Autor Thema: [Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 1564638 times)

BVerfGBeliever

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5775 am: 25.02.2024 11:37 »
Ich vermute aber, dass damals im BVerfG niemand auf dem Schirm hatte, wie die Besoldungsgesetzgeber reagieren werden. Die waren der Meinung, sie waren klar genug und konnten sich nicht vorstellen, was danach passiert.

Insofern wäre das so etwas wie "im Nachhinein sind wir schlauer".

Ja, du dürftest wahrscheinlich Recht haben. Das BVerfG wollte mit der 115%-Regel vermutlich nur eine absolute Untergrenze festlegen, auf die selbstverständlich weiterhin die bisherige Systematik (Binnenabstände zwischen den Ämter-Grundbesoldungen, keine willkürliche Streichung von Besoldungsgruppen, usw. usf.) stringent nach oben hin aufbauen muss.

Auf die Idee, dass daraufhin beispielsweise das BMI sagt "Prima, dann denken wir uns jetzt einen absurden AEZ aus und schmelzen diesen zusätzlich für höhere Besoldungsgruppen ab", sind die Karlsruher Richter wohl tatsächlich in ihren wildesten Träumen nicht gekommen..

SwenTanortsch

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Nimms's mir bei aller Sympathie nicht übel, NordWest, aber was Du schreibst, ist wirklich weitgehender Stuß:

Zu 1 und 2)
a) In der Entscheidung vom 14. Februar 2012 - 2 BvL 4/10 https://www.bverfg.de/e/ls20120214_2bvl000410.html - hat sich das Bundesverfassungsgericht, anders als Du meinst, nirgends mit der vierköpfigen Beamtenfamilie beschäftigt, sondern die Entscheidung hat mit der Professorenbesoldung

[1] Stimmt, die Zuordnung zum Jahr 2012 war Stuss. Es geht - wie aus meinem Text zweifelsfrei erkennbar - um die erstmalige Einführung der vierköpfigen Familie als Prüfbasisfall. Wenn die 2015 war, dann gerne 2015. In meinem ersten Posting sprach ich von "vor rund 10 Jahren", weil ich das Jahr nicht mehr genau wusste und übernahm die 2012 dann aus Deinem Posting, in dem es aber um ein anderes Urteil ging. Okay, es soll hoffentlich um die Argumentation gehen, nicht um das Jahr.

Zu 3)
Dahingegen gehst Du ebenfalls davon aus, dass als Folge des Alimentationsprinzips das Gehalt als Ganzes zu prüfen ist, um dann folgende Prüfmethodik vorzuschlagen: "Man hätte hier einfach zuerst Klagen prüfen sollen, die von Beamten eingereicht worden sind, die möglichst gar keine Zuschläge in ihrer Besoldung enthalten haben, sondern ausschließlich die Grundbesoldung erhalten."
Allerdings gehst Du auch mit diesem Vorschlag fehl - unabhängig davon, dass Du weiterhin keine Konkretisierung einer tatsächlichen Methodik erstellst -, da es diese Fälle gar nicht gibt; denn wegen des hergebrachten Grundsatzes, dass der Dienstherr nicht nur den Beamten, sondern auch seine Familie lebenslang amtsangemessen zu alimentieren hat, können zunächst einmal familienbezogene Familienkomponenten prinzipiell nicht ausgeklammert werden.

[2] Sorry, aber das ist jetzt Deinerseits "Stuss": Du schreibst ernsthaft, dass "es diese Fälle gar nicht gibt", in denen ein Beamter ausschließlich die Grundbesoldung erhält? Das ist doch Unsinn, natürlich GIBT es solche Fälle. Wer kinderloser, unverheirateter Beamter ist, bekommt ausschließlich die Grundbesoldung, ggf. noch eine kleine Stellenzulage in top - aber auch nicht jeder. Wer heute bspw. als familienloser Realschullehrer neu verbeamtet wird, bekommt je nach Bundesland z.B. A13 ohne Stellenzulage. Es geht nicht darum, Familienkomponenten künstlich "auszuklammern", es geht um Fälle, in denen es solche Familienkomponenten eben gar nicht gibt! Genau solche Fälle hätte das BVerfG als Grundmodell zuerst heranziehen sollen, hierfür rote Linien definieren sollen und darauf aufbauend weiterarbeiten.

4)  Die Effektivität zeigt sich in der hohen Zahl an Vorlagen, die seit 2016 zunehmend in Kalrsruhe eingegangen sind.
[3] Nochmal: Das ist nicht effektiv, denn der erwartete Effekt ist ein anderer: Nämlich eine amtsangemessene Besoldung - und die gibt es nicht. Abgesehen davon sprach ich auch nicht von Effektivität, sondern von Rechtseffizienz, was Du leider falsch übernommen hast. Bei Effizienz geht es darum, den Effekt (also die amtsang. Besoldung) mit möglichst wenig Aufwand und Umweg in möglichst kurzer Zeit zu erreichen. Die Methode des BVerfG ist leider überhaupt nicht effizient.

Und damit würde ich mich darüber freuen, wenn Du nun endlich nicht nur allgemeine Forderungen aufstelltest, wie der Zweite Senat Deiner Meinung nach in der Vergangenheit hätte anders handeln sollen, sondern indem Du nun - sofern Dir das möglich ist - eine sachgerechte und also konkrete Methodik darlegst, anhand derer der Zweite Senat seit 2012 oder 2015 hätte sicherstellen können, dass die Besoldungsgesetzgeber im Anschluss amtsangemessene Grundgehaltssätze gewährt hätten. [...]

Also: Was hättest Du konkret (und nicht als allgemeine Forderung) 2012 oder 2015 anstelle des Zweiten Senats anders gemacht? Das würde mich weiterhin interessieren.

[4] Das BVerfG hätte den weiten Rahmen des Gesetzgebers wahren und gleichzeitig die roten Linien nicht nur für die Vierkopffamilie formulieren sollen. Konkret wäre das möglich gewesen, indem - wie bereits gesagt, aber leider grundlos weggewischt - zunächst die roten Linien eines zuschlagslosen Beamten ermitteln sollen. Du behauptest unter 2) zwar "Dabei hatte der Zweite Senat 2015 sachlich keine Veranlassung, sich weitgergehend mit der Mindestalimentation zu beschäftigen" - aber genau diesen Anlass hatte er meines Erachtens eben doch! Dieser Anlass besteht zwar nicht unmittelbar beim Kläger, dahingehend hast Du recht. Aber mit etwas Weitblick hätte das BVerfG eben schon früher erkannt, dass es eine Systematik an roten Linien bedarf.

Daher wäre meine Vorgehensweise ganz konkret:

1. Erstellen der roten Besoldungslinien für einen A4-Beamten (oder A2/3 falls es das damals noch gab, jedenfalls die unterste Bes.-Klasse), dem keinerlei Zuschläge zustehen - dafür eignen sich einerseits die 5 aufgestellten Entwicklugnskriterien, die ich ausdrücklich begrüße - andererseits hätte sich genau bei diesem ersten, elementaren Schritt die Notwendigkeit der Definition einer Mindestbesoldung aufgetan - natürlich nur, wenn man auch erkennt, wie wichtig dieser erste Schritt ist.

2. Ausgehend von diesem Fall konstruiert man dann rote Besoldungslinien für höhere Beamte, für zuschlagsberechtigte Beamte (insbesondere solche mit Familien) und rote Versorgungsrichtlinien. Entscheidend ist, dass die Grundbesoldung als wesentlicher Anker bereits definiert wäre - und zwar rein auf Grund der methodischen Reihenfolge. Das schränkt nicht im geringsten ein, dass immer die Besoldung als Ganzes geprüft wird.

Dieses Vorgehen hat den entscheidenden Vorteil, dass es aufeinander aufbaut. Das BVferG beginnt die roten Linien dagegen bei der vierköpfigen Familie und sorgt damit dafür, dass all die unmöglichen Umgehungsversuche überhaupt erst möglich werden. Daher ist das Vorgehen so ineffizient.

Wenn Du und Deine sonstigen Beiträge mir nicht sympathisch wären, NordWest, würde ich nun mittlerweile echt sauer werden, weil Du weiterhin nur allgemeine Behauptungen aufstellst, die Du nicht belegst, um auf dieser Grundlage zu Vorstellungen zu kommen, die für die jeweilige Zeit, für die Du Deine Forderungen aufstellst, unzeitgemäß gewesen sind, da die Zeitgenossen der Jahre vor 2020 erstens nicht über das Wissen verfügten, über das wir heute verfügen, und weil zweitens die Sachlage in den Jahren zwischen 2012 bis 2019 eine jeweilig ganz andere war, als sie es heute ist. Da ich mich nicht ärgern will - und Dich auch nicht -, gehen wir also wie gehabt nach möglich sine ira et studio vor. Da eine differenzierte Entkräftung Deiner Sicht auf die Dinge ein wenig Raum bedarf, unterteile ich diesen Beitrag in zwei Teile. Mehr als 20.000 Zeichen dürfen in einem Beitrag nicht verwendet werden

Zu 1) Du erkennst nun an, dass die Entscheidung von 2012 völlig anders gestaltet ist, als Du das zuvor vermutet hast. Damit zeigst Du allerdings, dass Du diese Entscheidung bislang gar nicht differenziert zur Kenntnis genommen hattest, also von ihrem Inhalt offensichtlich weitgehend nicht einmal eine oberflächliche Vorstellung ha(tte)st. Auch auf die weiteren, seit 2015 ergangenen Entscheidungen gehst Du nach wie vor mit keinem Wort ein. Bist Du Dir sicher, dass Du über genügend sachliche Kenntnisse verfügst, um Deine sehr weitgehenden Forderungen an eine weiterzuentwickelnde Dogmatik zum Besoldungsrecht sachlich begründen zu können? Und bist Du Dir sicher, dass Du das aus Deinen heutigen Kenntnissen heraus für die jeweilige Zeit, von der Du sprichst, sachlich beurteilen kannst? Ich wäre Dir verbunden, wenn Du Dir - und ggf. auch mir - diese beiden Fragen ehrlichen Herzens beantworten würdest.

Darüber hinaus ist die vierköpfige Beamtenfamilie - wie nun schon mehrfach dargelegt - seit jeher und konkret seit spätestens 1977 umfassend präzisiert "eine aus der bisherigen Besoldungspraxis abgeleitete Bezugsgröße" zur Prüfung des amtsangemessenen Gehalt der gewährten Nettoalimentation, "so dass es einer gesonderten Prüfung der Besoldung mit Blick auf die Kinderzahl erst ab dem dritten Kind bedarf" (Rn. 47 der aktuellen Entscheidung; Hervorhebung durch mich). Es bleibt weiterhin sachlich falsch, wenn Du nach wie vor ohne einen einzigen sachlichen Beleg meinst, das sei erst ab 2015 der Fall, wie Du das nun erneut behauptest, ohne dass Du - davon gehe ich bis zum Beweis des Gegenteils aus - die grundlegende Rechtsprechung des Zweiten Senats seit spätestens 1977 differenziert kennst, also mindestens auch die Begründungen der Jahre 1990 und 1998 nicht wirklich in Deiner Darlegungen mit einfließen lässt. Wie willst Du aber ohne die differenzierte Kenntnis der hier seit 1977 vollzogenen Rechtsprechung des Zweiten Senats darüber diskutieren wollen, was dem Zweiten Senat nach 2015 möglich gewesen wäre und was nicht?

Dabei geht es nicht um eine Jahreszahl, wie Du mit Deiner abschließenden Aussage zu glauben scheinst ("Okay, es soll hoffentlich um die Argumentation gehen, nicht um das Jahr). Vielmehr baut die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts systematisch aufeinander auf, weil nur so eine Rechtsprechung zu vollziehen ist, die den Anspruch hat, sachlich widerspruchsfrei zu sein. Hätte der Zweite Senat also 2015 den einen-Personen-Haushalt, den Du in Deinem vorletzten Beitrag zur Grundlage der Prüfung hattest machen wollen, zur Grundlage seines Prüferverfahrens gemacht, hätte es eine vollständig neue Bezugsgröße gewählt, die nun hätte widerspruchsfrei in die Kontinuität der seit Mitte der 1950er Jahre vollzogenen Besoldungsrechtsprechung des Zweiten Senats hätte eingefügt werden müssen. Das aber wäre - und ist auch weiterhin - sachlich ausgeschlossen, nämlich nicht erst seit 2015, sondern spätestens seit 1977, als das Bundesverfassungsgericht diese Wegscheidung endgültig konkretisiert hat, indem es einen alimentativen Mehrbedarf von kinderreichen Beamtenfamilien nicht nur zum Teil unserer Rechtsordnung gemacht, sondern angefangen hat, diesen Teil unserer Rechtsordnung zunehmend verfassungsrechtlich auszuformen, sodass das nicht mehr aus der Rechtspraxis des Alimentationsprinzips hinweggedacht werden kann, solange dieses nicht vom Gesetzgeber im Zuge einer Verfassungsänderung grundlegend verändert wird. Denn wie hätte nun nach 2015 diese Rechtsprechung zum alimentativen Mehrbedarf vollzogen werden sollen, wenn nicht mehr die vierköpfige Beamtenfamilie die Bezugsgröße zur Prüfung der dem Beamten gewährten Nettoalimentation wäre, sondern der unverheiratete und kinderlose einzelne Beamte?

