Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 1958504 times)

Asperatus

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #105 am: 06.02.2021 10:20 »
Der Entwurf muss insoweit für jede Mietstufe begründen, inwieweit das 95. Perzentil der Wohnkosten für jede einzelne Mietstufe ausreicht, um den Abstand zum Grundsicherungsniveau zu wahren oder? Ich kann mir kaum vorstellen, dass die o.g. Werte netto dafür ausreichen. Schließlich müsste laut BVerfG auch in z. B. Mietstufe II das 95. Perzentil der Wohnkosten beachtet werden. Ich bin auf die Prozeduralisierung gespannt.

Der Entwurf enthält eine Beispielrechnung für einen Beamten der Besoldungsgruppe A 4, Stufe 5 (die nunmehr niedrigst mögliche Besoldung), verheiratet, Ehegatte/Lebenspartner nicht berufstätig, zwei Kinder unter 18 Jahren wohnhaft in einer Region der (höchsten) Mietenstufe VII nach dem WoGG.

Demnach liegt sein Bruttoeinkommen zzgl. Kindergeld auch nach Abzug von Steuer, PKV und PPV knapp über den 15 Prozent der sächlichen Grundsicherung für ein Ehepaar mit zwei Kindern unter 18 Jahren, die ebenfalls in einer Region mit Mietenstufe VII wohnen.

Für die die anderen Werte in der Zuschlagsmatrix dürfte das Ministerium ebenfalls die Berechnungen durchgeführt haben.

Bastel

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« Antwort #106 am: 06.02.2021 10:26 »
Dann bekommt ein A7 in der Mietenstufe VII, verheiratet mit drei Kindern ca. 15-1600€ an Zuschlag. Das ist mehr als 50% seines Solds. Das soll klar gehen?

was_guckst_du

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« Antwort #107 am: 06.02.2021 10:29 »
...davo träumen doch Viele hier schon seit einem Jahr 8)....
Gruß aus "Tief im Westen"

Meine Beiträge geben grundsätzlich meine persönliche Meinung zum Thema wieder und beinhalten keine Rechtsberatung. Meistens sind sie ernster Natur, manchmal aber auch nicht. Bei einer obskuren Einzelfallpersönlichkeit antworte ich auch aus therapeutischen Gründen

Fahnder

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #108 am: 06.02.2021 10:39 »
Der Entwurf muss insoweit für jede Mietstufe begründen, inwieweit das 95. Perzentil der Wohnkosten für jede einzelne Mietstufe ausreicht, um den Abstand zum Grundsicherungsniveau zu wahren oder? Ich kann mir kaum vorstellen, dass die o.g. Werte netto dafür ausreichen. Schließlich müsste laut BVerfG auch in z. B. Mietstufe II das 95. Perzentil der Wohnkosten beachtet werden. Ich bin auf die Prozeduralisierung gespannt.

Der Entwurf enthält eine Beispielrechnung für einen Beamten der Besoldungsgruppe A 4, Stufe 5 (die nunmehr niedrigst mögliche Besoldung), verheiratet, Ehegatte/Lebenspartner nicht berufstätig, zwei Kinder unter 18 Jahren wohnhaft in einer Region der (höchsten) Mietenstufe VII nach dem WoGG.

Demnach liegt sein Bruttoeinkommen zzgl. Kindergeld auch nach Abzug von Steuer, PKV und PPV knapp über den 15 Prozent der sächlichen Grundsicherung für ein Ehepaar mit zwei Kindern unter 18 Jahren, die ebenfalls in einer Region mit Mietenstufe VII wohnen.

Für die die anderen Werte in der Zuschlagsmatrix dürfte das Ministerium ebenfalls die Berechnungen durchgeführt haben.

Könnten Sie erläutern, wie sich die Wohnkosten zusammensetzen? Wurde nur der Betrag laut WoGG genutzt oder wurde darauf noch das 95. Perzentil aufgeschlagen, wie es das BVerfG fordert?

