[1] Die vierköpfige Beamtenfamilie ist seit jeher die Grundlage der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht, NordWest; entsprechend ist sie anders, als Du annimmst, nicht erst seit rund zehn Jahren ein grundlegender Maßstab der Dogmatik zum Besoldungsrecht, wie bspw. meine Ausführungen vor ein paar Tagen anhand der Entscheidung zum alimentativen Mehrbedarf aus dem Jahr 1977 zeigen. Auch mit Blick auf diese Entscheidung und also im expliziten Rückbezug auf sie hat der Zweite Senat in der aktuellen Entscheidung ausgeführt: "Die vierköpfige Alleinverdienerfamilie ist demnach eine aus der bisherigen Besoldungspraxis abgeleitete Bezugsgröße, nicht Leitbild der Beamtenbesoldung."[...]
[2] Diesen über Jahrzehnte gewachsenen Prüfrahmen nun in der letzten Entscheidung aufzugeben, hätte bedeutet, dass ebenso die neue Dogmatik zum Besoldungsrecht ab 2012 in wichtigen Grundlagen hätte neu gedacht werden müssen, insbesondere auch im Hinblick auf das Vergleichskriterium des sozialhilferechtlichen Grundsicherungsniveaus, also hinsichtlich des Mindestabstandsgebots.
[3] Zum anderen und also mit dem, was ich gerade zur Familienalimentation gesagt habe, ist der Bezugspunkt zur Prüfung der Beamtenalimentation seit jeher das Gehalt als Ganzes (vgl. in der aktuellen Entscheidung, die hier ebenfalls auf die 1977er Entscheidung zurückgreift, die Rn. 73).
[...]Dahingegen würde ein Beamter, der nur die Höhe seiner Grundbesoldung mit einem Rechtsbehelf angriffe, keinen statthaften Widerspruch formulieren und wäre also gar nicht erst berechtigt, eine Klage zu führen.
Wie also hätte Deiner Meinung nach ein solch Prüfrahmen "über die Grundbesoldung" konkret gefasst werden sollen? [...] Begründe Deine Vorstellung mal konkret: Wie soll Deiner Meinung nach ein solcher Kontrollweg konkret ausgestaltet werden? Das würde mich interessieren. Denn mit allgemeinen Ausführungen kommen wir hier nicht weiter.
[4] Darüber hinaus zeigt die bis heute gegebene Dogmatik ihre Effektivität darin, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit seit 2020 weiterhin regelmäßig Vorlagebeschlüsse fasst. [...]
Ad 1+2)
Zwar hat das BVerfG 1977 ein Urteil über die Besonderheit von Beamtenfamilien mit mehr als zwei Kindern gefällt, so dass es rechtslogisch dazu passt, eine Familie mit zwei Kindern als Bezugspunkt einer allgemeinen Besoldungsüberprüfung zu wählen. Dies - inklusive der Entwicklung der Mindestbesoldung mit dem 15%-Abstandsgebot - erfolgte aber eben erstmals 2012 infolge der neuen Klagewellen, die seitdem nicht abreißen. Du schreibst zu recht, dass hier die "neue Dogmatik" vom BVerfG gebildet wurde - und genau hier liegt der Ursprung des stategischen Fehlers.
Das wichtigste ist nämlich: Es wäre keinesfalls ein echter Widerspruch zur 1977er-Entscheidung gewesen, 2012 zunächst die Grundbesoldung eines kinderlosen Beamten zu klären und diesen zum Musterfall zu machen statt der vierköpfigen Familie - und genau das hätte man tun sollen.
Ad 3)
Selbstverständlich muss der Beamte die Besoldung als Ganzes rügen und das BVerfG die Besoldung als Ganzes prüfen - kein Widerspruch von mir hierzu. Wie geht das überein mit meiner strategischen Überlegung, zunächst die Grundbesoldung abzuklopfen? Ganz einfach: Das BVerfG entscheidet selbst über die zuerst zu prüfenden Klagen. Man hätte hier einfach zuerst Klagen prüfen sollen, die von Beamten eingereicht worden sind, die möglichst gar keine Zuschläge in ihrer Besoldung enthalten haben, sondern ausschließlich die Grundbesoldung erhalten. Das sind die ganz einfachen Fäll, die ihre gesamte Besoldung in der Besoldungstabelle ablesen können. Hätte das BVerfG für diese ganz einfachen Fälle eine klare Dogmatik entwickelt, wäre mit der Grundbesoldung der wichtigste Eckpfeiler der Besoldung geklärt worden - alles andere hätte man sauber darauf aufbauen können.
