerung in jenem Zeitraum. Daran kann man sie politisch nun immer wieder erinnern, wenn das nötig ist – und das auch im Hinblick darauf, dass die Berliner Besoldungserhöhungen zwischen 2016 und 2018 wegen der Zeitverzögerung der Anpassung zum August des jeweiligen Jahres durchgehend weiterhin unterdurchschnittlich gewesen sind.
Der Wert der anstehenden Nettosteigerung dürfte sich folglich bis heute eher noch vergrößert haben und eher gen 40 als gen 30 % tendieren. Insofern ist es doch schön, dass die Senatsverwaltung so ehrlich ist und sämtliche Ansprüche, die vorhanden sind, nun öffentlich anerkennt, sowohl mit Blick auf die Vergangenheit als auch mit Blick auf die Gegenwart und Zukunft. Man möchte fast rufen: Weiter so, Freunde des Berliner Senats, ihr seid auf einem guten Weg!
Denn eigentlich sollte man sie dafür zum Beispiel ganz stark in den Zeitungen loben, vielleicht so: Der Berliner Senat hat über ein Jahrzehnt Recht gebrochen, hat seine Beamten in den unteren Besoldungsgruppen unterhalb des Grundsicherungsniveau alimentiert und will jetzt bereits nach nur elf Jahren diese Ausbeutung schon beenden, sodass die Beamten in den unteren Besoldungsgruppen vielleicht am Ende tatsächlich so viel erhalten wie Sozialhilfeempfänger (ganz genau weiß man das nicht, weil der Senat sich noch nicht festgelegt hat), sodass die Berliner Beamtenschaft schon jetzt voll inniger Dankbarkeit der weiteren ihnen zuzuweisenden Überstunden harret (
https://www.bz-berlin.de/berlin/berlins-beamte-leisteten-bis-juli-schon-17-millionen-ueberstunden). Und weil Sie, lieber Leser, genau die gleiche Behandlung von den Senatsparteien zu erwarten haben, bitten diese Sie nun, ihnen vertrauensvoll bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus im Herbst 2021 ihre Stimme zu geben.
Das wäre sicherlich eine gute Wahlwerbung, die die Parteien bestimmt gerne und also wiederkehrend lesen würden.
Und zugleich hat das Bundesverfassungsgericht einen nicht nur mit Blick auf die Mindestalimentation so weitgehenden Beschluss gefasst, dass Gewerkschaften und Verbänden, die die Interessen ihrer Mitglieder vertreten, den Besoldungsgesetzgebern jetzt natürlich klar machen werden, dass sie sie wiederkehrend öffentlichwirksam mit Klagen überziehen werden, wenn sie auch weiterhin die Verfassung brechen wollten. Der Beschluss ist von daher auch ein Gradmesser für die Gewerkschaften und Verbände; man wird sehen, wer sich im Zentralbereich gewerkschaftlicher Arbeit - der Bezahlung von Arbeitskraft - für seine Mitglieder und damit für alle Betroffene einsetzt und wer nicht. Und auch das sollte man ihnen als Mitglied genauso mitteilen, denke ich.
Und ansonsten gilt das, was Ozymandias schreibt, mit dem ersten Tag eines neuen Besoldungsgesetzes sollte man Widerspruch gegen die eigene Besoldung einlegen – und eine Gewerkschaft, die diesen Namen verdient, wird ganz bestimmt bei ihren Mitgliedern und darüber in die gesamte Beamtenschaft hinein umgehend dafür trommeln, dass das dann möglichst umgehend möglichst alle machen. Denn dafür hat man ja die Personalvertretungen und Vertrauensleute in den Dienststellen, sage ich als Personalrat an einer Dienststelle, der seit mehreren Jahren das Ziel hat, dass hier alle KuK Widerspruch einlegen. Daran werden auch sie sich messen lassen müssen. Und wenn das der Fall wäre, sie also entsprechend wiederkehrend trommeln würden, würde sich das Problem Unteralimentation recht schnell in Luft auflösen.
