Beamte und Soldaten > Beamte des Bundes und Soldaten

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)

<< < (2690/3424) > >>

SwenTanortsch:
Gern geschehen, Knecht, und zugleich bringst Du es, wie ich finde, am eigenen Beispiel anschaulich auf den Punkt, Ge. Im Gefolge der Deutschen Einheit, die wir alle gewollt haben und die für mich weiterhin hinsichtlich der von mir erlebten politischen Entwicklungen einer der größten Glücksfälle meines Lebens war und ist - nicht zuletzt, weil ich eine über dreißigjährige Periode von Frieden erleben durfte mit allen damit verbundenen Vorteilen für jedes menschliche Leben -, mussten ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre alle Bundesbürger durchschnittlich Reallohneinbußen hinnehmen, weshalb es für das Bundesverfassungsgericht der damaligen Zeit unter Gleichheitsgesichtspunkten sachgerecht begründbar war, dass auch Richter und Beamte Einschnitte in ihre Alimentation erleben mussten. Allerdings - das haben die 15-jährigen Betrachtungen der Zeiträume ergeben, die seit 2015 regelmäßig auf der ersten Prüfungsstufe vollzogen werden müssen - sind die Richter und Beamten ab der zweiten Hälfte der 2000er Jahre nicht gleichermaßen an den Reallohnentwicklungen in der privaten Wirtschaft beteiligt worden, so wie sie seit spätestens 2021 im besonderen Maße von der Wirtschaftskrise betroffen sind, da seitdem die leistungsbezogenen Besoldungsbestandteile offensichtlich in einem hohen Maße nicht im durchschnittlichen Rahmen angehoben worden sind. Darüber hinaus lässt sich zeigen, dass zuvor eine schleichende Abkopplung der Gehälter von Richtern und Beamten ab etwa der Mitte der 1970er Jahre (wohl etwa im Gefolge des Ölpreisschocks des Jahres 1973, ggf. auch schon im Gefolge der ersten Nachkriegsrezession im Jahre 1967) von der durchschnittlichen Nominallohnentwicklung zu verzeichnen war; noch bis in die Mitte der 1960er Jahre hatten sich die Gehaltssteigerungen von Richtern und Beamten ziemlich genau im Durchschnitt der allgemeinen Entwicklungen bewegt. Schließlich wäre noch die wiederkehrende Abschmelzung der Alimentation höherer Gehälter im Vergleich zu niedrigeren Gehältern ab den 2000er Jahren in den Blick zu nehmen, auf die Ge ebenfalls zurecht hinweist, was ein zentraler Grund dafür war, dass das Bundesverfassungsgericht das Abstandsgebot zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen 2017 als hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums eingeführt und es bereits 2015 ein indizielles Verfahren zur entsprechenden Prüfung in das dem Besoldungsgesetzgeber auferlegten "Pflichtenheft" entwickelt hat.

Zusammengefasst finden wir also, beginnend vermutlich in den endenden 1960er oder beginnenden 1970er Jahren, eine zunächst schleichende und zunächst im geringeren Maße vollzogene Abschmelzung der Nettoalimentation gegenüber der allgemeinen Lohnentwicklung wieder, die in den 1990er Jahren dann verstetigt und in einem deutlich größeren Maße vorangetrieben wurde - spätestens ab jetzt sollte man von einem wiederkehrend nicht mehr sachlich zu rechtfertigenden "Sonderopfer" sprechen können, auf die das Bundesverfassungsgericht in der für verfassungsgerichtliche Entscheidungen in der Welt typischen Zeitverzögerung ab 2007/12 reagiert hat - und nach einer kurzen Abschwächung in der zweiten Hälfte der 2010er Jahren seit den 2020er Jahre für große Teile der Richter und Beamten noch einmal im gewaltigen Maße fortgeführt worden ist, da seitdem der Leistungsgrundsatz in einem gehörigen Maße von den Besoldungsgesetzgebern beschädigt wird.

So in etwa kann man mit wenigen Strichen die Entwicklung der letzten 50 bis 55 Jahre skizzieren - in diesem Rahmen ist das zu verstehen, was ich gestern am späteren Abend geschrieben habe. Wir finden so verstanden mehrere historische "Sollbruchstellen" vor, die ihre stärkste Entwicklung, so vermute ich begründbar, erst nach den letzten beiden Entscheidungen aus dem Jahr 2020 genommen hat. Das wird - spätestens ab 2022, als dieser Prozess mehr und mehr sichtbar wurde - auch der Zweite Senat so sehen, was nur umso mehr dazu geführt haben wird, dass es seitdem zur Verzögerung der an sich ab 2022 geplanten Entscheidungen gekommen ist, wie das an anderer Stelle in den letzten Tagen skizziert worden ist.

