Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 1956381 times)

xap

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #1845 am: 27.09.2022 13:23 »
Da wird von den Herrschaften niemand arm. Man möchte aber natürlich gerne wiedergewählt werden. Alte Politikerweisheit.

Bundi

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #1846 am: 27.09.2022 15:06 »
Da wird von den Herrschaften niemand arm. Man möchte aber natürlich gerne wiedergewählt werden. Alte Politikerweisheit.

Arm wird mit Sicherheit niemand der Damen und Herren.
Aber wenn man mal nur grob 850 Euro als Nettobetrag je Monat (Differenzbetrag zwischen Mindestalimentation und tatsächlicher Nettobesoldung) zugrunde legt, so ergibt sich bei ca. 1.9 Millionen Beamten bundesweit eine Summe von ca. 19.4 Mrd Euro. Dies sind gemessen am Bundeshaushalt 2022 nur 4.24 %, aber das dem Volk zu vermitteln dürfte unseren Politikern schwer fallen. Unsere Lobby ist leider nicht sehr ausgeprägt. Insbesondere in der derzeitigen Situation, die sich mit Sicherheit noch einige Zeit hinziehen wird, dürfte das einen ausgewachsenen Shitstorm nach sich ziehen. Dem setzt sich kein Politiker aus.   Und von unserer BMI, die ja noch andere Ziele hat erwarte ich da mal gar keine Aktion.

Ozymandias

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #1847 am: 27.09.2022 15:21 »
Die 19 Mrd. sind aber nur für ein Jahr.
Es müssten auch noch für Widerspruchsführer jede Menge nachgezahlt werden und auch entgegen der Bestrebungen und Länderbestrebungen vermutlich auch für höhere Besoldungsgruppen.

Würde jeder Beamte seit 2007 bekommen was ihm zustehen würde, dann wären wir mindestens bei über 200 Mrd. Euro. Viele haben ihre Ansprüche leider aus Unkenntnis an den Staat geschenkt. Einzelne Beamte insbesondere mit 3 oder mehr Kindern haben dadurch teilweise 60-100k Verloren.

Alleine deshalb würde ich auch nach den Reparaturgesetzen weiterhin Widerspruch einlegen. Die Besoldung hinkt immer hinterher. In MV besoldet man teilweise Cents über der fehlerhaft ausgerechneten Mindestbesoldung.  ::)
Und auch anderswo versucht man mit Verrenkungen Centweise über die Mindestbesoldung zu kommen.

Gruenhorn

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #1848 am: 27.09.2022 15:36 »
Die knapp 2 Mio Beamten beinhalten aber alle Beamten Deutschlands und nicht nur die Bundesbeamten. Legt man lediglich diese (230.000 inklusive Postnachfolgeunternehmen und 170.000 Soldaten, 2019 laut Wikipedia) zu Grunde und setzt deren Personalkosten in das Verhältnis zum Bundeshaushalt, werden die Mehrkosten noch deutlich stärker relativiert, da die gesamten Personalkosten im Bundeshaushalt keine 10% ausmachen.

Bundi

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #1849 am: 27.09.2022 15:42 »
Zu der Gruppe, die in Unkenntnis und im Vertrauen auf den Dienstherrn sowie den ordnungsgemäßen Ablauf der Gesetzgebung, ihre Ansprüche auf entsprechende Besoldung verloren hat gehöre ich leider auch.
Und im Kollegenkreis war sich auch niemand dieses Umstandes bewusst.
Ich gehe von daher davon aus, dass die Anzahl der Widerspruchsführer relativ gering ist und die Besoldungsgesetzgeber allein schon deshalb gut "Kasse" gemacht haben in den letzten Jahren bzw. die betroffenen Beamten ein weiteres Sonderopfer erbracht haben.
Dem Schreiben unseres altem BMI das ab 2021 keine Widersprüche mehr erforderlich sind traue ich auch nicht mehr nach all dem was ich hier gelesen habe. Zumal in dem Schreiben so schön formuliert steht, ich empfehle folgenden Umgang ....
Suche als Bundesbeamter jetzt mal ein Widerspruchsmuster und werde dann regelmäßig einen solchen einlegen.
Ich finde es nur nach mehr als 30 Dienstjahren erschreckend, dass man sich nicht mehr auf den Dienstherrn verlassen kann und dazu noch feststellen muss wenn dieser schon Fehler macht, die unser BVerfG feststellt, dass es offensichtlich niemanden der politischen Verantwortungsträger interessiert.