@ 2strong
Das Bundesverfassungsgericht muss generell Prüfungsnormen entwickeln, die eine Überprüfung ermöglicht, ohne dass der gerichtliche Aufwand so gigantisch wäre, dass die Verwaltungsgerichte dies nicht mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit leisten könnten. Der Vergleich der Bruttowerte ist so eine Norm, denn die Umrechnung in Nettowerten wäre – insbesondere mit Blick auf die Verdienste in der Privatwirtschaft – ein umfangreiches Unterfangen.
Der Gedankengang dahinter ist übrigens recht einfach: Wenn man überdurchschnittliche Bewerber animieren will, in den Staatsdienst zu gehen, muss man überdurchschnittlich gute Bedingungen schaffen. Eine davon, eine zentrale, ist die Alimentation. Wenn 98 % der in der Privatwirtschaft Beschäftigten mit gleicher Qualifikation und Verantwortung über einen höheren Bruttoverdienst verfügen, dürfte die Wahrscheinlichkeit, dass die Nettoalimentation nicht überdurchschnittlich ist, nicht ganz gering sein, nicht zuletzt, weil eben "die Besonderheiten des Status und des beamtenrechtlichen Besoldungs- und Versorgungssystems nicht außer Acht gelassen" werden dürfen, also die Judikative im Hinblick auf ihr abwägende Entscheidung im Hinterkopf zu behalten hat, dass Beamte keine Sozialabgaben im engeren Sinne haben.
Da dieser Parameter der zweiten Prüfungsstufe zugleich nur einer unter mehreren ist und darüber hinaus in Korrelation mit dem zweiten Parameter der ersten Prüfungsstufe steht – der Entwicklung der Nominallohnindizes –, ist das ein m. E. schlüssiges und verhältnismäßiges Verfahren, das nämlich dazu beiträgt, die tatsächliche Besoldungs- und Alimentationshöhe einordnen und abwägen zu können.
@ WasDennNun
Bei dem Vergleich, den 2strong anspricht, geht es nicht um die Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst, sondern um die Beschäftigten in der Privatwirtschaft.
Und zugleich verpflichtet das Bundesverfassungsgericht die jeweilige Legislative, realitätsgerechte Bedingungen zu beachten. Von daher ist das, was Gisela Färber im weiteren Beispiel macht, realitätsgerecht. Denn es beachtet gezielt, dass Beamte einen deutlich längeren Weg bis zur Endstufe zurückzulegen haben, und betrachtet aus diesem Fokus heraus das elfte Jahr, um daraus Ableitungen zu treffen. Ein nach TV-L Beschäftigter mit dem Tarifeinkommen E 12 befindet sich dann in der Endstufe und verfügt über den entsprechende Grundverdienst, ein Beamter hat sich bis dahin in der Regel aber gerade erst ein paar Erfahrungsstufen heraufgerobbt und ist noch weit entfernt von der Endstufe – mit der Folge einer deutlich geringeren Grundbesoldung. Ich sehe nicht, was an dieser Betrachtung nicht realitätsgerecht sein sollte.
Zugleich betrachtet Färber nicht einen zwölfjährigen Zeitraum – also jenen von 2009 bis 2020 –, wie Du annimmst, sondern im Sinne des Bundesverfassungsgerichts einen 15-jährigen. Und zugleich kann es nicht der Zeitraum bis 2020 sein, da der Artikel aus dem Jahr 2018 stammt.
Wenn Du insofern begründeten Zweifel an ihrem Vorgehen hast, würde ich sie einfach anmailen und ihr das mitteilen. Sie ist Professorin für „Wirtschaftliche Staatswissenschaften, insbesondere Allgemeine Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft“ an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Alternativ ginge vielleicht auch die Zeitschrift für Beamtenrecht, dessen Peer-Review-Verfahren ihr Artikel durchlaufen hat. Eventuell wäre es dafür vorweg sinnvoll, den Artikel einmal als Ganzes zu lesen. Ist eine interessante Lektüre.