Autor Thema: [Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 4729961 times)

BVerfGBeliever

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8250 am: 29.10.2025 12:26 »
Bemerkenswert ist, dass der Senat selbst Nachzahlungen von 180.000 Euro pro Beamten formuliert.  :o :o :o

Nein, das stimmt nicht.

1.) Das Verwaltungsgericht Hamburg hatte dem BVerfG am 29.09.2020 fünf Musterverfahren zur Entscheidung vorgelegt:
- 20 K 7506/17 (A13)
- 20 K 7509/17 (A15, drei Kinder, geboren 1992, 1994 und 1994)
- 20 K 7510/17 (A10, ein Kind, geboren 2016)
- 20 K 7511/17 (A11, zwei Kinder, geboren 1966 und 1969)
- 20 K 7517/17 (A9, zwei Kinder, geboren 1988 und 1988)

2.) Laut Drucksache 22/3821 hat der Hamburger Senat für diese fünf Musterkläger für den Zeitraum 2013 bis 2019 eine Rückstellung in Höhe von 4,3% der jeweiligen Besoldung sowie bis zu 480 Euro an zusätzlichen monatlichen Kinderzuschlägen gebildet, insgesamt rund 180.000 Euro.

3.) Kurzer Plausibilitätscheck: 180.000 Euro durch 5 Kläger durch 7 Jahre durch 12 Monate ergeben eine durchschnittliche Nachzahlung in Höhe von rund 429 Euro pro Monat. Passt aus meiner Sicht sehr gut zu den obigen Angaben (4,3% der Besoldung, ggf. plus zusätzliche Kinderzuschläge).
« Last Edit: 29.10.2025 12:40 von BVerfGBeliever »

HansGeorg

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8251 am: 29.10.2025 12:36 »
EGMR-Urteil Meïdanis/Griechenland (2008) einfach erklärt

zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall Meïdanis gegen Griechenland (Urteil vom 22.05.2008, Beschwerde-Nr. 33977/06): In diesem Fall klagte ein griechischer Arbeitnehmer (Herr Meïdanis), der für ein öffentliches Krankenhaus gearbeitet hatte, auf ausstehende Lohnzahlungen. Das Besondere war, dass nach griechischem Recht öffentliche Einrichtungen deutlich weniger Verzugszinsen auf rückständige Gehälter zahlen mussten als private Arbeitgeber. Herr Meïdanis hätte nach allgemeinem Zinsrecht sehr hohe Zinsen (zeitweise rund 23–27% pro Jahr) auf den rückständigen Lohn erhalten; weil sein Arbeitgeber aber ein staatliches Krankenhaus war, galt ein Sondergesetz, das den Zinssatz auf nur 6% pro Jahr begrenzte
Der EGMR hat diese Ungleichbehandlung klar als Verstoß gegen das in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Eigentumsrecht bewertet
.Einfach ausgedrückt: Der Lohn, den Herr Meïdanis zu bekommen hatte, ist sein Eigentum. Wenn der Staat die Zahlung dieses Lohns jahrelang verzögert und sich selbst das Privileg einräumt, viel geringere Zinsen (hier nur 6% statt ~25%) zahlen zu müssen, entsteht dem Betroffenen ein finanzieller Nachteil. Das Gericht stellte fest, dass es keinen ausreichenden sachlichen Grund gab, dem öffentlichen Arbeitgeber einen so niedrigen Zinssatz zu gewähren
.Ein öffentliches Krankenhaus, das als Arbeitgeber auftritt, soll im Grundsatz wie ein privater Arbeitgeber behandelt werden und kann nicht allein mit finanziellen Sparzwängen begründen, warum es weniger zahlen muss
.Der EGMR entschied einstimmig, dass diese Zinsbegrenzung die friedliche Eigentumsnutzung des Klägers verletzte und somit die Menschenrechtskonvention (Artikel 1, 1. Zusatzprotokoll – Schutz des Eigentums) verletzt wurde
Für einen Laien bedeutet dieses Urteil: Der Staat darf sich nicht selbst bevorteilen, indem er bei verspäteten Zahlungen an Bürger geringere oder gar keine Verzugszinsen zahlt, wenn Bürger untereinander viel höhere Zinsen zahlen müssten. Das Geld, das jemand zu bekommen hat (z.B. Gehalt), wird als sein Eigentum betrachtet. Wird es verspätet ausbezahlt, muss ein angemessener Ausgleich (Zinsen) erfolgen. Andernfalls verliert die Summe an Wert (z.B. durch Inflation oder entgangene Nutzung) – und das stellt nach Auffassung des EGMR eine unzulässige Entwertung dieses Eigentums dar
Im Ergebnis musste Griechenland Herrn Meïdanis Schadenersatz zahlen, um den Zinsverlust auszugleichen, und der EGMR machte deutlich, dass künftig solche Zinsprivilegien des Staates problematisch sind.

