Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 3923211 times)

Nautiker1970

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14040 am: 02.09.2024 08:38 »
Eine Einflussnahme von politischen Verantwortungsträgern auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts war seit jeher ausgeschlossen, nachdem sie nach seiner Gründung vonseiten der damaligen Regierung zunächst versucht worden ist, sich das Bundesverfassungsgericht jedoch umgehend den für seine Stellung in der Verfassung notwendigen Respekt verschafft hat, und ist es nicht zuletzt als Folge dessen ebenso auch heute. Die Unabhängigkeit der Richter am Bundesverfassungsgerichts wird von allen demokratischen Parteien in der Bundesrepublik vollumfänglich respektiert, nicht nur, weil das ein überkommener ungeschriebener Verfassungsgrundsatz ist, der gewährleistet, dass man als Opposition eine Möglichkeit hat, verfassungsrechtlich umstrittene Fragen unabhängig und sachlich prüfen zu lassen, was den Parteien zum Vorteil gereicht, sondern auch, da der öffentlich werdende Versuch einer politischen Einflussnahme in den allergrößten Teilen der Bevölkerung zu einem schweren Vertrauensverlust führen müsste, der dieser Partei oder ihrem dafür verantwortlichen Personal letztlich zum Nachteil gerreichen müsste.

Die Richter am Bundesverfassungsgericht stehen in einer lange währenden Tradition, ohne dass es einen für sie sachlichen Grund geben sollte, für politische Einflussnahme empfänglich zu sein oder zu werden. Nicht umsonst sprechen seine Entscheidungen, die wiederkehrend zur Vernichtung von für Regierende wichtigen Normen oder deren Teile führen, sachlich für sich. Eine Motivation, sich politischer Einflussnahme aussetzen zu wollen, ist für mich nicht erkennbar. Worin sollte für sie als jeweiliger Richter der persönliche oder als Verfassungsorgan der jeweils sachliche Vorteil liegen? Das Verfassungsorgan hat alles, was es für seine starke Stellung in der Verfassung benötigt; der einzelne Richter und die einzelne Richterin sind auch nach dem Ende ihrer Zeit am Bundesverfassungsgericht nicht zuletzt als Folge ihrer beruflichen Tätigkeit vor der Ernennung zum Richter am Bundesverfassungsgericht in jeder Hinsicht finanziell abgesichert.

Und trotzdem, wir leben nicht in einer idealen Welt...

https://www.tagesspiegel.de/politik/besuch-der-bundesregierung-in-karlsruhe-die-merkwurdige-unbefangenheit-von-verfassungsrichtern-10767076.html

Malkav

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14041 am: 02.09.2024 08:41 »
Du bist ja sehr optimistisch was den Durchschnittswähler angeht, wenn man bedenkt, dass knapp 50% dümmer sind als der Durchschnitt:

da der öffentlich werdende Versuch einer politischen Einflussnahme in den allergrößten Teilen der Bevölkerung zu einem schweren Vertrauensverlust führen müsste, der dieser Partei oder ihrem dafür verantwortlichen Personal letztlich zum Nachteil gerreichen müsste.

Insbesondere nach gestern Abend bin ich da ein wenig desillusioniert. Man sagt ja immer leichtfertigt: "Der öffentliche Rundfunk und die Beamten sind die Lieblingskinder des BVerfG." Und ich wage zu behaupten, dass (nach einem eventuellen Urteil mit Milliardennachzahlungen für die Beamtenschaft) aus bestimmten politischen Strömungen Frontalangriffe Richtung Karlsruhe gefahren würden, um das BVerfG "sturmreif" zu schießen. Das mag demokratietheoretisch ein Fanal sein, macht nach meinem Dafürhalten aus deren individuellen Machtperspektive durchaus Sinn. Welcher Wähler einer offen rechtsextremen Partei sagt denn: "Grundrechte außer Kraft setzen, Deutsche in das Land Ihrer Großväter remigieren [sic!] und das Volk der Ukraine für billiges Gas zum Abschuss freigeben ist schon in Ordnung. Aber jetzt will diese Partei das BVerfG in seine Schranken weisen, das geht zu weit!"

