Mir bleibt erneut nur festzustellen, dass ich offenbar zu ungeduldig für derlei Rechtsprechung bin. Meinetwegen habe ich auch eine falsche Erwartungshaltung, aber ich kann mich mit der Dauer des Ganzen überhaupt nicht anfreunden und empfinde diese nicht nur als - meinetwegen zu Recht - unfair, sondern einfach als realitätsfern. Wir sollten, gerade in der eigentlich aufgeklärten Zeit in der wir uns befinden, uns dringend daran machen, die Dinge tatsächlich mal zu entbürokratisieren. Die Menschen sind mMn mittlerweile zu aufgeklärt sich mit solchen Zeitspannen zufrieden zu geben, was diese, wenn es dennoch genau so beibehalten wird, nur zwangsweise weiter in die Extreme treibt.
Ich denke, Du meinst weniger eine Entbürokratisierung (= weniger Bürokratie, d.h., weniger Beschäftigte), sondern eher eine Deregulierung (= weniger rechtliche Normen), Knecht, was sich ja die Parteien regelmäßig auf die Fahnen schreiben, nämlich regelmäßig als Entbürokratisierung, die sie nach 1990 tatsächlich durch einen deutlichen Personalabbau vollzogen haben, um hingegen als Legislative durch die gewachsene Anzahl an von ihr verabschiedeten Gesetzen und als Exekutive durch die Anzahl der von ihr seitdem erlassenen Verordnungen die Verrechtlichung der sozialen Wirklichkeit deutlich voranzutreiben (darüber haben wir ja in der Vergangenheit entweder hier oder im Parallelforum bereits diskutiert).
Im Ergebnis finden wir heute - vereinfacht dargestellt - also entweder eine Unterbürokratisierung, also zu wenig Beschäftigte, die die Rechtsnormen in angemessener Zeit durchsetzen könnten, oder eine Überregulierung vor, also zu viele Rechtsnormen, die von den vorhandenen Beschäftigten nicht in angemessener Zeit durchgesetzt werden können. Wenn also die Parteien eine "Entbürokratisierung" fordern, dann haben sie diese als Exekutive in der Vergangenheit im öffentlichen Dienst bereits wiederkehrend vollzogen, um zugleich jedoch keine Deregulierung vorzunehmen, was allerdings in einem Rechtsstaat, der eine zunehmende soziale Differenzierung (= die Lebenswelten der Bürger individualisieren sich auch als Folge zunehmender - auch rechtlicher - Freizügigkeit) vorfindet, nicht ganz einfach sein dürfte. Von daher gelangen der Gesetzgeber und die Regierungen zumeist über das Schlagwort des "Bürokratieabbaus" (das also zumeist als Schlagwort falsch ist, ihnen jedoch finanziell nützte) nicht hinaus. Falsch ist jenes Schlagwort deshalb, weil ein Bürokratieaufbau sachlich falsch sein müsste, wenn man zugleich immer weitere Regulierungen vornähme, die also mit weniger Bürokratie noch weniger oder in nur noch längeren Zeiträumen umzusetzen wären.
Darüber hinaus nutzen hinsichtlich konkreter Normenkontrollverfahren auch hier wieder - wie immer, wenn es um's Recht geht - keine allgemeine Betrachtungen, wie ich sie gerade und die Politik sie wiederkehrend als Schlagwort(e) anbieten, ohne sie als Deregulierung tatsächlich je umfassender durchzuführen.