Es geht also nicht um eine Jahreszahl: Es geht um eine seit Mitte der 1950er Jahre kontinuierlich gewachsene Besoldungsdogmatik, die der Zweite Senat sachlich methodisch fortführen muss, und zwar das nur umso mehr, wenn er - wie das seit 2012 erfolgt - eine neue Dogmatik zum Besoldungsrecht entwickelt. Das aber - diese Neuentwicklung - ist so betrachtet ein sachlich komplexes Unterfangen, da sie sich nach Möglichkeit widerspruchsfrei in die gesamte bis 2012 erfolgte Rechtsprechung des Bundesverfasungsgerichts (und hier nicht nur der des Zweiten Senats zum Besoldungsrechts) einfügen muss, um diese zugleich hinsichtlich der bis 2012 gegebenen Dogmatik zum Besoldungsrecht in einem grundlegenden Maße neu zu fassen. Das Bundesverfassungsgericht kann dabei - allein wegen der in der Vergangenheit in der Rechtspraxis ausgeformten Grundsätze des Berufsbeamtentums - nicht einfach einen "Schnitt" machen und also die eigene Rechtsprechung aus der Zeit vor 2012 für unwirksam erklären, sondern es hat seine jeweils aktuelle Rechtsprechung mit dem Ziel der Widerspruchsfreiheit in die überkommene Rechtsprechung einzuordnen. Nur so ist Verfassungsrechtsprechung als solche möglich.

Wer also glaubte, das ginge mal eben "Hopp Hopp", und also meinte, das hätte nun seit 2016 mal eben so zwischendurch möglichst rasch geschehen können - und davon gibt es hier offensichtlich nicht wenige -, der zeigte damit nur eines, dass er von der Komplexität bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung keine Ahnung hat, weil er sich bislang nicht hinreichend tief in sie eingearbeitet hat, soll heißen: Wer das so sieht und also meint, dass die Rechtsprechung doch einfach viel schneller hätte vollzogen werden können oder auch jetzt vollzogen werden kann, der dürfte kaum je bislang allein die aktuelle Entscheidung systematisch gelesen, sich also in eine Bibliothek hingesetzt haben, um dann anhand der vom Bundesverfassungsgericht angegebenen Verweise das zu machen, was nötig ist, um die Rechtsprechung in ihrer Komplexität zu durchdringen, nämlich diese Verweise einen nach den anderen nachzuschlagen, zu durchdringen und in seinen Folgen für die Passage, auf die der Verweis zielt, einzuordnen:

"Beim Mindestabstandsgebot handelt es sich – wie beim Abstandsgebot – um einen eigenständigen, aus dem Alimentationsprinzip abgeleiteten Grundsatz. Es besagt, dass bei der Bemessung der Besoldung der qualitative Unterschied zwischen der Grundsicherung, die als staatliche Sozialleistung den Lebensunterhalt von Arbeitsuchenden und ihren Familien sicherstellt, und dem Unterhalt, der erwerbstätigen Beamten und Richtern geschuldet ist, hinreichend deutlich werden muss (vgl. BVerfGE 81, 363 <378>; 99, 300 <321 f.>; 140, 240 <286 f. Rn. 93 f.>). Dieser Mindestabstand wird unterschritten, wenn die Nettoalimentation (unter Berücksichtigung der familienbezogenen Bezügebestandteile und des Kindergelds) um weniger als 15 % über dem Grundsicherungsniveau liegt (vgl. BVerfGE 81, 363 <382 f.>; 99, 300 <321 f.>; 140, 240 <286 f. Rn. 93 f.>). Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist nach wie vor davon auszugehen, dass die Besoldungsgesetzgeber das Grundgehalt von vornherein so bemessen, dass – zusammen mit den Familienzuschlägen für den Ehepartner und die ersten beiden Kinder – eine bis zu vierköpfige Familie amtsangemessen unterhalten werden kann, so dass es einer gesonderten Prüfung der Besoldung mit Blick auf die Kinderzahl erst ab dem dritten Kind bedarf (vgl. BVerfGE 44, 249 <272 f.>; 81, 363 <377 f.>; 99, 300 <315 f.>). Die vierköpfige Alleinverdienerfamilie ist demnach eine aus der bisherigen Besoldungspraxis abgeleitete Bezugsgröße, nicht Leitbild der Beamtenbesoldung. Auch hinsichtlich der Strukturierung der Besoldung verfügt der Besoldungsgesetzgeber über einen breiten Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfGE 44, 249 <267>; 81, 363 <376>; 99, 300 <315>). Es besteht insbesondere keine Verpflichtung, die Grundbesoldung so zu bemessen, dass Beamte und Richter ihre Familie als Alleinverdiener unterhalten können. Vielmehr steht es dem Besoldungsgesetzgeber frei, etwa durch höhere Familienzuschläge bereits für das erste und zweite Kind stärker als bisher die Besoldung von den tatsächlichen Lebensverhältnissen abhängig zu machen." (Rn. 47, mit Ausnahme des Begriffs der "Grundbesoldung", der im Zitat vom Bundesverfassungsgericht selbst hervorgehoben wurde, Hervorhebung durch mich)

Hast Du das bisher getan, NordWest, hast Du Dich also mit der von mir im Zitat hervorgehobenen Rechtsprechung auseinandergesetzt, sodass Du sie als Ganze durchdrungen hast? Ist Dir also konkret klar, worauf sich der Zweite Senat in den von mir hervorgehobenen Verweisen bezieht, mit denen er die Verwaltungsgerichtsbarkeit darauf verweist, was er im Zusammehang mit der jeweiligen Direktive in der Vergangenheit entschieden und was diese also in ihrer Rechtsprechung beachtend heranzuziehen hat? Weißt Du, was wiederum dann in den Passagen, auf die sich der Zweite Senat bezieht, an weiteren Verweisen auf weitere zu beachtende Rechtsprechung der Vergangenheit steht? Ist Dir darüber hinaus klar, wieso das Bundesverfassungsgericht in der Rn. 47 den Begriff der "Grundbesoldung" hier kursiv gedruckt hervorhebt, was ein in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht eher seltenes Stilmittel ist, das also hier gezielt verwendet wird, um die Verwaltungsgerichtsbarkeit unter anderem darauf zu verweisen, dass es - so wie ich das gestern ausgeführt habe - keinen hergebrachten Grundsatz gibt, nach dem der Dienstherr verpflichtet wäre, den Beamten allein aus dem Grundgehaltssatz heraus amtsangemessen zu alimentieren? Hast Du eine begründete Ahnung, welche Probleme aus dieser letzten Frage sachlich herrühren, nicht zuletzt für ein Prüfverfahren, aber auch materiell-rechtlich?

Ich gehe davon aus, dass Du - wenn Du sie Dir ehrlichen Herzens stellst - keine dieser Fragen mit "Ja" beantworten kannst: Und insofern dem so sei, wie könnest Du Dir dann so sicher sein, dass Du Dir eine begründete Meinung über die neue Dogmatik zum Besoldungsrecht bilden und also eine sachgerechte Beurteilung dessen leisten kannst, was Du weiterhin beurteilst? - Diese Frage(n) können sich übrigens alle stellen, die beständig meinen, dass der Zweite Senat viel zu lange bräuchte, bis er zu weiteren Entscheidungen käme. Wer nicht alle Fragen mit einem weitgehend uneingeschränkten "Ja" beantworten kann, wird diesbezüglich kaum eine sachliche Meinung präsentieren können.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5777 am: 25.02.2024 15:52 »
Na gut, auch dieser Beitrag ist als solcher zu lang, um als Einheit hier vorgelegt zu werden. Also unterteile ich ihn noch einmal.

[2] Und diese letzten Darlegungen können wir nun weiter konkretisieren. Denn darum habe ich Dich nun wiederholt gebeten, ohne dass das bislang erfolgt ist: nämlich um eine präzise Konkretisierung. - Und dass sie weiterhin nicht erfolgt, Du also an keiner Stelle konkret wirst und also bislang nirgends aus der zu beachtenden Rechtsprechung des Senats heraus argumentiertest, genau daraus ziehe ich den Schluss, dass Dir das nicht möglich ist; denn ansonsten hättest Du Argumente gebracht, die sich an der differenziert zu betrachteten Rechtsprechung des Zweiten Senats angelehnt hätten, um aus dieser Rechtsprechung heraus Deine Kritik zu begründen.

Du behauptest nun, ich würde ebenfalls "Stuß" schreiben (und das darfst Du, es stört mich nicht, da Du mir auch in Deinen Beiträgen aus der Vergangenheit sympathisch bist), erkennst dabei aber offensichtlich das, was ich in dem von Dir hervorgehobenen Zitat schreibe, gar nicht als solches, um dann wiederum eine allgemeine Behauptung aufzustellen. Insofern drehe ich nun die Kommunikation mal um: Nicht ich weise Dir nun ein weiteres Mal den sachlichen Unsinn dessen nach, was Du in der von mir mit der Ziffer 2 gekennzeichneten Passage schreibst, sondern ich bitte Dich, mir diesen Fall für die Zeit ab 2012 anhand der ab jener Zeit - nach Möglichkeit den frühstmöglichen - anhängigen Verfahren vor dem Zweiten Senat zu nennen, von dem Du ungeprüft ausgehst, dass es ihn so gebe, den einen Beamten, dessen Alimentation (denn darum müsste es gehen; diese Klammer mit ihrem Verweis auf die Alimentation und nicht auf die Besoldung wird bewusst gesetzt) ausschließlich auf dem Grundgehalt beruhte. Die einzige Bedingung hierbei ist, dass es ein Fall ist, der vor dem 04. Mai 2020 beim Bundesverfassungsgericht anhängig war:

Also: Bitte nenne mir die anhängigen Fälle von Beamten, deren Normenkontrollverfahren vor dem 04. Mai 2020 beim Bundesverfassungsgericht anhängig waren und die im Klagezeitraum ausschließlich eine Grundbesoldung als Alimentationsgrundlage bezogen haben. Nenne mir nach Möglichkeit zugleich den frühstmöglichen Fall. Wenn Du das kannst, weise ich Dir dann an diesem Fall den Unsinn Deiner diesbezüglichen Vorstellungswelt, wie Du sie nun erneut in der Ziffer 2 darlegst, auf Basis der bis dahin zu beachtenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach - denn wie unter der Ziffer 1 hervorgehoben, liegt hier ja eine Kontinuität vor, die sich seit 2012 über die Entscheidungen aus den Jahren 2015, 2017 und 2018 bis zur akutellen erstreckt und auf den seit Mitte der 1950er Jahre ergangenen bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen über das Besoldungsrecht beruht.

Wir schauen dann mal, ob das, was ich schreibe, dort tatsächlich "Stuß" war.


[3.] Den Begriff der "Rechtseffizenz" kenne ich nicht. Ich denke, Du meinst den "effektiven Rechtsschutz", ohne dass ich hier nun über Begriffe diskutieren will.

In Deiner Passage wirfst Du weiterhin die Gewährung einer amtsangemessenen Alimentation (bzw. deren Nicht-Gewährung) und die Kontrolle über die Gewährung einer amtsangemessenen Alimentation in eins, was auch durch die stetige Widerholung nicht richtiger wird. Es gilt jedoch weiterhin zwischen der Gewährung einer Alimentation und der Kontrolle, ob sie gewährt wird, sachlich zu trennen. Geht man so vor, stellt sich der "effektive Rechtsschutz" wie folgt dar, was nach einer allgemeinen Hinleitung, die nachfolgend als erstes vorgenommen wird, dann in die Betrachtung der Deiner Meinung nach unzureichenden "Effizenz" mündet.

Zunächst einmal allgemein vorweg: Erstens hat BVR Maidowski zum effektiven Rechtsschutz unlängst einiges gesagt und insbesondere einiges zur Beschleunigung der anhängigen Verfahren ausgeführt, ohne dass ich das hier nun wiederholen müsste. Darüber hinaus schreibe ich hier zweitens aus dem Fokus heraus, den ich ebenfalls wiederkehrend habe: Ich bin selbst ein seit 2005 Betroffener und habe also ein mittlerweile im zwanzigsten Jahr bestehendes Interesse, dass nun endlich die Garantie des effektiven Rechtsschutzes auch im Besoldungsrecht hier in Niedersachsen rechtsgültig vollzogen wird, was mich offensichtlich dazu führt, mit kritischen Augen auf die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum Besoldungsrecht zu blicken. Um nun für die Sicherstellung des effektiven Rechtsschutze zu sorgen, hat der Zweite Senat drittens 2012, 2015, 2017, 2018 und 2020 maßgebliche Entscheidungen getroffen, wobei sich erst seit 2021/22 nun der konzertierte Verfassungsbruch, von dem Ulrich Battis spricht, als solcher offenbart. Wir haben also viertens seitdem 17 Besoldungsgesetzgeber vor uns, für die wir Fall für Fall in seiner seit 2021/22 vollzogenen Novellierung des Besoldungsrechts begründet den Nachweis führen können, dass hier grundlegende Direktiven der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur systematisch missachtet werden, und zwar insbesondere hinsichtlich der beiden Abstandsgebote und der prozeduralen Anforderungen, die der Gesetzgeber zu erfüllen hat. Soweit der allgemeine Rahmen, in den Du und ich eingebunden sind.