Erfahrungsgemäß sind wir ja immer 10-20 Jahre hinter den USA her, was politische Entwicklungen betrifft. Wenn ich mir den dortigen SCOTUS ansehe wird mir angst und bange um unser BVerfG. Die dortigen Richter sind aufgrund Ihrer echten Lebzeiternennung wirtschaftlich nochmals wesentlich besser abgesichert als unsere BVR, was deren politischer Hörigkeit jedoch keinen Abbruch tut.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14042 am: 02.09.2024 09:43 »
Unabhängig davon, dass sich die Verfassungsgerichtsbarkeit in weiten Teilen der Welt unter Druck zeigt, würde ich das in anderen Traditionen ausgestaltete Common Law in den USA nicht mit unseren Traditionen gemeinsamer Rechtsfindung in den beiden Kammern des Bundesverfassungsgerichts vergleichen. Der Supreme Court in den USA folgt vielfach anderen Methoden der Rechtsauslegung und kommt doch grundlegend anders zu seiner Rechtsprechung als das Bundesverfassungsgericht. Insofern ist er allein deshalb für politische Einflussnahme deutlich empfänglicher, als es unsere obersten Gerichte sind.

Darüber hinaus ist es eine der Konsequenzen aus dem Scheitern der Weimarer Republik, dass zwischen unseren Verfassungsorganen wiederkehrend Gespräche stattfinden; das dürfte eher eine Stärke als eine Schwäche unserer Demokratie, wie wir sie weiterhin vorfinden, sein, denke ich. Aus wiederkehrend ritualisierten Gesprächsanlässen (politische) Einflussnahme abzuleiten, ist möglich, bleibt aber nach meinem Empfinden und dem, was ich lese, doch eher unwahrscheinlich. Denn dazu sind auch hier die komplexen Checks and Balances zu ausgefeilt; die Methodik der Rechtsauslegung ist da nur einer von vielen Bausteinen.

lotsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14043 am: 02.09.2024 11:08 »
ich hätte mal wieder eine Frage an den absoluten Profi Swen :)

Die Richter vom Bundesverfassungsgericht werden ja zur hälfte vom Bundestag und die andere Hälfte vom Bundesrat gewählt. Es wird ja auch immer die Unabhängigkeit der Richter betont. Aber Verflechtungen gibts immer und überall. Hälst du es für möglich, dass eventuell in irgendeinem Gespräch zwischen Richter und aktueller Ampel (1-2 Politiker) ein Urteil bis zur neuen Regierung oder halt kurz vor Ende des Legislaturperiode hinausgezögert wird - damit die erstmal mit mit nem riesen Problem starten?

Parteipolitisch beeinflusste Entscheidungen des BVerfG schließe ich für mich auch aus. Schon deshalb, weil alle Parteien vertreten sind. Nichtsdestotrotz kann ich mir staatstragende "Manöver" vorstellen. Man kann z.B. das Urteil für die Beamtenbesoldung staatstragend hinauszögern, z.B. um die Staatsfinanzen zu stützen, ohne die bisherige Dogmatik der Rechtsprechung zu verlassen. Das wurde aber hier schon alles ausgiebig diskutiert.

Malkav

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14044 am: 02.09.2024 13:10 »
Hälst du es für möglich, dass eventuell in irgendeinem Gespräch zwischen Richter und aktueller Ampel (1-2 Politiker) ein Urteil bis zur neuen Regierung oder halt kurz vor Ende des Legislaturperiode hinausgezögert wird - damit die erstmal mit mit nem riesen Problem starten?

Das ist ja kein Problem der Ampel, sondern aller Besoldungsgesetzgeber. In den Ländern sind ja alle demokratischen Parteien irgendwo in Regierungsverantwortung, sodass es da Interessengleichheit gibt.

