[...]Und damit waren wir 1998 - 21 Jahre nach der Verfassungsbeschwerde aus dem Jahr 1977 und acht Jahre nach dem ersten konkreten Normenkontrollverfahren - hinsichtlich des alimentativen Mehrbedarfs weitgehend dort angekommen, wo wir uns heute hinsichtlich des Alimentationsprinzips ebenfalls befinden, [...]
[...] In Folge dessen hat der Gesetzgeber dann den alimentativen Mehrbedarf über längere Zeit offensichtlich amtsangemessen abgegolten, wobei auch hier mit der 2006 erfolgten Reföderalisierung des Besoldungsrechts in Länderhand nach und nach ein weiteres Mal das "alte Lied" zu erklingen begann, das dann die genannte Parellelentscheidung vom Mai 2020 - 2 BvL 6/17 - notwendig machte.[...]
Vielen Dank für den wirklich lesenswerten geschichtlichen Abriss.
Ich habe oben aber zwei für mich zentrale Aussagen von Dir herausgegriffen. Es läuft doch ergo auf Folgendes hinaus:
1998 war man endlich an dem Punkt, an dem nach 21 Jahren wieder verfassungsgemäß alimentiert wurde.
2006 fingen die Spielchen von Neuem an.
Ergo befinden wir uns mindestens seit dem Ausgangspunkt 1977 (wenn man den so festmachen will und kann) insgesamt in zwei Phasen wider:
1) 21 Jahre (1977-1998) + 18 Jahre (2006-2024) = 39 Jahre Verfassungswidrigkeit
2) 8 Jahre (1998-2006) Verfassungskonformität
Ich weiß, dass das sehr vereinfacht dargestellt ist und manche Zeiten nicht eindeutig als verfassungswidrig festgestellt sind. Dennoch verdeutlicht dieser Blickwinkel meiner Meinung nach, in was für einem "Schmierentheater" wir uns inzwischen befinden.
Es braucht 21 Jahre um Verfassungskonformität herzustellen, nur dass diese von den Besoldungsgesetzgebern nach 8 Jahren wieder einkassiert werden? Und seitdem trudeln wir wieder seit 18 Jahren in Schleife 2 der Verfassungswidrigkeit?
Das ganze Ausmaß wird mir einem erst bewusst, wenn man das mal anhand eines Lebenslaufs verdeutlicht:
Wenn man jetzt z.B. 1977 mit fiktiven 18 Jahren (unrealistisch, aber macht den Punkt deutlich) in den aktiven Dienst eingetreten wäre (47 Dienstjahre bis heute) und mit den durchschnittlich 63 Jahren in den Ruhestand eingetreten wäre, dann wäre man selbst als 1977 18-Jähriger heute schon im Ruhestand.
In dieser Beispielkarriere wäre der Kollege heute 65 Jahre alt. Wenn man sich das Verhältnis so anschaut, dann wäre er grob gerundet 80% seiner gesamten Laufbahn nicht amtsangemessen alimentiert worden.
Das ist doch der Gipfel in einem angeblichen Rechtsstaat.
Wenn man die jeweilige zeitliche Verortung und ihre Konsequenzen betrachtet, dann wird man - wie Du es ja auch selbst hervorhebst, im Einzelnen zu anderen Daten kommen, Taigawolf - aber die Grundrichtung stimmt, was einer der weiteren zentralen Gründe ist, wieso ich hier wiederkehrend darauf dringe, dass die Verantwortung ausschließlich bei der exekutiven und legislativen Gewalt liegt. Denn die konkrete Normenkontrolle kann verfassungsrechtlich nur in einem engen Rahmen und zugleich, sofern sie erfolgreich sein sollte, nur im Rahmen evidenter Verfassungswidrigkeit erfolgen und sie bedarf darüber hinaus überhaupt erst einmal eine Richtervorlage, über die dann das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hat - und sie muss zugleich, sofern sie übergreifende Wirkung entfalten sollte, auch noch die weitere Ausformung des Rechts
konkret ermöglichen.