Die unter viertens gerade genannte Erkenntnis des konzertierten Verfassungsbruchs, von dem Ulrich Battis spricht, liegt aber nun nicht vor, weil das Bundesverfassungsgericht nicht handelt, sondern sie liegt vor, weil das Bundesverfassungsgericht 2020 so gehandelt hat, wie es gehandelt hat - denn ohne die Entscheidung vom 04. Mai 2020 mitsamt ihrer konkreten Direktiven könnten wir das, was ich im letzten Satz des letzten Absatzes geschrieben habe, gar nicht erkennen - und leider (oder eher: zum Glück für unsere Rechtsordnung, wie sie sich heute gestaltet und zukünftig weiterhin gestalten muss) muss das Bundesverfassungsgericht allein aus Verhältnismäßigkeiterwägungen (und also auch im Hinblick auf das, was ich hier in der Vergangenheit zur zukünftigen Auswirkung von bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen auf Besoldungsgsetzgeber in ggf. nächster oder übernächster Generation geschrieben habe, deren Entscheidungsmöglichkeiten folglich durch aktuelle Entscheidungen zukünftig zunehmend eingeschränkt werden, ohne dass sie für das verfassungsrechtlich völlig unverantwortliche Handeln der heutigen Besoldungsgesetzgeber irgendeine Verantwortung trügen) erst einmal die Sachlage als solche sich entwickeln lassen: Denn es hat einen Kontrollauftrag, den es in konkreten Normenkontrollverfahen nur anhand des Handelns des Gesetzgebers aus der Vergangenheit erfüllen kann. Das ist für uns Normunterworfene frustrierend, aber es liegt nun einmal in der Natur der Sache eines konkreten Normenkontrollverfahrens - die Verantwortung für die Missachtung der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur liegt ausschließlich bei den Besoldungsgesetzgebern, die im Normalfall als einzige berechtigt sind, mittels ihrer gesetzlichen Entscheidungen eine amtsangemessene Alimentation zu gewähren und denen ab spätestens 2021/22 regelmäßig der verfassungswidrige Gehalt ihres Handelns im Verlauf der Gesetzgebungsverfahren begründet nachgewiesen worden ist und weiterhin wird.

Wir dürfen dabei nun davon ausgehen, dass in den angekündigten Entscheidungen über die drei Rechtskreise weitere Grundsatzentscheidungen gefällt werden. Und wenn ich es richtig sehe, möchte ich ich nicht in der Haut der hier betroffenen Verantwortungsträger stecken - nicht umsonst fängt jetzt Sachsen an, sich zu bewegen, weil es offensichtlich verstanden hat, dass es (wie ich das hier in der Vergangenheit ja regelmäßig begründet habe) ganz oben auf der Liste derer stehen dürfte, die alsbald mit einer Vollstreckungsanordnung rechnen müssen. Niedersachsen und ggf. Schleswig-Holstein, die sich im direkten Vorfeld einer weiteren bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung finden, von der sie unmittelbar betroffen sein werden, scheinen für diese Erkenntnis bislang offensichtlich noch etwas länger zu brauchen. Insbesondere die niedersächsischen Verantwortungsträger scheinen dabei weiterhin nicht in Ansätzen zu realisieren, dass nun sie, die der Zweite Senat in den angekündigten Entscheidungen sowieso schon ganz weit nach oben der Kandidaten gesetzt haben wird, die alsbald der Vollstreckung unterfallen dürften, durch Sachsens Handeln besonders weit auf der Leiter der Vollstreckung nach oben klettern.

Die Rechtsprechung ist also effektiv, da sie seit 2016 zu mehr als 51 Vorlagebeschlüsse geführt hat. Sie wäre es nicht, wenn sie nicht zu diesem Ergebnis - auch nicht in dieser Fülle des Ergebnisses - gelangt wäre, was mit der bis 2012 entwickelten bundesverfassungsgerichtlichen Dogmatik zum Besoldungsrechts in weit überwiegenden Fällen der Fall gewesen wären: Denn die seit 2016 erstellten Richtervorlagen - also die heute in Karlsruhe anhängigen Normenkontrollverfahren - wären auf Grundlage der bis 2012 überkommenen Dogmatik in einer hohen Zahl an Fällen nicht zustandegekommen - und jetzt sind wir direkt bei Deinen "Effizienzvorstellungen" angekommen: Die Kläger dieser 51 Vorlagebeschlüsse wären ohne die seit 2012/15 erfolgte Rechtsprechung des Zweiten Senats in vielen Fällen auf die Berufungsinstanz verwiesen worden, in anderen Fällen wären die Klageabweisungen rechtskräftig erfolgt. Die Berufungsinstanz wäre dann weitgehend zum selben Ergebnis gelangt, sodass am Ende das Bundesverwaltungsgericht mit ebenfalls dem selben Ergebnis zu einer rechtskräftigen Entscheidung gelangt wäre - viele der seit 2016 also beim Bundesverfassungsgericht in zunehmender Zahl anhängigen Vorlagebeschlüsse wären dann also heute, sofern das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit nicht den Weg gegangen wäre, den es gegangen ist, rechtskräftig mit der Klageabweisung entschieden; andere würden zurzeit noch ruhend gestellt in einer der Instanzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit schlummern, um am Ende ebenfalls spätestens vor dem Bundesverwaltungsgericht im Revisionsverfahren zu scheitern. Wäre das die Effizenz gewesen, die Dir vorschwebt?

Oder meinst Du (genauso hört sich das bei Dir mit meinen Ohren an): Alles kein Problem, das Bundesverfassungsgericht hätte 2012/2015 einfach alle Entscheidungen, die es 2012, 2015, 2017, 2018, 2020 nach und nach gefällt hat und aktuell 2024 fällen wird sogleich 2012 oder 2015 fällen sollen und also das Prozeduralisierungsgebot (2012) und dessen weitere Präzisierung (2018), die indizielle Prüfprogrammatik (2015), das Abstandsgebot zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen (2017) und das Mindestabstandsgebot (2020) sowie die aktuell weiter zu erwartenden Gebote und Präzisierungen an einem Fall erstellen sollen? Und welcher Fall hätte das 2012 oder 2015 oder 2016 sein sollen - kannst Du mir den nennen?

Und wäre das aus dem Wissen des Jahres 2012 bzw. 2015 heraus (und nicht unserem Wissen heraus darüber, wie sich die Gestaltung des Besoldungsrecht danach und insbesondere seit 2021/22 entwickelt hat) verhältnismäßig gewesen? Wäre es dem Bundesverfassungsgericht Deiner Meinung nach 2015 gestattet gewesen, den weiten Entscheidungsspielraum, über den der Besoldungsgesetzgeber verfügt, durch die gerade genannten Entscheidungen sogleich in der deutlichen Form einzugrenzen, wie wir sie heute vorfinden? Wäre ein solches Handeln aus dem Wissen des Jahres 2015 heraus für Dich verfassungsrechtlich verhältnismäßig gewesen? Und dabei bliebe zu beachten, dass ein präzise ausgeformtes Mindestabstandsgebot, wie wir es heute vorfinden, ohne das 2017 erlassene Abstandsgebot zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen und ohne die 2012 festgelegten Begründungspflichten, die 2018 weitergehend präzisiert und konkretisiert worden sind, weitgehend wertlos für die höheren Besoldungsgruppen sein würde: Entsprechend bleibt neben der Frage nach der Verhältnismäßigkeit (auch im Hinblick, was ich in der Vergangenheit und auch gerade zur Entscheidungsfreiheit kommender Generationen an Gesetzgebern geschrieben habe, die heute keine Verantwortung für das Handeln ihrer Vorgänger haben) auch die Frage: An welchem konkreten Fall hätte 2015 Deiner Meinung nach eine gleichzeitige Erstellung weitgehender prozeduraler Anforderungen und die Errichtung beider Abstandsgebote erfolgen sollen? Kannst Du ihn mir nennen?
« Last Edit: 25.02.2024 16:01 von SwenTanortsch »

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5778 am: 25.02.2024 15:53 »
[4.] Ich möchte das, was es hierzu zu schreiben gibt, vorweg zunächst so einordnen: Ich gehe davon aus, dass ich mich in diesem Teil Deiner Darlegungen ganz vernünftig auskenne, da ich unter anderem die beiden ZBR-Beiträge aus dem vorletzten Jahr und letzten Jahr - wenn ich mich richtig erinnere - auch schon mal aus der Entfernung gesehen habe, die also eine entsprechende Methodik im Rahmen der bundesverfassungsgerichtlichen Kontinuität seiner Besoldungsrechtsprechung erstellt und also diese Rechtsprechung - wie nicht anders zu erwarten - zur Grundlage der Methodik gemacht haben. Zugleich gehe ich mit gesicherten Erkenntnissen davon aus, dass der Autor dieser beiden Beiträge die Ansicht vertritt, dass eine solche Methodik, wie Du sie hier skizziert, nicht bereits vor 2020 hätte erstellt werden können, ohne dass ich das hier noch weitgergehend unendlich lang ausführen möchte, weil das eines komplexen Nachweise bedürfte, der in jenen beiden Beiträgen darüber hinaus im weiteren Rahmen vollzogen worden ist. Insofern muss man die beiden Beiträge nur lesen, um festzustellen, dass sie sachlich erst nach 2020 möglich waren.

Dazu müsste man aber ebenfalls - was Du durchgehend nicht machst - die konkrete Sachlage zur jeweils konkreten Zeit in den Blick nehmen und nicht unseren heutigen Erkenntnisstand eins zu eins auf die Vergangenheit übertragen, was ich eben bereits skizziert habe und nun hier nur an einem zentralen Punkt kurz anreißen möchte:

BVR Maidowski hat in der oben genannten Stellungnahme darauf hingewiesen, dass für den Senat einiges dafür spreche, "Verfahren vorrangig zu bearbeiten, die durch mehrere gerichtliche Instanzen bis zur Ebene des Revisionsgerichts eine besonders gründliche Vorbereitung aus unterschiedlichen Perspektiven erfahren haben und auch im Bereich der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen - etwa durch bereits vorliegende Judikate des Bundesverfassungsgerichts - auf vorhandene Daten zurückgreifen können" (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/12/vb20231221_vz000323.html).

Entsprechend lässt sich hinsichtlich des Mindestabstandsgebots feststellen, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit bis 2020 dem Zweiten Senat kaum innovative Vorlagen geliefert hat, auf deren Grundlage eine ensprechende Entscheidung wie die dann 2020 erfolgte aktuelle möglich gewesen wäre. Denn hinsichtlich des Mindestabstandsgebots sind die allemeisten bis dahin in Karlsruhe eingegangenen Richtervorlagen zu dem Schluss gekommen, dass das Mindestabstandsgebot nicht verletzt sei: Die allermeisten der bis 2020 in Karlsruhe eingegangenen Vorlagen gaben also weitgehend keinen Anlass, sie hinsichtlich der Mindestalimentation zu betrachten, da sie (bzw. ihr verletzter Gehalt, wie er sich uns heute darstellt) in ihnen gar nicht angegriffen worden ist.

Insbesondere das OVG Niedersachsen und das Bundesverwaltungsgericht sind dann 2017 und 2018 von dieser weitgehend einheitlichen Linie der Verwaltungsgerichtsbarkeit abgewichen und haben auf Basis substantiierter Klagebegründungen umfassende und also innovative Betrachtungen und Entscheidungsbegründungen erstellt, die sachlich nötig waren, damit sich der Zweite Senat überhaupt mit dem Mindestabstandsgebot sachlich beschäftigen konnte, die also dem Zweiten Senat ebenfalls zur Entscheidung vorgelegt worden sind und die jener dann umgehend im Sinne von BVR Maidowskis gerade zitierten Ausführungen in Gestalt der bundesverwaltungsgerichtlichen Vorlage aus dem Jahr 2017 über die Berliner Besoldung mit der akutellen Entscheidung aufgegriffen und entschieden hat (in Deinem Sinne darf man das also durchaus als "effizient" betrachten; es gab genug andere Vorlagen, über die man 2020 ebenfalls hätte entscheiden können, ohne sich dann allerdings mit der Mindestalimentation auseinanderzusetzen und also ohne Konkretisierung des Mindestabstansgebots, da das nur an jenen drei genannten und unten verlinkten Entscheidunge möglich war; demgegenüber lagen über 30 Richtervorlagen vor, an denen das Mindestabstandsgebot nicht hätte erlassen werden können).

Denn es bedarf ja einer Vorlage, damit das Bundesverfassungsgericht überhaupt handeln kann und es entscheidet über den konkreten Inhalt dieser Vorlage - und zugleich ist auf Basis dieser 2017 und 2018 ergangenen Richtervorlagen des OVG Niedersachsen und des Bundesverwaltungsgerichts erst ab jenem Zeitpunkt die Diskussion in der Rechtswissenschaft weitergehend (insbesondere durch Martin Stuttmann) initiiert und dann im ersten Rahmen geführt worden (seine nach 2015 dargelegten Ausführungen waren maßgeblich dafür verantwortlich, dass das OVG Niedersachsen und das Bundesverwaltunsgerichte so verfahren sind, wie sie verfahren sind, mitsamt der Innovationen, über die der Zweite Senat dann 2020 im Hinblick auf die erste der beiden geannten bundesverwaltungsgerichtlichen Entscheidungen entschieden hat).