Und die Idee, dass "die Ampel" Einfluss auf das BVerfG hätte, kann man spätestens seit dem KTF-Urteil ins Land der Verschwörungstheorien verbannen. Denn das hatte wesentlich direktere und kurzfristigere negative Effekte auf die politische Handlungsfähigkeit, als es irgendein komplexes Urteil zur Alimentation haben könnte.

KTF-Urteil = Geld unmittelbar weg = Politischer Schmerz

zukünftiges Ali-Urteil = Man muss binnen Jahresfrist ein neues Gesetz machen, welches erstmal wieder viele billige Tricks und Winkelzüge enthalten wird = Politische Gestaltungsspielräume

Bundi

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14045 am: 02.09.2024 13:51 »
Unabhängig davon, dass sich die Verfassungsgerichtsbarkeit in weiten Teilen der Welt unter Druck zeigt, würde ich das in anderen Traditionen ausgestaltete Common Law in den USA nicht mit unseren Traditionen gemeinsamer Rechtsfindung in den beiden Kammern des Bundesverfassungsgerichts vergleichen. Der Supreme Court in den USA folgt vielfach anderen Methoden der Rechtsauslegung und kommt doch grundlegend anders zu seiner Rechtsprechung als das Bundesverfassungsgericht. Insofern ist er allein deshalb für politische Einflussnahme deutlich empfänglicher, als es unsere obersten Gerichte sind.

Darüber hinaus ist es eine der Konsequenzen aus dem Scheitern der Weimarer Republik, dass zwischen unseren Verfassungsorganen wiederkehrend Gespräche stattfinden; das dürfte eher eine Stärke als eine Schwäche unserer Demokratie, wie wir sie weiterhin vorfinden, sein, denke ich. Aus wiederkehrend ritualisierten Gesprächsanlässen (politische) Einflussnahme abzuleiten, ist möglich, bleibt aber nach meinem Empfinden und dem, was ich lese, doch eher unwahrscheinlich. Denn dazu sind auch hier die komplexen Checks and Balances zu ausgefeilt; die Methodik der Rechtsauslegung ist da nur einer von vielen Bausteinen.

Auch wenn ich deine Auffassung der Unabhängigkeit unseres BVerfG teile, so wage ich mir durchaus vorzustellen, dass eine Entscheidung des BVerfg eventuell bewusst verzoegert wird seitens BVerfG.
Eine direkte Einflussnahme unserer politischen Entscheidungsträger auf die Richter schliesse ich auch aus.
Ich kann mir aber sehr wohl vorstellen, dass es aus dem BVerfG selber zumindest Bedenken hinsichtlich eines solchen von uns erwarteten Urteils gibt.
Das BVerfG und dessen Richter leben ja in keinem Paralleluniversum und Sie dürften sich der aktuellen politischen Gemengelage und der Sprengkraft eines entsprechenden Urteils wie du es hier skizziert hast, sehr wohl bewusst sein.
Ich vermag mir durchaus vorzustellen das angesichts der KOnsequenzen eines entsprechenden, von uns allen erhofften Urteils, sowohl haushalterisch als auch politisch die Richter des BVerfG diese Entscheiudung sehr sauber abwägen und ggf auch bewusst hinauszögern um in der derzeitigen politischen Gemengelage, insbesondere nach den Wahlergebnissen im Osten, nicht noch weiteres Oel ins Feuer zu giessen. Dies mag auch aus der Verantwortung des BVerfG für unsere Demokratie und unsere Gesellschaft an sich heraus seine Begründiung finden sollte es denn so sein.
 

bebolus

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14046 am: 02.09.2024 14:14 »

Das BVerfG und dessen Richter leben ja in keinem Paralleluniversum und Sie dürften sich der aktuellen politischen Gemengelage und der Sprengkraft eines entsprechenden Urteils wie du es hier skizziert hast, sehr wohl bewusst sein.

Was würde denn da gesprengt werden..? Und warum ließe sich dass dann sprengen..? In meiner Welt sollen Politker Politik machen und Richter Recht sprechen.

Normalerweise müsste direkt auch gegen die "vorübergehende" Erhöhung der Arbeitszeit geklagt werden.

