Die bayer. Begründung:
Systemwechsel zur Mehrverdiener-Familie als neuer Bezugsgröße
Bisheriger Bezugspunkt für die Bemessung der Besoldung ist – wie auch das Bundes-
verfassungsgericht in seinen Entscheidungen vom 4. Mai 2020 darlegt1 – die sog. Al-
leinverdiener-Familie. Das Bundesverfassungsgericht führt dabei zum Familienbild aus,
dass mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nach wie vor davon auszugehen sei, dass
die Besoldungsgesetzgeber das Grundgehalt von vornherein so bemessen, dass – zu-
sammen mit den Familienzuschlägen für den Ehepartner und die ersten beiden Kinder
– eine bis zu vierköpfige Familie amtsangemessen unterhalten werden könne (weshalb
es einer gesonderten Prüfung der Besoldung mit Blick auf die Kinderzahl (erst) ab dem
dritten Kind bedürfe). Die vierköpfige Alleinverdiener-Familie sei demnach eine aus der
bisherigen Besoldungspraxis abgeleitete Bezugsgröße, jedoch nicht das Leitbild der
1 BVerfG, Beschluss v. 4. Mai 2020, Az. 2 BvL 4/18, Rn. 47.
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Beamtenbesoldung, wie das Bundesverfassungsgericht weiter in seinen Entscheidun-
gen vom 4. Mai 2020 klarstellt.
Tatsächlich sind Familienbilder in der heutigen Gesellschaft genauso wie Erwerbsbio-
grafien deutlich vielschichtiger geworden und haben sich – vor allem in jüngster Ver-
gangenheit – stark gewandelt.
Bis in die 1970er-Jahre war das Modell der Hausfrauenehe mit der Formulierung, dass
die Frau ihre Verpflichtung, durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, in der
Regel durch die Führung des Haushalts erfüllt, in § 1360 des Bürgerlichen Gesetzbu-
ches (BGB) verankert. Zu einer Erwerbstätigkeit war sie nur verpflichtet, soweit die Ar-
beitskraft des Mannes und die Einkünfte der Ehegatten zum Unterhalt der Familie nicht
ausreichten. Mit der Reform des Ehe- und Familienrechts im Jahr 1977 hat sich das
BGB von dem Leitbild der Hausfrauenehe verbschiedet. Die Eheleute entscheiden nach
der Leitvorstellung des BGB seither autonom über die Aufgabenverteilung in der Ehe
und den Umfang der Erwerbstätigkeit.
In tatsächlicher Hinsicht teilen Eltern sich die Betreuung gemeinsamer Kinder in der
heutigen Gesellschaft zunehmend auf, und immer weiter verbesserte Kinderbetreu-
ungsangebote verbunden mit einem sich vollziehenden gesellschaftlichen Wandel im
Hinblick auf alte Rollenbilder ermöglichen es gerade auch Frauen, Familie und Berufs-
leben erheblich besser zu vereinbaren als noch vor wenigen Jahren. Dies verdeutlicht
nicht zuletzt die Entwicklung der Erwerbstätigenquote von Frauen in der Bundesrepub-
lik Deutschland, die in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen Schub erfahren hat
und zwischen 1991 und 2020 von ca. 57 % auf knapp 72 % angestiegen ist, sich mithin
der Erwerbstätigenquote von Männern nahezu angenähert hat, welche im gleichen Zeit-
raum unverändert bei etwa 79 % lag.2 Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist damit heute
der Regelfall und dies unabhängig vom Familienstand und der Familiensituation. Auch
wenn die Gründung einer Familie in der Zeit unmittelbar nach der Geburt weiterhin oft-
mals zu einer vorübergehenden Verminderung der Erwerbstätigkeit eines Elternteils
führt, sorgen mittlerweile staatliche Leistungen wie das Elterngeld dafür, dass auch in
dieser Zeit beide Elternteile zum Familienunterhalt beitragen können.
Flankierend hierzu hat auch der Gesetzgeber im Beamtenrecht eine Reihe von Rege-
lungen getroffen, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern sollen, wie
beispielsweise weitreichende Regelungen im Bereich der Arbeitszeit (Einführung der
Teilzeitbeschäftigung und in jüngster Zeit die Ausweitung besonderer Arbeitsformen wie
das mobile Arbeiten oder das Arbeiten im Homeoffice).
Seit der Reform des Ehe- und Familienrechts im Jahr 1977 hat sich das Besoldungs-
recht demzufolge nicht nur nahezu vollständig vom Familienleitbild des bürgerlichen
Rechts abgekoppelt, sondern auch die rein tatsächlichen gesellschaftlichen Verände-
rungen diesbezüglich nicht mehr nachvollzogen.
