Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 2116856 times)

Bastel

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #11610 am: 29.03.2024 19:39 »
Ich versuche es dann auch zu konkretisieren.

1. Wir sind uns doch einig, dass es das BVerfG erlaubt vom Alleinverdienermodell für 4 Personen abzuweichen. Richtig?

2. Wir sind uns einig, dass die erste Stufe der untersten Besoldungsgruppe mindestens 115% vom Grundsicherungsniveau erhalten muss. Richtig?

3. Wir sind uns einig, dass der Gesetzgeber (zusätzlich) eine Neubewertung der Ämter vornehmen kann. Richtig?

4. Wir sind uns einig, dass welches Modell auch immer gewählt wird, die übrigen Prüfungen danach trotzdem vorgenommen werden müssen. Richtig?

5. Hier sind wir uns anscheinend nicht einig: mMn erlaubt und zeigt das BVerfG in seinem Beschluss, dass auch über höhere Familenzuschläge und der (Wieder-)Einführung von Ortszuschlägen gestaffelt nach Mietstufen die tatsächlichen Lebensbedingungen berücksichtigt werden können und dieser 115% Abstand dadurch erreicht werden kann.

Es läge also an der Begründung für einen Wechsel des Modells.


@Nanum: um die Attraktivität des Öffentlichen Dienstes zu erhöhen, würde ich mir persönlich auch weniger Erfahrungsstufen, weniger Besoldungsgruppen (und damit Wegfall von Bündelungen) und eine bessere Durchlässigkeit bei gleichzeitiger Spreizung der Besoldung der Laufbahnen "wünschen".

Der Gesetzgeber darf vieles davon, aber er muss es sachlich begründen können. Und nur „kein Geld für euch“ reicht nicht.

Moabit

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #11611 am: 29.03.2024 19:40 »

Frage zu 5.

Sind hier Grenzen zu beachte wie z. B. "Wertigkeit der Ämter" "Abstandsgebot"?

Das interne? mMn eben nicht. Die jetzigen Familenzuschläge werden vom BVerfG zumindest in dem Beschluss nicht kritisiert, es wird eben sogar angeregt sie zu erhöhen. Den Zweck des Zuschlags (und damit unterscheidet er sich mMn von Stellen- und ggf. Amtszulagen) dient eben allein der Sicherstellung der Mindestalimentation. Er dürfte konsequenterweise dann aber auch nicht bei höheren Besoldungsgruppen wegfallen oder abschmelzen, so wie auch ein Ortszuschlag. Das ist aber deswegen auch der Punkt, den ich "interessant" finde.

InternetistNeuland

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #11612 am: 29.03.2024 19:43 »
Ich versuche es dann auch zu konkretisieren.

1. Wir sind uns doch einig, dass es das BVerfG erlaubt vom Alleinverdienermodell für 4 Personen abzuweichen. Richtig?

2. Wir sind uns einig, dass die erste Stufe der untersten Besoldungsgruppe mindestens 115% vom Grundsicherungsniveau erhalten muss. Richtig?

3. Wir sind uns einig, dass der Gesetzgeber (zusätzlich) eine Neubewertung der Ämter vornehmen kann. Richtig?

4. Wir sind uns einig, dass welches Modell auch immer gewählt wird, die übrigen Prüfungen danach trotzdem vorgenommen werden müssen. Richtig?

5. Hier sind wir uns anscheinend nicht einig: mMn erlaubt und zeigt das BVerfG in seinem Beschluss, dass auch über höhere Familenzuschläge und der (Wieder-)Einführung von Ortszuschlägen gestaffelt nach Mietstufen die tatsächlichen Lebensbedingungen berücksichtigt werden können und dieser 115% Abstand dadurch erreicht werden kann.

Es läge also an der Begründung für einen Wechsel des Modells.


@Nanum: um die Attraktivität des Öffentlichen Dienstes zu erhöhen, würde ich mir persönlich auch weniger Erfahrungsstufen, weniger Besoldungsgruppen (und damit Wegfall von Bündelungen) und eine bessere Durchlässigkeit bei gleichzeitiger Spreizung der Besoldung der Laufbahnen "wünschen".

zu 5) Ich habe das Bundesverfassungsgericht so verstanden, dass besonders hohe Familien- oder Ortszuschläge erst ab dem dritten Kind erlaubt sind. Bis zum zweiten Kind muss der Großteil aller Aufwendungen aus dem Grundgehalt zuzüglich kleiner Zuschläge bestreitbar sein.

Moabit

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #11613 am: 29.03.2024 19:48 »

zu 5) Ich habe das Bundesverfassungsgericht so verstanden, dass besonders hohe Familien- oder Ortszuschläge erst ab dem dritten Kind erlaubt sind. Bis zum zweiten Kind muss der Großteil aller Aufwendungen aus dem Grundgehalt zuzüglich kleiner Zuschläge bestreitbar sein.

