@ Bundi und BVerfGBeliever
Die Vollstreckungsanordnung ist wie gesagt die Ultima Ratio - das letzte Mittel -, über das das Bundesverfassungsgericht verfügt, um der Verfassung zur Geltung zu verhelfen.
Als letztes Mittel ist sie in einem engen Korsett geregelt, kann also vom Bundesverfassungsgericht nicht ohne Weiteres vollzogen und dann auch nur in einem engen Rahmen - strikt - geregelt werden. Ich will jetzt hier nicht ihre gesamte Verfasstheit darlegen, weil das - denke ich - für die meisten nicht von Interesse ist. Ein zentrales Moment ist, dass die Vollstreckungsanordnung konkrete Vollstreckungsaufträge erteilt, d.h. die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erfolgt mit Gesetzeskraft und ist strikt auf die Gesetzeslage bezogen, die durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht vernichtet worden ist, dürfte also in unserem Berliner Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung konkret regeln.
Gehen wir also mal davon aus, dass Karlsruhe die A-Besoldung in den Besoldungsgruppen A 9 bis A 12 im Zeitraum von 2008 bis 2015 als verfassungswidrig ansieht (nicht alle diese vier Besoldungsgruppen werden in allen genannten Jahren betrachtet, was ich nachfolgend vernachlässige), dann wird es den Besoldungsgesetzgeber anweisen, die als verfassungswidrig betrachtete Regelung bis zu einem bestimmten Datum durch eine verfassungskonforme zu ersetzen. Wenn es das mit einer Vollstreckungsanordnung versieht, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit die Verwaltungsgerichtsbarkeit mit Fristverstreichung dazu ermächtigen, im Rahmen der Regelungen der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung Klägern zu ihrem Rech zu verhelfen. Wenn also der Besoldungsgesetzgeber nicht handelt oder nur so, dass die angerufenen Gerichte zu dem Ergebnis kommen, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgsgericht nicht oder nicht vollständig umgesetzt ist, ist es dazu ermächtigt, im Rahmen der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung Recht zu sprechen, also nun selbst die Verfassungswidrigkeit der Norm im Rahmen der bundesverfasungsgerichtlichen Entscheidung
rechtsgültig festzustellen (in allen anderen Fällen hat es einen Vorlagebeschluss fassen, da es nicht dazu berechtigt ist, selbstständig rechtsgültig über die Verfassungswidrigkeit einer Norm zu eetscheiden).
Es ist nun also davon auszugehen, dass das Land Berlin bis zur ihm gesetzten Frist tätig wird und dass es das, sofern es das hinsichtlich der Besoldungsgruppen A 9 bis A 12 für die Jahre 2008 bis 2015 tut, kaum für sämtliche weitere Besoldungsgruppen der Besoldungsordnung A unterlassen kann, ohne sich der nächsten Flut an Verfahren ausgesetzt zu sehen, die dann - je nachdem, in welcher Art und Weise Karlsruhe die Vollstreckung regelt - mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder als Vorlagebeschlüsse nach Karlsruhe gehen würden. Das Ergebnis wäre ein massiver Vertrauensverlust des Landes. Insofern darf man davon ausgehen, dass es nun für die genannten Jahre 2008 bis 2015 in den Rahmen der Verfassung zurückkehrt (wobei dem Land Berlin m.E. auch vieles andere zuzutrauen ist; aber das ist nun erst einmal eine andere Frage).
Wenn es aber akzeptiert, dass die Besoldung aller Besoldungsgruppen zwischen 2008 und 2015 nicht verfassungskonform gewesen ist und also für eine verfassungskonforme Besoldung für diesen Zeitraum sorgt, kann es zwar de jure im Rahmen der konkreten Normenkontrolle die weitere Jahre unbeachtet lassen, da sie nicht unmittelbar Gegenstand der konkreten Normenkontrollverfahren gewesen sind, allerdings liegt bereits das nächsten Normenkontrollverfahren zu Berlin vor, die Jahre 2016 bis 2018 (Besoldungsgruppe A 4) und 2018 bis 2019 (Besoldungsgruppe A 5) betreffend. Weitere könnten demnächst folgen. Karlsruhe verfügt hier also über weitere Hebel, was ein nächster zentraler Grund dafür sein dürfte, nun doch Berlin als Ziel von Leitverfahren ausgewählt zu haben.
Gehen wir mal davon aus - sicher bin ich mir hier in Anbetracht dessen, das Berlin doch Berlin bleibt -, dass das Land nun zu einer auch 2024 oder 2025 wieder amtsangemessenen Alimentation (oder zumindest zu deutlich höheren Grundgehaltssätzen als bislang) zurückkehrte, dann - jetzt kommen wir zur Antwort auf die Frage - setzt das zunächst einmal mindestens den Bund deutlich unter Druck (der nächsten Grund, Berlin als Ziel von Leitverfahren auszuwählen), da er ja in Berlin im hohen Maße in Konkurrenz zum Land um Nachwuchskräfte steht. Darüber hinaus würde sich aus dem gleichen Grund ebenfalls gehöriger Druck für Brandenburg ergegeben - und schließlich ganz konkret auch für alle anderen Rechtskreise, weil Berlin als solche für viele junge Fachkräfte ein attraktives Pflaster ist (ein weiterer Grund, nun Berlin auszuwählen). Von Berlin aus - das auch in den Medien noch einmal, allein durch die Medienpräsenz in der Hauptstadt (der nächste Grund), eine besondere Rolle spielt - wird nun die Debatte in allen anderen Rechtskreisen angeschoben werden.