Auch von daher ist es unzeitgemäß, wenn Du annimmst, das Bundesverfassungsgericht hätte entsprechend bereits 2015 so verfahren können, wie es 2020 verfahren ist, nämlich den an die Verwaltungsgerichtsbarkeit gerichteten Prüfauftrag mittels der im fünften Leitsatz ihnen verpflichtend auferlegten "Mindestbesoldung" weiter zu präzisieren. Denn zunächst einmal hat das Bundesverfassungsgericht 2015 die Mindestalimentation als ein maßgebliches Prüfindiz eingeführt. Erst auf Grundlage der genannten Vorlagen des OVG Niedersachsen und des Bundesverwaltungsgerichts aus den Jahren 2017 und 2018 sowie der ab demselben Zeitraum begonnenen Diskussion in der Literatur hat das Bundesverfassungsgericht 2020 das Mindestabstandsgebot erlassen und eine realitätsgerechte Bemessung der Mindestalimentation vollzogen.

Dies ist der typische Weg bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung: Die Senate geben mit ihrer Rechtsprechung Anregungen, die die Literatur aufnimmt und die ebenso durch Kläger im Rahmen ihrer Klageverfahren aufgenommen und substantiiert werden, sodass die Gerichte zu begründeten Entscheidungen kommen, die sie am Ende dem Bundesverfassungsgericht als Vorlage zur rechskräftigen Entscheidung vorlegen. Da dieser Prozess 2015 erst initiiert werden konnte - nämlich auf Grundlage der zu jener Zeit geringen Zahl an in Karlsruhe anhängigen Vorlagen -, ist es eine unzeitgemäße Vorstellung, zu glauben, schon dort hätte nun eine voll ausgeführte Methodik zur indiziellen Mindestbesoldung erstellt werden können.

Vielmehr hat der Zweite Senat im Sinne des dargelegten typischen Wegs der Arbeit am Recht in der aktuellen Entscheidung das Mindestabstandsgebot auf Grundlage der seit 2015 ergangenen Erfahrungen in Literatur und Rechtsprechung ausgeformt, um nun über den Fünften Leitsatz die Verwaltungsgerichtsbarkeit anzuweisen, in der Prüfung der substantiierten Klagen das Indiz der Mindestbesoldung zu prüfen - leider hat das aber bis auf den VGH Hessen bislang kein weiteres Gericht aufgenommen. Auch finden sich in der Literatur nur wenige umfassendere Beiträge zur Mindestbesoldung wie bspw. die beiden genannten ZBR-Beiträge. Insofern gilt es weiterhin zu hoffen, dass der Zweite Senat nun - im Jahr 2024 - ebenfalls den indiziellen Parameter der Mindestbesoldung methodisch weiter ausformt. Und tut er das nicht, läge das daran, dass seit 2020 hier eine nur eher eingeschränkte Arbeit am Recht in der Rechtsprechung und Literatur erfolgt ist - was ebenfalls nicht in der Verantwortung des Zweiten Senats liegt.

Dabei kann eben eine solche Methodik nicht - wie Du es weiterhin am Ende Deiner Entgegnung glaubst - vom ledigen und kinderlosen Beamten ausgehen, wie ich das nun oben ein weiteres Mal skizziert habe. Vielmehr muss das indizielle Mittel der Mindestbesoldung aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts heraus entwickelt werden, wie das in den beiden genannten ZBR-Beiträgen erfolgt und in Stellungnahmen in verschiedenen Gesetzgebungsverfahren der letzten zwei Jahre konkretisiert worden ist, d.h., sie muss von der Mindestalimentation ausgehen und folglich in der jahrzehntelangen Kontinuität der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur vierköpfigen Beamtenfamilie gründen, deren Pendant hier die vierköpfige Bedarfsgemeinschaft ist. Alles andere wäre sachlich - wie in der Ziffer 1 ein weiteres Mal dargelegt - nicht möglich; ensprechend geht auch der VGH Hessen in seiner Methodik von der jeweils vierköpfigen Familie aus.

Insofern ist das, was Du unter der Ziffer 4 als Idee formulierst, ebenfalls sachlich abwägig: Denn die anderen vier Prüfparameter haben auch hier anders, als Du das glaubst, sachlich rein gar nichts mit dem vierten Prüfparameter der ersten Prüfungsstufe - dem systeminternen Besoldungsvergleich auf Basis des Mindestabstandsgebots und des Abstandsgebots zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen - zu tun, sind hier also konkret in der Methodik zur Betrachtung der Mindestbesoldung gar nicht heranzuziehen.

Was Du also konstruieren willst, bleibt nach wie vor in der Praxis völlig unklar, da Du weiterhin nicht einmal in Ansätzen die bundesverfassungegrichtliche Judikatur zur Basis Deiner Ideen machst. Zugleich willst Du offensichtlich "rote Linien" konstruieren, die sich allein deshalb schon nicht darstellen lassen, weil Deine Idee materiell-rechtlich angelegt ist, es sich bei der Mindestbesoldung jedoch um ein indizielles Maß handelt, das für sich genommen keine "roten Linien", sondern im Prüfverfahren nur ein Maß schaffen kann, das aufschließt, wie weitgehend und tief eine in der Prüfung zu betrachtende Besoldungsordnung indiziell als verletzt zu betrachten ist, so wie das vom Zweiten Senat 2020 mit Blick weiterhin auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgeführt worden ist:

"Neben der Anhebung der Grundgehaltssätze und Veränderungen im Beihilferecht kommt [materiell-rechtlich; ST.] insbesondere auch eine Anhebung des Familienzuschlags in Betracht (vgl. BVerfGE 140, 240 <287 Rn. 94>). Ob eine zur Behebung eines Verstoßes gegen das Mindestabstandsgebot erforderliche Neustrukturierung des Besoldungsgefüges zu einer Erhöhung der Grundgehaltssätze einer höheren Besoldungsgruppe führt, lässt sich daher nicht mit der für die Annahme eines Verfassungsverstoßes erforderlichen Gewissheit feststellen. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist umso größer, je näher die zur Prüfung gestellte Besoldungsgruppe selbst an der Grenze zur [indiziellen] Mindestbesoldung liegt. Je deutlicher der [indizielle; ST.] Verstoß ausfällt und je mehr Besoldungsgruppen hinter dem Mindestabstandsgebot zurückbleiben, desto eher ist damit zu rechnen, dass es [matriell-rechtlich; ST:] zu einer spürbaren Anhebung des gesamten Besoldungsniveaus kommen muss, um die gebotenen Abstände zwischen den Besoldungsgruppen wahren zu können. Die [indizielle; ST.] Verletzung des Mindestabstandsgebots bei einer niedrigeren Besoldungsgruppe ist daher (nur) ein Indiz für die unzureichende Ausgestaltung der höheren Besoldungsgruppe, das mit dem ihm nach den Umständen des Falles zukommenden Gewicht in die Gesamtabwägung einzustellen ist." (Rn. 49)

Da Du Dich offensichtlich mit alledem noch nicht weitergehend oder hinreichend beschäftigt hast - ich kann eine solche Beschäftigung jedenfalls aus dem, was Du in den letzten Tagen schreibst, nicht einmal in Ansätzen erkennen -, weißt Du weitgehend gar nicht, also konkret, wovon Du hier schreibst. Vielmehr hast Du den - nachvollziehbaren - Wunsch, dass nun endlich wieder eine amtsangemessene Alimentation gewährt werden soll.

Dieser Wunsch ist nachvollziehbar und einigt uns - aber ich gehe davon aus, dass Du mit mir, sofern Du Dich damit bislang nicht hinreichend beschäftigt hättest, keine Diskussion über die Bedeutung chiraler Moleküle für die Stereochemie führen wolltest und wenn doch, dass Du dann nicht so weitgehende moralische Urteile fällen würdest, wie Du das hinsichtlich des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts machst.

Der Zweite Senat hat mit den anstehenden Entscheidungen eine richtig schwierige Aufgabe vor sich - aber die Verantwortung dafür trägt nicht er, sondern tragen 17 Besoldungsgesetzgeber, die seit spätestens 2021/22 verfassungsrechtlich völlig außer Rand und Band geraten sind und mittlerweile einen verfassungsrechtlichen Scherbenhaufen hinterlassen haben, der schwerlich wieder zu kitten sein wird. Das ist die Crux unseres Themas und nicht die Rechtsprechung des Zweiten Senats, die seit 2012 dem Besoldungsgesetzgeber zunehmend engere Grenzen in seinem weiten Entscheidungsspielraum gesetzt hat - und hätte er das nicht, würden wir die Diskussionen, die wir hier führen, gar nicht führen, da wir davon ausgehen würden, dass wir amtsangemessen alimentiert werden. Und das gilt insbesondere für das Mindestabstandsgebot - wäre der Zweite Senat 2020 nicht mit seiner weitgehenden Rechtsprechung zum Mindestabstandsgebot vorangeschritten, dann würde sich hier keine Debatte führen lassen, dass er ja nicht "effizient" oder nicht "effektiv" oder nicht "schnell" genug oder "verzögernd" oder was hier noch alles an entsprechenden Moralurteilen erfolgt gehandelt habe: Und jeder, der die genannten innovativen Entscheidungen des OVG Niedersachsen und des Bundesverwaltungsgericht hinlänglich kennt, weil er sie in der Vergangenheit ebenfalls jeweils mehrfach durchdrungen hat, um sich ein sachliches Bild von ihnen zu machen, wird feststellen, dass der Zweite Senat mit seiner aktuellen Entscheidung weit über diese beiden hinausgegangen ist, und zwar sehr weit über die des OVG Niedersachsen und weit über die des Bundesverwaltungsgericht. Wenn man auch diese nachfolgend verlinkten Entscheidungen mitsamt ihren Begründungen nicht differenziert gelesen hat, weiß man auch diesbezüglich weitgehend nicht, wovon man spricht.

Ergo: viel Spaß beim Lesen: Die ersten beiden Vorlagen sind - heute nur noch aus der historischen Sicht - sehr interessant, die zweite ist die Vorlage für die aktuelle Entscheidung; die dritte ist die Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts zur niedersächsischen Besoldung und Alimentation, über die das Bundesverfassungsgericht in nächster Zeit entscheiden wird. Wenn man alle drei Entscheidungen liest - nicht zuletzt im Hinblick auf das heute gegebene Mindestabstandsgebot -, dann wird man feststellen, wie meilenweit entfernt die damalige historische Situation von unseren heutigen Auffassungen und Sichtweisen ist - und die Entscheidungen liegen noch keine sechs und sieben Jahre entfernt:

OVG Niedersachsen, Beschl. v. 25.04.2017 - Az.: 5 LC 77/17 -; https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/8d2d24e7-29f2-47ac-bc6b-3aab9f4b8ceb

Beschluss vom 22.09.2017 - BVerwG 2 C 56.16 -; https://www.bverwg.de/entscheidungen/pdf/220917B2C56.16.0.pdf

BVerwG, Beschl. v. 30.10.2018 - BVerwG 2 C 32.17 -; https://www.bverwg.de/entscheidungen/pdf/301018B2C32.17.0.pdf

(Man darf übrigens in den drei Entscheidungen wiederkehrend gerne Ausschau nach Martin Stuttmann halten, der wie oben dargestellt mit seinen Beiträgen maßgeblich zur Entstehung eines Mindestabstandsgebots beigetragen hat; dieser sein Beitrag beginnt wie oben dargelegt nach den beiden 2015er Entscheidungen)

NordWest

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Bist Du Dir sicher, dass Du über genügend sachliche Kenntnisse verfügst, um Deine sehr weitgehenden Forderungen an eine weiterzuentwickelnde Dogmatik zum Besoldungsrecht sachlich begründen zu können? Und bist Du Dir sicher, dass Du das aus Deinen heutigen Kenntnissen heraus für die jeweilige Zeit, von der Du sprichst, sachlich beurteilen kannst? Ich wäre Dir verbunden, wenn Du Dir - und ggf. auch mir - diese beiden Fragen ehrlichen Herzens beantworten würdest.

Deine Kenntnisse vergangener Urteile sind sicherlich höher als meine - und zwei Drittel Deines Beitrages zählen diese Kenntnisse auf, auch wenn Du irrst, wenn Du behauptest, dass ich in keiner dieser Fragen Kenntnisse hätte; aber darum geht es gar nicht - denn Kenntnisse einer Materie zu  haben heißt noch lange nicht, dass Du mit Deiner These recht hättest. Das bessere Argument entscheidet eine Debatte. Wer sich mit guten Kenntnissen rühmt, der sollte keine Schwierigkeiten haben, starke Argumente anzuführen. Wo sind sie also, die starken Argumente?

Machen wir es ganz konkret. Du argumentierst ja, dass das BVerfG meinem Vorschlag in den Urteilen nach 2010 gar nicht mehr hätte folgen können wegen der Vorfestlegungen aus früheren Urteilen, insbesondere dem 1977er. Das bestreite ich. Also: Argumente auf den Tisch!