Würde ich bisher auch so sehen, bei einer vom BVerfG angedeuteten Änderung des Modells für die Zukunft wäre es aber mMn anders. Wie gesagt, das ist genau der springende Punkt. Denn wenn ich den Beschluss wieder und wieder lese, liest es sich wie eine Anleitung für den Entwurf, der bisher vorgestellt wurde (wobei eben nicht konsequent in allen Punkten umgesetzt).

InternetistNeuland

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #11614 am: 29.03.2024 20:02 »

zu 5) Ich habe das Bundesverfassungsgericht so verstanden, dass besonders hohe Familien- oder Ortszuschläge erst ab dem dritten Kind erlaubt sind. Bis zum zweiten Kind muss der Großteil aller Aufwendungen aus dem Grundgehalt zuzüglich kleiner Zuschläge bestreitbar sein.

Würde ich bisher auch so sehen, bei einer vom BVerfG angedeuteten Änderung des Modells für die Zukunft wäre es aber mMn anders. Wie gesagt, das ist genau der springende Punkt. Denn wenn ich den Beschluss wieder und wieder lese, liest es sich wie eine Anleitung für den Entwurf, der bisher vorgestellt wurde (wobei eben nicht konsequent in allen Punkten umgesetzt).

Wir sind hier zwar im Forum Bund aber ich bringe trotzdem das Beispiel Lehrer.

Ein Lehrer A13 würde durch Zuschläge pro Kind bis zu 600-900€ mehr erhalten als sein angestellter Kollege mit E13.

Sind die Kinder des angestellten Lehrers weniger wert? Oder wird hier bei Kinderreichen Familien einfach auf Bürgergeld verwiesen?

Zitat Deutscher Richterbund:

Zudem sollte eine Umsetzung der Entscheidung in einer nachhaltig tragfähigen Lösung bestehen, die personalpolitisch sinnvoll und praxisgerecht ist. Die Beamtenbesoldung sollte modern, transparent und im Wettbewerb um die besten Köpfe konkurrenzfähig sein. Wir halten es nicht für sinnvoll, aus kurzfristig gedachten fiskalischen Gründen heraus personalpolitisch nachteilige Lösungen herbeizuführen, die die Praxis vor unauflösbare Probleme stellen. Die durch den vorliegenden Entwurf bewirkten Besoldungs- bzw. Vergütungsunterschiede zwischen Angestellten ohne soziale Vergütungsbestandteile und Beamten mit sozial definierten Zulagen sind personalpolitisch nicht zu rechtfertigen und spannungsgeladen. Entsprechendes gilt für das Verhältnis von zulagenberechtigten zu nicht zulagenberechtigten Beamten und Richtern.

InternetistNeuland

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #11615 am: 29.03.2024 20:15 »

zu 5) Ich habe das Bundesverfassungsgericht so verstanden, dass besonders hohe Familien- oder Ortszuschläge erst ab dem dritten Kind erlaubt sind. Bis zum zweiten Kind muss der Großteil aller Aufwendungen aus dem Grundgehalt zuzüglich kleiner Zuschläge bestreitbar sein.

Würde ich bisher auch so sehen, bei einer vom BVerfG angedeuteten Änderung des Modells für die Zukunft wäre es aber mMn anders. Wie gesagt, das ist genau der springende Punkt. Denn wenn ich den Beschluss wieder und wieder lese, liest es sich wie eine Anleitung für den Entwurf, der bisher vorgestellt wurde (wobei eben nicht konsequent in allen Punkten umgesetzt).

Zu den Doppelverdienermodellen:

Ehefrau hat Einkünfte aus Vermietung. Diese Einkünfte werden für die Mindestalimentation mit berücksichtigt.

Nun überträgt die Ehefrau ihre Immobilie aber an ihren verbeamteten Ehemann. Nun werden die Einkünfte aus Vermietung plötzlich nicht mehr berücksichtigt und es wird ein Zuschuss gewährt um die Mindestalimentation herzustellen.

Moabit

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #11616 am: 29.03.2024 20:39 »
Es ist ja jetzt schon so, dass unterschiedlich "abgerechnet" wird. Weshalb ich persönlich immer wieder die Meinung vertrete, dass Kinder und die sie betreffenden Familienzuschläge komplett aus diesen ganzen Berechungen herausfallen, einheitlich und unabhängig der Berufssituation der Eltern durch ein höheres Kindergeld abgesichert sein sollten. Solche Änderungen würden dann selbst das BAföG in großen Teilen überflüssig machen. Aber das ist wieder ein ganz anderes Thema.

Den Tarifparteien steht es frei auch entsprechende Beträge auszuhandeln. Insgesamt müsste dann bei uns aber wieder je nach Ausgestaltung aufgepasst werden, dass das Verhältnis zu der Tarifentlohnung stimmt.