Warzenharry

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14047 am: 02.09.2024 14:30 »
Sehe ich ähnlich.

Was würde man denn einer neuen Regierung aufbürden, wenn man erst dann so eine "Bombe" zünden würde?
Die aktuelle ist doch sowieso Geschichte, warum also warten?


lotsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14048 am: 02.09.2024 15:36 »

Das BVerfG und dessen Richter leben ja in keinem Paralleluniversum und Sie dürften sich der aktuellen politischen Gemengelage und der Sprengkraft eines entsprechenden Urteils wie du es hier skizziert hast, sehr wohl bewusst sein.

Was würde denn da gesprengt werden..? Und warum ließe sich dass dann sprengen..? In meiner Welt sollen Politker Politik machen und Richter Recht sprechen.

Normalerweise müsste direkt auch gegen die "vorübergehende" Erhöhung der Arbeitszeit geklagt werden.

Keine Chance.

VierBundeslaender

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14049 am: 02.09.2024 17:00 »
Der Supreme Court in den USA folgt vielfach anderen Methoden der Rechtsauslegung und kommt doch grundlegend anders zu seiner Rechtsprechung als das Bundesverfassungsgericht. Insofern ist er allein deshalb für politische Einflussnahme deutlich empfänglicher, als es unsere obersten Gerichte sind.
Ich finde den Supreme Court übrigens (inzwischen) weniger politisch als früher. Was viele vergessen: Das Abtreibungsurteil von 1973 (Roe vs. Wade) war seinerzeit hoch umstritten, weil damals die Linken sehr genau wussten, dass die Südstaaten eine solche Abtreibungsregel nicht wollten. Sie haben dann den Staaten, die in den USA ja sehr weitreichende Kompetenzen haben - extrem viel mehr als unsere Bundesländer - ein politisch motiviertes Urteil vor die Nase gesetzt und die Südstaaten mussten Abtreibungen dann erlauben.

Die Republikaner haben daraufhin beschlossen, systematisch den Obersten Gerichtshof mit Leuten zu besetzen, die die Möglichkeit begrenzen, über Gerichte politische Entscheidungen "durchzusetzen". (Nur zur Klarstellung: Ich bin für das Recht auf Abtreibung. Texas aber nicht.) Dass am Ende das Abtreibungsgebot fiel, war insofern nicht überraschend, weil die US-Verfassung nichts über Abtreibung sagt und die Rechtsauslegung in den USA nun einmal die ist "wir legen die Verfassung so aus, wie es die Schreiber dieser Verfassung damals wollten" und nicht (wie bei uns) "wir legen die Verfassung so aus, wie die Schreiber dieser Verfassung das heutzutage tun würden". 

Man sieht auch an den Urteilen zu Trump, dass sich der Supreme Court einfach aus der Tagespolitik heraushalten will. Auch wenn das nicht jedem gefällt: Das Abtreibungsrecht wäre in jedem amerikanischen Bundesstaat durch ein einfaches Gesetz herzustellen. Die Südstaaten sind nur stock-konservativ, die wollen nicht. Und was eben nicht mehr geht, ist, per Gericht Politik durchzusetzen. Man muss da schon Mehrheiten in den Parlamenten organisieren und wir sehen ja schon an den gestrigen Wahlentscheidungen bei uns, wie schwierig das wird.

Ich vermute, dass man im BVerfG sich auch mal den Haushalt anschaut und fragt: Ging das wirklich mit der Besoldung nicht anders? Musste man unbedingt bei den Beamten sparen oder seid Ihr Parlamentarier nicht den Weg des geringsten Widerstandes gegangen? Und wenn sich herausstellt: "ja, wir hatten keine Nerven uns mit den Unternehmen/Bürgergeldempfängern/Lobbyisten/wemauchimmer anzulegen", dann wird man bei Gericht antworten "dann macht Ihr das jetzt bitte". Weil das eben so Tradition bei Gericht ist, in Ruhe nachzudenken und zu sagen "systematisch bitte, keine Sonderopfer einer Gruppe - wenn schon sparen, dann bitte alle". Also ich bin nach wie vor guten Mutes.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14050 am: 02.09.2024 19:36 »
Der Supreme Court in den USA folgt vielfach anderen Methoden der Rechtsauslegung und kommt doch grundlegend anders zu seiner Rechtsprechung als das Bundesverfassungsgericht. Insofern ist er allein deshalb für politische Einflussnahme deutlich empfänglicher, als es unsere obersten Gerichte sind.