Darüber hinaus ist die vierköpfige Beamtenfamilie - wie nun schon mehrfach dargelegt - seit jeher und konkret seit spätestens 1977 umfassend präzisiert "eine aus der bisherigen Besoldungspraxis abgeleitete Bezugsgröße" zur Prüfung des amtsangemessenen Gehalt der gewährten Nettoalimentation
[...]
Hätte der Zweite Senat also 2015 den einen-Personen-Haushalt, den Du in Deinem vorletzten Beitrag zur Grundlage der Prüfung hattest machen wollen, zur Grundlage seines Prüferverfahrens gemacht, hätte es eine vollständig neue Bezugsgröße gewählt, die nun hätte widerspruchsfrei in die Kontinuität der seit Mitte der 1950er Jahre vollzogenen Besoldungsrechtsprechung des Zweiten Senats hätte eingefügt werden müssen. Das aber wäre - und ist auch weiterhin - sachlich ausgeschlossen, nämlich nicht erst seit 2015, sondern spätestens seit 1977, als das Bundesverfassungsgericht diese Wegscheidung endgültig konkretisiert hat, indem es einen alimentativen Mehrbedarf von kinderreichen Beamtenfamilien nicht nur zum Teil unserer Rechtsordnung gemacht, sondern angefangen hat, diesen Teil unserer Rechtsordnung zunehmend verfassungsrechtlich auszuformen, sodass das nicht mehr aus der Rechtspraxis des Alimentationsprinzips hinweggedacht werden kann, solange dieses nicht vom Gesetzgeber im Zuge einer Verfassungsänderung grundlegend verändert wird. Denn wie hätte nun nach 2015 diese Rechtsprechung zum alimentativen Mehrbedarf vollzogen werden sollen, wenn nicht mehr die vierköpfige Beamtenfamilie die Bezugsgröße zur Prüfung der dem Beamten gewährten Nettoalimentation wäre, sondern der unverheiratete und kinderlose einzelne Beamte?

Du behauptest hier, dass ich gefordert hätte, dass die vierköpfige Beamtenfamilie nicht länger Grundlage für die  Überprüfung hinsichtlich einer größeren Beamtenfamilie sein sollte. Das ist aber gar nicht der Fall. Im Gegenteil fordere ich, dass das genau so weiterhin stattfindet und frage mich, wo Du diese Idee her hast, jedenfalls nicht von mir. Ich möchte eben nur nicht mit der vierköpfigen Beamtenfamilie anfangen, wenn es um die Überprüfung der Alimentation geht, sondern bei alleinstehenden Beamten. Von ihm ausgehend kann alles weitere entwickelt werden. Zunächst die Familie mit einem Kind, dann die mit zwei Kindern und von dort aus wie gehabt die kinderreiche Familie. Am letzten Schritt (der Schlussfolgerung von der Zweikindfamilie auf die größere Familie) ändert sich gar nichts - nur wird die Grundlage (die vierköpfige Familie) eben selbst auch bereits hergeleitet.

Wenn Du in dieser Idee einen klaren Widerspruch zur 77er-Entscheidung sähest, wäre ich gespannt auf Dein Zitat aus dem 77er-Urteil, das dem entgegensteht - wenn aber nicht, dann hätte man in der jüngeren Urteilsserie  genau diesen Weg gehen sollen und können.

Klären wir erstmal diesen fundamentalen Aspekt.
« Last Edit: 25.02.2024 20:17 von NordWest »

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5780 am: 25.02.2024 20:54 »
Nimm es mir nicht übel, NordWest - aber nun wäre erst einmal an Dir, meine Fragen zu beantworten. Wenn Du das getan hast, diskutiere ich gerne mit Dir weiter. Für einen unendlichen Regress auf demselben Niveau, wie ich ihn zu Beginn dieses Forumteils mit WasDennNun erlebt habe, habe ich weder die Zeit noch die Lust. Denn ich gehe davon aus, dass wir hier in diesem Forumteil nun doch vom Kenntnisstand etwas weiter sind als noch vor über drei Jahren.

Wenn Du meinst, dass Deine aus dem Ärmel geschüttelten Sichtweisen ohne tiefere Kenntnis der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung passend sind, dann glaub fest daran. Für ein Argument bedarf es allerdings erst einmal der Kenntnis. Und was Du hier präsentierst, sind keine Argumente, sondern Behauptungen und Meinungen, die Du nun seit Beginn deiner diesbezüglichen Darlegungen mit nicht einem konkreten Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht präsentierst. Ich habe meine Darlegungen sowohl in der Vergangenheit als auch aktuell an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begründet. Jetzt wäre es offensichtlich erst einmal an Dir, das entsprechend ebenfalls zu tun und nicht nur auf Basis Deiner Behauptungen und Meinungen fröhlich immer weiter zu machen.

Denn man kann nicht das von Dir gesetze Thema: "Eine verfassungskonforme Grundbesoldung als Fixum wäre strategisch wichtig" diskutieren wollen, ohne dabei die entsprechende Rechtsprechung konkret in den Blick zu nehmen.

Das, was Du dabei als "Vorschlag" begreifst, ist kein Vorschlag, sondern eine allgemeine Meinung, die nicht einmal entfernt etwas mit der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu tun hat. Und wenn Du nicht erkennen kannst, das und wo ich diesen Sachverhalt heute argumentativ begründet habe, dann kann ich auch nicht weiterhelfen.

Wenn Dich das Thema interessiert, dann lies vielleicht am besten erst einmal die genannten beiden ZBR-Beiträge. Eventuell fällt dann der Groschen. Und wenn nicht, ist das auch nicht schlimm.

NordWest

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5781 am: 26.02.2024 04:08 »
Nicht ich weise Dir nun ein weiteres Mal den sachlichen Unsinn dessen nach, was Du in der von mir mit der Ziffer 2 gekennzeichneten Passage schreibst, sondern ich bitte Dich, mir diesen Fall für die Zeit ab 2012 anhand der ab jener Zeit - nach Möglichkeit den frühstmöglichen - anhängigen Verfahren vor dem Zweiten Senat zu nennen, von dem Du ungeprüft ausgehst, dass es ihn so gebe, den einen Beamten, dessen Alimentation (denn darum müsste es gehen; diese Klammer mit ihrem Verweis auf die Alimentation und nicht auf die Besoldung wird bewusst gesetzt) ausschließlich auf dem Grundgehalt beruhte. Die einzige Bedingung hierbei ist, dass es ein Fall ist, der vor dem 04. Mai 2020 beim Bundesverfassungsgericht anhängig war

Auf den Absatz antworte ich noch, denn wieder interpretierst Du mich hier anders als ich es gesagt und gemeint habe. Das kam hier leider häufig vor, so dass ich mich schon frage, inwiefern Du Dir überhaupt Mühe gibst, meiner Argumentation zu folgen oder inwiefern Du nur einen möglchst schnellen Angriffspunkt suchst, der dann aber eben gar nicht meine Argumentation trifft. Hier unterstellst Du, dass ich behauptet hätte, es hätte entsprechende Vorlageverfahren gegeben, anhand dessen das BVerfG rote Linien (die Prüfkriterien) eines alleinstehenden Beamten hätte festlegen können - das habe ich aber weder gesagt, noch gemeint. Ich habe vielmehr gesagt, dass es solche Fälle natürlich gibt  (nicht als Gerichtsakte, sondern in der Realität) und dass das BVerfG für solche Basisfälle zuerst rote Linien aufstellen hätte sollen. Um diesen Weg zu gehen, braucht es auch gar nicht einen alleinstehenden Kläger, der selbst diese Fall darstellt. Denn wenn ein Beamter mit vierköpfiger Familie klagt und man diese Klage verhandelt, dann hätte das BVerfG die Prüfung dessen Alimentation selbstverständlich über eine Struktur herleiten können, die auf den roten Linien eines familienlosen Beamten beruht.

Dann hätte man die roten Linien nicht nur für die "Standardfamilie" definiert, sondern direkt für verschiedene Fälle - und hätte auch einen Basisfall für Versorgungsbezüge - das wäre rechtseffizient gewesen, da es man viel schneller viel mehr Konstellationen abgedeckt hätte. Da hat es sich aber leider nicht für entschieden.

Das, was Du dabei als "Vorschlag" begreifst, ist kein Vorschlag, sondern eine allgemeine Meinung, die nicht einmal entfernt etwas mit der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu tun hat. Und wenn Du nicht erkennen kannst, das und wo ich diesen Sachverhalt heute argumentativ begründet habe, dann kann ich auch nicht weiterhelfen.

Ist überhaupt nicht böse gemeint, aber ich glaube Du bist mittlerweile so tief in die entwickelte Dogmatik des BVerfG eingetaucht, dass Du den Gedanken gar nicht mehr zulassen kannst, dass es auch andere Wege gegeben hätte. Das methodische Vorgehen des BVerfG nach 2010 war jedoch nicht alternativlos, auch nicht infolge der 77er-Entscheidung. Es wäre leicht, das durch ein gegenstehendes Zitat aus dem Urteil zu widerlegen, wenn es einen Widerpruch dazu geben würde. Keine leeren Hüllen, sondern konkrete Textstellen. Erst recht wäre das leicht für jemanden, der die Urteile so genau kennt wie Du. Wenn es die aber nicht gibt, dann denkst Du in einer ruhigen Stunde vielleicht nochmal offener darüber nach.


Nun müssen wir es eh nehmen wie es ist, aber ich hoffe sehr, dass das BVerfG beim kommenden Urteil stärker berücksichtigt, dass jede Alimentationskonstellation, für die es keine klare roten Linien zieht, offenkundig schamlos ausgenutzt wird von den Gesetzgebern.

Übrigens abschließend, bei allem Dissens hier: Ich zolle Dir absolut Respekt für Deine Arbeit und Deinen Einsatz, man wird wohl fast von einem Lebenswerk sprechen können. Und ich drücke Dir die beide Daumen für den weiteren juristischen Kampf! Dass das BVerfG nicht verantwortlich für die Misere ist, sondern die Besoldungsgeber, teile ich ebenfalls. Nur dass es tatsächlich methodisch geschickter hätte vorgehen können, davon rücke ich nicht ab.

clarion

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5782 am: 26.02.2024 07:23 »
Das BVerfG ist aber nicht so vorgegangen, wie NordWest meint, wie das Gericht hätte vorgehen müssen. Oder ist es vielleicht doch so vorgegangen,  indem es ausgeführt hat, dass die Grundbesoldung für eine 4K-Familie reichen muss und zwar unabhängig vom tatsächlichen Familienstand?

Wieso Nordwest meinst Du , dass Beamte und ihre Familien Bedarfsgemeinschaften sein müssten. Das ist bei abhängig Beschäftigten doch auch nicht der Fall,  dass die Zahl der Kinder sich in der Bezahlung nieder schlägt.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5783 am: 26.02.2024 10:34 »
Ich habe vielmehr gesagt, dass es solche Fälle natürlich gibt  (nicht als Gerichtsakte, sondern in der Realität) und dass das BVerfG für solche Basisfälle zuerst rote Linien aufstellen hätte sollen. Um diesen Weg zu gehen, braucht es auch gar nicht einen alleinstehenden Kläger, der selbst diese Fall darstellt. Denn wenn ein Beamter mit vierköpfiger Familie klagt und man diese Klage verhandelt, dann hätte das BVerfG die Prüfung dessen Alimentation selbstverständlich über eine Struktur herleiten können, die auf den roten Linien eines familienlosen Beamten beruht.

Die letzten Zeilen Deines Posts, die ich nicht zitiere, sind freundlich und für sie bedanke ich mich in gegebener Sympathie ehrlichen Herzens, NordWest, wobei ich froh bin, wenn ich mich irgendwann wieder anderen Themen zuwenden kann, so interessant wie dieses Thema sachlich auch ist.

In dem Zitat zeigst Du ein weiteres Mal - lies die nachfolgenden Zeilen dieses Absatzes nicht als Kritik, sondern als eine Beschreibung, die nichts mit Dir als Person zu tun hat -, dass Du Dich nicht hinreichend im Thema auskennst, weshalb Du wiederkehrend zu Aussagen kommst, die nicht sachgerecht sind. Da Du Dich nicht hinreichend im Thema auskennst, scheint es für Dich so zu sein, als dass ich gar nicht auf Deine Darlegungen eingehe. Tatsächlich tue ich das die ganze Zeit, und zwar recht tiefgehend und darin Deine Darlegungen ernstnehmend, obgleich sie sachlich tatsächlich nicht ernstzunehmen sind, was Du aber nicht realisierst, weil Du - wenn ich das richtig sehe - weitgehend nicht einmal im Ansatz erkennst, was ich Dir sagen will - und genau darin zeigt sich (das ist wie gesagt nicht böse gemeint, sondern als eine nicht wertende Tatsachenbehauptung), dass Du dich nicht tiefgehend in der Materie auskennst - und sich in diesem Thema nicht tiefgehend auszukennen, ist zum Glück kein Charakterfehler. Wie wenig man weiß (weiß der Lehrer in mir), weiß man zumeist erst, wenn man schon ziemlich viel weiß.

Um nun die wiederholte Kritik (die aus Sympathie geboren ist; bei einem mir unsympathischen Gegenüber hätte ich unsere Diskussion schon lange abgebrochen, denke ich) am oben wiederkgegebenen Zitat festzumachen: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet konkrete Fälle, und zwar in konkreten Normenkontrollverfahren vergangenheitsbezogene konkrete Fälle. Es hat, wenn es in konkreten Normenkontrollverfahren entscheidet, diesen konkreten Fall zu entscheiden. Es ist dabei hier streng an seine vergangenheritsbezogene Kontrollfunktion gebunden. Es darf deshalb dabei nicht für andere Fälle zukunftsorientiert "rote Linien" konstruieren, also eine Art zukuftsorientierte Rechtsprechung auf Vorrat ("dass es solche Fälle natürlich gibt (nicht als Gerichtsakte, sondern in der Realität) und dass das BVerfG für solche Basisfälle zuerst rote Linien aufstellen hätte sollen"), da es damit unstatthaft in den weiten Entscheidungsspielraum eingreifen würde, über die der Gesetzgeber verfügt.

