Autor Thema: [Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 1563039 times)

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5880 am: 14.03.2024 23:49 »
Wenn das, was ich oben unter der Nr. 5851 geschrieben habe (https://forum.oeffentlicher-dienst.info/index.php/topic,114363.5850.html), richtig ist, stellte sich diese Frage gar nicht, weil eine entsprechende Ausformung von Doppelverdienermodellen nicht möglich wäre. Wenn jene hohen Kosteneinsparungen allerdings verfassungsrechtlich erlaubt wären - wovon m.E. nicht ausgegangen werden kann -, könnte man, denke ich, nicht automatisch davon ausgehen, dass beide Ehepartner verbeamtet wären, weshalb eine Art "doppelte Mindestalimentation" kaum sachlich als Vergleichsmaßstab herangezogen werden dürfte oder sollte, vermute ich.

Zugleich könnte m.E. hier der Vergleichsmaßstab nicht eine Art "doppelte Mindestalimentation" sein, da ja die Mindestalimentation als solche als 15 %iger Abstand zum Grundsicherungsniveau ein am Maßstab des Existenzminimums ausgelegtes Vergleichmodell wäre. Der Maßstab könnte aber nun nicht in einer Art Verdoppelung beibehalten werden, da ja durch die Summe der Höhe der "doppelten Mindestalimentation" sachlich kein unmittelbarer Bezug mehr zum Grundsicherungsniveau gegeben wäre; denn jene Summe läge so deutlich oberhalb des Grundsicherungsniveau, dass sachlich kein Bezug zu ihm mehr erkennbar sein müsste. Ich denke, es läge einem solchen Vorgehen dann weitgehend vielmehr genau eine solche "mathematisierende" Methodik zugrunde, die der Zweite Senat in der Rn. 30 der aktuellen Entscheidung als nicht sachgerecht betrachtet hat (vgl. unter https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html). Die Ausformung des Alimentationsprinzip hat sich an der sozialen Wirklichkeit zu orientieren und nicht an einem weitgehend rein mathamtischen Maßstab:

"Das Alimentationsprinzip wird von verschiedenen Determinanten geprägt. Es verpflichtet den Dienstherrn, Richter und Staatsanwälte sowie ihre Familien lebenslang angemessen zu alimentieren und ihnen nach ihrem Dienstrang, nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung der rechtsprechenden Gewalt und des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards einen angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren. Damit wird der Bezug der Besoldung sowohl zu der Einkommens- und Ausgabensituation der Gesamtbevölkerung als auch zur Lage der Staatsfinanzen, das heißt zu der sich in der Situation der öffentlichen Haushalte ausdrückenden Leistungsfähigkeit des Dienstherrn, hergestellt" (Rn. 23; Hervorhebungen durch mich).

InternetistNeuland

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5881 am: 15.03.2024 09:30 »
Wenn das, was ich oben unter der Nr. 5851 geschrieben habe (https://forum.oeffentlicher-dienst.info/index.php/topic,114363.5850.html), richtig ist, stellte sich diese Frage gar nicht, weil eine entsprechende Ausformung von Doppelverdienermodellen nicht möglich wäre. Wenn jene hohen Kosteneinsparungen allerdings verfassungsrechtlich erlaubt wären - wovon m.E. nicht ausgegangen werden kann -, könnte man, denke ich, nicht automatisch davon ausgehen, dass beide Ehepartner verbeamtet wären, weshalb eine Art "doppelte Mindestalimentation" kaum sachlich als Vergleichsmaßstab herangezogen werden dürfte oder sollte, vermute ich.

