Beamte und Soldaten > Beamte der Länder
[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
BVerfGBeliever:
Danke, Swen. Dein Beitrag benennt nochmals eindrücklich das Hauptproblem, wie es sich in meinen Augen zurzeit aus "praktischer" Sicht darstellt:
- Bislang haben wir leider erst ein einziges "hartes" Kriterium aus Karlsruhe (und selbst das ja erst seit kurzem, wie von dir beschrieben): Ein verheirateter Beamter mit zwei Kindern muss mindestens 15% mehr als ein entsprechender Grundsicherungsempfänger bekommen.
- Alle anderen Anforderungen des BVerfG an eine amtsangemessene Besoldung sind zwar vorhanden und bekannt, werden jedoch von den Gesetzgebern mit voller Absicht ignoriert, weil sie anscheinend nicht "konkret" bzw. "hart" genug sind.
Denn wie haben die Gesetzgeber seit Einführung bzw. Konkretisierung des 15%-Kriteriums reagiert?
- Es werden sachwidrige Berechnungen durchgeführt (Heizkosten, etc.), um den Grundsicherungsbedarf künstlich kleiner aussehen zu lassen, als er ist.
- Es werden willkürlich untere Besoldungsgruppen gestrichen, obwohl sich in der Tat die Frage stellt, ob der Abstand zur Grundsicherung dann nicht entsprechend größer als 15% sein müsste.
- Es werden "virtuelle" Partnereinkommen hinzugezogen, um vermeintlich den Abstand zur Grundsicherung zu erreichen.
- Es werden willkürlich Familienzuschläge erhöht, mit dem einzigen Ziel, die unterste 4K-Beamtenfamilie künstlich über das 15%-Kriterium zu heben. Teilweise geschieht dies zusätzlich in Abhängigkeit des Wohnortes, um noch passgenauer auf dem Papier den 15%-Abstand einzuhalten.
- Konkretes Beispiel Baden-Württemberg: Bis einschließlich November 2022 (und vor der nachträglichen Anpassung) lagen die Familienzuschläge für eine vierköpfige Beamtenfamilie zunächst einheitlich bei gut 400 Euro, unabhängig von der Besoldungsgruppe. Ab Dezember 2022 wurden sie für einen A7-Beamten per Handstreich auf über 800 Euro angehoben, während es bei A12/A13/A14-Beamten entweder gar keine oder nur eine sehr geringe Erhöhung der Zuschläge gab. Aus meiner Sicht wurde damit das vorher austarierte Verhältnis sowohl zwischen einem kinderlosen A7 und einem mit zwei Kindern als auch zwischen einem A7 und A12 mit jeweils zwei Kindern nachhaltig zerstört. Sämtliche althergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (Ämterwertigkeit, Binnenabstandsgebot, Leistungsprinzip, etc.) wurden offensichtlich und signifikant mit Füßen getreten.
Somit bleibt wirklich nur zu hoffen, dass wir zum einen irgendwann mehr entsprechende "harte" Leitplanken seitens des BVerfG bekommen und zum anderen keine weiteren "skandalösen" Urteile wie das des VG Karlsruhe lesen müssen..
SwenTanortsch:
--- Zitat von: LehrerBW am 16.04.2025 22:23 ---
--- Zitat von: HansGeorg am 16.04.2025 17:16 ---Leider hinter Paywall: https://www.kn-online.de/schleswig-holstein/reaktionen-notkredite-verfassungswidrig-in-der-cdu-spricht-man-erstmals-von-demut-X5N5MI57LZCEJDN45E6IDPRTWI.html?utm_medium=Social&utm_source=Facebook&fbclid=IwY2xjawJsqA9leHRuA2FlbQIxMQABHm5VvIIVLIyAW-3Eu0YLlsJ_MuU6vvAmrR3T-9JxNomlAOY6ijGKE2BsZIo7_aem_pcNomtUK5opTqL8FtDR44A#Echobox=1744730009
Einige Aussagen lassen einen aber in Bezug auf unser Thema schmunzeln.
„Für ihre Überheblichkeit haben Landtag und Landesregierung jetzt die berechtigte Quittung erhalten“, sagt Aloys Altmann, Präsident beim Steuerzahlerbund. „Der politische Wille einer großen Mehrheit allein kann die Verfassung nicht aushebeln.“
Midyatli (SPD (Vorgängerregierung)) sagt „Alle Bürgerinnen und Bürger haben sich an Recht und Gesetz zu halten“, sagt sie an diesem Dienstag. „Das hat die Günther-Regierung nicht getan.“
"Praktische Auswirkungen auf den abgeschlossenen Haushalt sehe man allerdings nicht."
Also alles in allem, Verfassung gebrochen, aber egal, hat ja Geld gespart.
--- End quote ---
Hier nachlesbar
https://archive.is/TUQUq
--- End quote ---
Der Beitrag zeigt auf engem Raum und an einem begrenzten Beispiel trefflich, wie Politik auch dann funktioniert - also durch Handeln oder Untätigsein -, wenn der weit überwiegende Teil der beteiligten Verantwortungsträger begründet davon ausgehen kann (und das auch wiederkehrend intern tut), dass das eigene Handeln oder Untätigsein verfassungswidrige Konsequenzen hat.