Was es nicht nur darf, sondern was sein Verfassungsauftrag ist, ist, über den konkreten Fall anhand der ihm vorliegenden Begründung des vorlegenden Gerichts zu entscheiden. Diese seine Entscheidung hat der jeweilige Senat ebenfalls zu begründen. Die Begründung ergibt sich auf dem Fundament des vom Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit insgesamt ausgeleuchteten Verfassungsrechts und sie - die Begründung - schreibt dabei dieses Fundament zwangsläufig fort. Sie ist also von ihrer Form her, weil aus der Vergangenheit herrührend, reflexiv, über den konkreten Fall und der Begründung des vorlegenden Gerichts aktuell und hat über die eigene Begründung Wirkung auf die Zukunft, nämlich eine grenzziehende.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss dabei insgesamt dem Anspruch folgen, das Verfassungsrecht als Ganzes widerspruchsfrei auszuleuchten und es also nach Möglichkeit widerspruchsfrei fortzuführen; alles andere würde den effektiven Rechtsschutz in Deutschland beschädigen und gefährden, da eine widersprüchliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine einheitliche Rechtsprechung der untergeordneten Gerichte garantierte, da diese dann prinzipiell nicht mehr dem Anspruch folgen könnten (der in der Realität nie vollständig eingelöst werden kann, aber das ist ein anderes Thema), den identischen Fall auf Basis der vorgefundenen Direktiven identisch zu entscheiden, sodass die Einheitlichkeit der Rechtsordnung nicht mehr gegeben wäre. Genau deshalb ist das Bundesverfassungsgericht selbst - wie jedes andere Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland ebenfalls - an seine eigene Rechtsprechung gebunden. Und deshalb bin ich nicht "so tief in die entwickelte Dogmatik des BVerfG eingetaucht, dass Du [ich] den Gedanken gar nicht mehr zulassen kannst [kann], dass es auch andere Wege gegeben hätte", sondern deshalb folge ich dieser Rechtsprechung nach Möglichkeit streng, da ich davon ausgehen muss, dass das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des jeweils konkreten Fall ebenfalls tut. Ich reproduziere also nur das, wovon ich ausgehen muss, dass das der Zweite Senat das ebenfalls tut - das heißt nicht, dass ich, moralisch betrachtet, Deinen Vorschlag nicht gut fände (denn den fände ich gut, wenn er möglich wäre), sondern dass ich ihn im Rahmen meiner Möglichkeiten aus dem Blickwinkel des Zweiten Senats betrachte, wie sich mir also seine Rechtsprechung darstellt: Mit allem anderen wäre uns hier nicht gedient; denn auf meine moralische Vorstellungswelt kann man hier im Forum getrost pfeifen, weil sie sachlich ebenfalls keine Rolle spielt. Das, was ich schreibe, dürfte also im Einzelnen wiederkehrend verkopfter wirken, als das (hoffentlich) der Mensch ist, der ich bin - und zugleich dürfte das, was ich schreibe, rechthaberischer wirken, als (ebenfalls hoffentlich) der Mensch ist, der ich bin (und der darüber hinaus durchaus einen rechthaberischen Charakterzug sein eigen nennen muss, auch wenn er weiß, dass das sicherlich nicht sein bester ist). Auch deshalb bin ich froh, wenn ich mich irgendwann wieder anderen Themen zuwenden kann, in denen es nicht wiederkehrend um "die Härte des logischen Muss" geht, sondern um die Herrlichkeit des menschlichen Chaos, wie es aus dem unlogischen Kann entspringt (aber das nur nebenbei).

Wenn ich nun also nicht das heutige Bundesverfassungsgericht mit seiner bis heute vorliegenden Rechtsprechung betrachte, sondern das Bundesverfassungsgericht zu einem Zeitpunkt der Vergangenheit, dann kann ich nur genauso vorgehen, wie ich das aktuell tue, muss also schauen, in welcher damaligen Situation das Bundesverfassungsgericht auf Basis seiner bis dahin vollzogenen Rechtsprechung für den damals gegebenen konkreten Fall wie gehandelt hat. Ich darf dabei nicht meine heutige Brille aufsetzen, da ich damit den damals reflexiv auszuleuchtenden konkreten Fall der damaligen Gegenwart verfehlen würde.Und genau das, was ich vom Anspruch her regelmäßig versuche, habe ich gestern getan: die Rechtsprechung des damaligen Senats aus ihrer Zeit heraus zu verstehen versucht, indem ich die damalige Situation 2012/15 ausgeleuchtet habe.

Dabei habe ich gezeigt, dass zu diesem Zeitpunkt eine deutlich über 30 Jahre konkretisierte Rechtsprechung der vierköpfigen Alleinverdienerfamilie als eine aus der bisherigen Besoldungspraxis abgeleitete Bezugsgröße vom Bundesverfassungsgericht heranzuziehen war, und zwar nicht, weil sich dass das Bundesverfassungsgericht spontan so überlegt hatte, sondern weil alles andere spätestens im Kontext der weiteren Entscheidungen aus dem Jahr 1990 und 1998 zu einer widersprüchlichen und also uneindeutigen Rechtsprechung hätte führen müssen, die nicht mehr die Einheitlichkeit der Rechsordnung hätte garantieren können, sodass also die an die Direktiven des Bundesverfassungsgerichts gebundenen Gerichte keine einheitliche Rechtsprechung mehr hätten vollziehen können. Deshalb habe ich gestern geschrieben, dass es dem Bundesverfassungsgericht auch 2012/2015 nicht gestattet gewesen wäre, einen "Schnitt" zu machen. Dieser "Schnitt" wäre aber notwendig gewesen, wenn der Senat so hätte vorgehen sollen, wie Du Dir das überlegt hast - und im Ergebnis hätten wir dann ein sachlich widersprüchliches Prüferverfahren vorliegen gehabt, wie sich das nachfolgend sachlich zeigen lässt.

Gehen wir also mal die von Dir angedachte Methodik durch, in der Du davon ausgehst - das ist ihr zentrales Problem -, dass Du mit ihr Grundgehaltssätze im Prüfverfahren unmittelbar betrachten könntest. Das geht aber prinzipiell leider nicht, sondern sie sind nicht zuletzt als Konsequenz der spätestens 1977 vom Zweiten Senat erfolgten Entscheidung, die vierköpfige Alleinverdienerfamilie als eine aus der bisherigen Besoldungspraxis abgeleitete Bezugsgröße heranzuziehen, um so den alimentativen Mehrbedarf kinderreicher Beamtenfamilien betrachten zu können, im Prüfverfahren nur mittelbar betrachtbar:

Der Zweite Senat hätte, sofern er diesen konkreten Fall des Beamten 2012 oder 2015 vorgefunden hätte, der ausschließlich als einzigen Besoldungsbestandteil ein Grundgehalt bezogen hätte (den es so nicht gab, sodass sich diese gesamte Frage gar nicht stellte, da sich diese Methodik 2015 gar nicht hätte konkretisieren lassen; denn wie gesagt, eine nicht konkrete und damit also Entscheidung "auf Vorrat" ist dem Senat nicht gestattet), über die Alimentation dieses einzelnen Beamten zu entscheiden gehabt, dem als Besoldungskomponenten ausschließlich nur das Grundgehalt als einzigen Besoldungsbestandteil gewährt wordfen wäre. Wenn dem so gewesen wäre (was so nicht gewesen ist), dann hätte das Bundesverfassungsgericht auch hier nicht unmittelbar über dessen Grundgehaltssatz entschieden, sondern es hätte zunächst erst einmal materiell-rechtlich das Gehalt als Ganzes in den Blick nehmen müssen, also die Nettoalimentation. Damit hätte es mindestens den Beihilfesatz und also die Kosten einer die Beihilfeleistungen des Dienstherrn ergänzenden Krankheitskosten- und Pflegeversicherung sowie die Steuerlast des entsprechenden Beamten zu betrachten gehabt, da erst auf dieser Basis prinzipiell eine hinreichende Aussage zum Alimentationsprinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG zu machen ist. Dessen gewährte Nettoalimentation hätte es nun materiell-rechtlich der Grundsicherungsleistung eines unverheirateten und ledigen Grundsicherungsempfänger gegenüberzustellen gehabt. Damit hätte materiell-rechtlich also eine zweite Mindest- und gewährte Nettoalimentation neben der ersten Eingang in die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gefunden; denn wegen der unmittelbaren Bindung an die eigene Rechtsprechung hätte - allein schon, um weiterhin den alimentativen Mehrbedarf der kinderreichen Beamtenfamilie ermitteln zu können - ebenso die Mindest- und gewährte Nettoalimentation der jeweils vierköpfigen Bedarfs- und Beamtenfamilie erstellt werden müssen, so wie das das Bundesverfassungsgericht 2015 festgelegt und 2020 diese konkretisiert hat.

Mit dem jeweils verheirateten und kinderlosen Beamten und der zweiköpfigen Bedarfsgemeinschaft wäre dann materiell-rechtlich - denn das wäre die Konsequenz der von Dir erdachten Methodik gewesen - eine dritte Mindest- und gewährte Nettoalimentation zu betrachten gewesen, sodass mit dem ersten und dem zweiten Kind am Ende vier Mindest- und gewährte Nettoalimentationen materiell-rechtlich bemessen worden wären, von denen mindestens drei in der Rechtspraxis zwangsläufig nicht allein aus dem Grundgehalt bestanden hätten.

Soweit wären wir nun materiell-rechtlich (und die aus diesem Vorgehen nun materiell-rechtlich entspringenden Probleme lasse ich nun weg; sie sind allerdings allemal explosiver als die nachfolgend gezeigten indiziellen) - und nun kommen die Konsequenzen für das Prüfverfahren; denn das war ja Dein Ziel: die indizielle Bedeutung des Mindestabstandsgebots, wie sie tatsächlich erst seit 2020 auf Basis allein der vierköpfigen Familie besteht.

Der Zweite Senat hätte nun auf Basis der jeweiligen Mindestalimentation eine Prüfmethodik erstellen müssen, die für alle vier Fälle zu einem einheitlichen Ergebnis hätte führen müssen, wie sich das aus seiner bisherigen Rechtsprechung der vierköpfigen Alleinverdienerfamilie als aus der bisherigen Besoldungspraxis abgeleiteten Bezugsgröße ergeben hätte, wenn er also nur diese (so wie er das hat) herangezogen hätte. Denn die Grundgehaltssätze des jeweiligen Beamten, der zu betrachten wäre, wäre ja unabhängig von seinem Familienstand identisch gewesen bzw. sind es auch weiterhin.

Wenn Du nun die Bemessung des Grundgehaltsäquivalents betrachtest, das von der Mindestalimentation ausgeht, dann hättest Du diesen Weg nun indiziell viermal gehen müssen:

1) Bemessung der jeweiligen Mindestalimentation auf Basis des realitätsgerechten bemessenen Grundsicherungsniveaus
2) in zwei Fällen Abzug des Kindergelds
3) in allen Fällen Addition der Kosten einer die Beihilfeleistungen des Dienstherrn ergänzenden Krankheitskosten- und Pflegeversicherung
4) in allen Fällen Addition der fiktiven Einkommenssteuer unter Beachtung des jeweils individuellen BEG-Anteils
5) in drei Fällen Abzug aller gewährten weiteren Besoldungsbestandteile mit Ausnahme des Grundgehalts

Im Ergebnis hätten wir nun vier fiktive Mindestbesoldungen - vier indizielle Grundgehaltsäquivalente - unterschiedlicher Höhe vorliegen. Denn in Anbetracht der unterschiedlichen Beihilfeleistungen und steuerlichen Veranlagung, die letztere insbesondere wegen der unterschiedlichen Steuerklassen zwangsläufig qualitativ unterschiedlich wäre, kann eine Bemessung unterschiedlicher Familienkonstellationen mittelbar zu keinem einheitlichen Ergebnis führen. Das Prüfverfahren würde also zwangsläufig - da sich der Grundgehaltssatz des Gehalts als Ganzes im Prüfverfahren nur mittelbar betrachten lässt - vier verschiedene indizielle Mindestbesoldungen in jeweils untererschiedlicher Höhe beinhalten, die jeweils unterschiedliche indizielle Grundgehaltssätze als nicht mit der Verfassung in Einklang betrachten würden (rechne das gerne nach, was Du aber nicht brauchst, da das allein wegen der unterschiedlichen Steuerklassen auf der Hand liegt). Der Grundgehaltssatz eines unverheirateten, eines verheirateten kinderlosen, eines verheirateten Beamten mit einem Kind und mit zwei Kindern wäre also indiziell jeweils uneinheitlich zu betrachten, obgleich alle vier Beamten ein identisches Grundgehalt beziehen würden.

Und damit bliebe die Frage im Sinne unserer Rechtsordnung: Welcher dieser vier, was die Ämterwertigkeit betrifft, wesentlich gleichen Beamten wäre nun indiziell, was seinen Grundgehaltssatz betrifft, als verfassungswidrig besoldet zu betrachten? Der ledige, der verheiratete, der mit einem oder der mit zwei Kindern?