Zugleich könnte m.E. hier der Vergleichsmaßstab nicht eine Art "doppelte Mindestalimentation" sein, da ja die Mindestalimentation als solche als 15 %iger Abstand zum Grundsicherungsniveau ein am Maßstab des Existenzminimums ausgelegtes Vergleichmodell wäre. Der Maßstab könnte aber nun nicht in einer Art Verdoppelung beibehalten werden, da ja durch die Summe der Höhe der "doppelten Mindestalimentation" sachlich kein unmittelbarer Bezug mehr zum Grundsicherungsniveau gegeben wäre; denn jene Summe läge so deutlich oberhalb des Grundsicherungsniveau, dass sachlich kein Bezug zu ihm mehr erkennbar sein müsste. Ich denke, es läge einem solchen Vorgehen dann weitgehend vielmehr genau eine solche "mathematisierende" Methodik zugrunde, die der Zweite Senat in der Rn. 30 der aktuellen Entscheidung als nicht sachgerecht betrachtet hat (vgl. unter https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html). Die Ausformung des Alimentationsprinzip hat sich an der sozialen Wirklichkeit zu orientieren und nicht an einem weitgehend rein mathamtischen Maßstab:

"Das Alimentationsprinzip wird von verschiedenen Determinanten geprägt. Es verpflichtet den Dienstherrn, Richter und Staatsanwälte sowie ihre Familien lebenslang angemessen zu alimentieren und ihnen nach ihrem Dienstrang, nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung der rechtsprechenden Gewalt und des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards einen angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren. Damit wird der Bezug der Besoldung sowohl zu der Einkommens- und Ausgabensituation der Gesamtbevölkerung als auch zur Lage der Staatsfinanzen, das heißt zu der sich in der Situation der öffentlichen Haushalte ausdrückenden Leistungsfähigkeit des Dienstherrn, hergestellt" (Rn. 23; Hervorhebungen durch mich).

Danke für deine Einschätzung.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5882 am: 15.03.2024 13:50 »
Gern geschehen - ich fand das eine spannende Idee!

InternetistNeuland

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5883 am: 16.03.2024 09:24 »
Gern geschehen - ich fand das eine spannende Idee!

Auf den ersten Blick mag die 230% mathematisch klingen. Allerdings ist es ja theoretisch möglich, dass ein Ehegatte vom Dienstherren versetzt wird, wodurch der andere Ehegatte seine Arbeit aufgeben müsste bis er eine neue findet.

Da vorab keiner weiß welcher Ehegatte versetzt wird, müsste folglich jeder von ihnen die 115% verdienen.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5884 am: 16.03.2024 12:42 »
Die neuen Doppelverdienermodelle sind - wie gezeigt - offensichtlich verfassungswidrig. Allerdings sind sie so strukturiert, dass, wenn ein Beamter versetzt wird und der Ehepartner mitsamt der beiden Kinder diesen bediensteten Ehepartner an den neuen Dienstort folgt, dieser Ehepartner zunächst für die Zeit, bis er eine neue Beschäftigung findet, einen (offensichtlich aus anderen Gründen) verfassungswidrigen Ergänzungszuschuss erhält, durch den die Alimentation des Beamten auf 115 % oberhalb des Grundsicherungsniveaus gehoben wird. Dieser Betrag würde - wenn die Regelung verfassungskonform wäre - ausreichen, um das Mindestabstandsgebot zu gewährleisten. Der Beamte am neuen Dienstort würde nicht schlechter gestellt als ein verheirateter Beamter mit zwei Kindern in der untersten Besoldungsgruppe am selben oder am alten Dienstort, dessen Ehepartner ebenfalls keiner Beschäftigung nachgehen würde.

Das Mindestabstandsgebot formuliert den geringstmöglichen alimentativen Bedarf eines verheirateten Beamten mit zwei Kindern, der in der untersten Besoldungsgruppe eingruppiert ist. Dieser Betrag bleibt ausnahmslos bei 115 % oberhalb des Grundsicherungsniveaus, da dieser Betrag und kein anderer die Vergleichsschwelle ist.


Floki

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5886 am: 18.03.2024 11:40 »
"Der Gesetzentwurf, mit dem die Besoldung endlich auch auf Bundesebene verfassungskonform werden sollte, wird von der Ampel nicht weiterverfolgt. Der dbb übt daran scharfe Kritik."

Weil wir in den Ländern ansonsten überall eine verfassungskonforme Besoldung haben?