Bundi

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #1850 am: 27.09.2022 15:52 »
Die knapp 2 Mio Beamten beinhalten aber alle Beamten Deutschlands und nicht nur die Bundesbeamten. Legt man lediglich diese (230.000 inklusive Postnachfolgeunternehmen und 170.000 Soldaten, 2019 laut Wikipedia) zu Grunde und setzt deren Personalkosten in das Verhältnis zum Bundeshaushalt, werden die Mehrkosten noch deutlich stärker relativiert, da die gesamten Personalkosten im Bundeshaushalt keine 10% ausmachen.
Da hast du Recht. Fehler meinerseits.
Da alle Besoldungsgesetzgeber inklusive dem Bund diesen Verstoß begehen, sollte das Gesamtvolumen sich trotzdem ungefähr bei ca. 19.4 MRD je Jahr bewegen. Das relativiert sich sicher wie du schon feststellst wenn alle Länderhaushalte und der Bundeshaushalt zusammengerechnet werden. Aber wie gesagt ist unsere Lobby soweit ich es beurteilen kann fast nicht vorhanden und von daher interessiert es keinen ausser die Betroffenen.

ABCDE

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #1851 am: 27.09.2022 21:09 »
Wie funktioniert denn in der Praxis die Vollstreckungsanordnung?
Würden in dem Zusammenhang Beträge für die Mindestbesoldung oder ziemlich konkrete Vorgaben vom BVerfG genannt werden?

Zunächst einmal heißt es im Fünften Leitsatz der aktuellen Entscheidung:

"Beim systeminternen Besoldungsvergleich ist neben der Veränderung der Abstände zu anderen Besoldungsgruppen in den Blick zu nehmen, ob in der untersten Besoldungsgruppe der gebotene Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau eingehalten ist. Ein Verstoß gegen dieses Mindestabstandsgebot betrifft insofern das gesamte Besoldungsgefüge, als sich der vom Gesetzgeber selbst gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist. Die indizielle Bedeutung für die verfassungswidrige Ausgestaltung der zur Prüfung gestellten Besoldungsgruppe ist dabei umso größer, je näher diese an der Grenze zur Mindestbesoldung liegt und je deutlicher der Verstoß ausfällt."

Damit hebt das Bundesverfassungsgericht im ersten Satz hinsichtlich des materiellen Gehalts einer amtsangemessenen Alimentation hervor, dass hinsichtlich der beiden Abstandsgebote weder der Abstand zwischen den Besoldungsgruppen noch der Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau, also die Mindestalimentation, verletzt werden dürfen. Ist allerdings das Mindestabstandsgebot verletzt, erweist sich der vom Gesetzgeber gesetzte Ausgangspunkt - also mindestens die einem aktiven verheirateten Beamten mit zwei Kindern in der niedrigsten Erfahrungsstufe der untersten Besoldungsgruppe gewährte  Nettoalimentation - als fehlerhaft, wie der zweite Satz verdeutlicht. Daraus folgt materiell zwangsläufig, dass all jenen Beamten, denen eine die Mindestalimentation nicht überschreitende Nettoalimentation gewährt wird, eine höhere Nettoalimentation zu gewähren ist, wobei dabei die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen entsprechend einer amtsangemessenen Alimentation zu beachten sind; materiell nicht zwangsläufig folgt daraus aber, dass nun das Grundgehalt all jener wie beschrieben betroffenen Beamten anzuheben wäre. Denn die Alimentation speist sich ja nicht allein aus dem Grundgehalt als allerdings Hauptkomponente der Besoldung, sondern kann auch durch Nebenkomponenten oder bspw. Änderungen im Beihilferecht erhöht werden.