Also ginge es hinsichtlich konkreter Normenkontrollverfahren konkret um die sie - die Normenkontrollverfahren - in § 80 BVerfGG regelnde Rechtsnorm, also um jenen § 80 BVerfGG. Hier finden wir allerdings
keine Überregulierung vor, die historisch gewachsen wäre. Denn der § 80 ist in seiner ursprünglichen Fassung vom 12.03.1951 am 22.07.1956 im Abs. 1 zunächst "dereguliert" worden, um mit gleichen Datum durch die Einführung von drei weiteren Absätzen eine stärkere Regulierung vorzufinden, die jedoch mit Datum vom 04.08.1963 wieder entfallen (und in weitgehend ähnlicher Form in den § 82 Abs. 4 überführt worden) sind. Der § 80 BVerfGG, der hinsichtlich konkreter Normenkontrollverfahren den direkten Kommunikationsweg zwischen Fachgericht und Bundesverfassungsgericht regelt und Anforderungen an die inhaltliche Argumentation des Fachgerichts wie formale Voraussetzungen für den Vorlagebeschluss enthält, welcher die Voraussetzung für ein konkretes Normenkontrollverfahren regelt, lautet entsprechend seit 1951 weitgehend unverändert wie folgt:
"(1) Sind die Voraussetzungen des Artikels 100 Abs. 1 des Grundgesetzes gegeben [= ein Gericht hält ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig; ST.], so holen die Gerichte unmittelbar die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein.
(2) Die Begründung muß angeben, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig ist und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist. Die Akten sind beizufügen.
(3) Der Antrag des Gerichts ist unabhängig von der Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch einen Prozeßbeteiligten."
(
https://www.gesetze-im-internet.de/bverfgg/__80.html)
Auf dieser gesetzlichen Grundlage verlaufen seit 1951 konkrete Normenkontrollverfahren in der Bundesrepublik, die als maßgeblicher Teil der Checks and Balances, also der Systematik unser Gewaltenteilung in der Bundesrepublik, zu begreifen sind. Eine "Deregulierung" ist hier also weitgehend nicht möglich, ohne damit aktiv in die überkommene und heute fortbestehende Gewaltenteilung einzugreifen, wobei eine Neuregelung des § 80 dabei prinzipiell nur drei Ergebnisse haben kann: erstens (das taten die 1956 vollzogenen und 1963 überführten Regelungen) änderte sie hinsichtlich der Systematik der Gewaltenteilung letztlich nichts; zweitens stärkte sie die Rolle des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der Gewaltenteilung und drittens würde deren Rolle hier geschwächt werden. Mehr Möglichkeiten gibt es prinzipiell nicht.
An der zweiten Möglichkeit hätte der Gesetzgeber, der allein den § 80 BVerfGG ändern könnte, sicherlich kaum ein Interesse; sie würde zugleich eine stärkere Regulierung von Normenkontrollverfahren beinhalten, was also mit einiger Wahrscheinlichkeit die durchschnittliche Verfahrensdauer eher verlängern als sie kürzer machen sollte. Die dritte Möglichkeit würde hingegen eine offensichtlich geringere Kontrollmöglichkeit als heute bedeuten, mit der also die Fachgerichte mittelbar über das Bundesverfassungsgericht das Handeln der anderen beiden Gewalten prüfen könnten. Sie stellte sich also - auf unser Thema runtergebrochen - für uns weitgehend als nicht erstrebenswert an und müsste darüber hinaus als Anschlag auf unsere überkommene und heute weiter bestehende Systematik der Gewaltenteilung begriffen werden, da sie als deren unmittelbarer Abbau zu begreifen wäre.
Ergo: Trotz aller - nachvollziehbarer! - Ungeduld, die ich als gleichfalls nicht immer äußerst geduldiger Mensch gut nachvollziehen kann und die von unserem Thema emotional stark gefördert werden muss, da es hier im hohen Maße um die je eigene Lebenswirklichkeit geht, bleibt letztlich nur das Warten darauf, dass die politischen Verantwortungsträger von ihrem offensichtlich konzertierten Handeln ablassen, von dem sie wissen, dass es sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen lässt. Das Warten beinhaltet also ebenso, dass Karlsruhe nach juristisch durchsetzbaren Mitteln und Wegen suchen wird, damit diese offene Wunde des Verfassungsrechts geschlossen werden kann. Und das stellt sich insbesondere deshalb als äußerst schwierig dar, weil wir hier ein offensichtlich konzertiertes Handeln aller 17 Besoldungsgesetzgeber vorfinden, womit wir am Ende wieder bei der Frage der Verantwortung wären.