Genau deshalb dauert es übrigens - solange nicht durch vormalige Rechtsprechung anhand von Präzedenzfällen eine Dogmatik hinreichend ausgeformt vorliegt - wiederkehrend so lange, bis überhaupt entsprechende Fälle vor dem Bundesverfassungsgericht landen, was sich bspw. an der Entscheidung aus dem Jahr 1990 zeigen lässt:
Der damalige Kläger hatte für das Jahr 1976 - also für das Jahr vor der ersten maßgeblichen Entscheidung über den alimentativen Mehrbedarf - Widerspruch gegen die ihm gewährte Alimentation eingelegt und 1978 als Folge der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde Klage vor dem Verwaltungsgericht eingereicht. Die vormalige Verfassungsbeschwerde hatte dem Senat allerdings 1977 zwangsläufig als Folge dieser Verfahrensart keine hinreichende Möglichkeit gegeben, die Normenkontrolle hinreichend
konkret vorzunehmen, wie das ggf. in einem konkreten Normenkontrollverfahren möglich gewesen wäre; auch hatte mit der Verfassungsbeschwerde, über die der Senat 1977 entschieden hat, hier erst die Arbeit am Recht hinsichtlich familienbezogener Besoldungskomponenten begonnen. Beides bekam der Kläger nun frontal zu spüren.
Denn die Folge war, dass der Kläger zunächst einmal den gesamten Weg durch den Instanzenzug gehen musste. Dabei stellten die Gerichte zunächst einmal unisono keine
evident unzureichende Alimentation fest und waren darüber hinaus im Zweifel darüber, ob überhaupt die formellen Voraussetzungen für ein (Normenkontroll-)Verfahren gegegen waren. Dabei verkürze ich jetzt hier die Darstellung der Entwicklung, die sich insbesondere wegen des Fehlens einer Dogmatik tatsächlich deutlich komplexer vollzogen hat. Entsprechend hat zunächst das VG Köln die Klage Anfang 1980 als unbegründet zurückgewiesen, jedoch trotz seiner von mir gerade hervorgehobenen Zweifel wegen der allgemeinen Bedeutung des Falls die Berufung zugelassen (Entscheidung 16.01.1980 - 3 K 1998/78). Das OVG Nordrhein-Westfalen war Ende 1982 zum selben Ergebnis gelangt, konnte also ebenfalls keine evident unzureichende Alimentation feststellen, konnte darüber hinaus ebenfalls keinen sich aus der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde des Jahres 1977 ableitbaren Grund feststellen, sah gleichfalls nur die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde als Klagemöglichkeit an, ließ darüber hinaus trotz seiner Ablehnung einen möglichen Beitritt zur Klage(begründung) durchscheinen und hatte schließlich aus dem selben Grund wie vormals das VG die Revision zugelassen (Entscheidung vom 25.11.1982 - 6 A 488/80). Schließlich wies ebenfalls das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Entscheidung vom 14.11.1985 - 2 C 14.83 - die Klage sieben Jahre nach der Klageerhebung als solche, also hinsichtlich der vom Kläger verlangten Höhe einer Nachzahlung, im Revisionsverfahren in einem Teilurteil zurück (der gesamte Fall ist sehr interessant und zeigt die
formellen Tücken von Normenkontrollverfahren bzw. - genauer - deren von Tücken durchsetzten Vorverfahren, solange keine Dogmatik vorhanden ist, die wiederum nur aus solchen Verfahren hervorgehen kann; wer sich damit beschäftigen möchte - was nur zu empfehlen ist, um sich hinsichtlich der heutigen Verfahrenslängen zu einem realistischeren Bild zu gelangen -, sollte sich die hier zusammengefasst Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Ruhe durchlesen, die sich sehr spannend liest:
https://research.wolterskluwer-online.de/document/a471f432-8cf0-4425-9bdc-d5e8351525dd).
Es sah also ebenfalls keinen Grund, dem Kläger Nachzahlungen zu gewähren und also die gesetzliche Regelung für verfassungswidrig zu betrachten und aus diesem Grund einen Vorlagebeschluss zu fassen, womit der Fall als solcher hätte mit der Folge als erledigt betrachtet werden können, dass es die Entscheidung des Zweiten Senats aus dem Jahr 1990 nicht gegeben hätte - denn ohne diese Vorlage hätte es kein konkretes Normenkontrolverfahren gegeben. Damit wäre durch das Niederschlagen der Klage spätestens durch das Bundesverwaltungsgericht davon auszugehen gewesen, dass das Bundesverfassungsgericht zwar 1977 einer vergangenheitsbezogenen Verfassungsbeschwerde über den alimentativen Mehrbedarf stattgegeben hatte, dass daraus aber keine unmittelbaren Folgen für die seit 1977 zukünftig Betroffenen gegeben gewesen wären.