Deshalb kommt nun der dritte Satz ins Spiel: Denn nun wechselt das Bundesverfassungsgericht vom materiellen Gehalt der als Wenigstens zu gewährenden Nettoalimentation zur Besoldungsprüfung, also in die indizielle Prüfsystematik, die der Besoldungsgesetzgeber wie auch die Gerichte zu beachten haben (nicht umsonst wird hier ein Leitsatz formuliert). Der dritte Satz sagt nun hinsichtlich des Prüfverfahrens aus, dass es in der Prüfung eine Mindestsbesoldung gibt, die den Verletzungsgrad der Besoldungssystematik offenbart: Je größer der Fehlbetrag zwischen dem tatsächlichen Grundgehaltssatz in der niedrigsten Erfahrungsstufe der untersten Besoldungsgruppe ausfällt und je mehr Besoldungsgruppen hinter der Mindestbesoldung zurückfallen, als desto verletzter ist die Besoldungssystematik anzusehen. Entsprechend hebt das Bundesverfassungsgericht in der Rn. 49 hervor:

"Ob eine zur Behebung eines Verstoßes gegen das Mindestabstandsgebot erforderliche Neustrukturierung des Besoldungsgefüges zu einer Erhöhung der Grundgehaltssätze einer höheren Besoldungsgruppe führt, lässt sich daher nicht mit der für die Annahme eines Verfassungsverstoßes erforderlichen Gewissheit feststellen. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist umso größer, je näher die zur Prüfung gestellte Besoldungsgruppe selbst an der Grenze zur Mindestbesoldung liegt. Je deutlicher der Verstoß ausfällt und je mehr Besoldungsgruppen hinter dem Mindestabstandsgebot zurückbleiben, desto eher ist damit zu rechnen, dass es zu einer spürbaren Anhebung des gesamten Besoldungsniveaus kommen muss, um die gebotenen Abstände zwischen den Besoldungsgruppen wahren zu können. Die Verletzung des Mindestabstandsgebots bei einer niedrigeren Besoldungsgruppe ist daher (nur) ein Indiz für die unzureichende Ausgestaltung der höheren Besoldungsgruppe, das mit dem ihm nach den Umständen des Falles zukommenden Gewicht in die Gesamtabwägung einzustellen ist."

Entsprechend hat der Besoldungsgesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren zunächst einmal zu ermitteln, ob materiell die Mindestalimentation gewährt wird - und falls das nicht der Fall ist, ist indiziell anhand der Mindestbesoldung der Grad der Verletzung der Besoldungssystematik zu prüfen. Danach ist der Gesetzgeber prozedural zwingend dazu aufgefordert, zu begründen, wie er eine verletzte Besoldungsordnung heilen wollte. Nun dürfte allerdings eine entsprechende Heilung kaum ohne die Anhebung von Grundehaltssätzen möglich sein, wenn - wie bspw. in Bayern oder Berlin oder Baden-Württemberg oder Niedersachsen - sowohl die Mindestbesoldung viele hundert Euro höher liegt als das tatsächlich gewährte Besoldungsniveau und wenn der Hälfte oder mehr als der Hälfte der Besoldungsgruppen nur ein Besoldungsniveau gewährt wird, was noch unterhalb der Mindestbesoldung liegt. Wollte der Besoldungsgesetzgeber dennoch ohne Anhebung von Grundgehaltssätzen wieder materiell zu einer amtsangemessenen Alimentation zurückkehren, müsste er das nur anhand von sachlichen Gründen vollziehen - wobei das "nur" hier der Haken ist. Solch stark verletzte Besoldungssystwematiken lassen sich nicht durch Anhebung von Nebenkomponenten heilen, da diese Nebenkomponenten i.d.R. zur Besoldungsdifferenzierung führen, was im Ergebnis dann zu einem Verstoß gegen das Abstandsgebot zwischen den Besoldungsgruppen führt, da die Besoldungsdifferenzierung zur Einebnung von Abständen zwischen Besoldungsgruppen führt, womit ein Verstoß gegen die Ämterwertigkeit und also das Leistungsprinzip vorliegt.