Zu dem zweiten Beitrag: aufgrund der Einschränkungen für den Partner im gesamten Bundesgebiet eingesetzt werden zu können, wäre es mMn angebracht bei einem Alleinverdienermodell zu verbleiben (ich will mir auch den Verwaltungsaufwand nicht vorstellen, dauernd Einkommen an- und abzurechnen, wenn man nicht von einem pauschalen fiktiven Einkommen ausgehen würde). Nur eben nicht mehr für zwei weitere Kinder.

PolareuD

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #11617 am: 29.03.2024 20:46 »
Mit Sicherheit steht es den Besoldungsgesetzgebern zu Familienzulagen für die ersten beiden Kinder zu erhöhen, aber nicht über Gebühr, so dass sie die Ämterwertigkeit über Laufbahnen hinweg nivelliert und ein Verstoß gegen Art. 3 (2) GG vorliegt. Mit der Einführung des AEZ liegt aber genau das vor. Das Beispiel von BVerfGBeliever für NRW zeigt das sehr deutlich:



In dem Beispiel würde ein A5 Beamter mit 3 Kindern Bezüge in vergleichbarer Höhe eines Beamten mit A12/5 mit einem Kind beim Bund erhalten.
« Last Edit: 29.03.2024 20:59 von PolareuD »

Moabit

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #11618 am: 29.03.2024 21:01 »
Ich kenne mich mit NRW nicht aus. Wurde dort das Modell insoweit geändert, dass nicht mehr von einer 4 sondern nur noch von einer 2 Personenfamilie ausgegangen wird? Nur das würde mMn die Zuschläge im Ansatz rechtfertigen, weil sie dann unabhängig und getrennt der Ämterwertigkeit allein aufgrund der Berücksichtigung der tatsächlichen Lebensumstände wären. Wäre es weiterhin ein 4 Personenmodell müssten die Zuschläge für das erste und zweite Kinde im Grundgehalt landen und dann entsprechend auf die ganze Tabelle wirken. Aber keine Ahnung, was NRW macht.

Und ja, AEZ ist deswegen mMn auch falsch.

clarion

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #11619 am: 29.03.2024 22:00 »
Sicherlich wäre es erlaubt,  das ganze Besoldungsgefüge komplett auf links zu ziehen. Das muss aber  begründet werden, und die Begründung darf nicht fiskalisch sein.

Man wird auch eine Doppelverdienerpartnerschaft annehmen dürfen. Dann muss der Gesetzgeber aber sachlich begründen, warum dieses Modell anzuwenden ist, vielleicht weil das das zeitgemäße Familienmodell ist, und darf nicht durch die Hintertür Ergänzungszuschläge einführen, die dann doch wieder auf das Alleinverdienermodell zurück führen. Dann muss man auch konsequent sein und den Beamten sagen, dass es für den Partner generell und unter keinen Umständen Zuschläge gibt.

Man wird auch die Zahl der Erfahrungsstufen drastisch reduzieren können dürfen, der TV-L kommt auch mit sechs Stufen aus und selbst diese Zahl könnte man sicherlich reduzieren.

Die Zahl der Ämter zu reduzieren, wäre theoretisch möglich, statt 12 bis 15 Ämtern kommt man evtl. auch mit vier oder sechs Ämtern aus. Das hätte praktisch aber große Konsequenzen, da der Anreiz bedeutungsvollere Aufgaben wie z.B. eine Teamleitung zu übernehmen, drastisch reduziert wird, weil es sich nicht in der Besoldung niederschlagen würde.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #11620 am: 30.03.2024 07:19 »

5. Hier sind wir uns anscheinend nicht einig: mMn erlaubt und zeigt das BVerfG in seinem Beschluss, dass auch über höhere Familenzuschläge und der (Wieder-)Einführung von Ortszuschlägen gestaffelt nach Mietstufen die tatsächlichen Lebensbedingungen berücksichtigt werden können und dieser 115% Abstand dadurch erreicht werden kann.

Es ist richtig und sinnvoll, Moabit, dass Du versuchst, das Thema zu greifen - aber die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eben deutlich komplexer und muss grundsätzlich als Ganzes gelesen werden, um sie zu durchdringen, was ich an diesem einen Punkt festmachen will, ohne dass ich die Zeit finden werde, dass nun zeitlich und vom Umfang her unendlich lang darzulegen und zu diskutieren (wenn ich nicht um Rat gefragt worden wäre, hätte ich mich nicht in eure Diskussion eingeschaltet, da ich an verschiedenen anderen Themen sitze, die zeitlich an Terminen gebunden sind; so betrachtet wäre es für mich besser gewesen, die Bitte um Rat zu ignorieren, um die Zeit zu nutzen, weiter die Terminarbeiten voranzutreiben).

