Bisher gab es fast nur etwas für niedrige Besoldungsgruppen und für viele Kinder.
VG Arnsberg, 29.09.2023 - 13 K 1553/18
Nordrhein-Westfalen hat seine aktiven und pensionierten Richter (Besoldungsgruppen R1 bis R3) in den Jahren 2017 bis 2021 angemessen bezahlt.
https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=VG%20Arnsberg&Datum=29.09.2023&Aktenzeichen=13%20K%201553%2F18
Noch nicht gelesen, die Urteilsbegründung ist neu und heute bei mir reingeflattert in der Merkliste.
Ich habe das Urteil kurz überflogen. Es ist ziemlich brisant für uns Beamte. In Stichworten: Durch Einführung der Schuldenbremse entstand finanzielle Notsituation. Besoldungsgesetzgeber hat schlüssiges Konzept zur Kürzung der Beamtenbesoldung vorgelegt, Personalkosten größter Block im Haushalt usw. Soziale Gesichtspunkte wurden berücksichtigt. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet eingehend zu begründen, da großer Gestaltungsspielraum.
Quasi ein Freibrief für jegliche Kürzungen im Besoldungsbereich, wenn die Staatsfinanzen schlecht dastehen. Da ich davon ausgehe, dass die Staatsfinanzen die nächsten Jahrzehnte schlecht dastehen werden (Kriege und Wiederaufbau, Klimatransformation, Migration, usw.), kann man nur jedem einigermaßen gebildetem jungen Menschen dazu raten den Staatsdienst zu meiden.
Dann hätten sie das BVG missachtet, das sagt Kürzungen nur, bei Gesamtkonzept und Kürzungen ähnlich in allen anderen Bereichen
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Oder habe ich das falsch im Kopf (@sven)?
Interessant ist bereits allein, dass das Verwaltungsgericht in der Rn. 111 berechtigt auf das 95 %-Perzentil zur Bemessung angemessener kalter Unterkunftskosten verweist, um dann ab der Rn. 233 die Bemessung zu konkretisieren, um dabei auch hier hervorzuheben, dass es auch hinsichtlich der Unterkunftskosten der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt und also das 95 %-Perzentil zur Anwendung zu bringen. Allerdings wird das 95 %-Perzentil dann offensichtlich nicht herangezogen; stattdessen wird eine eigene Bemessung auf Grundlage von Datenerhebungen vollzogen, die sich methodisch nicht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnehmen lassen. Die entsprechende Statistik zum 95 %-Perzentil, die gerichtlich von der BfA einzuholen ist, scheint die Kammer gar nicht in Händen gehalten zu haben; denn ansonsten hätten ihr die extrem unterschiedlichen Beträge auffallen müssen. Entsprechend unterscheidet sie auch nicht zwischen kalten und warmen Unterkunftskosten. Als Ergebnis werden von der Kammer daraufhin (I.) folgende
warme Unterkunftskosten herangezogen, während das 95 %-Perzentil (II.) mit und (III.) ohne Bedarfsgemeinschaften im Kontext von Fluchtmigration folgende Beträge als
kalte Unterkunftskosten ausweist:
I. VG II. 95 %-Perzentil mit BG Fluchtmigration III. 95 %-Perzentil ohne BG Fluchtmigration
2017 641,25 € 860,- € 837,- €
2018 653,60 € 892,- € 866,- €
2019 675,45 € 926,- € 898,- €
2020 689,70 € 960,- € 928,- €
2021 716,30 € 998,- € 973,- €
Dabei handelt es sich bei den unter I. herangezogene Kosten wie schon gesagt um die warmen Unterkunftskosten, wie sie die Kammer veranschlagt. Das 95 %-Perzentil weist hingegen jedoch die kalten Unterkunftskosten aus. Entspechend sind hier noch die Heizkosten heranzuziehen, wie sie das Bundesverfassungsgericht anhand des Heizspiegels für Deutschland des zu betrachtenden Jahres mit den Daten des Vorjahrs bemisst (vgl. zu diesen
https://www.heizspiegel.de/heizkosten-pruefen/heizspiegel/, die Kammer macht zurecht darauf aufmerkam, dass in NRW eine 95 qm große Wohnung der Bemessung zugrundzulegen ist). Addiert man die Heizkosten, erhält man folgende warme Unterkunfskosten unter Heranziehung des oben unter der Ziff. III genannten 95 %-Perzentils ohne Bedarfsgemeinschaften im Kontext von Fluchtmigration (I.) sowie den entsprechenden Fehlbetrag zur Bemessung der Kammer (II.) und schließlich den Fehlbetrag der um 15 % der realitätsgerechten Kosten zu erhöhenden Mindestalimentation (III:):