Obgleich das Bundesverwaltungsgericht die konkrete Forderung des Klägers nach Feststellung eines konkreten Nachzahlungsanspruchs Ende 1985 zwar sachlich zurückwies (über die formellen Fragen von Feststellungs- und Leistungsklagen will ich hier nichts sagen), setzte es nun aber das Verfahrens bis zur notwendig gewordenen gesetzlichen Neuregelung des Besoldungsrechts und Versorgungsrechts aus, sah also nichtsdestotrotz eine Verletzung von Art. 33 Abs. 5 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 als gegeben an, jedoch ohne das an konkreten Beträgen festzumachen, und zwar weil der Gesetzgeber eine in der erfolgreichen Verfassugsbeschwerde angegriffene gesetzliche Regelung fortbestehen lassen hatte (vgl. dazu das, was ich vorhin für die Zeit nach 1977 geschrieben habe) und legte nun diese Entscheidung mit der nachfolgend vom Bundesverfassungsgericht zusammengefassten Begründung diesem vor (auch trat es ebenfalls weitgehend der Klagebegründung bei, was ich hier nicht zitiere; dieser Teil der Entscheidung konnte formell weitgehend nicht als entscheidungsrelevant betrachtet werden; formelles Recht ist kompliziert):
Die besoldungsrechtlichen Vorschriften, über die zu entscheiden waren, "verletzten Art. 33 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und das Rechtsstaatsprinzip dadurch, daß gemäß Art. VIII § 4 Abs. 1 des 7. BBesErhG eine Erhöhung der genannten Ortszuschläge erst ab 1. März 1978 wirksam geworden sei. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit in dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1977 habe ebenso wie die Nichtigerklärung einer Vorschrift die Wirkung, daß vom Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an die Norm, soweit sich das aus der Entscheidung ergebe, nicht mehr angewendet werden dürfe. Für den Gesetzgeber begründe eine solche Entscheidung mindestens für die Zukunft die Pflicht zur Herstellung einer der Verfassung entsprechenden Gesetzeslage. Werde eine Norm wegen eines Verstoßes gegen Art 3 Abs 1 GG für verfassungswidrig erklärt, sei der Gesetzgeber aber weiter gehalten, den Anforderungen dieses Grundrechts auch für die seiner Entscheidung vorangehende Zeit gerecht zu werden und auch insoweit eine den Grundsätzen des allgemeinen Gleichheitssatzes entsprechende Regelung zu erlassen. Das sei hier nicht geschehen. Trotz der Feststellungen im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1977, daß die gegen Art. 33 Abs. 5 GG verstoßende eindeutige Unangemessenheit der Bezüge der Beamten mit drei oder mehr Kindern und ihre erhebliche Benachteiligung im Vergleich zu Kollegen in vergleichbaren Ämtern mit weniger Kindern seit längerer Zeit bestehe, sei für den Zeitraum vor dem 1. März 1978 jegliche zusätzliche Leistung für kinderreiche Beamte zum Ausgleich der ihnen obliegenden Unterhaltslasten unterblieben." (hier Rn. 36
https://openjur.de/u/185266.html).
Nachdem nun ab November 1985 diese Richtevorlage des Bundesverwaltungsgerichts in Karlsruhe anhängig war, dauert es jetzt noch einmal bis zum 22.03.1990, bis der Senat seine in meinem vorherigen Beitrag dargelegte Entscheidung traf. Und nun kann man fragen, wofür brauchte Karlsruhe vereinhalb Jahre? Kann es sein, dass vom Klagebeginn 1978 bis zur Entscheidung des Zweiten Senats zwölf Jahren vergehen mussten? Und in der jeweiligen Antwort finden wir einige derselben Gründe wieder, wieso es auch nun wieder seit 2020 erneut länger dauert, also erneut vier Jahre oder länger.
Dabei sollten wir uns - auch als rückwärtsgekehrte Propheten - vor retrospektiven Fehlschlüssen hütten, also nicht mit unserem heutigen Wissen auf die Vergangenheit schauen. Denn für uns im Nachhinein stellt sich auf Basis der heute bereits (weitgehend) vorliegenden Dogmatik der Fall eindeutig dar - eben weil wir ihn aus der nun vorliegenden Dogmatik als eindeutig betrachten können.
