Hallo Swen, [a] hat das BVerfG denn auch gesagt, dass dann eine jährliche Anpassung zwingend notwendig ist? Das scheint NRW gerade nicht nachzuvollziehen. Einmal angepasst und dann muss erst wieder geklagt werden? Ich glaube derzeit ist seit 2014 (?) ein Verfahren beim BVerfG anhängig zur Frage, ob die steuerlichen Kinderfreibeträge nicht mit dem Alter steigen müssten. Der Bedarf von studierenden Kindern ist riesig und die Beamteneltern haben eine Unterhaltspflicht. Auch die Ermöglichung eines Studiums der Beamtenkinder müsste also Teil der Alimentation sein.
Die Sätze zur gesellschaftlichen Teilhabe sind zu gering. So kann kein Kind Musikunterricht und Sportverein haben.
Das Thema ist komplex aber ein Zuschlag, der sich an der Mietstufe orientiert kann den tatsächlichen Mehrbedarf nicht wiedergeben. Du hast das sehr gut aufgezeigt, Swen, wie absurd unterschiedlich die Zuschläge in NRW sind.
Allerdings befasst sich der Bund gefühlt gar nicht mit der Problematik.
Ist die Summe der Transferleistungen je Kind durch Kindergeld und Zuschläge ab dem dritten Kind abgedeckt? Ist der Mehrbedarf wirklich nur so gering, wenn man auf dem Land wohnt?
Zunächst muss man wieder zwischen der amtsangemessenen Alimentation (II) und dem alimentativen Mehrbedarf für kinderreiche Familien unterscheiden (I), Beamtix - und dann die Sache wie gehabt formal angehen, was sich ggf. dröge und also abschreckend liest.
I. Hisichtlich des alimentativen Mehrbedarfs hat der Zweite Senat in der aktuellen Parallelentscheidung präzise Direktiven erlassen, wie eine Bemessung des alimentativen Mehrbedarfs für das dritte und die weiteren Beamtenkinder realitätsgerecht vollzogen werden kann, vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 04. Mai 2020 - 2 BvL 6/17;
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000617.html -, Rn. 38 ff. u. 43 ff. Als Folge müssen die Familienzuschläge für das dritte und jedes weitere Kind deutlich höher ausfallen, als das von den Besoldungsgesetzgebern zuvor praktiziert worden ist. Unabhängig davon, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die maßgebliche Auslegung des Verfassungsrechts vorgibt, sodass es müssig wäre, etwas anderes zu fordern (was Du auch nicht tust), erscheint mir die realitätsgerechte Höhe des Familienzuschlags ab dem dritten Kind als schlüssig, da die vorgegebene Bemessungmethodik sachlich überzeugt. Im Ergebnis beträgt bspw. in NRW der Familienzuschlag für das dritte Kind monatlich 839,66 € und für das vierte Kind 793,67 €.
II. Hinsichtlich der amtsangemessenen Alimentation darf man nicht denselben Fehler machen, wie ihn die Besoldungsgesetzgeber seit 2020 regelmäßig machen und also dem Mindestabstandsgebot eine Bedeutung beimessen, die es nicht hat. Die Mindestalimentation hat wie wiederkehrend dargelegt in der Besoldungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Zwitterfunktion, nämlich:
1.
Materiell-rechtlich umfasst sie den vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Betrag der gewährten Nettoalimentation, in den also keine Einschnitte möglich sind. Unterschreitet die gewährte Nettoalimentation die Mindestalimentation, so ist die dieser Besoldungsgruppe in der gegebenen Erfahrungsstufe gewährte Nettoalimentation nicht amtsangemessen, stellt sich also das Alimentationsprinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG als unmittelbar verletzt dar, sodass diese Alimentation also verfassungwidrig ist.
2.