Stattdessen hat man zunächst die komplizierte Vierköpfefamilie gewählt und versucht sich jetzt mühsam zum einzelnen Beamten vorzutasten - dadurch sind erst die ganzen Tricks und Umgehungsversuche entstanden. Das alles hätte man sich sparen können, hätte das BVerfG mit einem einfachen Fall ohne Zuschläge angefangen. Dann hätten auch die Pensionäre von 2012 noch eine Chance gehabt, ihre amtsangemessene Alimentation zu erleben. So aber sterben sie dahin oder verlieren die Hoffnung in den Rechtsstaat.
Ad 4)
Weitere Klagen zu entwickeln nennst Du Effektivität? Das ist doch kein Effekt, das ist bestenfalls weiteres Vorarbeiten. Der Effekt, um den es uns allen hier geht, ist eindeutig: eine amtsangemessene Besoldung. Solange es die nicht gibt, kann man unmöglich von Effektivität sprechen.
Hätte das BVerfG 2012ff. klare Grundvorgaben für die Grundbesoldung entwickelt statt sich auf die Viererfamilie zu konzentrieren, hätten wir alle jetzt schon spürbar Geld in der Tasche - DAS wäre ein Effekt gewesen. Und daher bleibe ich dabei: Das Vorgehen war ein strategischer Fehler.
Nimms's mir bei aller Sympathie nicht übel, NordWest, aber was Du schreibst, ist wirklich weitgehender Stuß:
Zu 1 und 2)
a) In der Entscheidung vom 14. Februar 2012 - 2 BvL 4/10
https://www.bverfg.de/e/ls20120214_2bvl000410.html - hat sich das Bundesverfassungsgericht, anders als Du meinst, nirgends mit der vierköpfigen Beamtenfamilie beschäftigt, sondern die Entscheidung hat mit der Professorenbesoldung einen Sonderzweig des Alimentationsprinzips zum Thema und hier die in den 2000er Jahre im Einzelnen neu eingeführte bzw. ausgeweitete Praxis der Leistungsvergütung an Hochschulen. Da wegen der besonderen Aufgabe der Hochschulen und damit der Sonderstellung der Professorenbesoldung hier ein Nebenzweig des Alimentationsprinzips zu betrachten ist, kommt dieser Entscheidung für die Beamtenalimentation als Ganzer nur eine bedingte Bdeutung zu; sie hat darüber hinaus auch für die Beamtenalimentation vor allem Bedeutung wegen des hier neu eingeführten Prozeduralisierungsbots (vgl. den vierten Leitsatz) und weil hier grundlegende Direktiven gefasst werden, welche Aufgaben der Besoldungsgesetzgeber bei der strukturellen Neuregelung der Besoldung hat (vgl. den zweiten Leitsatz).
Darüber hinaus fasst der Senat hier ab der Rn. 144 den Inhalt des Alimentationsprinzips zusammen, um sich dann ab der Rn. 152 mit der Frage nach Leistungszulagen im Rahmen des Zusammenhang des Leistungsprinzips aus Art. 33 Abs. 2 GG mit dem Alimentationsprinzips aus Art. 33 Abs. 5 GG im Allgemeinen auseinanderzusetzen und sich dabei mit der Funktion von Leistungszulagen in der Professorenbesoldung im Besonderen zu befassen, die seit jeher in besonderem Maße durch leistungsbezogene Elemente gekennzeichnet ist (Rn. 154 und dann ab den Rn. 156 ff.).
Damit hat er hier genau das getan, was Du meinst, was es nicht getan hat, es hat an einem besonderem Zweig des Alimentationsprinzips Zusammenhänge von Grundgehalt und Zulagen auf Basis seiner überkommenen Besoldungsdogmatik durchdekliniert - die vierköpfige Beamtenfamilie spielt dabei allerdings hier, anders als Du behauptst, keine besondere Rolle, da sie thematisch überhaupt nicht zu betrachten gewesen ist, weshalb die Familienalimentation nur als ein allgemeines Prinzip im Rahmen des Referat des Alimentationsprinzips kurz genannt wird, um danach nicht weiter betrachtet zu werden (vgl. die Rn. 145). Entsprechend finden sich ebenfalls anders, als Du behauptest, auch keine Betrachtungen der Mindestalimentation. Auch war hier nicht "die Grundbesoldung eines kinderlosen Beamten zu klären", da es gar nicht um die Beamtenalimentation im Allgemeinen, sondern um die Frage der Ausgestaltung von Leistungszulagen in der Professorenbesoldung gegangen ist, die wiederum als Sonderfall des Alimentationsprinzips zu betrachten ist, da es dem Besoldungsgesetzgeber wegen der besonderen Bedeutung von Lehre und Forschung hier gestattet ist, in einem sehr viel weitergehenden Maße Leistungszulagen zu gewähren, als das für Beamte im Allgemeinen statthaft wäre.