Der Obelix

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5887 am: 18.03.2024 12:16 »
Und das wo doch die Frau Ministerin bei einer erfolgreichen Wahl in Hessen dort für eine verfassungsgemäße Besoldung sorgen wollte. Gut dass sie dort nicht gewählt wurde.

NordWest

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5888 am: 18.03.2024 18:05 »
Scharfe Kritik vom DBB:
https://www.dbb.de/artikel/bund-stoppt-besoldungsanpassung-scharfe-kritik-vom-dbb.html

Wow, man kommt ernsthaft überein, dass "der Referentenentwurf, der bereits im Januar 2023 vorgelegt wurde, deshalb „regierungsintern nicht weiterverfolgt werde"?! Wie wenig ernst kann man das Verfassungsgericht eigentlich noch nehmen? Als hätte der Bund nicht gerade erst eine große Klatsche im Haushaltsrecht erhalten, steuert man hier direkt auf die nächste zu - Wahnsinn!

Leider ist der FAZ-Artikel kostenpflichtig. Da wäre es interessant, mal hineinzuschauen.


Unknown

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5890 am: 18.03.2024 20:41 »
https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/streit-in-der-ampel-die-besoldungserh%C3%B6hung-f%C3%BCr-beamte-verz%C3%B6gert-sich/ar-BB1k58FH
Die interessanteste Stelle ist :
Zitat
Der DBB-Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach sagte der F.A.Z., er habe am 26. Februar durch ein Telefonat mit Innenstaatssekretär Bernd Krösser davon erfahren, dass die Besoldungsreform in der bisher favorisierten Form geplatzt sei.

Zitat
Antwort von Johann Saathoff SPD • 14.03.2024
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Frage. Ich kann sehr gut verstehen, dass Sie sich fragen, warum das so lange dauert. Ich kann Ihnen aber versichern, dass daran gearbeitet wird.
Mit freundlichen Grüßen
Johann Saathoff
https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/johann-saathoff/fragen-antworten/amtsangemessene-alimentation-beim-bund-vielmehr-interessiert-mich-ob-tatsaechlich-daran-gearbeitet-wird-oder

Man beachte die beiden Datums. Irgendwas passt da nicht so ganz zusammen, wenn die Aussage von Herrn Silberbach stimmen sollte oder Herr Saathoff hat eine sehr eigenwillige Ansicht, was es bedeutet, daran wird gearbeitet.


Ozymandias

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« Antwort #5892 am: 20.03.2024 16:42 »
OVG Sachsen-Anhalt, 07.03.2024 - 1 K 66/23, 1 K 67/23

https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=OVG%20Sachsen%2DAnhalt&Datum=07.03.2024&Aktenzeichen=1%20K%2066%2F23

https://www.landesrecht.sachsen-anhalt.de/bsst/document/JURE240004802



Zitat
    cc) Die Landesregierung hat beim Erlass der umstrittenen Verordnungsregelung nicht gegen ihr aus dem Rechtsstaatsprinzip obliegende Begründungspflichten verstoßen.

