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Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)

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SwenTanortsch:
Die Frage der Wohnortwahl solltet ihr hier - denke ich - nicht zu diskutieren anfangen. Denn sie ist entschieden. Dem Grundsicherungsempfänger kann es wegen der in Deutschland aus Art. 11 Abs. 1 GG geltenden Freizügigkeit nicht untersagt werden, auch an Orten mit höchsten Unterkunftskosten zu leben. Dem Beamte muss diese Möglichkeit als Folge seines Sonderstatusverhältnis explizit gegeben sein, da er in genau jener Freizügigkeit eingeschränkt ist, nämlich verpflichtet ist, seinen Wohnort so zu wählen, dass davon seine Dienstgeschäfte nicht eingeschränkt werden. Das gilt ausnahmslos für alle Beamte, da es in Deutschland nur das eine unteilbare Berufsbeamtentum gibt, wie das das Bundesverfassungsgericht 2018 in seiner Streikverbotsentscheidung ausgeführt hat.

Hinsichtlich der Wohnortswahl heißt es in der Rn. 60 des aktuellen Judikats:

"Anders als die Regierung des Saarlandes in ihrer Stellungnahme ausführt, kann der Dienstherr nicht erwarten, dass Beamte der untersten Besoldungsgruppe ihren Wohnsitz 'amtsangemessen' in dem Ort wählen, der landesweit die niedrigsten Wohnkosten aufweist. Diese Überlegung entfernt sich unzulässig vom Grundsicherungsrecht, das die freie Wohnortwahl gewährleistet, insbesondere auch den Umzug in den Vergleichsraum mit den höchsten Wohnkosten. Unabhängig davon dürfen Beamte weder ihre Dienststelle noch ihren Wohnort beliebig wählen. Der Bestimmung der Dienststelle durch den Dienstherrn können nur schwerwiegende persönliche Gründe oder außergewöhnliche Härten entgegengehalten werden (vgl. Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, § 28 Rn. 76 <November 2009> m.w.N.). Die Beamten sind zudem auch ohne ausdrückliche Anordnung einer Residenzpflicht verpflichtet, ihre Wohnung so zu nehmen, dass die ordnungsmäßige Wahrnehmung ihrer Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt wird (vgl. § 72 Abs. 1 BBG sowie § 69 LBesG BE)."

Darüber hinaus hebt die Rn. 61 hervor:

"Der Besoldungsgesetzgeber ist allerdings nicht verpflichtet, die Mindestbesoldung eines Beamten oder Richters auch dann an den regionalen Höchstwerten auszurichten, wenn dieser hiervon gar nicht betroffen ist. Der Gesetzgeber muss nicht pauschalieren, sondern kann den maßgeblichen Bedarf individuell oder gruppenbezogen erfassen (vgl. BVerfGE 87, 153 <172>). Insbesondere ist er frei, Besoldungsbestandteile an die regionalen Lebenshaltungskosten anzuknüpfen, etwa durch (Wieder-)Einführung eines an den örtlichen Wohnkosten orientierten (Orts-)Zuschlags (vgl. hierzu BVerfGE 117, 330 <345 ff.>), wie es derzeit regelmäßig bei einer Auslandsverwendung (vgl. § 1b Abs. 1 Nr. 1 LBesG BE i.V.m. § 52 Abs. 1 BBesG i.d.F. vom 6. August 2002) und teilweise auch innerhalb eines Landes (vgl. Art. 94 BayBesG) praktiziert wird. Eine an Wohnsitz oder Dienstort anknüpfende Abstufung ist mit dem Alimentationsprinzip vereinbar, sofern sie sich vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen lässt (vgl. BVerfGE 107, 218 <238, 243 ff.>; 117, 330 <350 f.>). Mit den Mietenstufen des Wohngeldgesetzes, denen alle Kommunen entsprechend den örtlichen Verhältnissen des Mietwohnungsmarktes zugeordnet sind, stünde ein leicht zu handhabendes Kriterium bereit."

Über die Folgen dieser letzten Ausführungen der Rn. 61 kann man diskutieren, denke ich. Über die Rn. 60 wäre eine Diskussion müssig, weil es hier sachlich als Folge der Randnummer nichts mehr zu diskutieren gibt.

@ Nelson

Diese Aussage lässt sich nicht erhärten und würde ich bestreiten:

"Selbst wenn ich hier eine gewisse, durch Kinder bedingte Einschränkung des Lebensstandards hinnehme, lässt sich aus diesen Vorgaben kein  Modell entwickeln, in dem keine signifikante Übervorteillung entsteht (die dann ihrerseits erneut in einer verfassungsrechtlichen Problematik endet)."