Auch fließen in die Ermittlung der sozialrechtlichen Grundsicherung beim Vergleich mit
der Besoldung Komponenten ein, die ihren Entstehungsgrund in dem geschilderten
Wertewandel haben. So dürfen beispielsweise seit 1. August 2019 von Grundsiche-
rungsempfängern und Grundsicherungsempfängerinnen keine Beiträge mehr für die
Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen erhoben werden. Einen solchen Bedarf
zur Kinderbetreuung in Tageseinrichtungen hat es in früheren Dekaden, als die Allein-
verdiener-Familie noch das weit überwiegend praktizierte Familienmodell war, nicht ge-
geben. Er ist erst durch die weitgehende Berufstätigkeit beider Elternteile und die dar-
aus abgeleitete (und erfüllte) politische Forderung, durch die Schaffung solcher Tages-
einrichtungen eine bessere Vereinbarkeit von beruflichen und familiären Verpflichtun-
gen zu ermöglichen, entstanden. Diese soziale Verbesserung für Grundsicherungs-
empfänger und Grundsicherungsempfängerinnen ist wegen des vom Bundesverfas-
2 Erwerbstätigenquoten nach Gebietsstand und Geschlecht in der Altersgruppe 15 bis unter 65 Jahren,
Ergebnis des Mikrozensus in %, Statistisches Bundesamt (Destatis);
https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/Tabellen/erwerbstaetigen-quoten-gebietsstand-geschlecht-altergruppe-mikrozensus.html
In Bayern bspw. 2018 Erwerbstätigenquote von ca. 80 % bei Müttern in Paarfamilien mit Kindern von
sechs bis unter 18 Jahren (18,2 % Vollzeit, 61,3 % Teilzeit);
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/05/PD20_N023_132.htmlDrucksache18/25363 Bayerischer Landtag 18. Wahlperiode Seite 21
sungsgericht vorgegebenen Mindestabstandsgebots bei der Ermittlung der Mindestali-
mentation zu berücksichtigen. Konsequenterweise sind insofern nicht nur die durch die
Beiträge für die Kinderbetreuung entstehenden zusätzlichen Kosten in die Vergleichs-
berechnungen aufzunehmen, sondern auch die durch die Kinderbetreuung erst ermög-
lichte und tatsächlich praktizierte Berufstätigkeit ist bei der Bestimmung des typisierend
zugrunde zu legenden Familienbilds zu berücksichtigen.
Auch die Entwicklung der seitens des Freistaates Bayern als Dienstherr gewährten Bei-
hilfeleistungen bestätigt den vorstehend geschilderten Trend in doppelter Hinsicht: Zum
einen beläuft sich der Anteil der beihilfefähigen Aufwendungen, die auf Ehegatten ent-
fallen, mittlerweile auf rund 4 %, was für eine entsprechende eigene, wirtschaftliche Ab-
sicherung durch entsprechende Einkünfte der ganz überwiegenden Mehrzahl der be-
rücksichtigungsfähigen Ehegatten spricht. Zum anderen fällt dieser Anteil bei den akti-
ven Beamten und Beamtinnen sowie Richtern und Richterinnen in erheblichem Maße
niedriger aus, als bei den Versorgungsempfängern und Versorgungsempfängerinnen,
was den Wandel der Familien- und Rollenbilder weiter unterstreicht.
Die Alleinverdiener-Familie mit zwei Kindern, die über viele Dekaden hinweg Bezugs-
größe und damit Grundlage für die Bemessung der Besoldung der Beamten und Be-
amtinnen sowie Richter und Richterinnen war, bildet insofern die tatsächlichen Famili-
enverhältnisse der modernen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht mehr realitätsge-
recht ab. Sie ist daher auch als Bezugsgröße für die Bemessung familienbezogener
Besoldungsbestandteile nicht mehr zwingend.
Im Hinblick auf den von diesen Entwicklungen getragenen, zeitgemäßen Leitgedanken
der Besoldung, dass in der modernen Gesellschaft grundsätzlich beide Elternteile zum
Familienunterhalt beitragen, bilden die Tabellenbeträge der Anlage 5, die Grundlage
der Bemessung des Orts- und Familienzuschlags sind, künftig die Bedarfe einer sog.
Mehrverdiener-Familie ab. Die für den Familienunterhalt erforderlichen orts- und fami-
lienbezogenen Bezügebestandteile werden diesem Leitbild folgend künftig in einer
Höhe gewährt, die berücksichtigt, dass regelmäßig auch von dem anderen Elternteil ein
Beitrag zum Familieneinkommen zu erwarten ist. Als Größe wird dabei in Anlehnung an
den bereits im Bereich der Beihilfe mit ähnlicher Zielrichtung bewährten Betrag ein Ein-
kommen i. H. v. 20.000 € p. a. zugrunde gelegt.
Um die immer größeren Herausforderungen hinsichtlich der Möglichkeit zur Erwerbstä-
tigkeit abzumildern, die mit steigender Familiengröße im Hinblick auf den Aufwand zur
Betreuung von Kindern einhergehen, wird der Orts- und Familienzuschlag ab dem vier-
ten Kind um einen nach den Ortsklassen gestaffelten Zuschlag erhöht.
Bezugspunkt des Wechsels zu dem Leitbild der Mehrverdiener-Familie sind die orts-
und familienbezogenen Besoldungsbestandteile. Die Grundbesoldung bleibt unberührt
und soll auch weiterhin entsprechend der Stellung des Freistaates Bayern im Spitzen-
bereich des Besoldungsgefüges von Bund und Ländern weiterentwickelt werden.
Im Hinblick auf die Familiengröße eignet sich die Familie mit zwei Kindern hingegen
weiterhin als Bezugsgröße. Während Beamtenfamilien mit drei oder mehr Kindern auch
in der aktuellen Personalstruktur weiterhin die Ausnahme darstellen, gibt es in der Ge-
samtheit der Beamtenfamilien mit bis zu zwei Kindern in etwa 1,7-mal so viele Familien
mit zwei Kindern wie mit nur einem Kind.