Randnummer42

    Die Festlegung der Höhe der Besoldung der Beamten und Richter durch den Gesetzgeber ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Einhaltung prozeduraler Anforderungen geknüpft, die als „zweite Säule“ des Alimentationsprinzips als eines hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG neben seine auf eine Evidenzkontrolle beschränkte materielle Dimension treten und seiner Flankierung, Absicherung und Verstärkung dienen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16. Oktober 2018 - 2 BvL 2/17 -, juris Rn. 20 m. w. N., und vom 4. Mai 2020 - 2 BvL 4/18 -, juris Rn. 96). Für den Besoldungsgesetzgeber folgen aus dem Prozeduralisierungsgebot in erster Linie Begründungspflichten. Zwar schuldet der Gesetzgeber nach überkommener Auffassung von Verfassungs wegen grundsätzlich nur ein wirksames Gesetz. Da aber das grundrechtsgleiche Recht auf Gewährung einer amtsangemessenen Alimentation keine quantifizierbaren Vorgaben im Sinne einer exakten Besoldungshöhe liefert, bedarf es prozeduraler Sicherungen, damit die verfassungsrechtliche Gestaltungsdirektive des Art. 33 Abs. 5 GG auch tatsächlich eingehalten wird. Der Gesetzgeber ist daher gehalten, bereits im Gesetzgebungsverfahren die Fortschreibung der Besoldungshöhe zu begründen. Die Ermittlung und Abwägung der berücksichtigten und berücksichtigungsfähigen Bestimmungsfaktoren für den verfassungsrechtlich gebotenen Umfang der Anpassung der Besoldung müssen sich in einer entsprechenden Darlegung und Begründung des Gesetzgebers im Gesetzgebungsverfahren niederschlagen. Eine bloße Begründbarkeit genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Prozeduralisierung. Der mit der Ausgleichsfunktion der Prozeduralisierung angestrebte Rationalisierungsgewinn kann - auch mit Blick auf die Ermöglichung von Rechtsschutz - effektiv nur erreicht werden, wenn die erforderlichen Sachverhaltsermittlungen vorab erfolgen und dann in der Gesetzesbegründung dokumentiert werden. Die Prozeduralisierung zielt auf die Herstellung von Entscheidungen und nicht auf ihre Darstellung, das heißt nachträgliche Begründung (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16. Oktober 2018, a. a. O. Rn. 21, und vom 4. Mai 2020, a. a. O. Rn. 97).

Randnummer43

    In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die zur Wahrung der Amtsangemessenheit der Alimentation entwickelten prozeduralen Anforderungen nach ihrem gerade und ausschließlich hierauf ausgerichteten spezifischen Sinn und Zweck auf die normative Festlegung des Unterrichtsdeputats, nach dem sich die Arbeitszeit der beamteten Lehrkräfte maßgeblich bestimmt, nicht übertragbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juni 2019 - 2 C 18.18 -, juris Rn. 23; Beschluss vom 11. Dezember 2020 - 2 B 10.20 -, juris Rn. 12). Das gilt gleichermaßen für eine Vorschrift wie die vorliegend angegriffene Arbeitszeit(verteilungs)regelung. Die prozeduralen Dimensionen von Grundrechten oder grundrechtsähnlichen Rechten, die den Gesetzgeber in die Pflicht nehmen, können darüber hinaus bereits strukturell nicht auf den Verordnungsgeber übertragen werden. Dessen Regelungsbefugnis ist von vornherein nach Inhalt, Zweck und Ausmaß vom Gesetzgeber vorgegeben und eingegrenzt (Art. 79 Abs. 1 Satz 2 Verf LSA, Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG). Die wesentliche Entscheidungsbefugnis verbleibt daher beim Gesetzgeber, der sich den damit verbundenen Verfahrenssicherungen nicht im Wege der Delegation entledigen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Dezember 2016 - 2 B 5.16 -, juris Rn. 14).