Eine amtsangemessene Alimentation ist unter den bislang noch eher sachten Auswirkungen der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Alimentationsprinzip weiterhin ohne Übervorteilung möglich und wird als Folge der jahrzehntelangen "Sonderopfer", die Prof. Huber seit mindestens 25 Jahren bestehend deutlich anklingen lässt und die seitdem noch jeweils verschärft worden sind, recht teuer werden, worin sich zu einem großen Teil der notwendige Nachholeffekt offenbart, der Folge der jahrzehntelange Abkopplung von Besoldung und Alimentation von der allgemeinen Lohnentwicklung zu betrachten ist.

Allerdings kommt hier nun mit dem aktuellen Judikat eine weitere Ebene hinzu: Nämlich dass das Bundesverfassungsgericht sich schon dort gezwungen sieht, die Bedeutung der Dritten Gewalt und des Berufsbeamtentums für den auch hier offensichtlich etwas begriffsstutzigen Besoldungsgesetzgeber zu präzisieren. Folge solcher Präzisierung ist, dass es teuer wird. Denn die institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums und seine herausgehobene Bedeutung für die öffentliche Verwaltung werden - sofern diese in weiteren Nachhilfestunden dem Besoldungsgesetzgeber erklärt werden müssen - in nicht mehr allzu ferner Zukunft zu Besoldungs- und Alimentationshöhen führen müssen, die dann tatsächlich irgendwann der Bevölkerung nur noch schwerlich zu erklären wären. Diese Erklärungsarbeit wird dann weiterhin als Aufgabe des Besoldungsgesetzgebers im Zuge seiner Begründungspflicht zu leisten sein. Das Bundesverfassungsgericht wird sich hingegen auch zukünftig dazu veranlasst sehen, dem Besoldungsgesetzgeber das Berufsbeamtentum zu erklären, wenn sich die Begriffsstutzigkeit nicht ändert.

Darüber hinaus ist eine der beiden Deiner Prämissen nicht richtig:

"B) Der Beamte ist amtsangemessen zu besolden. Nichtleistungsbezogene Zulagen (wie Familienzuschläge) sind auf das absolute Minimum zu begrenzen. Binnenabstände sind zu wahren."

Auch die sozialen Besoldungskomponenten sind sachgerecht zu gewähen und dürfen sich also an den tatsächlichen Bedarfen orientieren. Auf ein absolutes Minimum sind sie nicht zu begrenzen, wobei niemand den Besoldungsgesetzgeber daran hindern kann, sie auf ein absolutes Minimum zu begrenzen, sofern er auch auf dieser Grundlage die amtsangemessene Alimentation gewährleistete. Worin er sich gehindert sieht, ist, sie in solchen Höhen zu gewähren, dass wir hier ein Beamtenprivileg feststellen müssten, das sich nicht vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen ließe, da damit der staatliche Gleichbehandlungsgrundsatz aller Kinder verletzt werden würde.

MoinMoin:

--- Zitat von: Imperator am 30.09.2024 11:28 ---
Nimmt man den Durchschnittswert jedoch aller Vollzeitbeschäftigten in Deutschland, ergibt sich für das Jahr 2023 ein Bruttodurchschnittsgehalt von 4.479 € Brutto bzw. rund 2.860€ Netto/Monat.


--- End quote ---
und das Medianeinkommen liegt so bei 3700 Brutto, also ~2355 netto
https://www.capital.de/karriere/medianeinkommen--so-viel-verdienen-die-deutschen-im-mittel-31108506.html
https://www.finanz.de/gehalt/
A3 Stufe 1 aktuell Bund 2706 Brutto +30% 3517 € Brutto also 2918 Netto abzüglich 300€ PKV = 2600€ Netto

Wenn man also der Auffassung ist, dass das die geringste Netto-Besoldung über dem Medianeinkommen der Bevölkerung liegen muss, damit der Beamte amtsangemessen bezahlt ist, dann soll man das doch auch so sagen.

Ich frage mich nur ob dies Karlsruhe irgendwann mal sagen wird.


MoinMoin:

--- Zitat von: tinytoon am 30.09.2024 11:33 ---Demzufolge dürften auch Bürgergeldempfänger nicht mehr in den big seven und weiteren leben oder würde diesen das Privileg weiter zugestanden?

--- End quote ---
Nein, der Beamte hat eine freie Wohnortwahl und dem Gesetzgeber steht es frei die unterschiedlichen aufwände die der Beamte benötigt via Ortszuschläge o.ä. abzufedern.
Solange er diesen nicht macht, müssen alle Beamten entsprechend der teuersten Wohnortwahl bezahlt werden.

MoinMoin:

--- Zitat von: Pendler1 am 30.09.2024 11:59 ---Und die Zulagenorgie für untere Besoldungsgruppen mit vielen Kindern- steht in den Sternen.

