Ich denke, ihr redet in eurer Debatte zum Teil aneinander vorbei, was uns hier (meine Person mit eingeschlossen) und darüber hinaus auch gesellschaftlich gleichfalls häufiger passiert. Ich stelle mal ein paar verfassungsrechtliche Thesen auf, die eventuell zur Klarheit der Debatte beitragen:
1. Das Alimentationsprinzip verpflichtet den Dienstherrn in ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Beamte und ihre Familien lebenslang angemessen zu alimentieren (Rn. 23 der aktuellen Entscheidung wie auch im Folgenden;
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html).
2. Es ist ihnen deshalb lebenslang ein nach ihrem Dienstrang, nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards angemessener Lebensunterhalt zu gewähren.
3. Damit wird der Bezug der Besoldung sowohl zu der Einkommens- und Ausgabensituation der Gesamtbevölkerung als auch zur Lage der Staatsfinanzen, das heißt zu der sich in der Situation der öffentlichen Haushalte ausdrückenden Leistungsfähigkeit des Dienstherrn, hergestellt.
4. Der Beamte muss über ein Nettoeinkommen verfügen, das seine rechtliche und wirtschaftliche Sicherheit und Unabhängigkeit gewährleistet und ihm über die Befriedigung der Grundbedürfnisse hinaus ein Minimum an Lebenskomfort ermöglicht (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. September 2007
- 2 BvR 1673/03 -, Rn. 39;
https://www.bverfg.de/e/rk20070924_2bvr167303.html).
5. Der Anstieg der den Dienstherrn treffenden Versorgungslasten ist als sachlicher Grund geeignet, die Verminderungen der Besoldungs- und Versorgungsanpassungen zu rechtfertigen (ebd., Rn. 43 wie auch im Folgenden).
6. Die duchschnittlich längere Lebenserwartung der Bevölkerung lässt es als sachlich gerechtfertigt erscheinen, die Beamtenschaft durch die Verminderungen der Besoldungs- und Versorgungsanpassungen an den steigenden Kosten der Versorgung zu beteiligen.
7. Kürzungen der Beamtenversorgung haben allerdings gleichheitsgerecht zu erfolgen. Auch Versorgungsempfängern kann im einzelnen oder als Ganze ohne sachlichen Grund kein "Sonderopfer" abverlangt werden (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 20. März 2007 - 2 BvL 11/04 -, Rn. 62;
https://www.bverfg.de/e/ls20070320_2bvl001104.html).
8. Die überkommene
Struktur der Versorgungsregelungen sollte sich bis 2021 in allen 17 Rechtskreisen als verfassungskonform dargestellt haben (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 27. September 2005
- 2 BvR 1387/02 -,https://www.bverfg.de/e/rs20050927_2bvr138702.html).
9. Das
Besoldungsniveau sollte sich seit spätestens 2008 in allen 17 Rechtskreisen als nicht amtsangemessen darstellen: Die gewährte Nettoalimentation unterschreitet spätestens seitdem in allen Rechtskreisen die Mindestalimentation; 2020 hat die gewährte Nettoalimentation in 13 der 16 Länder-Rechtskreisen darüber hinaus selbst das Grundsicherungsniveau unterschritten, und zwar im einzelnen deutlich (DÖV, 2022, S. 198 <206>).
10. Die Mindestalimentation umfasst den vom absoluten Alimentationsschutz geschützten Betrag der zu gewährenden Nettoalimentation, in den also keine Kürzungen oder andere Einschnitte vorgenommen werden darf (Rn. 95 der aktuellen Entscheidung).
11. Als Folge einer eklatanten Unterschreitung des Mindestabstandsgebots sind auch die Grundgehaltssätze anzuheben, die sich in diesem Fall also als verfassungswidrig darstellen (Tenor der akutellen Entscheidung i.V.m. Rn. 99, Rn. 160 und 176).
12. Folge: Eine Heilung der verletzten Besoldungssystematik allein durch die Anhebung familienbezogener Besoldungskomponenten ist nicht möglich, da eine solche Anhebung nicht die Attraktivität der Dienstverhältnisse von allen Ämtern für überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte, das Ansehen des Amtes in den Augen der Gesellschaft, die vom Amtsinhaber geforderte Ausbildung und seine Beanspruchung berücksichtigen könnte.
13. Konsequenz:
Im Rahmen der überkommenen Struktur der Versorgungsregelungen dürfte sich durch die Abhängigkeit der (maximalen) Versorgungshöhe von der letzten gewährten Besoldungshöhe ein Ausschluss einer höheren familienneutralen Versorgung offensichtlich sachlich nicht rechtfertigen, da hier zwischen dem Grundgehaltssatz, den geleisteten Dienstzeiten und der Höhe der Versorungsleistungen ein unmittelbarer Zusammenhang gegeben ist.
14. Der Versorgungsgesetzgeber verfügt im Rahmen der gerade dargelegten (und weiterer) Prämissen über einen weiten Entscheidungsspielraum, wie er die Versorgung seiner Beamten regeln will. Er kann dabei deren Struktur jederzeit im Rahmen der Verfassung ändern, sofern dafür ein sachlicher Grund vorliegt.
PS. Nach Fertigstellung dieses Beitrag lese ich nun den von Dir, BVerfGBeliever. Beide Beiträge ergänzen sich schlüssig, denke ich.