Indiziell hat die Mindestalimentation auf der ersten Prüfungsstufe die Funktion eines von mehreren Prüfparametern, um den Grad der Verletzung einer Besoldungsordnung einordnen zu können. Das Bundesverfassungsgericht führt entsprechend in der Rn. 49 der aktuellen Entscheidung aus:
"Je deutlicher der Verstoß ausfällt und je mehr Besoldungsgruppen hinter dem Mindestabstandsgebot zurückbleiben, desto eher ist damit zu rechnen, dass es zu einer spürbaren Anhebung des gesamten Besoldungsniveaus kommen muss, um die gebotenen Abstände zwischen den Besoldungsgruppen wahren zu können. Die Verletzung des Mindestabstandsgebots bei einer niedrigeren Besoldungsgruppe ist daher (nur) ein Indiz für die unzureichende Ausgestaltung der höheren Besoldungsgruppe, das mit dem ihm nach den Umständen des Falles zukommenden Gewicht in die Gesamtabwägung einzustellen ist."
Entsprechend stellt sich also nach der Ziffer 1 eine Verletzung des Mindestabstandsgebot als für die davon unmittelbar betroffenen Besoldungsgruppen als unmittelbare
materiell-rechtliche Verletzung des Alimentationsprinzips dar, die vom Gesetzgeber geheilt werden muss. Für die nicht unmittelbar von der Verletzung betroffenen Besoldungsgruppen zeigt sie sich
indiziell als Gradmesser, wie tief die Besoldungssystematik verletzt ist.
Überschreitet nun aber die gewährte Netto- die Mindestalimentation, kann
materiell-rechtlich nur festgestellt werden, dass das Mindestabstandsgebot
nicht verletzt ist.
Indiziell wird damit die
Vermutung einer nicht verfassungswidrigen Unteralimentation genährt. Damit ist aber keine Aussage darüber getätigt, ob nun die zu prüfende Alimentation tatsächlich amtsangemessen ist. Denn das kann nur als Ergebnisse der Betrachtung und Abwägung
aller Prüfparameter entschieden werden.
Auf dieser Basis lassen sich nun Deine Fragen beantworten:
a) Der Besoldungsgesetzgeber hat ausnahmslos für alle Zeiten, in denen ein Dienstverhältnis besteht, eine amtsangemessene Alimentation des Beamten und seiner Familie zu garantieren. Wie er das vollzieht - also auch hinsichtlich des jeweiligen Zeitpunkts von Besoldungsanpassungen -, unterliegt dem weiten Entscheidungsspielraum, über den er verfügt. Da er die unmittelbare Besoldungsgarantie gewährleisten muss, stellt sich also die von Dir aufgeworfene Frage verfassungsrechtlich nicht.
b) Da der Beamte nur auf Grundlage eines Gesetzes alimentiert werden darf und da die Alimentation zur Befriedigung des gegenwärtigen Bedarfs des Beamten dient, ist er - sofern er sich zur Klage angehalten sieht - gezwungen, die konkret gewährte Alimentation
eines Jahres zu beklagen und also ggf. seinen Anspruch für dieses Jahr gerichtlich durchzusetzen, also ihn ggf. Jahr für Jahr durchzusetzen, indem er das jeweils in jenem Jahr geltende Besoldungsgesetz gerichtlich angreift.
Dabei stellen sich dann die weiteren Fragen, die Du stellst, weitgehend nicht: Denn Du stellst hier - genauso wie die Besoldungsgesetzgeber - auf die Bemessung der Mindestalimentation ab, die allerdings für die Gewährung einer amtsangemessenen Alimentation weitgehend keine Rolle spielt, so wie ich das oben dargelegt habe: Denn überschreitet die der untersten Besoldunsgruppe in der niedrigsten Erfahrungsstufe gewährte Netto- die Mindestalimentation, stellt sich das Mindestabstandsgebot als nicht verletzt dar. Entsprechend findet sich hier ein
Indiz für eine amtsangemessene Alimentation. Eine darüber hinausgehende Aussage ist auf dieser Basis nicht möglich.
Und jetzt wirst Du höchstwahrscheinlich (schätze ich) denken, dass das völlig unbefriedigend sei - das ist es aber nur deshalb, weil die Besoldungsgesetzgeber das Mindestabstandsgebot seit drei Jahren verabsolutieren und deren möglichst geringst mögliche Überschreitung anvisieren, um dann unbegründet davon auszugehen, dass nun eine amtsangemessene Alimentation gewährt werden würde, was mitnichten so sein muss, da das - wie dargelegt - aus diesem Sachverhalt nicht geschlossen werden kann. Dieses sachwidrige Vorgehen zeigt sich als Verabsolutierung.