Bevor eine solche Dogmatik aber vorliegt, sieht der Fall ganz anders aus, was hier deutlich wird, wenn man nun betrachtet, was der Bundesinnenminister, das Land Nordrhein-Westfalen und dessen Landesamt für Besoldung und Versorgung Ende der 1980er Jahre gegen die Begründung des Bundesverwaltungsgericht ins Feld führten (die konkrete Normenkontrolle betrachtet unmittelbar den Vorlagebeschluss und gibt Betroffenen nur die mittelbare Gelegenheit, sich zu diesem Vorlagebeschluss zu stellen), wobei sich dieser Innenminister - wie jeder Innenminister - einig mit den Sichtweisen seines Vorgängers sah, auch wenn jener 1978 noch eine ganz andere Parteifarbe als seine eigene angesehen hatte:
"1. Der Bundesminister des Innern führt aus, das Bundesverfassungsgericht habe in der Entscheidung vom 30. März 1977 eine Vielzahl unterschiedlich strukturierter Bedarfsmaßstäbe dafür aufgezeigt, wie die wirtschaftliche Belastung aus der Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung, Erziehung und Betreuung von Kindern zu veranschlagen sei. Die Besoldungskommission Bund/Länder habe dementsprechend die statistisch ermittelten Ausbildungskosten, die Unterhaltsrichtsätze des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, Versorgungsbezüge für Waisen, Sozialhilfesätze, Unterhaltssätze im Familienrecht und den Regelunterhalt für nichteheliche Kinder untersucht. Da es sich um komplizierte Berechnungen handele, habe der Gesetzgeber im Rahmen seines weiten Beurteilungsspielraums zu dem Mittel der Pauschalierung und Typisierung greifen dürfen. Der Gesetzentwurf habe das 'finanziell und politisch zur Zeit Mögliche' vorgesehen (a.a.O., S. 9278 [D] bis 9279 ). Gesetz geworden sei eine einheitliche Bruttolösung mit gestaffelten Beträgen im Ortszuschlag. Die Bundesregierung habe aus beamten- und sozialpolitischen Gründen eine Nettolösung, d.h. die Gewährung von unterschiedlich hohen Bruttobeträgen unter Berücksichtigung der Steuerprogression mit - unter Einbeziehung des steuerfreien Kindergeldes - einheitlichen bedarfsdeckenden Nettobeträgen, für nicht durchführbar und parlamentarisch nicht durchsetzbar angesehen. Die Kindergelderhöhung um 45 DM (von 150 DM) auf ursprünglich 195 DM monatlich durch das Achte Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes vom 14. November 1978 (BGBl. I S. 1757) habe die Reduzierung beim Ortszuschlag für das dritte Kind um brutto 50,55 DM voll ausgeglichen; die weitere Kindergeldanhebung auf 200 DM durch Art. 14 StÄndG 1 979 vom 30. November 1978 (BGBl. I S. 1849) habe zu einem Mehrbetrag geführt. Die Erhöhung des steuerfreien Kindergeldes um 50 DM sei in der Regel günstiger als die bis zum 31. Dezember 1978 getroffene besondere Lösung im Ortszuschlag für Beamte gewesen, da die Verbesserung im Ortszuschlag steuerpflichtig gewesen sei. Bei Familien mit vier und mehr Kindern habe die Erhöhung des Kindergeldes zusätzliche Verbesserungen gewährt, denn sie sei nur teilweise angerechnet worden.
Der Bundesminister des Innern ist aufgrund seiner Berechnungen der Nettobezüge des Klägers im Ausgangsverfahren, die die allgemeinen steuerlichen Be- und Entlastungen, Ausbildungsfreibeträge und Kinderbetreuungskosten berücksichtigen, zu dem Ergebnis gekommen, für den Kläger seien im Vergleich zur Lage Ende 1976 wesentliche Gehaltsverbesserungen im Entscheidungszeitraum festzustellen, nämlich ein Zuwachs von 38,4 v.H. (März 1978) bis 69,0 v.H. (Januar 1981). Die Frage nach der angemessenen Alimentierung des Klägers könne im übrigen nur anhand eines Vergleichs des mutmaßlichen Nettoeinkommens (Steueramtmann in Besoldungsgruppe A 11) mit dem ranggleicher Kollegen, die keine oder nur ein bis zwei Kinder hätten, beurteilt werden. Die Nettomehrbeträge seien insbesondere bei einer auch am politisch und finanziell Möglichen orientierten Würdigung ausreichend gewesen, um dem Kläger ein annähernd gleiches Lebensniveau zu gewährleisten.
2. Das Landesamt für Besoldung und Versorgung Nordrhein- Westfalen weist ergänzend zu der Stellungnahme des Bundesministers des Innern auf den Gesichtspunkt hin, bei der Prüfung, ob die dem Kläger gewährte Besoldung im Nettovergleich eine angemessene, der Größe seiner Familie gerecht werdende Alimentierung darstelle, seien nicht nur die Bezüge ranggleicher Beamter mit geringerer Kinderzahl sondern auch die Einkommensverhältnisse der außerhalb des öffentlichen Dienstes Erwerbstätigen mit fünf Kindern heranzuziehen."