Dass am Ende das Abtreibungsgebot fiel, war insofern nicht überraschend, weil die US-Verfassung nichts über Abtreibung sagt und die Rechtsauslegung in den USA nun einmal die ist "wir legen die Verfassung so aus, wie es die Schreiber dieser Verfassung damals wollten" und nicht (wie bei uns) "wir legen die Verfassung so aus, wie die Schreiber dieser Verfassung das heutzutage tun würden". 


Hier finden wir einen zentralen methodischen Unterschied zwischen der kontinentaleuropäisch dominierenden Form der methodischen gerichtlichen Rechtsauslegung und dem sog. Originalismus in den USA als eine der maßgeblichen Rechtsschulen, die sich zum Ziel setzt, die Verfassung aus den Augen der Gründungsväter zu interpretieren. Nimmt man nun die klassischen Auslegungsmethoden zur Grundlage - sie lassen sich in vier Methoden zusammenfassen, die in ihrer je eigenen Notwendigkeit auch vom Bundesverfassungsgericht jeweils herangezogen und also auf den jeweiligen Fall angewendet werden, nämlich: in die grammatische, systematische, historische und teleologische Auslegung -, dann muss man zwangsläufig zu ganz anderen Ergebnissen gelangen als ein Originalist. Denn dessen Auslegung bietet in der Interpretation für sehr viel mehr politische Grundannahmen und Einflussmöglichkeiten Einfalltore als die gerade genannten vier Auslegungsmethoden, die sich in der Kontrolle eigener Sichtweisen darüber hinaus ergänzen. Der Originalismus hat zum Ziel, möglichst "unpolitische" Entscheidungen zu treffen und führt im Gefolge des wiederkehrend "luftleeren" Raums, aus dem heraus er praktiziert wird - hinsichtlich von gesellschaftlichen Entwicklungen, die die Verfassungsväter nicht kannten, sind konkrete Aussagen weder der Verfassung noch den historischen Quellen zu entnehmen - regelmäßig zu stark aus politischen Ansichten heraus vollzogenen Entscheidungen.

Darüber hinaus sind die Senate des Bundesverfassungsgerichts auch formell so gestaltet, dass sie jeweils gemeinsam zu einer Entscheidung kommen müssen, finden wir also eine lange währende Tradition gemeinsamer Beratung sowohl der jeweiligen Entscheidung als auch ihrer Begründung vor, wobei hier Einstimmigkeit durchaus als positive Grundlage verstanden wird, was mit zu nicht selten langen Beratungszeiten und also länger auf sich warten lassende Entscheidungen führt. Der Supreme Court kennt hingegen solche gemeinsamen Beratungen in der dem Bundesverfassungsgericht eigenen Form zumeist nicht. Zwar werden Entscheidungen wiederkehrend beraten, jedoch häufig ohne Ziel einer gemeinsam getragenen Entscheidung, sodass abweichende Meinungen vielmehr der Regel- und nicht der Ausnahmefall sind, was sich in der hohen Zahl an Sondervoten zeigt. Auch deshalb ist die Möglichkeit der politischen Einflussnahme hier aus sich heraus bereits deutlich größer: Ein Richter am Bundesverfassungsgericht, der eine politische Agenda verfolgte, würde sich in der Berartung sehr viel schneller und/oder eindeutiger eine argumentativ offene Flanke geben, was so in den USA weder der Fall ist noch als Nachteil betrachtet wird, da der Supreme Court regelmäßig von zwei oder ggf. sogar noch mehr Fraktionen durchzogen ist. Auch das macht seine Rechtsprechung nicht selten zu einem Politikum.