Es ist ja wohl ein Hohn, dass ich mir den Wohnort (bzw. Region) aussuchen könnte als Bundesbeamter. Ich verweise auf die Ausführung des BVerfG und Swen. Wir sind nunmehr wirklich beim Fertilitätsprinzip angekommen...

Asperatus

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #109 am: 06.02.2021 11:16 »
Könnten Sie erläutern, wie sich die Wohnkosten zusammensetzen? Wurde nur der Betrag laut WoGG genutzt oder wurde darauf noch das 95. Perzentil aufgeschlagen, wie es das BVerfG fordert?

Wo fordert das BVerfG einen Aufschlag? Bitte Fundstelle angeben.

In der Berechnung ist auf den Tabellenwert in Anlage 1 WoGG für vier Haushaltsmitglieder in Mietenstufe VII ein Sicherheitszuschlag von 10 Prozent enthalten (1171,50 Euro in der Berechnung im Gesetzentwurf statt 1065 Euro lt. WoGG).

Es ist ja wohl ein Hohn, dass ich mir den Wohnort (bzw. Region) aussuchen könnte als Bundesbeamter. Ich verweise auf die Ausführung des BVerfG und Swen. Wir sind nunmehr wirklich beim Fertilitätsprinzip angekommen...

Sicher hat die Wohnortwahl gewisse Grenzen. In der Praxis ist die Wahl jedoch relativ frei. Die Residenzpflicht im Sinne von § 72 Abs. 2 BBG wird selten angeordnet und auch Arbeitnehmer sind mittelbar verpflichtet, ihren Wohnort so zu nehmen, dass sie ihrer Hauptpflicht nachkommen können. Durch Wochenendpendeln ggf. in Kombination mit Teilzeit kann ein Beamter de facto seinen Hauptwohnsitz sehr weit vom Dienstort weg nehmen, wenn er nach individueller Entscheidung die Nachteile des Pendeln in Kauf nehmen möchte.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #110 am: 06.02.2021 11:19 »
Was genau soll ein "Grenzgänger" sein?

Damit sind vermutlich Personen gemeint, die im Inland arbeiten, aber ihren Hauptwohnsitz im (grenznahen) Ausland gewählt haben, so dass sie auf ihrem Arbeitsweg über die Grenze pendeln. Da die Mietenstufen in der WoGV nur für das Inland festgelegt sind, ist hier eine gesetzliche Regelung für Beamte, Soldaten und Richter mit notwendig.

Im Gesetzentwurf heißt es im Teil Begründung noch:
Zitat
Die Höhe des regionalen Ergänzungszuschlags ist vom Hauptwohnsitz und insoweit von der individuellen Entscheidung des Besoldungsempfängers abhängig.

Verstehe ich das so richtig? Und wie hoch sind die Familienzuschläge der Familienstufe 1, 2 und 3?
Es wird einen Familienzuschlag Stufe 1 (für Ehe) und Stufe 2 (für Kinder, gestaffelt nach deren Zahl) geben. Eine Stufe 3 gibt es nicht. Stufe 1 beträgt ab dem 1. April 2021 laut dem Entwurf 151,16 Euro, Stufe 2 für das erste und zweite Kind jeweils 129,19 Euro, für das dritte und jedes weitere Kind jeweils 402,51 Euro. Ein verheirateter Beamter mit drei Kindern, dessen Ehepartner nicht im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, erhielte somit 812,05 Euro Familienzuschlag. Im Ergebnis wird also die Stufe 2 für das erste Kind aufgeteilt in Stufe 1 und Stufe 2 für das erste Kind.

Zum 1. Januar 2022 erfolgt dann noch weitere die lineare Erhöhung.

Die Summen sind so richtig.

Wieso sollte die Regelung evident sachwidrig sein? Der regionale Ergänzungszuschlag ist nach Familienstand und Zahl der Kinder gestaffelt. Inwiefern greift er also auf die familienneutralen Bestandteile der Besoldung zurück? Oder sollen, deiner Meinung nach, die Zuschläge nur für die Empfänger niedriger Besoldungsgruppen gezahlt werden? Das wäre verfassungswidrig, weil dann das Abstandsgebot (zwischen den Besoldungsgruppen) nicht mehr eingehalten werden würde.