Das, was Du hier schreibst, hört sich schlüssig an, wenn man allein die Passage liest, auf die Du Dich beziehst. Aber so darf man die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht eben nicht lesen, ohne die dahinter liegende Auslegungsmethodik bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung zu verfehlen - und dass diese Methodik hier im Forum wiederkehrend grundsätzlich und nicht selten grundlegend verfehlt wird, hat damit zu tun, dass man sie ohne hinreichende Beschäftigung mit juristischer Auslegung gar nicht bemerken kann oder nicht bemerkt. Nehmen wir also mal die Passage, um die es geht, und legen sie aus, ohne dass das hier wie gesagt erschöpfend geschehen könnte. Denn dazu müsste man nun einen umfangreicheren fachwissenschaftlichen Beitrag erarbeiten, was man nicht in wenigen Minuten (oder Stunden) erreichen kann, sondern in der Regel zeitlich eher in Wochen zu messen ist.

Am Ende einer umfassenden Betrachtung der kalten Unterkunftskosten, die mit der Randnummer 55 einsetzt und die ab da als Ganzes zu betrachten ist und es also zu durchdringen gilt, stellt das Bundesverfassungsgericht in der Begründung der aktuellen Entscheidung in den Randnummern 60 f. unter der methodischen Stufengliederung  C. I. 2. e) bb) (3) (c) (dd) folgende Gründe aus:

"Anders als die Regierung des Saarlandes in ihrer Stellungnahme ausführt, kann der Dienstherr nicht erwarten, dass Beamte der untersten Besoldungsgruppe ihren Wohnsitz 'amtsangemessen' in dem Ort wählen, der landesweit die niedrigsten Wohnkosten aufweist. Diese Überlegung entfernt sich unzulässig vom Grundsicherungsrecht, das die freie Wohnortwahl gewährleistet, insbesondere auch den Umzug in den Vergleichsraum mit den höchsten Wohnkosten. Unabhängig davon dürfen Beamte weder ihre Dienststelle noch ihren Wohnort beliebig wählen. Der Bestimmung der Dienststelle durch den Dienstherrn können nur schwerwiegende persönliche Gründe oder außergewöhnliche Härten entgegengehalten werden (vgl. Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, § 28 Rn. 76 <November 2009> m.w.N.). Die Beamten sind zudem auch ohne ausdrückliche Anordnung einer Residenzpflicht verpflichtet, ihre Wohnung so zu nehmen, dass die ordnungsmäßige Wahrnehmung ihrer Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt wird (vgl. § 72 Abs. 1 BBG sowie § 69 LBesG BE).

Der Besoldungsgesetzgeber ist allerdings nicht verpflichtet, die Mindestbesoldung eines Beamten oder Richters auch dann an den regionalen Höchstwerten auszurichten, wenn dieser hiervon gar nicht betroffen ist. Der Gesetzgeber muss nicht pauschalieren, sondern kann den maßgeblichen Bedarf individuell oder gruppenbezogen erfassen (vgl. BVerfGE 87, 153 <172>). Insbesondere ist er frei, Besoldungsbestandteile an die regionalen Lebenshaltungskosten anzuknüpfen, etwa durch (Wieder-)Einführung eines an den örtlichen Wohnkosten orientierten (Orts-)Zuschlags (vgl. hierzu BVerfGE 117, 330 <345 ff.>), wie es derzeit regelmäßig bei einer Auslandsverwendung (vgl. § 1b Abs. 1 Nr. 1 LBesG BE i.V.m. § 52 Abs. 1 BBesG i.d.F. vom 6. August 2002) und teilweise auch innerhalb eines Landes (vgl. Art. 94 BayBesG) praktiziert wird. Eine an Wohnsitz oder Dienstort anknüpfende Abstufung ist mit dem Alimentationsprinzip vereinbar, sofern sie sich vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen lässt (vgl. BVerfGE 107, 218 <238, 243 ff.>; 117, 330 <350 f.>). Mit den Mietenstufen des Wohngeldgesetzes, denen alle Kommunen entsprechend den örtlichen Verhältnissen des Mietwohnungsmarktes zugeordnet sind, stünde ein leicht zu handhabendes Kriterium bereit."

Will man diese Passage der Entscheidungsbegründung nun sachlich hinreichend durchdringen, muss man sie zunächst einmal zusammenfassen. In der sich anschließenden Interpretation darf man dann insbesondere nicht die weiteren Verweise in runden Klammern ignorieren, in denen das Bundesverfassungsgericht mit Rückgriff auf die amtliche Sammlung seiner Entscheidungen (BVerfGE) die aktuelle Begründung in seine bisherige Rechtsprechung einordnet, um so den Platz der jeweiligen konkreten Entscheidungsbegründung in der ggf. vorhandenen Dogmatik herausstellen zu können. Geht man so vor, erstellt man am Ende einen Fachbeitrag, der zur Unterstützung der eigenen Argumentation genauso wie das Bundesverfassungsgericht selbst (jenes allerdings gezielt nur in eingeschränkter Form) auf die für die Thematik vorliegende Fachliteratur zurückgreift.