(hier die Rn. 41 ff.;
https://openjur.de/u/185266.html)
Allein diese Ausführungen wiesen auf eine sachliche Spannweite an Argumenten hin, die zu prüfen waren und für deren Prüfung es weder entschiedene Präzedenzfälle noch eine umfangreichere Betrachtung in der fachwissenschaftlichen Literatur gab. Entsprechend war nun eine komplexe Abwägungsentscheidung vom Zweiten Senat zu vollziehen, für die weitgehend eine komplexe neue Begründung zu vollziehen war, die als Folge ihrer Bindungswirkung zukünftig eine gewichtige Grundlage für die aus ihr nun entspringende Dogmatik zum alimentativen Mehrbedarf darstellen würde. Wie geht nun Karlsruhe in diesen Fällen generell vor? Die Antwort mögen viele hier nicht, was für sich genommen nachvollziehbar ist, jedoch sich als juristisch praktikabler erweist als ihr Gegenteil: Das Gegenteil heißt Schnelligkeit - das tatsächlich Vorgehen bedeutet: Langsamkeit.
Denn der Senat bildet sich in Fällen, in denen er weitgehend noch nicht auf eine ausgeformte Dogmatik zurückgreifen kann, nun seine Meinung sowohl auf Grundlage der Begründung weiterer Entscheidungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die im Gefolge der Rechtsprechung der Revisoninstanz entstehen, mit der sich also die Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte im Gefolge der betreffenden Entscheidung (hier also der aus dem November 1985) auseinandersetzen, als auch auf Basis der Diskussionen in den fachwissenschaftlichen Medien, die nach solchen Entscheidungen der Revisionsinstanz i.d.R. ebenfalls einsetzen. Die Arbeit am Recht erfolgt nicht allein im stillen Karlsruher Kämmerlein des Berichterstatters und seiner Wissenschaftlichen Mitarbeiter, sondern eben in der fachwissenschaftlichen Diskussion, die von den Senaten zunächst abzuwarten ist, da man auch in Karlsruhe nicht die Weisheit mit Löffeln gegessen hat. Dafür aber muss Zeit vergehen, damit solche (verwaltungs-)gerichtlichen Entscheidungen auf Basis der Begründung des vorlegenden Gerichts genauso wie Auseinandersetzungen mit ihr in der Literatur erst einmal erfolgen können: Deren Sachverstand also jeweils zur Wirkung gelangt. Das Bundesverfassungsgericht kommt regelmäßig diskursiv zur Findung seiner Entscheidungen - wenn sich dieser Prozess auch nicht öffentlich zuträgt, da er dem Beratungsgeheimnis unterliegt, der aber die maßgeblichen Argumente mit zur Grundlage für die eigene Entscheidungsfindung macht, wie sie sich in der Gerichtspraxis und Literatur wiederfinden. Erst in der Beratung findet sich das stille Kämmerlein: Die Senate werfen also mit ihren Entscheidungen regelmäßig einen Ball ins Feld, um später das Spielgeschehen aufzugreifen, aus dem sie maßgebliche Schlüsse für den nächsten Ballwurf entnehmen.
Genauso ist das Bundesverfassungsgericht dann auch ab 2012/15 vorgegangen, indem es jenen Prozess zugleich vorantrieb, als es gezielt aus den ab 2016 bei ihm eingehenden Vorlagen auswählte und also im Diskurs mit der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Literatur 2017 das Abstandsgebot zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen, 2018 die weitere Konkretisierung der den Besoldungsgesetzgeber treffenden Begründungspflichten und 2020 das Mindestabstandsgebot erließ, um so die sich abzeichnende neue Dogmatik zum Besoldungsrecht weiter auszuformen, wobei als weiterer Teil des Diskurses hier die jeweiligen Begründungen der Besoldungsgesetzgeber zu betrachten sind (vor 2006 hat sich die Komplexität der Gesetzgebung durch den de facto nur einen Gesetzgeber noch deutlich einfacher dargestellt) - dieser Prozess vollzieht sich nun seit 2020, nachdem der Senat zwischen 2015 und 2020 fünf maßgebliche Entscheidungen getroffen hat, aus denen niemand mehr Zweifel ziehen konnte und kann, dass mit ihnen nun eine neue Dogmatik zum Besoldungsrecht vorliegt.
Uns mittelbar und unmittelbar Betroffene hat diese Zeit seit dem Sommer 2020 Geduld abverlangt; auch trifft die Länge der Verfahrensdauer nachvollziehbar auf Zweifel, ggf. auch auf Enttäuschung und Empörung.
Fortsetzung folgt ...