@ Asperatus @ Fahnder

Dann dürften die Gesamtbeträge aus Familienzuschlägen sowie Ergänzungszuschlägen für die Familienstufe 3 wie folgt aussehen, denke ich:

  I        460,16 €
  II       582,16 €
  III      708,16 €
  IV      855,16 €
  V       993,16 €
  VI   1.137,16 €
  VII  1.303,16 €

Da diese Beträge als Besoldungsdifferenzierung mit dem einzigen sachlich begründbaren Ziel gewährt werden, Personalkosten zu sparen, kann eine solche Differenzierung nur evident sachwidrig vollzogen werden, da das Ziel der Personalkosteneinsparung nur dann als sachlicher Grund statthaft ist, wenn die Nettoalimentation für alle Beamte amtsangemessen ist. Da aber diese Beträge zunehmend massiver auf sogenannte "familienneutrale" Besoldungsbestandteile zurückgreifen, den ledigen Beamten bzw. den verheirateten ohne Kinder bzw. mit nur einem Kind dadurch ein ihnen sachlich zustehendes materielles Gut verwehrt wird, liegt hier ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor.

Die sachliche Grundlage für statthaft familienbezogene Besoldungsbestandteile ergibt sich offensichtlich aus der Summe des gewährten Kindergelds sowie einer von der Nettoeinkommenshöhe abhängigen Unterhaltshöhe, die sich aus der Düsseldorfer Tabelle ergibt. Die gesamte Problematik ist in der Untersuchung zur Vorlage des Berliner Anpassungsgesetzes auf den S. 35-45 dargelegt; vgl. hier https://www.berliner-besoldung.de/aktuelles/gutachten-bestaetigt-berlbvanpg-2021-vorsaetzlich-verfassungswidrig/ Wer den zu beachtenden allgemeinen Rahmen nicht lesen möchte (jener ist aber zum Verständnis der Problematik mit relevant), sollte ab den Abschnitt ab der S. 40 lesen; und wer es ganz knapp haben will, sollte oberhalb der Tabelle 14 auf der S. 43 beginnen. Wer allerdings erst ab der S. 43 beginnt, wird womöglich die Gesamtproblematik nicht erfassen. Höchstwahrscheinlich sind für den Bund die Passagen zum Abstandsgebot weniger von Interesse (da ich den Gestzesentwurf nicht kenne, kann ich das nicht beurteilen); die sich darauf beziehenden Abschnitte wären für den Entwurf des Bundes also ohne Belang. Das Problem ist aber das offensichtlich deutliche Übersteigen der Summe aus Kindergeld, Familien- und Ergänzungszuschlägen über die Referenzwerte der Düsseldorfer Tabelle. Diese Passagen der genannten Untersuchung sollten hier von einigem Interesse sein. Denn wie oben dargestellt führt mindestens ein Überschreiten des Referenzwertes, höchstwahrscheinlich eher schon ein deutliches Annähern an den Referenzwert dazu, dass eine solche Besoldungsdifferenzierung evident sachwidrig sein dürfte, weil sie explizit gegen die regelmäßige, eventuell auch schon ständige Rechtsprechung des BVerfG verstößt.

Darüber hinaus schießt sich der Bund mit dieser Regelung offensichtlich ins eigene Fleisch, weil er die konkretisierte neue Direktive des BVerfG, die so in der Vergangenheit noch nicht im der Judikatur zu finden ist (und die nun die Interpretation des BVerwG zu einer verfassungsrechtlichen Direktive erhebt), die sich also aus Rn. 73 der aktuellen Entscheidung ergibt, nicht beachtet. Denn die Ergänzungsbeträge sind zumindest dem Buchstaben nach allesamt nicht als Teil der Nettoalimentation zu begreifen - das macht es nur umso interessanter, den Entwurf zu lesen. Sofern der Bund die gleiche Kreativität an den Tag legen sollte wie das Land Berlin (und die Ergänzungszuschläge weisen darauf hin), dann schafft er sich nun ein fröhliches Problem, das er offensichtlich noch nicht erkannt hat. Freihändige Rechtsauslegungen sind bekanntlich gefährlich...