b) 2015 hat sich der Senat dann mit seinen grundlegenden Entscheidungen vom 05. Mai zur Richterbesoldung (
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2015/05/ls20150505_2bvl001709.html) und vom 17. November mit der Beamtenbesoldung beschäftigt (
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2015/11/ls20151117_2bvl001909.html), also sein vorrangig an die Verwaltungsgerichtsbarkeit gerichtetes Prüfprogramm zu erstellen begonnen. Zu dieser Zeit gab es allerdings zunächst einmal noch gar nicht die Klagewelle vor dem Bundesverfassungsgericht, die Du ebenfalls sachlich falsch unterstellst; vielmehr hat der Zweite Senat in beiden Entscheidungen des Jahres 2015 die vollständig bei ihm anhängigen Verfahren geklärt. Erst als Folge dieser Klärung haben die Gerichte dann seitdem umfassende Vorlagebeschlüsse gefasst, die seit 2016 in Karlsruhe aufgelaufen sind.
Dabei hatte der Zweite Senat 2015 sachlich keine Veranlassung, sich weitgergehend mit der Mindestalimentation zu beschäftigen, da er hinsichtlich der R-Besoldung die betrachteten Grundgehaltssätze in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz als verfassungskonform betrachtet hat, während sie nur in Sachsen-Anhalt als verfassungswidrig zu betrachten waren; ebenso hat er dann hinsichtlich der A-Besoldung die sächsischen Grundgehaltssätze als verfassungswidrig betrachtet, um hingegen die nordrhein-westfälischen und niedersächsischen als verfassungskonform zu betrachten. Darüber hinaus spielte die Mindestalimentation in beiden Entscheidungen noch gar keine entscheidungsrelevante Rolle, da hierzu in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und in der Literatur noch keine eigenständigen Vorstellungen entwickelt waren. Diese waren 2015 darüber hinaus auch deshalb noch nicht vom Bundesverfassungsgericht zu entwickeln, da davon auszugehen war, dass die betrachteten Besoldungsgruppen sie übersteigen würden (die niedrigeste zu betrachtende Besoldungsgruppe war die Besoldungsgruppe A 9; vgl. die Rn. 46 ff.; die umfassende Verletzung des 2020 als solches betrachtete Mindestabstandsgebot ist in der Literatur erst 2022 nachgewiesen worden), während entscheidungsrelevant die tatsächlichen Verletzungen der ersten Parameter in ihrem Zusammenhang mit der zweiten Prüfungsstufe gewesen sind.
Es wäre also - sofern sich der Zweite Senat tiefergehend mit der Mindestalimentation und ihrer konkreten Ausformung hätte beschäftigen sollen - an den Klägern gewesen, einen entsprechenden Nachweis zu führen, der dem Senat dann ermöglicht hätte, eine weitere Konkretisierung vorzunehmen. Entsprechende Berechnungen haben die Kläger allerdings nicht vorgenommen und also keine Verletzung der Mindestalimentation in die Verfahren eingebracht. So verstanden war auch diese Frage sachlich nicht zu klären. Auch das verhält sich also anders, als Du das vermutest.
Zu 3)
Dahingegen gehst Du ebenfalls davon aus, dass als Folge des Alimentationsprinzips das Gehalt als Ganzes zu prüfen ist, um dann folgende Prüfmethodik vorzuschlagen: "Man hätte hier einfach zuerst Klagen prüfen sollen, die von Beamten eingereicht worden sind, die möglichst gar keine Zuschläge in ihrer Besoldung enthalten haben, sondern ausschließlich die Grundbesoldung erhalten."
Allerdings gehst Du auch mit diesem Vorschlag fehl - unabhängig davon, dass Du weiterhin keine Konkretisierung einer tatsächlichen Methodik erstellst -, da es diese Fälle gar nicht gibt; denn wegen des hergebrachten Grundsatzes, dass der Dienstherr nicht nur den Beamten, sondern auch seine Familie lebenslang amtsangemessen zu alimentieren hat, können zunächst einmal familienbezogene Familienkomponenten prinzipiell nicht ausgeklammert werden. Sie sind integraler Bestandteil der Alimentation. Darüber hinaus gibt es keinen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums, der besagte, dass der Dienstherr verpflichtet wäre, den Beamten
allein aus dem Grundgehaltssatz heraus amtsangemessen zu alimentieren. Der Besoldungsgesetzgeber verfügt stattdessen wegen seines weiten Entscheidungsspielraums im Rahmen des Leistungs- und Alimentationsprinzips über das Recht, die Besoldung seiner Beamten zu differenzieren. Dieses Recht kann der Zweite Senat nicht aus dem luftleeren Raum heraus - ohne Vergleichsgegenstand - beschränken, da er nicht im Vorhinein festlegen könnte, welche Struktur und welche Höhe besoldungsrechtliche Differenzierungsmaßnahmen im Einzelnen haben sollten. Er müsste also genau diese Differenzierungen vorfinden, um entscheiden zu können, ob sie von ihrer Struktur und Höhe verfassungskonform sind.