Randnummer44

    Soweit die Antragstellerin eine umfassende Evaluierung der tatsächlichen Arbeitsbelastung der Lehrkräfte und deren Dokumentation in der Verordnungsbegründung reklamiert, war der Verordnungsgeber bei Einfügung des § 4b ArbZVO-Lehr LSA dazu im Übrigen schon deshalb nicht verpflichtet, weil diese Regelung - wie ausgeführt - lediglich eine ungleichmäßige Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit der Lehrkräfte über einen längeren Zeitraum und keine allgemeine Erhöhung der Regelstundenzahlen anordnet, bei der innerhalb der wöchentlichen Regelarbeitszeit das Maß der Unterrichtsverpflichtung im Verhältnis zu den Zeiten für die Wahrnehmung außerunterrichtlicher Dienstpflichten (zu Lasten des letztgenannten Anteils an der Gesamtarbeitszeit) verschoben wird. An die bestehende Festsetzung der Regelstundenzahlen in § 3 Abs. 2 ArbZVO-Lehr LSA als wirksame Konkretisierung der für Lehrkräfte geltenden durchschnittlichen Wochenarbeitszeit konnte der Verordnungsgeber in § 4b Abs. 1 Satz 1 ArbZVO-Lehr LSA anknüpfen; diese Festsetzung ist nicht Gegenstand der Vorgriffsstundenverpflichtung, bei deren Erlass es demzufolge auch keiner Ermittlungen zu der tatsächlichen Arbeitsbelastung der Lehrkräfte durch die aus den Regelstundenzahlen resultierenden Unterrichtsverpflichtungen bedurfte.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5893 am: 21.03.2024 16:45 »
Die Entscheidung des Senats ist für sich betrachtet offensichtlich schlüssig: Es gibt eine grundrechtsgleiches Individualrecht des Beamten auf eine amtsangemessene Alimentation, das vom Gesetzgeber prozedural sachgerecht auszugestalten ist, weil weder die Struktur noch die Höhe der Besoldung der Verfassung unmittelbar, als fester und exakt bezifferbarer Betrag zu entnehmen ist (vgl. die Rn. 26 in der aktuellen Entscheidung vom 04. Mai 2020). Der Besoldungsgesetzgeber hat also in der gesetzlichen Ausgestaltung der amtsangemessenen Alimentation besondere Begründungspflichten zu beachten, um so sicherzustellen, dass das grundrechtsgleiche Individualrecht des Beamten gewahrt wird, was allerdings hinsichtlich der Begründungspflicht des Dienstherrn nicht im gleichen Maße für die Ausgestaltung der wöchentlichen Arbeitszeit von Beamten gilt.

Denn hinsichtlich der Arbeitszeit ist der Beamte als hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums dazu verpflichtet, dem Dienstherrn unter Einsatz der ganzen Persönlichkeit – grundsätzlich auf Lebenszeit – die volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen und gemäß den jeweiligen Anforderungen die Dienstpflichten nach Kräften zu erfüllen. Entsprechend stellt die Besoldung hinsichtlich der prägenden Strukturmerkmale des Berufsbeamtentums kein Entgelt für bestimmte Dienstleistungen dar (vgl. dort die Rn. 24). Daraus folgt zunächst hinsichtlich der Begründungspflichten, "dass die zur Wahrung der Amtsangemessenheit der Alimentation entwickelten prozeduralen Anforderungen nach ihrem gerade und ausschließlich hierauf ausgerichteten spezifischen Sinn und Zweck auf die normative Festlegung des Unterrichtsdeputats, nach dem sich die Arbeitszeit der beamteten Lehrkräfte maßgeblich bestimmt, nicht übertragbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juni 2019 - 2 C 18.18 -, juris Rn. 23; Beschluss vom 11. Dezember 2020 - 2 B 10.20 -, juris Rn. 12)" (vgl. die Rn. 43 der von Ozy verlinkten Entscheidung). Hinsichtlich der Ausgestaltung der wöchentlichen Arbeitszeit von Beamten unterliegt der Gesetzgeber nicht den strengen Begründungspflichten, wie das für die ihm geschuldete amtsangemessene Alimentation der Fall ist. Die Ausgestaltung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist etwas anderes als die gesetzliche Verpflichtung des Dienstherrn, die amtsangemessene Alimentation seiner Beamten zu gewährleisten.

Entsprechend hat der Beamte materiell zur Kenntnis zu nehmen, dass es kein Grundrecht auf eine wöchentliche 40-Stunden-Woche gibt, sondern dass der Dienstherr sein Recht auf Ausgestaltung der wöchentlichen Arbeitzeit spätestens insbesondere erst dann überschreitet, wenn er regelmäßig die wöchentlichen Höchstzeiten überschreitet (vgl. in der verlinkten Entscheidung ab der Rn. 48). Der Dienstherr geht davon aus, dass das durch die Einführung der zeitlich befristeten Vorgriffsstunde nicht der Fall ist. Das OVG Sachsen-Anhalt folgt ihm in dieser Sicht auf die Dinge. Darüber hinaus führt der Dienstherr aus, dass es sich bei der Vorgriffsstunde um eine zeitlich auf fünf Jahre begrenzte Regelung handelt, während der die zusätzlich geleisteten Arbeitsstunden von ihm erfasst werden, um sie im Anschluss i.d.R. durch einen Freizeitausgleich abzugelten. Damit sei insgesamt keine Erhöhung der Arbeitszeit gegeben, worin ihm der Senat ebenfalls folgt.