Fahnder

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« Antwort #111 am: 06.02.2021 11:37 »

Wo fordert das BVerfG einen Aufschlag? Bitte Fundstelle angeben.

In der Berechnung ist auf den Tabellenwert in Anlage 1 WoGG für vier Haushaltsmitglieder in Mietenstufe VII ein Sicherheitszuschlag von 10 Prozent enthalten (1171,50 Euro in der Berechnung im Gesetzentwurf statt 1065 Euro lt. WoGG).


Rn. 59. Diese wurde anhand des Falles in Berlin entwickelt, obwohl es dort nur eine Mietstufe gibt. Folglich muss sie nach meinem Verständnis auch für jede einzelne Mietstufe in Deutschland angewendet werden.

Ein "Sicherheitsaufschlag" von 10 % ist evident unzureichend, da das BVerfG alleine für Berlin Aufschläge von 50 bis 58,8 % auf den Betrag laut WoGG anhand der Daten der Bundesagentur für Arbeit angewendet hat. Dies kann sich selbstverständlich für jede Mietstufe unterscheiden, aber das muss der Dienstherr laut Beschluss individuell ermitteln. 10 % sind jedoch eindeutig zu wenig. Dies ergeben allein schon die Zahlenwerte. Welche vielköpfige Familie wohnt in München für 1171,50 Euro, wenn sie in den letzten paar Jahren aufgrund einer Versetzung dort hin ziehen musste!? Das soll ja wohl ein Scherz sein. Die Wohnkosten geben nicht 95 % der Familien wieder. Folglich fällt die ganze Systematik in sich zusammen und ist m.E. verfassungswidrig.

Dazu kommen natürlich noch die Anmerkungen von Swen. Es ist so offensichtlich, dass diese Regelung nur und ausschließlich getroffen wurde, um Personalkosten einzusparen.

Asperatus

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« Antwort #112 am: 06.02.2021 12:10 »

Wo fordert das BVerfG einen Aufschlag? Bitte Fundstelle angeben.

In der Berechnung ist auf den Tabellenwert in Anlage 1 WoGG für vier Haushaltsmitglieder in Mietenstufe VII ein Sicherheitszuschlag von 10 Prozent enthalten (1171,50 Euro in der Berechnung im Gesetzentwurf statt 1065 Euro lt. WoGG).


Rn. 59. Diese wurde anhand des Falles in Berlin entwickelt, obwohl es dort nur eine Mietstufe gibt. Folglich muss sie nach meinem Verständnis auch für jede einzelne Mietstufe in Deutschland angewendet werden.

Ein "Sicherheitsaufschlag" von 10 % ist evident unzureichend, da das BVerfG alleine für Berlin Aufschläge von 50 bis 58,8 % auf den Betrag laut WoGG anhand der Daten der Bundesagentur für Arbeit angewendet hat. Dies kann sich selbstverständlich für jede Mietstufe unterscheiden, aber das muss der Dienstherr laut Beschluss individuell ermitteln. 10 % sind jedoch eindeutig zu wenig. Dies ergeben allein schon die Zahlenwerte. Welche vielköpfige Familie wohnt in München für 1171,50 Euro, wenn sie in den letzten paar Jahren aufgrund einer Versetzung dort hin ziehen musste!? Das soll ja wohl ein Scherz sein. Die Wohnkosten geben nicht 95 % der Familien wieder. Folglich fällt die ganze Systematik in sich zusammen und ist m.E. verfassungswidrig.

Dazu kommen natürlich noch die Anmerkungen von Swen. Es ist so offensichtlich, dass diese Regelung nur und ausschließlich getroffen wurde, um Personalkosten einzusparen.

Vielleicht bin ich ja blind, aber in Rn. 59 lese ich nichts von Zuschlag. Wo hat das BVerfG Aufschläge von 50 bis 58,8 Prozent angewandt?