Dabei wird das Bundesverfassungsgericht sich nicht dem Handeln anderer Verfassungsorgane in Bund und Ländern anschließen, sondern - was für Berlin ebenfalls in der letzten Zeit an anderer Stelle dargelegt worden ist - nun die volle Härte der ihm zur Verfügung stehenden Mittel ausspielen und also im penibel Rahmen des BVerfGG handeln, um dabei das, was ich gestern hinsichtlich der in die Zukunft wirkenden Folgen bundesverfassungsgerichtlicher Judikate geschrieben habe, mit dem Maß der in den letzten Jahre vollzogenen Verfassungsbrüche zu vermitteln, was heißt, dass komplexe Abwägungsentscheidungen vom Bundesverfassungsgericht zu treffen sein werden, womit wir den m.E. zentralen Grund vorfinden, wieso seit 2022 keine der seitdem angekündigten Entscheidungen getroffen worden sind und weshalb das Bundesverfassungsgericht im Herbst 2023 davon abgesehen haben wird, zunächst für Niedersachsen und ggf. Schleswig-Holstein ein "verfassungsrechtliches Faustpfand" zu bilden, sondern für 2024 mehr oder minder deutlich die Vollstreckungsanordnung für Berlin in Aussicht zu stellen, um so - anders ließe sich für mich die Umentscheidung weder erklären noch sachlich rechtfertigen - nun mit der Ultima Ratio und in Angesicht, dass danach zehn weitere Besoldungsgesetzgeber zu betrachten sein werden, den Besoldungsgesetzgeber, ausgehend erneut vom Berliner Abgeordnetenhaus, gehörige Denksportaufgaben zu stellen, die sich danach in noch immer höhere juristische Mathematik aufschwingen würden, sofern sich die 17 Besoldungsgesetzgeber nach den angekündigten und nach den bzw. während der weiteren über 50 Entscheidungen, zu denen in den nächsten Jahren als Folge der derzeit laufenden Verfahren noch einige hinzukommen werden, weiterhin meinten in der Lage zu sehen, sich hinsichtlich der ihren Richtern und Beamten zu gewährenden amtsangemessenen Alimentation nicht wieder in den Rahmen unserer Verfassung zurückbewegen zu wollen.

Dieser Prozess des gezwungenermaßen Zurückbewegens in die Grenzen des Alimentationsprinzips wird also von nach den angekündigten Entscheidungen regelmäßig fortgesetzten bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen und ggf. von gehörigen Debatten in der politischen Klasse begleitet werden. Er wird aber so schnell nicht mehr enden, auch wenn sich das mancher hier im und auch außerhalb des Forums heute als Folge dessen, was ich eingangs im kurzen historischen Exkurs skizziert habe, kaum vorstellen kann. Es kommen andere Zeiten auf uns zu, die nicht sogleich mit lichten Sonnenschein allüberall einsetzen werden, Knecht, aber anders werden sie ab spätestens dem beginnenden nächsten Jahr werden. Die Friedhofsruhe der letzten mittlerweile vier Jahre und damit der mit ihr einhergehende Frust werden alsbald enden - schauen wir also mal, was dann geschieht.

GeBeamter:

--- Zitat von: Knecht am 17.08.2024 06:29 ---@GeBeamter

Spannend zu lesen. Aber ich sag's mal so: irgendwo muss das nicht gerade weniger Geld ja hingehen?! Wenn man schon in der Konstellation solche Probleme hat (von der ich/wir weit entfernt sind), frage ich mich, wie ich einigermaßen (m)einen vernünftigen Standard aufrecht erhalten. Und ja, ich wohne zum Glück und bewusst nicht im Ballungsgebiet (trotzdem in einer nicht gerade günstigen und guten Gegend), aber das macht bei dir ja nun offenbar auch nicht das Meiste aus. Da fragt man sich schon, wie Leute im md, oder gar ed dort überleben...