Dahingegen muss der Besoldungsgesetzgeber dem Beamten eine amtsangemessene Alimentation gewähren, die es ihm ermöglicht, seine Familie als Alleinverdiener amtsangemessen zu versorgen. Dabei muss zugleich beachtet werden, dass aus dem Leistungsprinzip folgt, dass mit zunehmender Verantwortung des Amtes eine höhere Alimentation zu gewähren ist. Eventuell ist es einem Beamten in den unteren Besoldungsgruppen des einfachen Dienst mit minderjährigen Kindern nicht möglich, seinen Kindern gleichzeitig Musikunterricht und die Mitgliedschaft in einem Sportverein zu ermöglichen (das hängt von den weiteren familiären Verpflichtungen ab, die sich der Beamte und seine Familie auferlegen). Allerdings muss man davon ausgehen, dass das nicht mehr minderjährige Kind hinsichtlich seines Studiums - also seiner akademischen Ausbildung - in dem Moment BAfÖG-berechtigt ist, sofern die Alimentation des Beamten nicht hinreicht, um eine entsprechend Förderung familiär zu vollziehen.
Und schließlich: Mit hoher Wahrscheinlichkeit stellen sich diese letzten Fragen allerdings nicht, sobald jeder Beamte wieder amtsangemessen alimentiert werden wird. Denn dann ist es dem Beamten möglich, Rücklagen auch für die akademische Ausbildung seiner Kinder zurückzulegen - und zwar unabhängig von der Besoldungsgruppe, in die er eingruppiert ist. Die Probleme, die Du darstellst, sind also unmittelbar auf die verfassungswidrige Unteralimentation zurückzuführen.
@ BVerfGBeliever
Das Vorgehen Sachsens kann ich noch nicht genau einschätzen und glaube ich auch erst, wenn ein entsprechendes Gesetz vom Landtag verabschiedet ist. Denn Sachsen ist seit Jahr und Tag für seine recht freihändige Betrachtung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bekannt, nicht umsonst hat es sich in den letzten neun Jahren bereits zweimal in Karlsruhe wiedergefunden.
Eventuell hat man dort nun die Zeichen der Zeit verstanden, nämlich dass Karlsruhe nun ins Rollen kommt, wie auch die Stellungnahme der Brandenburger Verwaltungsrichter zeigt, und dass Sachsen wegen seiner freihändigen Gestaltung der Besoldungsgesetzgebung ein ganz heißer Kandidat auf den Freifahrtschein als erster Rechtskreis ist, der einer Vollstreckungsanordnung unterworfen wird. Wenn dem so wäre, man dort also nun die Zeichen der Zeit zu erkennen beginnen würde, so wäre das erfreulich, wenn auch die offensichtlich geplante Anhebung weiterhin zu keiner amtsangemessenen Alimentation führt.
Für Sachsen sind derzeit drei Normenkontrollverfahren anhängig, nämlich:
- 2 BvL 1/19, die R 3-Besoldung in den Jahren 2011 bis 2019 betreffend,
- 2 BvL 2/19, die A 10-Besoldung in den Jahren 2011 bis 2015 betreffend,
- 2 BvL 4/19, die R 1-Besoldung in den Jahren 2011 bis 2019 betreffend.
Sachsen sieht sich als aktuell unmittelbar zum dritten Mal in neun Jahren einer Kontrolle unterworfen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu dem selben Ergebnis gelangen wird wie die zwei vorherigen, nämlich dass die gewährte Alimentation verfassungswidrig zu gering gewesen ist. Das dürfte man dann mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit als eine Untätigkeit bzw. einer Untätigkeit gleichkommend in Karlsruhe auffassen - und das wiederum ist die Voraussetzung für eine Vollstreckungsanordnung. Schauen wir also mal, wohin nun die Reise in Sachsen geht - und egal, wohin sie geht, ein Zwischenstopp wird der Schlossbezirk in Karlsruhe sein, wo bislang noch immer ein Zimmer für Sachsen frei war.