Darüber hinaus sind die von lotsch gestern ins Spiel gebrachten Gedanken hier bislang kaum betrachtet worden, wie sie sich aus dem Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 20.03.2014 - 3 B 167/14;
https://openjur.de/u/683432.html - hinsichtlich eines "Anordnungsanspruchs" ergeben, die das OVG dort ab der Rn. 13 aufnimmt. Dabei sind insbesondere die Ausführungen dort unter der Rn. 20 in den Blick zu nehmen, und zwar unter Beachtung des Datums, das mittlerweile ziemlich genau zehn Jahr her ist. Unter dieser Zeitperspektive verfängt insbesondere der einleitende Satz der dortigen Rn. 23 mit einiger Wahrscheinlichkeit als Argument eines Gerichts heute (bzw. ggf. eventuell schon seit einigen Jahren) nicht mehr, das da lautete: "Das Argument des Antragstellers, er müsse einen erheblichen Pensionsverlust hinnehmen, verfängt ebenfalls nicht." Soll heißen, der erhebliche Pensionsverlust wäre heute eingetreten, sofern nur Nachzahlungen unter Unberücksichtigung von seitdem zu realisierenden Kaufkraftverlusten gewährt werden würden. Darüber hinaus macht das OVG berechtigt darauf aufmerksam, dass die Alimentation des Beamten der Befriedigung eines gegenwärtigen Bedarfs dient, das heißt: der gegenwärtigen Führung seines Lebens auf einem seinem Amt angemessenen Niveau, so wie der Kläger offensichtlich sachlich berechtigt darauf hinweist, dass er sich rückwirkend kein höheres Lebensniveau mehr wird verschaffen können (vgl. dort die Rn. 16 ff.), und zwar seit mindestens über zehn Jahren.
Der langen Rede kurzer Sinn: Die Kompensationsfrage wird über kurz oder lang auf die Tagesordnung kommen und wir dürfen davon ausgehen, dass weitere Kläger auch in in Karlsruhe anhängigen Verfahren, die also zu Richtervorlagen geführt haben, hierauf in aller gebotenen Deutlichkeit hingewiesen haben. Es wird von daher auch hier interessant werden, ob sich der Senat dazu bereits in den anstehenden Entscheidungen äußern wird, oder ob das erst dann der Fall sein wird, wenn die drei nun alsbald betroffenen Gesetzgeber ggf. keine Nachzahlungen gewähren wollten, die die Heilung der von ihnen zu verantwortenden Unteralimentation herbeiführten bzw. sie ggf. gar nicht erst bezweckten, sofern sie also ggf. fröhlich weitermachen wollten als wie zuvor. Es wird nicht nur das OVG Nordrhein-Westfalen vor zehn Jahren, sondern es werden viele Gerichte das nachfolgende Zitat aus der dortigen Rn. 20 so sehen, eben weil diese Sichtweise sachlich begründbar ist, während das für das Gegenteil offensichtlich in der Lebenswirklichkeit von Klägern sachlich nicht gegeben ist (man vergleiche im nachfolgenden Zitat den zweiten Satz):
"Der Senat braucht sich aus Anlass des vorliegenden Falles nicht festzulegen, unter welchen Umständen - etwa in zeitlicher Hinsicht - dem Antragsteller ein weiteres Abwarten unzumutbar werden könnte. Es erscheint jedoch fraglich, dass bei Abwägung der beiderseitigen Belange - die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs vorausgesetzt - Zeiträume hingenommen werden könnten, die etwa im Fall kinderreicher Beamter verstrichen sind und das Bundesverfassungsgericht zum Erlass einer Vollstreckungsanordnung bewogen haben."
Nach den angekündigten Entscheidungen werden wir eine neue Sachlage vorfinden - so wie wir ggf. in der nächsten Woche die Jahresvorschau 2024 vorfinden werden, die ggf. weitere Entscheidungen für dieses Jahr ankündigen wird, die dann ggf. allerdings erst im nächsten Jahr vollzogen werden (könnten); so oder so: Spätestens im nächsten Jahr wird es einige weitere Entscheidungen geben. Das Thema wird mit den anstehenden Entscheidungen aus dem Dornröschenschlaf erwachen und es wäre m.E. erstaunlich, wenn Karlsruhe dem Erwachen nicht bereits vor diesen drei angekündigten Entscheidungen keine Nahrung geben würde.