Verwaltungsgedöns

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8252 am: 29.10.2025 12:37 »
@Believer
Nun ist der Groschen gefallen. Danke für die Richtigstellung. Ich sammle mal kurz wieder meine Kinnlade ein...

BVerfGBeliever

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« Antwort #8253 am: 29.10.2025 12:42 »
@Believer
Nun ist der Groschen gefallen. Danke für die Richtigstellung. Ich sammle mal kurz wieder meine Kinnlade ein...

Kein Problem! Und trotzdem auf jeden Fall danke fürs Raussuchen (jegliche monetäre Einordnung ist aus meiner Sicht sehr interessant)!

Malkav

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8254 am: 29.10.2025 13:03 »
EGMR-Urteil Meïdanis/Griechenland (2008)

Für mich klingt die Lage hinsichtlich der Verzinsung eigentlich sehr gut für deutsche Beamte.

Betrag X wird aufgrund Gesetz gezahlt. Von Verfassung wegen müsste Betrag Y gezahlt werden. Die Differenz zwischen X und Y wird nach deutscher Rechtsprechung und einfacher Gesetzeslage nicht verzinst.

Die spannendere Frage ist eher, wie man einen diesbezüglichen Fall zum EGMR bekommt.

Der Verfahrensgang müsste sich wie folgt darstellen:

1. Klage "gegen Alimentationshöhe" aka Feststellugn der Unteralimentation
2. positiver Beschluss des BVerfG
3. Reparaturgesetz nebst entsprechender unverzinster Nachzahlung
4. Klage "gegen die Höhe der Nachzahlung" aka Feststellugn der Unteralimentation
5. negativer Beschluss des BVerfG (entweder aufgrund Richtervorlage oder Verfassungsbeschwerde)
6. Beschwerde an den EGMR wegen Ausschöpfung des innerdeutschen Rechtswegs

Das kann also seeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeehr lange dauern  :o
Aber sonst scheitert man halt an der Zulässigkeit der Beschwerde zum EGMR wegen der Notwendigkeit der Ausschöpfung aller innerstaatlichen Mittel.

Rheini

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« Antwort #8255 am: 29.10.2025 13:13 »
EGMR-Urteil Meïdanis/Griechenland (2008)

Für mich klingt die Lage hinsichtlich der Verzinsung eigentlich sehr gut für deutsche Beamte.

Betrag X wird aufgrund Gesetz gezahlt. Von Verfassung wegen müsste Betrag Y gezahlt werden. Die Differenz zwischen X und Y wird nach deutscher Rechtsprechung und einfacher Gesetzeslage nicht verzinst.

Die spannendere Frage ist eher, wie man einen diesbezüglichen Fall zum EGMR bekommt.

Der Verfahrensgang müsste sich wie folgt darstellen:

1. Klage "gegen Alimentationshöhe" aka Feststellugn der Unteralimentation
2. positiver Beschluss des BVerfG
3. Reparaturgesetz nebst entsprechender unverzinster Nachzahlung
4. Klage "gegen die Höhe der Nachzahlung" aka Feststellugn der Unteralimentation
5. negativer Beschluss des BVerfG (entweder aufgrund Richtervorlage oder Verfassungsbeschwerde)
6. Beschwerde an den EGMR wegen Ausschöpfung des innerdeutschen Rechtswegs

Das kann also seeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeehr lange dauern  :o
Aber sonst scheitert man halt an der Zulässigkeit der Beschwerde zum EGMR wegen der Notwendigkeit der Ausschöpfung aller innerstaatlichen Mittel.