Soweit - etwas vereinfacht - wird das, was ich hier schreibe, etwas komplexer in dem genannten ZBR-Beitrag aus dem Mai anhand eines Berechnungsverfahrens für den indiziellen Parameter der Mindestbesoldung betrachtet und eine entsprechende Berechnungsmethodik am Beispiel Berlin begründet.

Das vorweggeschickt, um Deine Fragen zu beantworten, Unknown.

1) § 35 BVerfGG führt aus: "Das Bundesverfassungsgericht kann in seiner Entscheidung bestimmen, wer sie vollstreckt; es kann auch im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung regeln." Kommt nun ein Besoldungsgesetzgeber wiederholt seiner Verpflichtung, eine amtsangemessene Alimentation zu gewähren, nicht nach, wird das Bundesverfassungsgericht in einem konkreten Normenkontrollverfahren entsprechend handeln und also den aufgeforderten Besoldungsgesetzgeber mit einer Frist auffordern, bis dahin wieder für die Gewährung einer amtsangemessenen Alimentation zu sorgen, sowie die Verwaltungsgerichte ermächtigen, nach dieser Frist Klägern eine amtsangemessene Alimentation zuzusprechen, ohne noch das Bundesverfassungsgericht einzuschalten. Voraussetzung, dass die Gerichte entsprechend handeln können, ist ein hinreichend genaues Verfahren, um das Maß einer amtsangemessenen Alimentation bestimmen zu können.

Dieses Maß ist durch die weitgehend abgeschlossene neue Besoldungsdogmatik der Bundesverfassungsgerichts mittlerweile weitgehend ermittelbar: sowohl hinsichtlich des materiellen Gehalts anhand der Mindestalimentation als auch hinsichtlich dessen indizieller Prüfung anhand der Mindestbesoldung. Darüber hinaus liegen alle nötigen bundesverfasungsgerichtlichen Aussagen hinsichtlich des Abstandsgebots zwischen den Besoldungsgruppen vor. Mit hoher Wahrscheinlichkeit dürfte die neue Besoldungsdogmatik nach der angekündigten Entscheidung vollständig vorliegen, sodass dann auch die praktischen Voraussetzungen für die Ermächtigung der Untergerichte nach § 35 BVerfGG gegeben sein dürfte. Es wird dann nur noch eine Frage der Zeit sein, dass es einen der Besoldungsgesetzgeber trifft - und danach, sofern der heutige Weg fortgeschritten wird, trifft es eben nacheinander die weiteren.

2) Entsprechend der gerade gemachten Ausführungen bedürfte es dann keiner weiteren Vorgaben mehr, was den Besoldungsgesetzgebern - so vermute ich - ebenfalls nicht ganz klar sein sollte.

Wer will diese Textwüsten lesen? Kurz und präzise antworten geht wohl nicht? Auf den Punkt kommen ist eine Tugend...

flip

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #1852 am: 27.09.2022 21:19 »
Als Bundesbeamter sollte man in der Lage sein, solch durchaus gut strukturierte Texte zu erfassen.
Als nicht Beamter ist man in diesem Forum eher falsch...