Dass ein Besoldungsempfänger mit 1171,50 Euro eine Wohnung bezahlen soll, ist nicht gesagt. Dies war nur eine Komponente in der Vergleichsrechnung auf Seiten der Wohngeldempfänger. Es geht nur darum, eine 15 Prozent über dem Grundsicherungsniveau liegende Mindestalimentation zu erreichen.

Dem Besoldungsempfänger mit Dienstort München steht es im Übrigen frei, ins weniger teure Umland zu ziehen.

Sind die familienbezogene Besoldung nicht gerade Ausschluss des Alimentationsprinzips, weil der Alimentationsbedarf sich nach der Familiengröße richtet und die Besoldung keine Gegenleistung für die erbrachte Arbeit ist?

Der Gesetzentwurf und auch das BVerfG-Urteil nutzen die Düsseldorfer Tabelle nicht.

Warten wir mal ab, wie die Verbände Stellung nehmen werden, wie dann der fertige Gesetzentwurf der Bundesregierung aussehen und wie der Bundestag den Entwurf noch verändern wird.

sapere aude

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #113 am: 06.02.2021 12:31 »
Berlin (Mietstufe IV) erhöht für das dritte Kind den Familienzuschlag auf 819,76 Euro. Der Bund liegt bei Mietstufe IV und drei Kindern bei 855,16 Euro und damit bei einem ähnlichen Wert. Zufall, Ausdruck der Plausibilität oder zwei Irrwege?

Fahnder

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #114 am: 06.02.2021 12:48 »

Vielleicht bin ich ja blind, aber in Rn. 59 lese ich nichts von Zuschlag. Wo hat das BVerfG Aufschläge von 50 bis 58,8 Prozent angewandt?

Dass ein Besoldungsempfänger mit 1171,50 Euro eine Wohnung bezahlen soll, ist nicht gesagt. Dies war nur eine Komponente in der Vergleichsrechnung auf Seiten der Wohngeldempfänger. Es geht nur darum, eine 15 Prozent über dem Grundsicherungsniveau liegende Mindestalimentation zu erreichen.

Dem Besoldungsempfänger mit Dienstort München steht es im Übrigen frei, ins weniger teure Umland zu ziehen.

Sind die familienbezogene Besoldung nicht gerade Ausschluss des Alimentationsprinzips, weil der Alimentationsbedarf sich nach der Familiengröße richtet und die Besoldung keine Gegenleistung für die erbrachte Arbeit ist?

Der Gesetzentwurf und auch das BVerfG-Urteil nutzen die Düsseldorfer Tabelle nicht.

Warten wir mal ab, wie die Verbände Stellung nehmen werden, wie dann der fertige Gesetzentwurf der Bundesregierung aussehen und wie der Bundestag den Entwurf noch verändern wird.


Sie sind nicht blind. Der Zuschlag ergibt sich aus dem Ansatz laut WoGG (der von der Vorinstanz verwendet wurde) und dem in den Rn. 145 und 146 verwendeten Wohnkosten. Swen konnte dies vor einigen Monaten im Forum der Länderkollegen auf Seite 15 darlegen. Grundsätzlich ist dieser Zuschlag jedoch von den Daten der Bundesagentur abhängig, welche im Beschluss leider nicht zahlenmäßig erwähnt worden.

Da diese Daten offensichtlich keinen Einfluss auf die Berechnung der Wohnkosten hatte verstößt der Entwurf gegen die Verfassung. Der REZ müsste laut (neuer) Systematik des Bundes m. E. noch wesentlich höher sein.

Zur freien Wohnortwahl verweise ich auf die Anmerkungen des Gerichtes in Rn. 60 in welcher es u. a. heißt: "Unabhängig davon dürfen Beamte weder ihre Dienststelle noch ihren Wohnort beliebig wählen".