--- End quote ---
Ich halte jede Zulagenorgie, die gestaffelt nach Besoldungsgruppen abschmilzt für Pfusch und verfassungswidrig.
Wenn Zulagen dann für alle gleich, bzw. für die höheren Besoldungsgruppen müssen die Zulagen für Kinder ansteigen, damit Netto identische Beträge rauskommen.

InternetistNeuland:

--- Zitat von: NelsonMuntz am 30.09.2024 11:50 ---
--- Zitat von: GeBeamter am 30.09.2024 10:48 ---Ich weiß nicht, warum das nicht realistisch sein sollte. Vielleicht nicht in der Wahrnehmung des Haushaltsgesetzgebers. Aber wenn in den unteren Besoldungsstufen die 15% über Bürgergeld nicht eingehalten sind und darauf aufbauend eine lineare Tabelle der Besoldung erfolgt, die sicherlich schon was die Ämterwertigkeit und den Mindestabstand angeht auf Kante genäht ist, dann wird der Gesetzgeber eigentlich in Richtung 30% gehen müssen. Es sei denn der Gesetzgeber hofft auf eine Anordnung aus Karlsruhe, um sich die Hände in Unschuld zu waschen. Dann allerdings dürften die 30% noch wohlwollend bemessen sein.

--- End quote ---

Leider nein, diese 30% sind nicht darstellbar. Hier genügt ein Blick in die Stellungnahme des Richterbunds, in der die Eingangs- und Endämter mit dem Durchschnittsgehalt von Beschäftigten mit gleichem Anforderungsniveau tabellarisch verglichen werden. Es fällt zwar auf, dass die Besoldung klar erkennbar unterhalb der "Außenwelt" liegt, eine 30%ige Erhöhung würde das allerdings deutlich überkompensieren.

Ferner -und ich glaube, dass haben viele noch gar nicht verstanden- führen die hier ins Feld geführten, verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Besoldung insbesondere in den ganz unten liegenden Gruppen zu einem mathematisch nicht auflösbarem Problem.

Konkret:

A) Der Beamte hat Anspruch auf eine Nettoalimentation für sich und seine Familie, die oberhalb des Existenzminimums zu liegen hat.

B) Der Beamte ist amtsangemessen zu besolden. Nichtleistungsbezogene Zulagen (wie Familienzuschläge) sind auf das absolute Minimum zu begrenzen. Binnenabstände sind zu wahren.

Für eine 4k-Familie mit 2 Kindern unter 14 Jahren beträgt der Umrechnungsfaktor im Nettoäquivalenzeinkommen bei 2,1. Im Bürgergeldbezug (also dem Existenzminimum) liegt dieser sogar fast bei 3.

Selbst wenn ich hier eine gewisse, durch Kinder bedingte Einschränkung des Lebensstandards hinnehme, lässt sich aus diesen Vorgaben kein  Modell entwickeln, in dem keine signifikante Übervorteillung entsteht (die dann ihrerseits erneut in einer verfassungsrechtlichen Problematik endet).

Das "Problem" ist die 4K-Familie und der Faktor, um den sich der finanzielle Bedarf gegenüber einer Einzelperson bei ungefähr gleichem Lebensstandard unterscheidet. "Technisch" betrachtet lässt sich das nur lösen, wenn wesentliche Teile der Alimentation der Familie nicht über das Grundgehalt oder Zulagen realisiert werden.

Noch mal: Das geht nicht "gegen" Beamte, oder soll Euch eine verdiente Aufstockung der Bezüge verwehren ... Mit den vorgegebenen Regeln und Leitplanken lässt sich das alles nur gar nicht abbilden.

--- End quote ---

Ich halte die 30% auch für darstellbar. Vergleicht man die Gehälter von Beamten und Angestellten untereinander so erkennt man eindeutig, dass das Durchschnittsgehalt von vollzeitbeschäftigten nicht-Akademikern weit über dem der nicht-Akademiker Beamten liegt.

2023 lag das Durchschnittsgehalt bei 41.000€ für nicht-Akademiker

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1184292/umfrage/bruttojahresgehaelter-in-deutschland-nach-bildung-und-berufserfahrung/#:~:text=Bruttojahresgeh%C3%A4lter%20in%20Deutschland%20nach%20Bildungsabschluss%202023&text=Laut%20StepStone%20Gehaltsreport%20betrug%20das,genau%20in%20der%20Mitte%20liegt.

In der Besoldungstabelle erkennt man, dass nicht einmal in A8 das Durchschnittsgehalt erreicht wird.
Ab A9 gD ist bereits ein Studium notwendig.

https://oeffentlicher-dienst.info/beamte/vergleich/

Hier erkennt man, dass die Durchschnittsgehälter der nicht-Akademiker Beamten weit angehoben werden müssen. Als Folge erhöhen sich logischerweise auch die Akademiker Gehälter von Beamten.

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