Ich schreibe gerade fleissig den Beipackzettel zu meinem Testament ...........

Verwaltungsgedöns

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« Antwort #8256 am: 29.10.2025 13:14 »
Und ich glaube, der Grieche war Angestellter in einem staatlichen Krankenhaus. Kanns ein, dass wen er Beamter gewesen wäre, es anders gelaufen wäre.

HansGeorg

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« Antwort #8257 am: 29.10.2025 13:54 »

Das kann also seeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeehr lange dauern  :o
Aber sonst scheitert man halt an der Zulässigkeit der Beschwerde zum EGMR wegen der Notwendigkeit der Ausschöpfung aller innerstaatlichen Mittel.

Ich habe noch 40 Jahre also werde ich es machen, bringt ja auch ordentlich Zinseszinsen. Wird dann ein schönes Pensionseinstiegspaket.

Rentenonkel

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8258 am: 29.10.2025 14:22 »
Zinsen verjähren nach allgemeinem Recht (bei titulierten Forderungen) schneller als die Hauptforderung, nämlich in der Regel nach drei Jahren im Gegensatz zu 30 Jahren für die Hauptforderung.

Allerdings greifen die Zinsen erst ab dem Zeitpunkt, ab dem die Hauptforderung tituliert wurde. Solange man sich mit dem Ruhen des Verfahrens einverstanden erklärt hat, es also kein rechtskräftiges Urteil zu seinen Gunsten oder eine andere Rechtsgrundlage gibt, vermag ich keinen Anspruch auf Verzinsung zu erkennen.

Ein Gerichtsverfahren kann ein solche Verjährung durchaus hemmen, allerdings greift nach meinem Rechtsverständnis die Hemmung der Verjährung erst ab dem Zeitpunkt, zu dem man in eigener Sache eine statthafte Klage eingelegt hat und in dieser auch Zinsansprüche geltend gemacht hat.

HansGeorg

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« Antwort #8259 am: 29.10.2025 14:27 »
Zinsen verjähren nach allgemeinem Recht (bei titulierten Forderungen) schneller als die Hauptforderung, nämlich in der Regel nach drei Jahren im Gegensatz zu 30 Jahren für die Hauptforderung.

Allerdings greifen die Zinsen erst ab dem Zeitpunkt, ab dem die Hauptforderung tituliert wurde. Solange man sich mit dem Ruhen des Verfahrens einverstanden erklärt hat, es also kein rechtskräftiges Urteil zu seinen Gunsten oder eine andere Rechtsgrundlage gibt, vermag ich keinen Anspruch auf Verzinsung zu erkennen.

Ein Gerichtsverfahren kann ein solche Verjährung durchaus hemmen, allerdings greift nach meinem Rechtsverständnis die Hemmung der Verjährung erst ab dem Zeitpunkt, zu dem man in eigener Sache eine statthafte Klage eingelegt hat und in dieser auch Zinsansprüche geltend gemacht hat.

Genau das sieht der EGMR in dem Fall aber anders.

Rentenonkel

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« Antwort #8260 am: 29.10.2025 15:29 »

Genau das sieht der EGMR in dem Fall aber anders.

Der EGMR hat in dem von Dir zitierten Urteil lediglich die unterschiedliche Verzinsung von Gehaltsansprüchen von öffentlichen Arbeitgebern und privaten Arbeitgebern in Griechenland gerügt.

Dabei war der Anspruch auf Gehalt unstreitig. Der Arbeitgeber hat den durch Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag rechtmäßigen Lohn durch die seinerzeitige Staatskrise zeitweise mit dem Versprechen ausgesetzt, er zahle diese unstreitigen Ansprüche nach. Dabei hat er diese geschuldeten Lohnanteile jedoch deutlich geringer verzinst, als es die privaten Arbeitgeber mussten. Diese Ungleichbehandlung verstößt gegen EU Recht.