Vollzieht man also ein methodisches Vorgehen, stellt man fest, dass das, was Du im Zitat darlegst, sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sachlich so nicht findet. Ich fasse nun zunächst mal diese Passage überblicksmäßig zusammen, was allein schon eine unstatthafte Vergröberung darstellt, weil ich eben nur überblicksmäßig vorgehe.

I. Zusammenfassung

Die Rn. 60 hebt hinsichtlich der Wohnortswahl von Beamten zunächst das Sonderrechtsverhältnis hervor, dem der Beamte als solcher auch hinsichtlich seiner Unterkunftswahl unterworfen ist und das sein Grundrecht auf Freizügigkeit einschränkt. Innerhalb der hinsichtlich seiner Wohnortswahl eingeschränkten Freizügigkeit darf kein Beamter auf Wohnorte mit niedrigen oder gar niedrigsten Wohnkosten verwiesen werden, sondern hat er das Recht, einen Wohnort mit ggf. auch höchsten Unterkunftskosten zu wählen, solange er mit dieser Wahl weiterhin seinen Dienstgeschäften ordnungsgemäß nachkommen kann. Diese Grundsätze darf der Besoldungsgesetzgeber bei der Betrachtung der kalten Unterkunftskosten im Rahmen des Mindestabstandsgebots nicht unbetrachtet lassen.

Sein Recht besteht hingegen darin, so führt das die Rn. 61 aus, dass er die konkrete Höhe der jeweiligen Unterkunftskosten eines jeden Beamten betrachten und das ebenso auch für wesensgleiche Beamtengruppen gleichheitsgerecht vollziehen darf. Dabei darf er aber nicht außer Acht lassen, dass gegenwärtig auf dem Wohnungsmarkt weiterhin ein erhebliches Preisgefälle für existenznotwendige Aufwendungen gegeben ist, weshalb ein einheitlicher Durchschnittswert die verschiedenen Bedarfsgruppen nicht realitätsgerecht erfasst (vgl. BVerfGE 87, 153 <172>; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/1992/09/ls19920925_2bvl000591.html). Der Besoldungsgesetzgeber kann also die Besoldung von Beamten bspw. durch einen (Orts-)Zuschlag differenzieren und darf dabei analog zum Steuergesetzgeber individuell oder gruppenbezogen vorgehen. Er kann also in einer entsprechenden Besoldungsdifferenzierung an die regionalen Lebenshaltungskosten anknüpfen, denen der jeweilige Beamte oder die jeweilige Beamtengruppe unterliegt, hat dann aber sowohl ein realitätsgerechtes Vorgehen zu garantieren, wie das offensichtlich in zwei von der Begründung in der Rn. 61 genannten Beispielen 2020 der Fall war, als auch den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 zu beachten, also Anlass und Ausmaß der Differenzierung sachgerecht vorzunehmen (BVerfGE 107, 218 <238>; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2003/02/ls20030212_2bvl000300.html), was bedeutet, dass Beamte mit gleichen oder gleichwertigen Ämtern zwar in der Regel gleich zu besolden sind, dies jedoch nicht uneingeschränkt gilt und die Zulässigkeit einer Differenzierung seine Grenze darin findet, ob nach dem Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG ein sachlich gerechtfertigter Grund vorliegt (ebd., Rn. 87), was sich insbesondere auf einmalige Sonderlagen bezieht (ebd., Rn. 88 und 91 ff.) - jene ist heute im gesamten Bundesgebiet nicht mehr gegeben (ebd., Rn. 95) [und nach aktuellen Entscheidungen 20 Jahre später nur umso mehr] - und solange er dabei die Grenzen einer zulässigen Typisierung nicht überschreitet (ebd., Rn. 92). So verstanden hat er nach Maßgabe von Art. 3 Abs. 1 GG durchaus das Recht, aus der Vielzahl der Lebenssachverhalte die Tatbestandsmerkmale auszuwählen, die für die Gleich- oder Ungleichbehandlung maßgebend sein sollen; ihm muss dabei ebenso zugestanden werden, auch das gesamte Besoldungsgefüge und übergreifende Gesichtspunkte in den Blick zu nehmen (BVerfGE 117, 330 <350 f.>).

II. Interpretation

Auf Grundlage dieser Betrachtungen, die für den Besoldungsgesetzgeber bindend sind, führt der Senat schließlich aus, dass ihm - dem Besoldungsgesetzgeber - mit den Mietenstufen des Wohngeldgesetzes, denen alle Kommunen entsprechend den örtlichen Verhältnissen des Mietwohnungsmarktes zugeordnet sind, ein leicht zu handhabendes Kriterium zur Besoldunfsdifferenzierung bereitstehen würde.

Und worin ist nun Deine Zusammenfassung nicht korrekt? Sie zeigt sich in der auch von Bayern und NRW nicht sachgerechten Übertragung, dass "der (Wieder-)Einführung von Ortszuschlägen gestaffelt nach Mietstufen" durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht nichts im Wege stehen sollte (Hervorhebung durch mich).