Asperatus

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #115 am: 06.02.2021 14:29 »
Die sachliche Grundlage für statthaft familienbezogene Besoldungsbestandteile ergibt sich offensichtlich aus der Summe des gewährten Kindergelds sowie einer von der Nettoeinkommenshöhe abhängigen Unterhaltshöhe, die sich aus der Düsseldorfer Tabelle ergibt. Die gesamte Problematik ist in der Untersuchung zur Vorlage des Berliner Anpassungsgesetzes auf den S. 35-45 dargelegt; vgl. hier https://www.berliner-besoldung.de/aktuelles/gutachten-bestaetigt-berlbvanpg-2021-vorsaetzlich-verfassungswidrig/ Wer den zu beachtenden allgemeinen Rahmen nicht lesen möchte (jener ist aber zum Verständnis der Problematik mit relevant), sollte ab den Abschnitt ab der S. 40 lesen; und wer es ganz knapp haben will, sollte oberhalb der Tabelle 14 auf der S. 43 beginnen. Wer allerdings erst ab der S. 43 beginnt, wird womöglich die Gesamtproblematik nicht erfassen. Höchstwahrscheinlich sind für den Bund die Passagen zum Abstandsgebot weniger von Interesse (da ich den Gestzesentwurf nicht kenne, kann ich das nicht beurteilen); die sich darauf beziehenden Abschnitte wären für den Entwurf des Bundes also ohne Belang. Das Problem ist aber das offensichtlich deutliche Übersteigen der Summe aus Kindergeld, Familien- und Ergänzungszuschlägen über die Referenzwerte der Düsseldorfer Tabelle. Diese Passagen der genannten Untersuchung sollten hier von einigem Interesse sein. Denn wie oben dargestellt führt mindestens ein Überschreiten des Referenzwertes, höchstwahrscheinlich eher schon ein deutliches Annähern an den Referenzwert dazu, dass eine solche Besoldungsdifferenzierung evident sachwidrig sein dürfte, weil sie explizit gegen die regelmäßige, eventuell auch schon ständige Rechtsprechung des BVerfG verstößt.

Das Schwan-Gutachten würde ich kritisch sehen. Auf www.berliner-besoldung.de wird er als "unabhängiger Sachverständiger" bezeichnet. Fraglich ist jedoch, wer ihn beauftragt hat oder ob er aus Eigeninitiative schrieb. Fakt scheint mir auch zu sein, dass Schwan kein Jurist ist, was man dem "Gutachten" meiner Meinung nach anmerkt. Meine Recherchen haben folgendes ergeben:

Zitat
Torsten Schwan wurde 1968 in Bremen geboren. Nach dem Studium der Fächer Chemie, Geschichte sowie Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften promovierte er 1999 an der Technischen Universität Braunschweig. Seit 2002 arbeitet er als Studienrat an der Osnabrücker Gesamtschule Schinkel. Er veröffentlichte diverse Arbeiten zum Werk und zur Person des Jenaer Reformpädagogen Peter Petersen. Eine umfassende Studie zur Jenaplan-Pädagogik und ihrer Erziehungstheorie in der Weimarer Republik und während der NS-Zeit wird im Verlauf des Jahres 2011 abgeschlossen werden.

Schwan scheint also aus der Perspektive eines Betroffenen zu schreiben. Er ist Experte für die Person des Jenaer Reformpädagogen Peter Petersen und nicht des Besoldungsrechts. Seine Rückschlüsse genieße ich daher mit Vorsicht.

Unterbezahlt

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #116 am: 06.02.2021 14:42 »
Zitat von: Asperatus

Schwan scheint also aus der Perspektive eines Betroffenen zu schreiben. Er ist Experte für die Person des Jenaer Reformpädagogen Peter Petersen und nicht des Besoldungsrechts. Seine Rückschlüsse genieße ich daher mit Vorsicht.

Das tut überhaupt nichts zur Sache. Auch wenn es kein "Gutachten" im klassischen Sinne ist, sind seine Ausführungen stets gut belegt und kein Gesinnungsaufsatz.

Aber du musst ihm ja nicht trauen. Ich denke die Lektüre von

Die Besoldungsrevolution des BVerfG
Der Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau
Vors. Richter am VG Dr. Martin Stuttmann


sollte für dich interresant sein, bevor du bei Dr. Schwan einsteigst.

Ansonsten wird die Diskussion hier deutlich fruchtbarer, wenn diejenigen die ihn haben, den Gesetzentwurf hier hochladen könnten. Ich bin gespannt es zu lesen bevor wir hier halbgare Interpretationen betreiben.