Auf diese Frage gibt es prinzipiell keine sachliche Antwort. Genau deshalb habe ich gestern geschrieben:

"Dabei geht es nicht um eine Jahreszahl, wie Du mit Deiner abschließenden Aussage zu glauben scheinst ('Okay, es soll hoffentlich um die Argumentation gehen, nicht um das Jahr'). Vielmehr baut die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts systematisch aufeinander auf, weil nur so eine Rechtsprechung zu vollziehen ist, die den Anspruch hat, sachlich widerspruchsfrei zu sein. Hätte der Zweite Senat also 2015 den einen-Personen-Haushalt, den Du in Deinem vorletzten Beitrag zur Grundlage der Prüfung hattest machen wollen, zur Grundlage seines Prüferverfahrens gemacht, hätte es eine vollständig neue Bezugsgröße gewählt, die nun hätte widerspruchsfrei in die Kontinuität der seit Mitte der 1950er Jahre vollzogenen Besoldungsrechtsprechung des Zweiten Senats hätte eingefügt werden müssen. Das aber wäre - und ist auch weiterhin - sachlich ausgeschlossen, nämlich nicht erst seit 2015, sondern spätestens seit 1977, als das Bundesverfassungsgericht diese Wegscheidung endgültig konkretisiert hat, indem es einen alimentativen Mehrbedarf von kinderreichen Beamtenfamilien nicht nur zum Teil unserer Rechtsordnung gemacht, sondern angefangen hat, diesen Teil unserer Rechtsordnung zunehmend verfassungsrechtlich auszuformen, sodass das nicht mehr aus der Rechtspraxis des Alimentationsprinzips hinweggedacht werden kann, solange dieses nicht vom Gesetzgeber im Zuge einer Verfassungsänderung grundlegend verändert wird. Denn wie hätte nun nach 2015 diese Rechtsprechung zum alimentativen Mehrbedarf vollzogen werden sollen, wenn nicht mehr die vierköpfige Beamtenfamilie die Bezugsgröße zur Prüfung der dem Beamten gewährten Nettoalimentation wäre, sondern der unverheiratete und kinderlose einzelne Beamte?"
« Last Edit: 26.02.2024 10:41 von SwenTanortsch »

cyrix42

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5784 am: 26.02.2024 10:49 »
Wenn Du nun die Bemessung des Grundgehaltsäquivalents betrachtest, das von der Mindestalimentation ausgeht, dann hättest Du diesen Weg nun indiziell viermal gehen müssen:

1) Bemessung der jeweiligen Mindestalimentation auf Basis des realitätsgerechten bemessenen Grundsicherungsniveaus
2) in zwei Fällen Abzug des Kindergelds
3) in allen Fällen Addition der Kosten einer die Beihilfeleistungen des Dienstherrn ergänzenden Krankheitskosten- und Pflegeversicherung
4) in allen Fällen Addition der fiktiven Einkommenssteuer unter Beachtung des jeweils individuellen BEG-Anteils
5) in drei Fällen Abzug aller gewährten weiteren Besoldungsbestandteile mit Ausnahme des Grundgehalts

Im Ergebnis hätten wir nun vier fiktive Mindestbesoldungen - vier indizielle Grundgehaltsäquivalente - unterschiedlicher Höhe vorliegen.

Die Reihenfolge deines Vorgehens verstehe ich nicht: Warum betrachtest du in diesem Vorgehen die Höhe der weiteren Besoldungsbestandteile als feststehend, während du die (Mindest-)Grundgehaltssätze erst nachrangig errechnest? Ist es nicht einfach möglich festzustellen, ob in Addition Addition aller Besoldungsbestandteile und nach Abzug aller sonstiger "Vorteile" der jeweiligen Situation die Mindestalimentation erreicht wird? Und wenn die Antwort hieraus "nein" ist, so folgt doch nicht, dass notwendigerweise das Grundgehalt zu niedrig bemessen ist, sondern ggf. auch einfach die sonstigen Besoldungsbestandteile (Nr. 5 deiner Rechnung), die also auch entsprechend anzupassen sind.

Oder habe ich ein Argument deinerseits überlesen, die deren Höhe im Vorfeld festlegt?

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5785 am: 26.02.2024 12:07 »
Wie gesagt, bei der Mindestbesoldung handelt es sich um ein fiktiven Betrag, der indiziell den Verletzungrad einer verfassungswidrigen Besoldungsordnung aufschließen soll (vgl. den fünften Leitsatz der aktuellen Entscheidung: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html).

Eine Methodik zu ihrer Bemessung wird in den beiden genannten ZBR-Beiträgen entwickelt, also sachlich aus der Rechtsprechung des Zweiten Senats abgeleitet. Da diese Beiträge nicht kostenlos digital zugänglich sind (sie sind es aber in jeder Unibiliothek), kann Du Dir hier (wenn auch nicht so umfassend begründet wie in den beiden ZBR-Beiträgen) ab der S. 27 (26) einen Überblick über die Methodik verschaffen, die hier ebenfalls auf einen konkreten Fall angewendet wird: https://bdr-hamburg.de/wp-content/uploads/Gutachterliche-Stellungnahme-Besoldungsstrukturgesetz-Drs.-22-1272.pdf.

Es handelt sich also um ein Prüfinstrument, mit dem Verletzungsgrad der Besoldungsordnung aufgeschlossen werden soll, um damit im Sinne der aktuellen Entscheidung begründen zu können, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Grundgehaltssätze anzuheben sind. Die Mindestbesoldung kann entsprechend mit dem ihm nach den Umständen des Falles zukommenden Gewicht in die Gesamtabwägung eingestellt werden (vgl. die Rn. 49 der aktuellen Entscheidung). Darüber hinaus ist es anhand der Parameter der ersten Prüfungsstufe prinzipiell unmöglich, mit mathematischer Exaktheit eine Aussage darüber abzuleiten, welcher Betrag für eine verfassungsmäßige Besoldung erforderlich ist (vgl. die Rn. 30). Die materiell-rechtliche Gewährung einer (amtsangemessenen) Alimentation ist methodisch von deren Prüfung anhand von Indizien strikt zu trennen.

cyrix42

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5786 am: 26.02.2024 13:08 »
Ok, ich in meinem naiven Herangehen würde also jetzt folgendes Szenario sehen:

*) Es gibt eine Situation, in der die Prüfung anschlägt und die Mindestbesoldung in mindestens einem Szenario verletzt sieht.
*) Der Gesetzgeber entscheidet sich aber gegen eine Erhöhung der Grundbezüge, sondern erhöht, da diese Verletzung nur in Fällen auftritt, in denen es auch weitere Besoldungsbestandteile gibt, nur eben jene sonstigen Bestandteile.
*) Eine wiederholte Prüfung der Verletzung der Mindestbesoldung schlägt nun nicht mehr an. Der Gesetzgeber freut sich.

Die Notwendigkeit der Erhöhung der Grundbezüge lässt sich zumindest damit allein nicht rechtfertigen.

Wenn zumindest prinzipiell die sonstigen Bestandteile der Alimentation -- abhängig von amtsunabhängigen Kriterien wie der Kinderzahl -- beliebig großen Anteil an der Gesamtalimentation haben können, dann dürfte es schwer werden, zu begründen, warum die Grundbezüge ansteigen müssten, wenn nur für Beamte mit zu versorgenden Familien das Prüfkriterium angeschlagen hat.

----------

Eine andere spontane Idee, wo mich die Bewertung von den tief mit der Materie Beschäftigten interessieren würde: Spräche eigentlich irgendetwas dagegen, die familienbezogenen Alimentations-Bestandteile auch amtsabhängig zu gestalten, sodass der relative Abstand zwischen den Ämtern bei gleicher Familienkonstelation gewahrt bleibt und sich nicht bei größerer Kinderzahl niveliert (obwohl der absolute Abstand ja erhalten bleibt)?

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5787 am: 26.02.2024 14:46 »
Ok, ich in meinem naiven Herangehen würde also jetzt folgendes Szenario sehen:

*) Es gibt eine Situation, in der die Prüfung anschlägt und die Mindestbesoldung in mindestens einem Szenario verletzt sieht.
*) Der Gesetzgeber entscheidet sich aber gegen eine Erhöhung der Grundbezüge, sondern erhöht, da diese Verletzung nur in Fällen auftritt, in denen es auch weitere Besoldungsbestandteile gibt, nur eben jene sonstigen Bestandteile.
*) Eine wiederholte Prüfung der Verletzung der Mindestbesoldung schlägt nun nicht mehr an. Der Gesetzgeber freut sich.

Die Notwendigkeit der Erhöhung der Grundbezüge lässt sich zumindest damit allein nicht rechtfertigen.

Wenn zumindest prinzipiell die sonstigen Bestandteile der Alimentation -- abhängig von amtsunabhängigen Kriterien wie der Kinderzahl -- beliebig großen Anteil an der Gesamtalimentation haben können, dann dürfte es schwer werden, zu begründen, warum die Grundbezüge ansteigen müssten, wenn nur für Beamte mit zu versorgenden Familien das Prüfkriterium angeschlagen hat.

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Eine andere spontane Idee, wo mich die Bewertung von den tief mit der Materie Beschäftigten interessieren würde: Spräche eigentlich irgendetwas dagegen, die familienbezogenen Alimentations-Bestandteile auch amtsabhängig zu gestalten, sodass der relative Abstand zwischen den Ämtern bei gleicher Familienkonstelation gewahrt bleibt und sich nicht bei größerer Kinderzahl niveliert (obwohl der absolute Abstand ja erhalten bleibt)?

Der Schluss, den Du für den ersten Fall ziehst, ist sachlich so nicht sachgerecht, weshalb wir die Prüfung am genannten Beispiel des Hamburgischen Besoldungsstrukturgesetz durchspielen: https://bdr-hamburg.de/wp-content/uploads/Gutachterliche-Stellungnahme-Besoldungsstrukturgesetz-Drs.-22-1272.pdf

1) Im Prüfverfahren hat der Gesetzgeber die Mindest- und gewährte Nettoalimentation bemessen. Das war sinnvoll, da er damit grundlegende Informationen gesammelt hat, aus denen heraus er die Begründung seiner Entscheidung vornehmen kann. Er hätte eine sachgerechte Begründung ggf. auch ohne diese Bemessungen durchführen können; aber das wäre ggf. ein Schuss ins Dunkle geworden. Da - wie ich vorgestern geschrieben habe - die Verwaltungsgerichtsbarkeit unmittelbar an die Leitsätze der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gebunden ist, war das Vorgehen der Hamburgischen Bürgerschaft auch deshalb sinnvoll, weil sie weiß, dass das VG Hamburg, sofern es angerufen wird, gezwungen ist, die Einhaltung des Mindestabstandsgebot im Vorfeld der Novellierung durch das Hamburgische Besoldungsstrukturgesetz zu prüfen; denn sie ist ja unmittelbar an die Leitsätze bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung gebunden.

Die Hamburgische Bürgerschaft ist so zu dem sachlich korrekten Schluss gelangt, dass im Vorfeld ihrer geplanten Novellierung des Besoldungsrechts das Mindestabstandsgebot verletzt gewesen ist, sodass sich die Alimentation verschiedener Besoldungsgruppen und Erfahrungsstufen als unmittelbar verletzt gezeigt hat. Der Besoldungsgesetzgeber war deshalb nicht nur veranlasst, sondern unmittelbar gezwungen, diesen verfassungswidrigen Zustand abzustellen.

2) Dem möglichen Kläger ist es nun also zunächst einmal angeraten, seine Klage durch eine sachgerechte Bemessung der Mindest- und gewährten Nettoalimentation zu substantiieren. Denn wie in der verlinkten Stellungnahme ab der S. 20 ff. (21 ff.) gezeigt, hat die Hamburgische Bürgerschaft die Bemessung des Grundsicherungsniveau nicht sachgerecht vorgenommen. Tatsächlich sind mindestens sowohl die kalten Unterkunfts- als auch die Heizkosten sachwidrig und darin evident unzureichend bemessen worden. Das VG Hamburg ist nun gezwungen, eine realitätsgerechte Bemessung des Grundsicherungsniveaus vorzunehmen, um so eine sachgerechte Mindestalimentation zu erstellen und diese mit der nach dem Verabschiedung des Hamburgischen Besoldungsstrukturgesetzes gewährten Nettoalimentation zu vergleichen. Es wird darauf eine weiterhin in Teilen unmittelbare Verletzung des Mindestabstandsgebots feststellen. Sofern der Kläger einer der unmittelbar betroffenen Kläger ist, ist die ihm gewährte Nettoalimentation weiterhin nicht amtsangemessen und damit verfassungswidrig. Für nicht unmittelbar von der Verletzung des Mindestabstandsgebot betroffene Beamte ist das so nicht unmittelbar der Fall.

3) Damit kommt nun das indizielle Mittel der Mindestbesoldung ins Spiel. Die Hamburgische Bürgerschaft hat sie nicht bemessen, wozu sie nicht gezwungen gewesen war. Das unmittelbar an die Leitsätze des Bundesverfassungsgerichts gebundene VG Hamburg hat die Forderungen des fünften Leitsatzes zu erfüllen und also zunächste einmal - auf jeden Fall in dem Moment, wo der Kläger seine Klage entsprechend substantiiert hat - die Mindestbesoldung zu betrachten. An dieser Stelle setzen die S. 26 ff. (27 ff.) der Stellungnahme an. Sie folgt nun trotz des Nachweises, dass die Mindestalimentation von der Bürgerschaft sachwidrig bemessen worden ist, dieser Mindestalimentation (vgl. die Fn. 149) und betrachtet also das Bild, das sich - obgleich es nicht sachgerecht war - dem Besoldungsgesetzgeber im Vorfeld seiner Novellierung des Besoldungsrechts gezeigt hätte, hätte er die Mindestbesoldung auf dieser evident sachwidrigen Grundlage bemessen.