Insofern dürfte all das, was ich gerade geschrieben habe, maßgeblich dafür mitverantwortlich gewesen sein, dass Andreas Voßkuhle sich 2020 für Berlin als seine letzte und so also wichtigste Entscheidung entschieden haben wird. Karlsruhe dürfte darauf jetzt zurückkommen, was es 2022 und 2023 noch abschlägig beantwortet hatte. Es musste also - wenn meine Gedanken richtig sind - einen weiten Weg gehen, um in Abhängigkeit vom konkreten Handeln der Besoldungsgesetzgeber wieder nach dorthin zurückzukehren. Dabei wäre es abwegig, nun für Berlin die weitgehend selbe Entscheidung zu treffen wie 2020 (vgl. meinen Beitrag von gestern 23:11 Uhr), um das nicht mit einem deutlich größeren Druckmittel zu verbinden. Denn ein solches Ergebnis könnten sich alle ausmalen: Berlin würde weitermachen als wie zuvor. Also muss das Abrücken von Niedersachsen und Schleswih-Holstein mit einem größeren Druckmittel zu verbinden sein, mindestens eines größeren als dem von 2020 - ergo schließe ich auch von daher auf die Anwendung des § 35 BVerfGG. Der Hüter der Verfassung wird nicht den Fehler machen - nachdem er das Land freundlich darum gefragt hat, wieso es seine Rechtsprechung nach 2020 gezielt nicht auf die A-Besoldung angewandt hat -, es bei einem Wiederholungsspiel zu belassen, in dem es als Freundschaftsspiel um die Ehre, nicht aber um Punkte geht.
Der langen Rede kurzer Sinn: Sofern es zu einer Vollstreckungsanordnung kommen sollte, ist Berlin von Karlsruhe klug gewählt worden, allein weil das Thema hier eine wiederkehrende Präsenz in der Medienlandschaft erhalten wird, aber auch aus den weiteren von mir genannten Gründen. So verstanden, könnte man sich berechtigte Hoffnung machen, dass im Gefolge der angekündigten Entscheidung auch in diesem Leitverfahren die erste Vollstreckungsanordnung den konzertierten Verfassungsbruch mit einiger Wahrscheinlichkeit sprengen wird, wodurch nun der Konkurrenzföderalismus in Anbetracht eines zunehmenden Fachkräftemangels sein Recht fordern wird. Darüber hinaus liegen ja mit mindestens Niedersachsen und Sachsen weitere Kandidaten vor, die sich nicht mehr allzu weit von einer Vollstreckungsanordnung entfernt sehen dürften - und schließlich kann Karlsruhe nun weiterhin auf insgesamt noch immer über 50 konkrete Normenkontrollverfahren zu deutlich mehr als der Hälfte aller Bundesländer zurückgreifen, die dort anhängig sind,, sodass davon auszugehen ist, dass das Thema nach der angekündigten Entscheidung nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden wird. Denn auf dieser Tagesordnung steht nun ja noch weiterihn Bremen, also einer der der Nordstaaten, die nun in der Gestalt von Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg ebenfalls sachwidrig strukturierte Doppelverdienermodell eingeführt haben und für die gleichfalls anhängige Entscheidungen in Karlsruhe zur Entscheidung liegen.
Wenn Anfang des Jahres also die Pragmatik der anstehenden Entscheidungen in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt worden ist, dann dürfte sie sich nun mit einiger Wahrscheinlichkeit in der Auswahl von Berlin auch diesbezüglich Bahn brechen:
https://www.berliner-besoldung.de/begruenden-heisst-befolgen-zur-pragmatik-der-bundesverfassungsgerichtlichen-entscheidung-zum-zweiten-nachtragshaushaltsgesetz-2021/Ergo: Auch diese Gedanken stützen emdys Bewertung, wie er sie in der Nacht vorgenommen hat.
@ Saggse
Genau diese erste Frage habe ich mir auch gestellt - und hier liegt m.E. ein zentraler Schwachpunkt in den Überlegungen, sofern Karlsruhe sie so in etwas angestellt hat: Entscheidungen über drei Rechtskreise dürften einen größeren Druck ausüben als über zwei - insbesondere, wenn der eine der beiden mit Berlin ein politischer Spezialfall ist (um's mal so ausdrücken). Andererseits kann der Zweite Senat nach den angekündigten Entscheidungen über Berlin und Bremen ja jederzeit nachjustieren. Mindestens die niedersächsische Entscheidung sollte in der Begründung schon weiter fortgeschritten sein. Die Aussage Deines zweiten Beitrags sehe ich ähnlich: Es wissen alle 17 Besoldungsgesetzgeber um das Risiko, weil sie sich regelmäßig über es im Austausch befinden. Und sie befinden sich als Nachbarrechtskreise in zunehmender Konkurrenz zueinander. Risiko, Veränderungen bei anderen und die eigenen Interessen werden also zu Abwägeentscheidungen führen, ohne dass wir das heute schon konkret voraussehen können. Ergo: Schauen wir erstmal, was uns in den angekündigten Entscheidungen erwartet...