Ich finde die Zürückhaltung der Juristen hier insgesamt interessant. Qualifizierte Anwaltskanzleien könnten durchaus werben, die betroffenen Beamten zu vertreten und eine erste Einschätzung abgeben. Gerade in Berlin ist die Katze ja durchaus "aus dem Sack".


was_guckst_du

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #117 am: 06.02.2021 14:45 »
..manche hier mögen es nicht, wenn man nicht genau der Meinung ihrer Heilsbringer ist... ;)
Gruß aus "Tief im Westen"

Meine Beiträge geben grundsätzlich meine persönliche Meinung zum Thema wieder und beinhalten keine Rechtsberatung. Meistens sind sie ernster Natur, manchmal aber auch nicht. Bei einer obskuren Einzelfallpersönlichkeit antworte ich auch aus therapeutischen Gründen

Bastel

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #118 am: 06.02.2021 18:30 »
..manche hier mögen es nicht, wenn man nicht genau der Meinung ihrer Heilsbringer ist... ;)

Wir sind doch nicht bei den Grünen und FFF?

EinfachIch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #119 am: 06.02.2021 19:16 »
@Asperatus
Danke für die sachlichen und verständlichen Beiträge. Die sonstigen Argumentationsketten lassen schon viel Frust und Eigeninteresse erkennen.

Mal aus der „primitiven“ Sicht eines lediglich im Mittelfeld besoldeten:
Da wird seitenweise Text verfasst, den man so einfach zusammenfassen könnte auf „Ich habe keine Kinder und will aber auch mehr Kohle“. Das wäre wenigstens ehrlich und für die Mitleser hier auch nicht so ermüdend.
Man kann doch auch als kinderloses Paar anerkennen (oder auch als Paar mit erwachsenen Kindern), was Familien mit einem oder mehreren nicht volljährigen Kindern, gerade in Ballungsräumen, leisten. Regelmäßig muss ein Partner seine Stunden reduzieren (das kostet nunmal Geld, das ist hoffentlich jedem klar, auch ohne dass ich mich geschwollen artikuliere und irgendwelche Studien zitiere). Man braucht zu dritt oder viert,... nunmal auch mehr Platz als zu zweit, was sich wohl unbestritten auch in den Miet- oder Kaufpreisen niederschlägt. Ich kenne Familien, die Zahlen 500 eur und mehr allein für Kinderbetreuungskosten, in Kombination mit den hohen Mieten wird es dann sehr schnell sehr eng. Und ich meine mit eng nicht, dass man nur einmal im Jahr in die USA fliegen kann,...
Ein REZ ist für Familien lange überfällig. Die Höhe ist mehr als man erwarten konnte, kompensiert auch keinesfalls die Lücke zu den DINKs, was man aber wohl auch kaum erwarten dürfte oder erwartet. Bei begrenzt zu Verfügung stehenden finanziellen Mitteln ist der Ansatz, zunächst kinderreichen Familien in hochpreisigen Mietlagen / Ballungsräumen spürbar zu helfen, in meinen Augen absolut sachgerecht.

Aber nein: ohne den Entwurf zu kennen, allein aufgrund der Tatsache sich nicht in der Tabelle wiederzufinden: „das ist verfassungswidrig“; „evident sachwidrig“, „das verstößt gegen den Beschluss des BVerfG“,.... ohne Worte.

So, jetzt habe ich auch mal ne Seite geschrieben, die man ehrlich zusammenfassen könnte mit: ich werde künftig ca 700 eur REZ bekommen, also hört auf zu quatschen. :-) in diesem Sinne, es gibt immer Verlierer und Gewinner und hier sieht es so aus, als ob die Familien auch einmal gewinnen dürfen.

So jetzt bitte mehr aus der Comedyabteilung. Das vertreibt die Corona-Langeweile. Ich war eigentlich nur hier, um die Tabelle abzugreifen. Danke dafür an Treudiener. Meine Kollegen und ich sind in freudiger Erwartung.