I. warme Unterkunftskosten II. Fehlbetrag III. Fehlbetrag Mindestalimentation
2017 1.015,13 € 373,88 € 429,96 €
2018 1.040,17 € 386,57 € 444,56 €
2019 1.066,80 € 391,35 € 450,05 €
2020 1.107,00 € 417,30 € 479,90 €
2021 1.150,41 € 434,11 € 499,23 €
Insofern kann es dem Kläger nur geraten sein, die vom Gericht zugelassene Berufung einzulegen und die Klage mittels der konkreten Defizite der Entscheidungsbegründung hinreichend zu substantiieren. Denn allein hinsichtlich der Bemessung der warmen Unterkunftskosten zeigt sich eine methodisch evident unzureichende Herangehensweise, die dem Kontrollauftrag des Verwaltungsgerichts sachlich nicht gerecht wird. Nicht umsonst weist die Kammer eine Mindestalimentation (I.) und einen Fehlbetrag (II.) aus, die sich unter Beachtung der gerade bemessenen Beträge stattdessen wie folgt darstellen (III. Mindestalimentation unter Beachtung realitätsgerechter warmer Unterkunftskosten; IV. darauf basierender prozentualer Fehlbetrag zur gewährten Nettoalimentation):
I. Mindestalimentation Kammer II. Fehlbetrag (%) III. Mindestalimentation IV. Fehlbetrag (%)
der gewährten Alimentation
2017 2.370,93 € 0,83 % 2.800,89 € 16,05 %
2018 2.409,96 € 0,28 % 2.854,52 € 15,81 %
2019 2.552,61 € 3,50 % 3.002,66 € 17,96 %
2020 2.754,35 € 5,99 % 3.234,25 € 19,94 %
2021 2.866,19 € 4,92 % 3.365,42 € 19,02 %
Insgesamt bleibt zu beachten, dass sich auch die Kammer nicht methodisch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entziehen darf. Nicht umsonst hebt der Zweite Senat hervor, dass es dem Besoldungsgesetzgeber zwar freistehe, die Höhe des Grundsicherungsniveaus mit Hilfe einer anderen plausiblen und realitätsgerechten Methodik als der vom Bundesverfassungsgericht herangezogenen zu bestimmen (während jedoch die gerichtliche Kontrolle den Direktiven des Bundesverfassungsgerichts unmittelbar unterworfen ist). Den Besoldungsgesetzgeber trifft jedoch die Pflicht, die ihm zu Gebote stehenden Erkenntnismöglichkeiten hinsichtlich der Höhe der Grundsicherungsleistungen auszuschöpfen, um die Entwicklung der Lebensverhältnisse zu beobachten und die Höhe der Besoldung an diese Entwicklung kontinuierlich im gebotenen Umfang anzupassen (BVerfGE 155, 1 <28 Rn. 53>). Seine Herangehensweise muss deshalb von dem Ziel bestimmt sein, sicherzustellen, dass die Nettoalimentation in möglichst allen Fällen den gebotenen Mindestabstand zu dem den Empfängern der sozialen Grundsicherung gewährleisteten Lebensstandard wahrt (BVerfGE 155, 1 <26 f. Rn. 52>).
Die vom Gesetzgeber zugrunde gelegten Sozialleistungen sind dabei dann als evident unzureichend zu betrachten, wenn offensichtlich ist, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen können, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist, weshalb es auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente ankommt, die dazu dienen, diese Höhe zu bestimmen (BVerfGE 137, 34 <75 Rn. 81>).
Unabhängig davon, dass das Verwaltungsgericht in der gerichtlichen Kontrolle den Direktiven des Bundesverfassungsgerichts unmittelbar unterworfen ist, kann die von ihm zur Kontrolle herangezogene Methodik zu keinem realitätsgerechten Ergebnis führen, da es auf Grundlage der Rechtsprechung des Zweiten Senats in einem sehr weitgehenden Maße nicht hinreicht, um den den Empfängern der sozialen Grundsicherung zu gewährleistenden Lebensstandard abzubilden. Das Ergebnis des Verwaltungsgerichts ist entsprechend nicht realitätsgerecht, da es die Höhe der zu gewährenden Leistung insgesamt im beträchtlichen Maße verfehlt.
Es muss als ehemaliger Richter bitter sein, im eigenen Fall solche Entscheidungsbegründungen lesen zu müssen - und zwar das nur umso mehr, als dass es mittlerweile eine so hohe Zahl an durch Verwaltungsgerichte vollzogene Bemessungen gibt, dass es unerklärlich bleibt, wie eine Kammer im Jahr 2023 eine solch sachwidrige Methodik zugrunde legen kann, um dann zugleich nicht zu bemerken, dass das Ergebnis von der Höhe der Bemessungen her evident unzureichend sein muss.