Schwachpunkt der Darlegungen des Dienstherrn ist m.E., dass der EuGH in seiner Entscheidung vom 14.5.2019 (C -55/18 - CCOO; https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&num=C-55%2F18) entschieden hat, dass die Mitgliedsstaaten verpflichten sind, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, und dass sich das BAG in seiner Entscheidung vom 12.09.2022 - 1 ABR 22/21; https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/1-abr-22-21/ - dieser Auffassung angeschlossen hat: Der Arbeitgeber hat demnach für eine  betriebliche Organisation zu sorgen, die den Arbeitsschutz gewährleistet, was sich auch auf die ab der nullten Stunde zu erfassende Arbeitszeit und das dafür notwendige System zu ihrer Erfassung erstreckt.

Dieser Pflicht ist der Dienstherr auch in der entsprechenden Pflicht der Arbeitszeiterfassung seiner Beamten bislang nicht nachgekommen. Damit kann er nur formal davon ausgehen, dass die Arbeitszeit von Lehrkräften durch die Vorgriffsstunde in den nächsten fünf Jahren nicht regelmäßig oberhalb der gestatteten regelmäßigen wöchentlichen Höchstzeit liegt. Nicht umsonst zeigen empirische Studien in anderen Bundesländern jedoch über diesen formalen Charakter hinaus, dass sich Lehrkräfte in der sozialen Wirklichkeit der Bundesrepublik regelmäßig wiederkehrend nahe an dieser Höchstgrenze befinden können oder sie ggf. auch überschreiten (vgl. bspw. ab der S. 153 in https://www.gew-nds.de/fileadmin/media/sonstige_downloads/nds/Mehrarbeit/Niedersaechsische-Arbeitszeitstudie2015-2016-Endbericht.pdf). Da nun der Dienstherr weiterhin keine hinreichende Arbeitszeiterfassung geregelt hat, zu der auch er verpflichtet wäre, dürfte hier ggf. eine Möglichkeit bestehen, durch eine eigene empirische Studie den empirischen Nachweis zu erbringen, dass die Vorgriffsstunde zwar die o.g. Bedingungen erfüllt - jedoch ggf. zu einer regelmäßigen Überschreitung der wöchentlichen Höchstzeiten bei nicht wenigen Lehrkräften führen könnte. Nicht umsonst greift die Entscheidung des Senats in der Rn. 48 auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2008 zurück, da es entsprechende empirische Untersuchungen wie die gerade genannte noch nicht gegeben hat. Sie hat eine Erhöhung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf 42 Stunden als nicht gesundheitsgefährend betrachtet, jedoch hinsichtlich der Fürsorgepflicht des Dienstherrn ebenso hervorgehoben: "Es steht demnach grundsätzlich im Organisationsermessen des Dienstherrn, die Arbeitszeit der Beamten festzulegen. Dieses Organisationsermessen findet seine Grenze namentlich in dem hergebrachten Grundsatz der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Beamten (vgl. BVerfGE 8, 332 <356 f.>; 43, 154 <165>). Danach muss der Dienstherr bei der Festlegung der Wochenarbeitszeit die wohlverstandenen Interessen der Beamten berücksichtigen. Er darf die Wochenarbeitszeit insbesondere nicht auf ein Maß festlegen, das die Beamten übermäßig belastet oder gar geeignet ist, ihre Gesundheit zu gefährden (vgl. BVerfGK 7, 401 <402 f.>). Er hat grundsätzlich auch eine gewisse Parallelität zu den Dienstzeiten im öffentlichen Dienst im Übrigen zu wahren." (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Januar 2008 - 2 BvR 398/07; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2008/01/rk20080130_2bvr039807.html -,  Rn. 8 ).