Denn eine solche Staffelung lässt sich den Darlegungen des Bundesverfassungsgerichts nicht entnehmen, das vielmehr am Ende seiner Begründung nur feststellt: "Mit den Mietenstufen des Wohngeldgesetzes, denen alle Kommunen entsprechend den örtlichen Verhältnissen des Mietwohnungsmarktes zugeordnet sind, stünde ein leicht zu handhabendes Kriterium bereit."

Das Bundesverfassungsgericht sagt also hier nichts zu einer Staffelung, sondern hebt nur die Mietenstufen des Wohngeldgesetzes als ein leicht zu handhabendes Kriterium hervor, ohne eine Aussage zu dessen konkreten Anwendung und also auch keine zu einer Staffelung zu machen. Es lässt dabei zugleich offen, ob es weitere handhabbare Instrumente gibt, was aber offensichtlich nicht zuletzt durch dieses Offenlassen möglich sein dürfte.

Diese Konkretisierung und ggf. eine Staffelung, die sich an jenem leicht zu händelnden Kriterium orientiert, haben nun also die in den letzten Absätzen zusammengefassten Entscheidungsbegründungen nachzuvollziehen und dürfen dabei zugleich nicht vergessen, dass der Zweite Senat an einer weiteren Stelle seiner Begründung hervorgehoben hat, dass jene Mietenstufen des Wohngeldgesetzes per se nicht dazu geeignet seien, das Maß einer Mindestalimentation zu bemessen, da hier "nach Fallzahlen gewichtete Durchschnittswert zugrunde gelegt" werden würden (vgl. in der aktuellen Entscheidung die Rn. 56; Hervorhebung durch mich). Daran schließen nun die Rn. 60 f. gezielt an, indem sie eingangs der Rn. 61 über den Verweis auf die "Mindestbesoldung" den direkten Bezug zur Besoldungsdifferenzierung herstellt und dabei im Rückgriff auf BVerfGE 87, 153 (172) ebenso hervorhebt, dass gegenwärtig auf dem Wohnungsmarkt weiterhin ein erhebliches Preisgefälle für existenznotwendige Aufwendungen gegeben ist, weshalb ein einheitlicher Durchschnittswert die verschiedenen Bedarfsgruppen nicht realitätsgerecht erfasst. Damit wird zunächst einmal festgehalten, dass die konkreten Mietenstufe ihrer Höhe nach ungeeignet wären, um die Mindestalimentation zu bemessen, da sie keine realitätsgerechte Betrachtung zulassen würden. In der Rn. 56 mündet dieser Zusammenhang in dem Verdikt: Die "angemessene Alimentation muss durch das Beamtengehalt selbst gewahrt werden"; der Besoldungsgesetzgeber könne sich "seiner aus dem Alimentationsprinzip ergebenden Verpflichtung aber nicht mit Blick auf Sozialleistungsansprüche entledigen".

Auch unter diesem Bezug stünde nun mit "den Mietenstufen des Wohngeldgesetzes, denen alle Kommunen entsprechend den örtlichen Verhältnissen des Mietwohnungsmarktes zugeordnet sind, [...] ein leicht zu handhabendes Kriterium bereit". Dies hätte darüber hinaus neben dem ungeeigneten Charakter der jeweiligen Höhe der einzelnen Mietenstufe weiterhin zu beachten, was der Zweite Senat bindend hinsichtlich des allgemeinen Gleichheitssatzes sagt. Er stellt nun hinsichtlich der Höhe eines wieder eingeführten (Orts-)Zuschlags zunächst fest, dass dieser an die regionalen Lebenshaltungskosten anzuknüpfen hätte, die also nicht anhand von Durchschnittswerten zu betrachten, sondern realitätsgerecht in den Blick zu nehmen wären, um so individuell oder gruppenbezogen einen sachgerechten Betrag zu gewähren. Der Besoldungsgesetzgeber sieht sich also, sofern er einen (Orts)Zuschlag neu einführen will, zunächst einmal auch hier gezwungen, die regionalen Lebenshaltungskosten - also hier: die jeweiligen kalten Unterkunftskosten - realitätsgerecht zu betrachten, ohne dabei aber auf die Durchschnittswerte der Mietenstufen zurückgreifen zu können, da sie sich als nicht realitätsgerecht darstellen.