Insofern wird man politische Einflussnahme Dritter in bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen schwerlich finden - davon zu trennen ist, dass die Senate sicherlich die politische Wirkung ihrer Entscheidung mit bedenken. Das dürfte gleichfalls auch im Einzelnen für das Datum einer Entscheidungsveröffentlichung gelten können, insbesondere wenn von ihr eine deutliche Wirkung auf (anstehende) politische Entscheidungen ausgehen könnte. Allerdings werden die Senate sicherlich Entscheidungen nicht über viele Monate oder gar Jahre aus politischen Gründen "aufschieben".

Hinsichtlich der angekündigten Entscheidungen über die bremische und Berliner Besoldung lässt sich feststellen, dass von den acht Richtern, auf die 2020 die letzten beiden Judikate zurückgegangen sind, derzeit noch drei im Amt sind. Der Senat sieht sich aber unabhängig von personellen (Dis-)Kontinuitäten grundsätzlich dazu veranlasst, die jeweils vorliegende Dogmatik zu einem Rechtsgebiet ebenfalls hinreichend heranzuziehen und sie so fortzuentwickeln. Es wäre insofern erstaunlich, wenn nach dem 2012 eingeleiteten Kontinuitätsbruch nun eine Art "Rollback" einsetzte, der sich - deshalb wäre das ersraunlich - sachlich nicht ohne Widersprüche begründen ließe. Entsprechend sollte man das, was BVR Maidowski Ende des letzten Jahres als Berichterstatter ausgeführt hat, ernstnehmen, denke ich, vgl. BVerfG, Beschluss der Beschwerdekammer vom 21. Dezember 2023- Vz 3/23 -, https://www.bverfg.de/e/vb20231221_vz000323.html, Rn. 8.

MechAllg1103

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Warzenharry

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14052 am: 03.09.2024 07:04 »
AUWEIA!!

Das kann doch nicht deren Ernst sein. An diesem Entwurf ist NICHTS gut absolut gar nichts!

Hätte nicht gedacht, dass ich das mal sage, aber entweder die Herren dort haben NULL fachliche und juristische Qualifikation oder aber sie machen sich das Marihuana-Gesetz zu eigen.

Ich glaube das gerade nicht. Wo leben die? Wieviele Beamten werden denn etwas von dem AEZ haben?

Wenn ich mir überlege das selbst Berlin nur Wohngeldstufe Vier hat, dürften lediglich die verheirateten Beamten mit mehr als Kindern irgendetwas zählbaren davon haben, die in den Ballungsgebieten leben. Wieviel % mögen das denn sein? 

waynetology

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14053 am: 03.09.2024 07:52 »
Ich glaube, ich kann nicht richtig lesen. Wo genau steht denn, das der DBwV diesen Entwurf gut findet?

Imperator

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14054 am: 03.09.2024 08:09 »
Ich glaube, ich kann nicht richtig lesen. Wo genau steht denn, das der DBwV diesen Entwurf gut findet?

Das kann man denke ich daran erkennen, dass der Beitrag vom DBwV nur positiv über den Gesetzesentwurf redet. Das einzig "negative", wenn man es denn negativ nennen kann, ist das es sich bisher nur um einen Gesetzesentwurf handelt.

Im ganzen Beitrag gibt es keinerlei Kritik. Für mich hört es sich so an wie "Ach wie toll die Welt für unsere Beamten wird, da wir uns als DBwV so sehr für die Beamten/Soldaten eingesetzt haben!!"

Dass der Gesetzesentwurf nicht ansatzweise eine amtsangemessene Alimentation herstellt, wird nicht erwähnt. Wie gesagt, nichts Kritisches.

"Das Thema ist aktuell äußerst heikel, denn die Reform bringt hohe Kosten mit sich – während die Streitigkeiten über den Bundeshaushalt in der Koalition mitnichten beigelegt sind."

Da könnte man ja schon meinen, das kommt von der Führungsetage des BMI persönlich.