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5894 am: 22.03.2024 08:02 »
Ich würde in BW übrigens den Widerspruch gegen die Kostendämpfungspauschale empfehlen.

Das Bundesverwaltungsgericht gibt mit der Revisionszulassung m.E einen versteckten Hinweis.
Ein C4-Professor verdient mehr als ein W3-Professor, zahlt aber eine geringe Kostendämpfungspauschale, wenn ich den Sachverhalt richtig lese.

Das wäre voraussichtlich nicht sachgerecht und nicht gut genug begründet, sondern im Prinzip gar nicht begründet.
Ob das Gesetz dann gekippt wird oder nur für die betroffenen Professoren, kann ich nicht sagen. Wegen den paar Euro lohnt sich da langes Kopfzerbrechen auch nicht.
Hier das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.03.2024:
Die Regelung der nach Besoldungsgruppen gestaffelten Betragshöhe der Kostendämpfungspauschale ist unwirksam unwirksam.
https://www.bverwg.de/de/pm/2024/11

Die Entscheidungsbegründung, in der es im Forum um die Kostendämpfungspauschale (https://forum.oeffentlicher-dienst.info/index.php/topic,122884.0.html) geht, dürfte ggf. für einige Bundesländer interessant werden, da sich das Bundesverwaltungsgericht in ihr umfassend und grundlegend  mit dem Gesetzesvorbehalt im Beihilferecht beschäftigen wird. Aus der Pressemitteilung wird deutlich, dass - wie beim Thema nicht anders zu erwarten - die sog. Wesentlichkeitdsoktrin des Bundesverfassungsgerichts hier Anwendung findet. Da das Beihilferegime nicht unabhängig von der Höhe der Alimentation gesehen werden kann, werden wir hier mit hoher Wahrscheinlichkeit einen engen Zusammenhang in der Begründung finden.

Über die Kostendämpfungspauschale und das Beihilferecht hinaus werden die der Pressemitteilung zu entnehmenden Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts für einige Bundesländer im Besoldungsrecht interessant werden, so mit einiger Wahrscheinlichkeit bspw. für Niedersachsen, da dort die Ermächtigung der Landesregierung zur Regelung des sog. Familienergänzungszuschlags im Doppelverdienermodell durch den Niedersächsischen Landtag weitgehend unbestimmt erfolgt ist, worauf die Landesregierung bereits wiederholt hingewiesen wurde. Der aktuellen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts werden weitere Argumente zu entnehmen sein, dass der Niedersächsische Landtag die Struktur und Höhe des sog. Familienergänzungszuschlags hätte selbst regeln müssen, was ihm allerdings nicht möglich gewesen wäre, da - wie alle wissen - diese nur verfassungswidrig hätten geregelt werden können (das dürfte einer der zentralen Gründe für die Ermächtigung sowie für ihren weitgehend unbestimmten Gehalt in § 36a Abs. 6 NBesG gewesen sein).

Darüber hinaus dürften die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts auch für das Angreifen bspw. der Ausgestaltung des § 73 des Landesbesoldungsgesetzes Mecklenburg-Vorpommerns von Interesse sein, der - davon sollte man ausgehen - die oberste Landesbehörde ebenfalls nicht hinreichend bestimmt ermächtigen dürfte, selbst für den eingehaltenen Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau zu sorgen.

Wer sich mit der Wesentlichkeitsdoktrin des Bundesverfassungsgerichts beschäftigen will, findet die maßgeblichen Ausführungen ab der Rn. 190 in der Entscheidung vom 19. September 2018 - 2 BvF 1/15 -; https://www.bverfg.de/e/fs20180919_2bvf000115.html

Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich der gestrigen Entscheidung wird für einige Bundesländer eine interessante Lektüre werden. Wir werden hier de facto die nächste Einschränkung des weiten Entscheidungsspielraums finden, über die der Gesetzgeber in der Ausgestaltung des Besoldungsrechts verfügt.