Und damit bleibt die Frage nach einer möglichen Staffelung eines solchen (Orts-)Zuschlags, zu dem das Bundesverfassungsgericht wie gezeigt keine Aussagen macht, die also - sofern der Besoldungsgesetzgeber eine solche Staffelung vornehmen wollte - sachgerecht zu begründen wäre, ohne dass sich eine solche Staffelung explizit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnehmen ließe. Dabei hat er wie oben zusammengefasst durchaus das Recht zur Besoldungsifferenzierung, solange er dabei die Grenzen einer zulässigen Typisierung nicht überschreitet. So verstanden hat er nach Maßgabe von Art. 3 Abs. 1 GG durchaus das Recht, aus der Vielzahl der Lebenssachverhalte die Tatbestandsmerkmale auszuwählen, die für die Gleich- oder Ungleichbehandlung maßgebend sein sollen und muss ihm dabei ebenso zugestanden werden, auch das gesamte Besoldungsgefüge und übergreifende Gesichtspunkte in den Blick nehmen zu können. Er darf dabei aber unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht die Grenzen einer zulässigen Typisierung überschreitet, was bedeutet, dass Beamte mit gleichen oder gleichwertigen Ämtern in der Regel gleich zu besolden sind, was bedeutet, dass auch bei der Bemessung von neu einzuführenden (Ort-)Zuschlägen am Ende immer das Amt der maßgebliche Bezugspunkt bleiben muss, womit wir wieder bei dem wären, was ich gestern im Hinblick auf weitere Zulagen geschrieben habe, nämlich dass sich von der Höhe her regional stark gespreizte (Orts-)Zulagen sachlich nicht rechtfertigen lassen, da hier ein doppeltes Abgrenzungsproblem gegeben ist:

- Zunächst einmal sind auch die Wohnkosten wie die Lebenshaltungskosten des Beamten als solche aus seiner Grundbesoldung zu begleichen. Der Lebensstandard des Beamten vollzieht sich dabei amtsangemessen nach der Wertigkeit seines Amtes. Von ihrer Höhe her stark unterschiedliche (Orts-)Zuschläge, die diesen Unterschied verwischen, sind entsprechend nicht mit dem Alimentationsprinzip vereinbar. Der Lebensstandard des Beamten mit bis zu zwei Kindern ist weiterhin vor allem aus dem Grundgehalt zu vollziehen.

- Darüber hinaus findet die Orientierung an den sieben Mietenstufen des Wohngeldgesetzes ihre Grenze darin, dass Regionen mit deutlich unterschiedlichen Mietenstufen direkt aneinander grenzen. Damit aber bleiben die Mietenstufen auch hier ungeeignet, realitätsgerechte Abgrenzungen der tatsächlichen Unterkunftskosten abzubilden. Denn ggf. finden sich im Grenzbereich zwischen zwei Kreisen mit deutlich unterschiedlichen Mietenstufen tatsächlich kaum wirklich unterschiedliche Unterkunftskosten, was zur Folge hat, dass eine solche Anknüpfung an die Mietenstufen Beamten, die dasselbe Amt bekleiden, ggf. deutlich unterschiedlich besoldeten, worin sich dann wie oben dargelegt der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 zeigte.

Der langen Rede kurzer Sinn: Es ist dem Besoldungsgesetzgeber seit jeher gestattet, (Orts-)Zuschläge zu gewähren - diese können aber ihrer Höhe nach einen nur weitgehend geringen Anteil am Besoldungsniveau ausmachen, sodass mit ihnen nur eine recht geringe Besoldungsdifferenzierung möglich ist - und zwar anders, als das bspw. Bayern oder NRW vollziehen. Etwas anders ist der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu entnehmen, was - das darf man voraussetzen - auch den Juristen in den Dienstrechtsministerien von Bund und Ländern klar ist, ohne dass sie sich gegen den politischen Willen durchsetzen könnten, mit sachlich nicht zu rechtfertigenden Höhen von Zuschlägen das Alimentationsprinzip zu einer Art sozialrechtlichem Bedarfsprinzip zu verkürzen, das sich vor der Verfassung sachlich nicht rechtfertigen lässt.
« Last Edit: 30.03.2024 07:28 von SwenTanortsch »

PolareuD

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« Antwort #11621 am: 30.03.2024 08:29 »
Vielen Dank, Swen, für deine Ausführungen. Ich stelle für mich fest, dass mein Prozess des Verständnisses der Thematik immer noch nicht abgeschlossen ist.

Anbei nochmals ein Beleg für eine unzulässige Ungleichbehandlung:

https://www.sueddeutsche.de/muenchen/landkreismuenchen/taufkirchen-wohngeld-beamtenbesoldung-resolution-1.6090199

BVerfGBeliever

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« Antwort #11622 am: 30.03.2024 10:02 »
@Swen, auch von meiner Seite vielen Dank, dass du dich trotz Terminen auch weiterhin "um uns" kümmerst.  :)

Ansonsten denke und hoffe ich, dass das BVerfG demnächst für mehr Klarheit sorgen wird (angesichts der zum Teil unvorhergesehenen Entwicklungen seit dem letzten Urteil von Mai 2020). Zwei kurze Beispiele:

1.) Im 2 BvL 4/18 Beschluss steht in der Tat in Rn. 47 ein kurzer Verweis auf die Zuschläge für das erste und zweite Kind.
-> ABER: Eine substanzielle Erhöhung dieser Kinderzuschläge stünde nach meinem Verständnis in direktem Widerspruch zu der mehrfach an anderer Stelle eindeutig formulierten Forderung, dass die Höhe der Besoldung die "Wertigkeit des Amtes" (Rn. 43) sowie die "besondere Qualität und Verantwortung eines Amtsträgers" (Rn. 87) widerspiegeln muss.