Hier ist jedoch der Sachverhalt deutlich anders. Es muss zunächst ein Alimentationsanspruch sowohl dem Grunde nach als auch in der konkreten Höhe nach tituliert sein, bevor ein Zinsanspruch auf diese geschuldeten Anspruch auf Besoldung entstehen kann. Bisher bestreiten die DH jedoch, dass ein solcher Anspruch überhaupt dem Grund nach besteht.

Dieser Anspruch kann entweder durch ein Gesetz (Zinsanspruch ggf. ab Verkündung) oder durch ein Urteil (Zinsanspruch ab Rechtskraft des Urteils) entstehen. Bei einem Urteil kann dann nach meinem Verständnis auch das Datum der Rechtshängigkeit der Klage als Beginn der Verzinsung gelten, so man denn eine Verzinsung bei der Klageeinreichung beantragt hat.

Mehr Ansprüche vermag ich auch nach Lesen des Urteils des EGMR tatsächlich nicht zu erkennen.

lotsch

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« Antwort #8261 am: 29.10.2025 16:28 »
EGMR-Urteil Meïdanis/Griechenland (2008)

Für mich klingt die Lage hinsichtlich der Verzinsung eigentlich sehr gut für deutsche Beamte.

Betrag X wird aufgrund Gesetz gezahlt. Von Verfassung wegen müsste Betrag Y gezahlt werden. Die Differenz zwischen X und Y wird nach deutscher Rechtsprechung und einfacher Gesetzeslage nicht verzinst.

Die spannendere Frage ist eher, wie man einen diesbezüglichen Fall zum EGMR bekommt.

Der Verfahrensgang müsste sich wie folgt darstellen:

1. Klage "gegen Alimentationshöhe" aka Feststellugn der Unteralimentation
2. positiver Beschluss des BVerfG
3. Reparaturgesetz nebst entsprechender unverzinster Nachzahlung
4. Klage "gegen die Höhe der Nachzahlung" aka Feststellugn der Unteralimentation
5. negativer Beschluss des BVerfG (entweder aufgrund Richtervorlage oder Verfassungsbeschwerde)
6. Beschwerde an den EGMR wegen Ausschöpfung des innerdeutschen Rechtswegs

Das kann also seeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeehr lange dauern  :o
Aber sonst scheitert man halt an der Zulässigkeit der Beschwerde zum EGMR wegen der Notwendigkeit der Ausschöpfung aller innerstaatlichen Mittel.

Ich habe mir folgenden Verfahrensgang vorgestellt:
1. Klage "gegen Alimentationshöhe" aka Feststellugn der Unteralimentation (bereits eingereicht)
2. positiver Beschluss des BVerfG
3. Reparaturgesetz nebst entsprechender unverzinster Nachzahlung
4. Antrag auf Verzugszinsen und Ablehnung des Dienstherrn
5. Widerspruch und ablehnender Widerspruchsbescheid des Dienstherrn
6. Klage VerwG
7. Popularklage und Antrag an das VerwG auf Ruhen des Verfahrens (Bayern)
8. Bei negativer Entscheidung der Popularklage Antrag auf Überprüfung durch das BVerfG, da das Eigentumsrecht     das GG betrifft
9. Bei negativer Entscheidung des BVerfG ist der nationale Rechtsweg erschöpft und es ist eine Klage vor dem EGMR möglich

Dieser Verfahrensweg erscheint mir schneller und billiger.


InternetistNeuland

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« Antwort #8262 am: 29.10.2025 20:53 »
Und der Steuerschaden, der sich aufgrund der Einmalzahlung ergibt. So viel kann man ja niemals in der Steuererklärung geltend machen.

Wenn das Gericht feststellt, dass Netto z.B. 5000 € fehlen zum Grundsicherungsniveau +15%, dann kann dir eigentlich kein Steuerschaden entstehen, da der Dienstherr dir NETTO 5000 € zahlen muss.