Der Supreme Court in den USA folgt vielfach anderen Methoden der Rechtsauslegung und kommt doch grundlegend anders zu seiner Rechtsprechung als das Bundesverfassungsgericht. Insofern ist er allein deshalb für politische Einflussnahme deutlich empfänglicher, als es unsere obersten Gerichte sind.
Dass am Ende das Abtreibungsgebot fiel, war insofern nicht überraschend, weil die US-Verfassung nichts über Abtreibung sagt und die Rechtsauslegung in den USA nun einmal die ist "wir legen die Verfassung so aus, wie es die Schreiber dieser Verfassung damals wollten" und nicht (wie bei uns) "wir legen die Verfassung so aus, wie die Schreiber dieser Verfassung das heutzutage tun würden".
Hier finden wir einen zentralen methodischen Unterschied zwischen der kontinentaleuropäisch dominierenden Form der methodischen gerichtlichen Rechtsauslegung und dem sog. Originalismus in den USA als eine der maßgeblichen Rechtsschulen, die sich zum Ziel setzt, die Verfassung aus den Augen der Gründungsväter zu interpretieren. Nimmt man nun die klassischen Auslegungsmethoden zur Grundlage - sie lassen sich in vier Methoden zusammenfassen, die in ihrer je eigenen Notwendigkeit auch vom Bundesverfassungsgericht jeweils herangezogen und also auf den jeweiligen Fall angewendet werden, nämlich: in die grammatische, systematische, historische und teleologische Auslegung -, dann muss man zwangsläufig zu ganz anderen Ergebnissen gelangen als ein Originalist. Denn dessen Auslegung bietet in der Interpretation für sehr viel mehr politische Grundannahmen und Einflussmöglichkeiten Einfalltore als die gerade genannten vier Auslegungsmethoden, die sich in der Kontrolle eigener Sichtweisen darüber hinaus ergänzen. Der Originalismus hat zum Ziel, möglichst "unpolitische" Entscheidungen zu treffen und führt im Gefolge des wiederkehrend "luftleeren" Raums, aus dem heraus er praktiziert wird - hinsichtlich von gesellschaftlichen Entwicklungen, die die Verfassungsväter nicht kannten, sind konkrete Aussagen weder der Verfassung noch den historischen Quellen zu entnehmen - regelmäßig zu stark aus politischen Ansichten heraus vollzogenen Entscheidungen.
Darüber hinaus sind die Senate des Bundesverfassungsgerichts auch formell so gestaltet, dass sie jeweils gemeinsam zu einer Entscheidung kommen müssen, finden wir also eine lange währende Tradition gemeinsamer Beratung sowohl der jeweiligen Entscheidung als auch ihrer Begründung vor, wobei hier Einstimmigkeit durchaus als positive Grundlage verstanden wird, was mit zu nicht selten langen Beratungszeiten und also länger auf sich warten lassende Entscheidungen führt. Der Supreme Court kennt hingegen solche gemeinsamen Beratungen in der dem Bundesverfassungsgericht eigenen Form zumeist nicht. Zwar werden Entscheidungen wiederkehrend beraten, jedoch häufig ohne Ziel einer gemeinsam getragenen Entscheidung, sodass abweichende Meinungen vielmehr der Regel- und nicht der Ausnahmefall sind, was sich in der hohen Zahl an Sondervoten zeigt. Auch deshalb ist die Möglichkeit der politischen Einflussnahme hier aus sich heraus bereits deutlich größer: Ein Richter am Bundesverfassungsgericht, der eine politische Agenda verfolgte, würde sich in der Berartung sehr viel schneller und/oder eindeutiger eine argumentativ offene Flanke geben, was so in den USA weder der Fall ist noch als Nachteil betrachtet wird, da der Supreme Court regelmäßig von zwei oder ggf. sogar noch mehr Fraktionen durchzogen ist. Auch das macht seine Rechtsprechung nicht selten zu einem Politikum.
Insofern wird man politische Einflussnahme Dritter in bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen schwerlich finden - davon zu trennen ist, dass die Senate sicherlich die politische Wirkung ihrer Entscheidung mit bedenken. Das dürfte gleichfalls auch im Einzelnen für das Datum einer Entscheidungsveröffentlichung gelten können, insbesondere wenn von ihr eine deutliche Wirkung auf (anstehende) politische Entscheidungen ausgehen könnte. Allerdings werden die Senate sicherlich Entscheidungen nicht über viele Monate oder gar Jahre aus politischen Gründen "aufschieben".
Hinsichtlich der angekündigten Entscheidungen über die bremische und Berliner Besoldung lässt sich feststellen, dass von den acht Richtern, auf die 2020 die letzten beiden Judikate zurückgegangen sind, derzeit noch drei im Amt sind. Der Senat sieht sich aber unabhängig von personellen (Dis-)Kontinuitäten grundsätzlich dazu veranlasst, die jeweils vorliegende Dogmatik zu einem Rechtsgebiet ebenfalls hinreichend heranzuziehen und sie so fortzuentwickeln. Es wäre insofern erstaunlich, wenn nach dem 2012 eingeleiteten Kontinuitätsbruch nun eine Art "Rollback" einsetzte, der sich - deshalb wäre das ersraunlich - sachlich nicht ohne Widersprüche begründen ließe. Entsprechend sollte man das, was BVR Maidowski Ende des letzten Jahres als Berichterstatter ausgeführt hat, ernstnehmen, denke ich, vgl. BVerfG, Beschluss der Beschwerdekammer vom 21. Dezember 2023- Vz 3/23 -,
https://www.bverfg.de/e/vb20231221_vz000323.html, Rn. 8.