So verstanden ist das, was Du forderst, prinizipiell unmöglich: "Man hätte hier einfach zuerst Klagen prüfen sollen, die von Beamten eingereicht worden sind, die möglichst gar keine Zuschläge in ihrer Besoldung enthalten haben, sondern ausschließlich die Grundbesoldung erhalten."
4) Und schließlich folgst Du weiterhin Deinem Kategorienfehler, den ich eingangs unser Diskussion dargelegt habe. Die Effektivität besteht darin, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit einen bundesverfassungsgerichtlichen Prüfrahmen vorfindet, aus dem heraus sie ihrer rechtsstaatlichen Aufgabe nachkommen kann, nämlich hinsichtlich vergangenheitsbezogener Klagen ein Arsenal an verbindlichen Rechtsgrundsätzen vorzufinden - also eine Dogmatik -, aus denen heraus die Gerichte möglichst einheitlich entscheiden können, ob eine Besoldung und Alimentation im jeweils zu betrachtenden Einzelfall mit der Verfassung im Einklang gestanden hat oder nicht. Darin vollzieht sich der Prüf- und Kontrollauftrag der judikativen Gewalt. Die Effektivität zeigt sich in der hohen Zahl an Vorlagen, die seit 2016 zunehmend in Kalrsruhe eingegangen sind.
Dahingegen ist es die alleinige Aufgabe des Besoldungsesetzgebers, eine amtsangemessene Alimentation zu gewähren. Das aber kann ihm Karlsruhe nicht abnehmen, da es verfassungsrechtlich keinen konzertierten Verfassungsbruch geben kann. Dass dieser nun seit 2021/22 zunehmend offenbar wird, wird seine entsprechende Reaktion aus Karlsruhe finden. In Karlsruhe hat man aber keine Glaskugel und konnte 2012, 2015, 2017, 2018 oder 2020 nicht ahnen, dass das Maß des fortgesetzten Verfassungsbruchs dieses Ausmaß annehmen würde, das es seit 2021/22 angenommen hat. Ich kenne jedenfalls keine begründete Darlegung aus jener Zeit zwischen 2012 und 2020, die das sachlich dargelegt und entsprechend begründet hätte. Kennst Du sie?
Und damit würde ich mich darüber freuen, wenn Du nun endlich nicht nur allgemeine Forderungen aufstelltest, wie der Zweite Senat Deiner Meinung nach in der Vergangenheit hätte anders handeln sollen, sondern indem Du nun - sofern Dir das möglich ist - eine sachgerechte und also
konkrete Methodik darlegst, anhand derer der Zweite Senat seit 2012 oder 2015 hätte sicherstellen können, dass die Besoldungsgesetzgeber im Anschluss amtsangemessene Grundgehaltssätze gewährt hätten. Ist Dir das möglich?
Es leicht, NordWest, allgemeine Forderungen aufzustellen und entsprechende Aussagen auszuführen - es ist sehr schwierig, sachgerechte Methodiken zu entwickeln, um diesen Forderungen und Aussagen nachzukommen. Und Du kannst mir glauben, dass ich aus der Praxis weiß, wovon ich spreche - und für Karlsruhe ist das noch einmal ungemein schwieriger: Denn was es ausführt und entscheidet, bleibt unabdingbar Bestandteil der unantastbaren Rechtsgrundsätze in der Bundesrepublik Deutschland, auf dessen Basis dann die (Verwaltungs-)Gerichtsbarkeit zukünftig entscheidet. Diese Verantwortung zu erfüllen, wiegt allemal schwer. Wer sie hat, wird vielfach abwägend handeln, und zwar nur umso stärker oder länger abwägend, als umso so schwieriger und ggf. politisch explosiver sich ein Rechtsgebiet darstellt.
Also: Was hättest Du
konkret (und nicht als allgemeine Forderung) 2012 oder 2015 anstelle des Zweiten Senats anders gemacht? Das würde mich weiterhin interessieren.