Die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts wird politisch ins Feld geführt werden können, wenn Karlsruhe über die anhängigen schleswig-holsteinischen Normenkontrollverfahren entschieden haben wird, insbesondere, weil es ja weiterhin nicht unwahrscheinlich sein dürfte, dass der Zweite Senat hier dann ein verfassungsrechtliches "Faustpfand" einbehalten wird. Die Regierung Günther II, die regelmäßig noch bis Frühjahr 2027 im Amt sein wird, kann dann bspw. vonseiten des dbb-sh daran erinnert werden, der diese Karte wiederkehrend in den Medien ziehen kann, dass mit der gezielt so geregelten und von allen im Landtag vertretenden Parteien also gewollten verfassungswidrigen Unteralimentation nicht zum ersten Mal der gezielte Verfassungsbruch betrieben worden ist, um nicht zuletzt an die Aussagen des Wissenschaftlichen Diensts des Landtags zu erinnern.
Zur Erinnerung: Es war der Schleswig-Holsteinische Landtag, der im Winter 2021/22 trotz eindeutiger und umfassend begründeter Kritik von vielfältigen Seiten als erster das Partnereinkommen zur Grundlage der Betrachtung des Mindestabstandsgebots gemacht und damit der Besoldungsgesetzgebung in der Bundesrepublik eine Richtung gegeben hat, die auch zukünftig noch für viele Probleme sorgen wird, nämlich insbesondere dann, wenn es um ihre Abwicklung gehen wird. Wen es interessiert, schaue sich hier noch einmal den Gesetzgebungsverlauf an unter dem Sichwort "Gesetz zur Gewährleistung eines ausreichenden Abstandes der Alimentation zur sozialen Grundsicherung und zur amtsangemessenen Alimentation von Beamtinnen und Beamten mit mehr als zwei Kindern": https://e-lissh.landtag.ltsh.de/portal/browse.tt.html
Der Wissenschaftlichen Dienst des Landtags hat sich entsprechend im Gesetzgebungsverfahren geäußert: https://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl19/umdrucke/07200/umdruck-19-07271.pdf Vgl. hier bspw. nur die Ausführungen zur Betrachtung des Partneinkommens durch die gesetzliche Regelung ab der Seite 18, die deren verfassungswidrigen Gehalt in aller gebotenen Deutlichkeit benennen und also in dem Ergebnis münden (Seite 22 f.):
"Da somit die Gewährung einer ausreichenden Mindestalimentation im Sinne der verfassungsgerichtlichen Judikatur vorliegend nicht (ausnahmslos) gegeben ist, ist hier der vierte Parameter der ersten Prüfungsstufe erfüllt. Denn wie zuvor aufgezeigt [Fn. 79 Vgl. Darstellungen unter Ziffer 2.2.1.], liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Nichteinhaltung des Mindestabstandes zur Grundsicherung für Arbeitsuchende allein hierin eine Verletzung des Alimentationsprinzips. Eine Verletzung des Mindestabstandsgebots greift insofern auch auf das gesamte Besoldungsgefüge über, als sich der vom Besoldungsgesetzgeber selbst gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist. Denn wenn sich die Grundlage dieses Gesamtkonzepts wegen Missachtung des Mindestabstandsgebots als verfassungswidrig erweist, wird der Ausgangspunkt für die darauf aufbauende Stufung in Frage gestellt. Insoweit gilt auch, dass, je deutlicher der Verstoß ausfällt und je mehr Besoldungsgruppen hinter dem Mindestabstandsgebot zurückbleiben, desto eher damit zu rechnen ist, dass es zu einer spürbaren Anhebung des gesamten Besoldungsniveaus kommen muss, um die gebotenen Abstände zwischen den Besoldungsgruppen wahren zu können. Die Verletzung des Mindestabstandsgebots bei einer niedrigeren Besoldungsgruppe stellt insoweit ein Indiz für die unzureichende Ausgestaltung der höheren Besoldungsgruppe und damit eine Verletzung des (allgemeinen) Abstandsgebotes dar. [Fn. 80 BVerfGE 155, 1, 25 f. (Rn. 48 f.).]"
Auch das hat aber keine der damals im Landtag vertretenen Parteien dazu veranlasst, gegen den Entwurf zu stimmen, vgl. die Dokumentation der entsprechenden Landtagssitzung ab der Seite 10972 unter: https://www.landtag.ltsh.de/export/sites/ltsh/infothek/wahl19/plenum/plenprot/2022/19-145%5F03-22.pdf#page=58
Schleswig-Holstein, meerumschlungen, deutscher Sitte hohe Wacht!
SwenTanortsch:
Und PS.
Weil mir diese zwei Sätze aus der von mir verlinkten und wirklich lesenswerten Plenardebatte besonders gut gefallen haben (man kann die Debatte nur jedem ans Herz legen, der sich für das Thema interessiert), möchte ich sie hier zitieren, denn sie sind ein schönes Beispiel zur Begründung vorausschauender Politik, wie sie in unserem Thema regelmäßig betrieben wird:
"Jetzt mag der eine oder andere denken: Die lehnen sich hier heute ganz schön weit aus dem Fenster. - Ja, manchmal ist das eben nötig, um etwas weiter und besser sehen zu können."