--- End quote ---


Das wundert mich auch. Ich versuche mich einmal an einer Antwort. In meiner Behörde wird seit über fünfzehn Jahren gar kein einfacher Dienst mehr neu eingestellt. Man darf also davon ausgehen, dass die vorhandenen eDler älteren Semesters sind. Tatsächlich haben die häufig bereits ihre Schäfchen im trockenen. Habe ich kein Haus mehr abzubezahlen und es vor allem nicht zu den Preisen von vor 2-6 Jahren kaufen müssen, sieht die Welt schon anders aus. Habe ich dann noch keine Kinder in einer Kita, Stunde auch schon einmal jeden Monat 400-700€ je nach Zahl der Kinder und Satzung der Kommune mehr im Sackerl.
Im mDienst sieht es bei uns ähnlich aus. Dort gibt es, weil wir Fachkräfte für Bürokommunikation ausbilden aber tatsächlich auch junge Kolleginnen und Kollegen. Schaut man im Detail hin, ergeben sich meiner Wahrnehmung nach folgende Konstellationen. Es wird teils auch nach Übernahme im Anschluss an die Ausbildung zu Hause gewohnt. Soll dieser Zustand absehbar enden, wird der Aufstieg in den gD durch ein entsprechendes, berufsbegleitendes FH-Studium probiert. Wir haben deshalb massiv Probleme die Vorzimmer von Leitungsbeamten mit Personal zu besetzen. Bleiben Leute erst einmal im mD, dann gibt es bei uns Konstellationen, wo der oder die MDlerin nur das "Zubrot" im Familieneinkommen ausmacht. Es gibt aber auch Kolleginnen und Kollegen, die nach Dienstschluss oder am Wochenende noch dazuverdienen müssen, z.B. durch Regaleeinräumen im Supermarkt.
In meiner Konstellation habe ich ja geschrieben, dass wir ein paar tausend Euro pro Jahr sparen können. Davon müssen dann aber Urlaube oder Reperaturen an Haushaltsgeräten und Auto noch geleistet werden. Müssten wir privat Vorsorgen (mögen höhere Nächte bewahren, dass der Dienstherr das auch noch versucht), wäre dafür regelmäßig kaum etwas übrig. In der Spitze haben wir zwei Jahre lang fast 800€ für die Kita für zwei Kinder bezahlt - jeden Monat. Weil unsere Kommune pleite ist und eine zwanzig Jahre alte Beitragssatzung hatte, die A13/A14 für ein fürstliches Gehalt hält. Ich wohne übrigens nicht freiwillig im Ballungsgebiet. Aber hier ist meine Dienststelle und die Preise sind im Umkreis von 50km überall so hoch. Ich nehme ohnehin schon 45min pendeln zur Dienststelle in Kauf. Das macht hier in der Region aber kaum etwas an den Wohnkosten. Auch auf dem Land haben die Preise angezogen, weil Wohnraumangebot und Nachfrage auseinander gehen. Und hier um meine Dienststelle herum gibt es leider kein strukturschwaches Gebiet, wo man noch günstig an ausreichenden Wohnraum kommt (so wie in weiten Teilen Ostdeutschlands, Hunsrück, ...).

cyrix42:

--- Zitat von: GeBeamter am 17.08.2024 09:21 --- Weil unsere Kommune pleite ist und eine zwanzig Jahre alte Beitragssatzung hatte, die A13/A14 für ein fürstliches Gehalt hält.

--- End quote ---

Ist es ja auch. A14+A12 (Vollzeit) sollte irgendwo im Bereich um 100k€ Netto-Einkommen herauskommen. Bei einer 4K-Familie (2 Erwachsene + 2 Kinder) wäre das ein Nettoäquivalenz-Einkommen von ca. 50k€. Der Median liegt derzeit bei etwa 24k€. Entsprechend würde man in dieser Konstellation (>200% des Median-Äquivalenzeinkommens) nach gängiger Definition als einkommens-reich zählen. Oder anders formuliert: Der Hälfte der Familien steht weniger als die Hälfte dessen zur Verfügung, worüber sich hier beklagt wird...

AlxN:
Nach dem Lesen dieses Posts bin ich umso mehr gespannt auf die kommenden Entscheidungen, wobei sich sogar ein positiver Beigeschmack feststellen lässt.

Danke dafür!

lotsch:
ohne Kommentar:

Staatsdiener
:
Gut versorgt bis ans Ende
16. August 2024, 17:04 Uhr
https://www.sueddeutsche.de/politik/rente-rentenreform-beamte-pensionen-lux.Q1TzJDYdLGcQTpKEDYrdYA

Navigation

[0] Message Index

[#] Next page

[*] Previous page

Go to full version