2.) In 2 BvL 4/18 schreibt das BVerfG unter anderem in Rn. 72, dass dem Grundsicherungsniveau die "Nettoalimentation, die einer vierköpfigen Familie auf Grundlage der untersten Besoldungsgruppe zur Verfügung steht", gegenüberzustellen ist.
-> Die Tatsache, dass seit dem 2020er-Urteil diverse Besoldungsgesetzgeber einfach fröhlich die untersten Besoldungsgruppen und -stufen gestrichen haben (um formal den Abstand zur Grundsicherung zu erhöhen), war mit Sicherheit nicht im Sinne des ErfindersBVerfG und wird möglicherweise in den anstehenden BVerfG-Entscheidungen entsprechend adressiert werden..
« Last Edit: 30.03.2024 10:13 von BVerfGBeliever »

lotsch

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« Antwort #11623 am: 30.03.2024 10:15 »
Wie immer ein sehr interessanter Beitrag von dir, Swen, der mich auch oft zum Nachforschen anregt.
https://www.jura.fu-berlin.de/fachbereich/einrichtungen/oeffentliches-recht/lehrende/heintzenm/veranstaltungen/archiv/0304ss/v_vertiefung_grundrechte/1706FallArt_3Nr_1.pdf
Dabei bin ich auf diesen Artikel gestoßen, der die Verhältnismäßigkeitsprüfung des BVerfG behandelt. Demnach hat das BVerfG seine Rechtsprechung hierzu noch einmal verschärft oder konkretisiert, von der Willkürformel zur Verhältnismäßigkeitsformel, und auch die Befugnis des Gesetzgebers zur Typisierung wurde betrachtet. "Eine strengere Verhältnismäßigkeitsprüfung findet bei einer Ungleichbehandlung verschiedener Personengruppen statt, bei einer Ungleichbehandlung verschiedener Sachgruppen bleibt es bei der Willkürformel." Da es sich um Personengruppen handelt, z.B. Beamte in verschiedenen Ortszuschlagsgruppen, oder auch verheiratete und unverheiratete Beamte, dürfte m.E. jeweils die strengere Verhältnismäßigkeitsprüfung angewendet werden.
Jetzt wäre natürlich interessant, was das BVerfG als noch verhältnismäßig ansieht, aber dass einige Gesetzesregelungen, wie z.B. die fiktive Anrechnung von 20.000 € Partnereinkommen in Bayern nicht verhältnismäßig ist, scheint mir eindeutig.

BVerfGBeliever

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #11624 am: 30.03.2024 10:56 »
[Kurzer Nachtrag]

Der DRB ordnet den diskutierten Hinweis aus dem BVerfG-Urteil zu einer etwaigen Anhebung der Familienzuschläge in seiner Stellungnahme zum 2023er BBVAngG-Entwurf aus meiner Sicht sehr gut ein:

- "Der Entwurf stützt sich dabei auf den Hinweis in Rn. 49 des Beschlusses von 2020 (BVerfGE 155, 1), wonach zur Herstellung einer verfassungsgemäßen Besoldung neben der Anhebung der Grundgehaltssätze und Veränderungen im Beihilferecht insbesondere auch eine Anhebung des Familienzuschlags in Betracht komme."
- "Gewiss verbietet es sich, Hinweise des Bundesverfassungsgerichts zu ignorieren. Allerdings birgt es erhebliche verfassungsrechtliche Risiken, die gesamte Besoldungsneuregelung auf einen nicht tragenden Entscheidungsteil zu stützen und ihm so ein Gewicht zu verleihen, das ihm nicht zukommt. Vor allem aber ist dem Hinweis nicht etwa – wie der Entwurf das tut – zu entnehmen, dass bloße Änderungen der familienbezogenen Leistungen und der Beihilfeleistungen schon für sich genommen ausreichen, um eine verfassungsgemäße Besoldung über die gesamte Tabelle hinweg herbeizuführen."
- "Diese Interpretation ist deutlich zu kurz gegriffen und erst recht nicht geeignet, eine grundlegende Neustrukturierung der Besoldung der hier in Rede stehenden Art zu rechtfertigen, denn sie kollidiert mit weiteren hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums wie der Besoldung nach Maßgabe des ausgeübten Amtes und der Leistungsbezogenheit der Besoldung."
- "Das Bundesverfassungsgericht hat denn auch im selben Absatz unter Rn. 49 ausgeführt, dass eine Anhebung der Tabellenbesoldung umso notwendiger ist, je mehr Tabellenfelder von dem Verstoß gegen das Alimentationsprinzip betroffen sind. Diese Vorgabe bleibt letztlich unbeachtet."

(Seite 21, https://www.drb.de/positionen/stellungnahmen/stellungnahme/news/5-2023)