Genauso ist es, je weiter man sich aus dem Fenster lehnt, desto wahrscheinlicher kommt man am Ende auf dem Boden der Tatsachen an, was offensichtlich ebenfalls eine gesetzliche Frage ist, nämlich eine Frage der Naturgesetze. Ob man dann vom Boden der Tatsachen aus immer noch weiter und besser wird sehen können, muss ggf. erst noch von Fall zu Fall geklärt werden. Und das dürfte dann auch eher kein juristisches Thema mehr sein und auch ggf. kein politisches, so ist zumindest zu vermuten.
Eines aber dürfte im Sinne des Zitates sicher sein: Je weiter man sich nun in die Höhe begibt, um nur immer mehr im Sinne des Zitats zu handeln, desto weiter und besser dürfte zunächst die Aussicht sein und am Ende auch das grundstürzende Ergebnis. Also handelt die bundesdeutsche Politik, was das Thema amtsangemessene Alimentation anbelangt, nur immer weiter getreu dem zitierten Motto und steigt so der Aussicht wegen in nur immer weitere Höhen. Ihr sind entsprechend gute Aussichten zu prognostizieren. Der darüber hinaus verbleibende Rest dürfte dann eine Frage der Kinetik sein.
VierBundeslaender:
Danke an Swen für den Link zum Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes, da steht ja klar und deutlich, dass es so nicht geht. Auch mit einem sehr guten Argument:
--- Zitat ---Demnach dürfte es dem Gesetzgeber zwar unbenommen bleiben, Änderungen am tradierten Leitbild des alleinverdienenden Beamten vorzunehmen. Dies müsste dann aber im gesamten Besoldungssystem erfolgen; die Abkehr müsste sich insbesondere in der Gesamtbesoldung aller Beamtinnen und Beamten niederschlagen. Es ist nicht konsistent und es erscheint insoweit auch problematisch, lediglich in einem Teilbereich des Gesamtsystems ausschließlich partiell von der grundlegenden Alleinverdienstannahme abzuweichen. Dies gilt hier insbesondere, da die Besoldung der unteren Besoldungsgruppen die Grundlage für das Gesamtbesoldungskonzept darstellt. Insofern scheint es nicht kongruent, wenn zwar auf der Grundlagenebene partiell von dem bislang herrschenden Grundgedanken einer Alleinverdienstannahme abgewichen wird, zugleich die sonstigen darauf aufbauenden Besoldungsstufen aber weiterhin unter Berücksichtigung ebendessen ausgestaltet bleiben.
--- End quote ---
Dem muss man nichts hinzufügen, oder? (Oder vielleicht das PS von Swen mit dem Fenster, schönes Bild.)
Es gab noch einen Punkt, den wir hier mal diskutiert hatten. Ab 2022 beginnt doch die 15jährige Rückschau des BVerfG problematisch zu werden, weil die "große" Gehaltsabsenkung meines Wissens etwa in den Jahren 2007/08 begann. Wenn man jetzt den Prüfmaßstab für die vergangenen 15 Jahre (also 2007-2022) anlegt, so misst man nur die abgesenkten Gehälter und stellt (überraschend?) fest: Die sind nicht so stark gesunken wie der Vergleichsmaßstäbe! Klar, weil man von ganz unten wieder startet und die Abstriche kurz vorher umgesetzt wurden.
Um das konsistent hinzubekommen, müsste entweder der 15jährige Vergleichszeitraum aufgegebenen werden oder aber man müsste in der Lage sein, auf die durch Urteile entstandenen Reparaturgesetze zu schauen. Ich will damit folgendes sagen. Wenn die Gehälter 2007/08/09... zu niedrig waren, kann man den 15jährigen Zeitraum schon anwenden, müsste aber abwarten, bis der gerichtlich als verfassungsgemäß festgestellt wurde, müsste also die vom Gesetzgeber eventuell reparierten Gehaltstabellen zugrunde legen und schauen, ob man wie oben immer noch feststellt, dass gegenüber den Vergleichmaßstäben alles paletti ist. Das könnte dann doch überraschend werden.
SwenTanortsch:
Genau zu dieser Problematik wird es alsbald einiges zu lesen geben, Vier - und ich gehe davon aus, dass das nicht ohne Wirkung bleiben kann. Hier kommt eine Problematik auf die Besoldungsgesetzgeber zu, die sie sich noch gar nicht vorstellen können - oder genauer: die sich sicherlich der eine oder andere, der Teil der Gesetzgebung ist, mag vorstellen können, ohne aber die Wucht des sachlichen Einschlags zu ermessen. Was daraus dann politisch gemacht werden wird, wird sich zeigen, so gilt es zumindest ob der Erfahrung in unserem Thema zu vermuten. Denn was daraus sachlich folgt, ist eindeutig und kann sachlich nicht wegdiskutiert werden.
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