4) Auf der evident sachwidrigen Grundlage zeigt sich indiziell ein monatlicher fiktiver Fehlbetrag des Grundgehaltssatzes in der untersten Besoldungsgruppe und niedrigsten Erfahrungsstufe von monatlich 1.096,- €; das Grundgehaltsäquivalent stellte sich auf der beschriebenen Basis im Vorfeld der Novellierung des Besoldungsrechts indiziell um 29,8 % zu gering bemessen heraus. Mindestens 49 von 104 Tabellenfelder (47,1 %) waren indiziell als unmittelbar verletzt zu betrachten ("mindestens" deshalb, weil ja unter Beachtung eines realitätsgerechten Grundsicherungsniveaus die Fehlbeträge noch einmal höher sein müssen). Indiziell ist im Vorfeld der Novellierung des Hamburgischen Besoldungsstrukturgesetzes selbst in der dritten Erfahrungsstufe der Besoldungsgruppe A 10 den betroffenen Beamten kein Grundgehaltssatz gewährt worden, der indiziell der ersten Erfahrungsstufe der Besoldungsgruppe A 4 zu gewähren gewesen wäre.

5) Auch wenn sich der Besoldungsgesetzgeber nicht dazu entschließt, die Mindestbesoldung zu bemessen, wozu ihn niemand zwingen kann, solange er ohne die Bemessung ein prozedural und materiell-rechtlich sachgerechtes Besoldungsgesetz verabschiedet, hat er jedoch ausnahmslos die ihn treffenden prozeduralen Anforderungen - also seine Begründungspflichten - sachgerecht zu erfüllen. Wenn nun aber solche Fehlbeträge vor der Novellierung des betreffenden Gesetzes vorlagen, dann hat das VG Hamburg das zu beachten, was im fünften Leitsatz der aktuellen Entscheidung ausgeführt wird, da es sich daran unmittelbar gebunden sieht. Dieser fünfte Leitsatz lautet (Hervorhebung durch mich):

"Beim systeminternen Besoldungsvergleich ist neben der Veränderung der Abstände zu anderen Besoldungsgruppen in den Blick zu nehmen, ob in der untersten Besoldungsgruppe der gebotene Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau eingehalten ist. Ein Verstoß gegen dieses Mindestabstandsgebot betrifft insofern das gesamte Besoldungsgefüge, als sich der vom Gesetzgeber selbst gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist. Die indizielle Bedeutung für die verfassungswidrige Ausgestaltung der zur Prüfung gestellten Besoldungsgruppe ist dabei umso größer, je näher diese an der Grenze zur Mindestbesoldung liegt und je deutlicher der Verstoß ausfällt."

Da ihm diese Ausführung bereits wichtige Hinweise gibt, ist es dem Verwaltungsgericht angeraten, die weiter Präzisierung des Bundesverfassungsgerichts heranzuziehen, da es davon ausgehen muss, dass das Bundesverfassungsgericht wegen der Einheitlichkeit der Rechtsordnung das, was es dort schreibt, zukünftig widerspruchsfrei weiterhin so sehen wird. Hierzu heißt es in der Rn. 49 (Hervorhebung durch mich):

"Ob eine zur Behebung eines Verstoßes gegen das Mindestabstandsgebot erforderliche Neustrukturierung des Besoldungsgefüges zu einer Erhöhung der Grundgehaltssätze einer höheren Besoldungsgruppe führt, lässt sich daher nicht mit der für die Annahme eines Verfassungsverstoßes erforderlichen Gewissheit feststellen. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist umso größer, je näher die zur Prüfung gestellte Besoldungsgruppe selbst an der Grenze zur Mindestbesoldung liegt. Je deutlicher der Verstoß ausfällt und je mehr Besoldungsgruppen hinter dem Mindestabstandsgebot zurückbleiben, desto eher ist damit zu rechnen, dass es zu einer spürbaren Anhebung des gesamten Besoldungsniveaus kommen muss, um die gebotenen Abstände zwischen den Besoldungsgruppen wahren zu können. Die Verletzung des Mindestabstandsgebots bei einer niedrigeren Besoldungsgruppe ist daher (nur) ein Indiz für die unzureichende Ausgestaltung der höheren Besoldungsgruppe, das mit dem ihm nach den Umständen des Falles zukommenden Gewicht in die Gesamtabwägung einzustellen ist."

6) Das Verwaltungsgericht hat nun also - nachdem es die dargestellten Fehlbeträge zur Kenntnis genommen hat - zunächst einmal zu prüfen, wie sich der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren zu diesen Fehlbeträgen in der Mindestbesoldung gestellt und welche Schlüsse er aus ihnen gezogen hat. Es wird nun feststellen, dass die Hamburgische Bürgerschaft keine entsprechende Bemessung vorgenommen hat und es nirgends eine Begründung gibt, wieso es trotz dieser indiziellen Fehlbeträge nicht die Grundgehaltssätze angehoben hat. Denn hier liegt zunächst einmal ein indizell deutlicher Verstoß gegen Mindestabstandsgebot vor. Diesen Sachverhalt hat es in die Gesamtabwägung einzustellen.

7) Darüber hinaus liegt mit dem deutlichen Verstoß ein sehr starkes Indiz für die Verletzung der gesamten Besoldungssystematik vor. Nicht umsonst heißt es in der Rn. 48:

"Erweist sich die Grundlage dieses Gesamtkonzepts als verfassungswidrig, weil für die unterste(n) Besoldungsgruppe(n) die Anforderungen des Mindestabstandsgebots missachtet wurden, wird der Ausgangspunkt für die darauf aufbauende Stufung in Frage gestellt. Der Besoldungsgesetzgeber ist danach gehalten, eine neue konsistente Besoldungssystematik mit einem anderen Ausgangspunkt zu bestimmen."

Denn die indiziell bis in die Besoldungsgruppe A 10 hineinreichende Verletzung des Mindestabstandsgebots betrifft nicht nur die "unterste[n] Besoldungsgruppe[n], sondern reicht bis in den ehemals gehobenen Dienst hinein. Von daher hat sich neben der unzureichenden Begründung der hamburgische Besoldungsgesetzgeber offensichtlich gezwungen gesehen, eine neue konsistente Besoldungssystematik mit einem anderen Ausgangspunkt zu bestimmen. Auch das ist vom Verwaltungsgericht in die Gesamtabwägung einzustellen.

8 ) Ob der indiziell mindestens um 1.096,- € bzw. 29,8 % zu gering bemessenen Mindestbesoldung hätte der sich der hamburgische Besoldungsgesetzgeber - da er alle seine Beamten amtsangemessen zu alimentieren hat - weiterhin im Vorfeld der Novellierung des Besoldungsrechts gezwungen gesehen, weiterhin das Abstandsgebot zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen hinreichend zu beachten. Darauf wäre nun ebenfalls in der Gesamtabwägung einzugehen. Denn nicht umsonst heißt es eingangs des fünften Leitsatzes wie oben zitiert: "Beim systeminternen Besoldungsvergleich ist neben der Veränderung der Abstände zu anderen Besoldungsgruppen in den Blick zu nehmen, ob in der untersten Besoldungsgruppe der gebotene Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau eingehalten ist." (Hervorhebungen durch mich)

Fazit:

Die Gesamtabwägung muss zu dem Schluss gelangen, dass die Gesetzesbegründung an einer zentralen Stelle der prozeduralen Anforderungen, die den Besoldungsgesetzgeber treffen, einen blinden Fleck aufweist, indem sich nirgends im Gesetzentwurf mit der Frage begründet auseinandergesetzt worden ist, ob die gewährten Grundgehaltssätze amtsangemessen waren, bevor man sich entschlossen hat, den materiell-rechtlichen Fehlbetrag, den die Bemessung der Mindestalimentation offenbart hat, vor allem durch familienbezogen Besoldungsregelungen heilen zu wollen.

Damit hat der Besoldungsgesetzgeber hier nicht erkannt, dass aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ob der dargestellten Fehlbeträge zwangsläufig ein anderer Ausgangspunkt für die konsistente Besoldungssystematik zu resultieren hatte. Dieser hatte ob der deutlichen Fehlbeträge deutlich höher liegen müssen, als er es vor der Novellierung des Besoldungsrecht getan hatte. Das dem Indiz zukommende Gewicht ist in Anbetracht der Fehlbeträge und der Anzahl betroffener Besoldungsgruppen und Erfharungsstufen offensichtlich viel zu schwer, als dass eine Heilung ohne signifikante Anhebung der Grundgehaltssätze sachgerecht zu begründen gewesen wäre - darüber hinaus fehlt eine solche Begründung im Gesetzgebungsverfahren, sodass der Ausschluss der Anhebung der Grundgehaltssätze sachlich unbegründet geblieben ist, unnd zwar trotz des der Indizienlage zukommenden Gewichts.

Auf dieser Grundlage aber, in Anbetracht des Gewichts der Indizienlage, mussten die gesamte Besoldungssystematik - also die Grundgehaltssätze als solche - deutlich angehoben werden, um weiterhin eine konsistente Besoldungssystematik zu grantieren (bzw. dieses wieder herzustellen), da anders die Folgen aus dem Abstandgebot zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen nicht sachgerecht zu ziehen waren. Denn das gebotene deutliche Anheben der Grundgehaltssätze konnte sich nicht allein auf die unteren Besoldungsgruppen erstrecken, ohne dabei das Abstandsgebot zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen zu verletzen.

Das Hamburgische Besoldungsstrukturgesetz muss also offensichtlich als verfassungswidrig begriffen werden, da der Besoldungsgesetzgeber sachlich falsche Schlüsse aus der nicht umfassend genug vollzogenen Prüfung der Ausgangslage gezogen hat, sodass er mit der Anhebung vor allem familienbezogener Besoldungskomponenten in den unteren Besoldungsgruppen evident sachwidrige Regelungen vollzogen hat, die den von ihm eingestandenen verfassungswidrigen Zustand vor der Novellierung weder für die unmittelbar betroffenen noch für die darüber hinausreichenden Besoldungsgruppen geheilt haben.

Ergo: Die Methodik schließt an die Aussagen zur Wahrscheinlichkeit der Erhöhung des gesamten Besoldungsniveaus an - wenn der Fehlbetrag insgesamt gering und nur die untersten beiden oder untersten drei Besoldungsgruppen unmittelbar von der Verletzung des Mindestabstandsgebots betroffen wären, dann ließe sich ggf. eine Erhöhung der Grundgehaltssätze höhere Besoldungsgruppen sachlich ausschließen - in einem Fall wie dem vorliegenden würde das allerdings die zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts offensichtlich ad absurdum führen, denke ich.
« Last Edit: 26.02.2024 14:54 von SwenTanortsch »

cyrix42

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5788 am: 26.02.2024 15:34 »
Vielen Dank für deine Ausführungen, die einige Dinge konkret unterlegen.

Aus diesen entnehme ich aber, dass wir über zwei verschiedene Dinge sprechen. Du betrachtest ein schon gegebenes Besoldungsgesetz und führst hier vor, wie die Prüfung auf Verfassungsmäßigkeit abläuft. Insofern kann ich nachvollziehen, dass du von diesem Startpunkt die sonstigen Alimentations-Bestandteile natürlich schon kennst und entsprechend aufzeigen kannst, dass -- wenn man diese und alle sonstigen Umstände entsprechend ansetzt -- man zu einem zu niedrigen Grundgehalt für eine_n 4K-Familien-Alleinverdier_in in der untersten Stufe im niedrigsten Amt gelangt (und nicht nur dort).

Ich versuche mir aber eher Gedanken zu machen über Möglichkeiten, die Besoldungssystematik so anzupassen, dass sie zukünftig der Verfassung folgt. Hier sehe ich für den Gesetzesgeber aber mehr Freiheiten. Insbesondere könnte er m.E. durchaus die gesamten Zahlungen inklusive der familienbezogenen Bestandteile in den Blick nehmen und stärker ausdifferenzieren. Dies wäre so lang in dem System sinnvoll, wie die zu geringe Mindestalimentation nur für Beamte mit Familie auftritt, während etwa Single-Beamte (durch Vergleich mit dem auch nur für eine Person berechneten Bürgergeldsatz) hiervon nicht betroffen sind. (Wenn auch bei jenen die Prüfung eine zu geringe Alimentation anzeigt, kann nur eine Erhöhung für alle dies heilen, da ja die ledigen Einzelpersonen den geringsten Bürgergeldsatz haben, sodass dann wohl tatsächlich alle betroffen sein dürften.)

Wenn ein Gesetzgeber also aufzeigen und dokumentieren würde,
*) was er als Mindestalimentation für jede Gruppe berechnet -- entlang der Kriterien, was alles zu berücksichtigen ist -- und
*) für jede Gruppe diese in der Summe aller Bestandteile der Bezüge für diese Gruppe auch erreicht wird,
dann sollte dieses neuen Besoldungsgesetzes die von dir vorexerzierte Prüfung auch bestehen können.

A9A10A11A12A13

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5789 am: 26.02.2024 15:40 »
Weiterhin Unsicherheit und Zweifel https://www.dgb.de/uber-uns/dgb-heute/dienst-und-beamte/++co++5613b344-d4a7-11ee-8f60-912525c77469

"Aufgrund der Verfahrensdauern wird deshalb noch sehr lange unklar sein, ob ..."