xap

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #1853 am: 27.09.2022 21:33 »
Nunja. Die Texte mögen das Thema gut umschreiben, für den vielen Input von Swen kann man nur dankbar sein. Trotzdem ist es auch guter Schreibstil seine Gedanken in nicht ausschweifender Art und Weise auf den Punkt zu bringen. Weniger ist manchmal mehr, denn auch der Leser bringt Zeit für das Geschriebene auf.
Oder eben irgendwann nicht mehr. Ich lese die Texte seit geraumer Zeit aufgrund ihres Umfangs nicht mehr. Ich überfliegen sie daher nur noch dahingehend, ob sie für mich relevante Informationen enthalten oder nicht.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #1854 am: 27.09.2022 22:32 »
Das Problem ist recht einfach und lässt sich kurz auf den Punkt bringen. Juristische Begründungen sind komplex, da sie komplexe Sachverhalte betrachten. Deshalb und nicht, weil Gerichte so gerne "ausschweifend" formulieren, sind bspw. Urteilsbegründungen zumeist recht lang. Kurze Texte verkürzen die komplexen Sachverhalte hingegen zumeist, sodass ihr sachlicher Aussagewert nicht selten zweifelhaft ist. Präzision geht juristisch selten kurz.

Es ist niemand gezwungen, das, was hier im Forum geschrieben wird, zu lesen. Was mich bspw. stört, sind wiederkehrend ausufernde und dann über viele Seiten verlaufende Diskussionen, deren Ursache in einer hohen Zahl von Fällen darin zu suchen ist, dass der sachliche Kern der Diskussion häufig nicht präzise gefasst, sondern verkürzt wird. Solche Diskussionen stören mich - und sie sind dennoch notwendig, weil es hier im Forum eben auch um den Austausch von Meinungen und Gedanken geht.

@ ABCDE
Fass doch die von mir geschriebene Textwüste auf den Punkt gebracht zusammen, sodass die Argumentation und das Ergebnis kurz und präzise vorliegt, ohne dass das Thema und der Inhalt verkürzt wird. Deine Tugend wird mir eine Wohltat sein.

@ xap
Ich finde Dein Vorgehen sinnvoll und gut nachvollziehbar - das, was ich hier schreibe, ist ein Angebot, um ein auf verschiedenen Ebenen kompliziertes Thema durchdringbar zu machen. Insofern finde ich es genau richtig, sich einen Überblick zu verschaffen und nur dann, wenn es für einen selbst wichtig und/oder interessant wird, noch einmal tiefergehend zu lesen. Ebenso gehe ich i.d.R. beim Lesen der für mich ausschweifenden Diskussionen vor, wie ich diese oben dargelegt habe.

xap

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #1855 am: 28.09.2022 07:30 »
Guten Morgen Swen,

nochmal: dein Input ist für viele Leser hier ziemlich sicher eine wertvolle Erweiterung ihres Wissens, wenn nicht sogar der erstmalige Berührungspunkt mit einem Thema welches ihnen so vorher gar nicht bewusst war. Mir ist aus persönlichen Erfahrungen auch klar, dass juristische Sachverhalte in der Regel nicht mit 3 Halbsätzen umschrieben werden können. Der Verzicht auf unnötige Nebensätze und eine Vielzahl von Füllwörtern machen jedoch jeden Text besser verständlich und auch ohne diese lassen sich komplexe Sachverhalte gut erörtern. Das gehört für mich zum verständlichen Schreiben dazu, ist aber eben auch nur meine Meinung. Wir leben in einer Informationsgesellschaft, in der wir täglich eine Vielzahl u. A. auch an Texten zu verarbeiten haben. Da ist es ganz normal, dass man versucht Inhalte auf relevantes zu filtern und dann ggf. tiefer in das Lesen einzusteigen. Nun denn, trotzdem dir auch noch einmal ein persönlicher Dank für dein Engagement in der Sache und für deine immer gelebte Hilfsbereitschaft hier im Forum.





SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #1856 am: 28.09.2022 08:27 »
Hey xap,
hab zunächst Dank für Deine persönlichen Worte!

Das, was Du schreibst, kann ich weiterhin sehr gut nachvollziehen, insbesondere, was Du zu Nebensätzen und Füllwörtern schreibst. Wenn ich an anderer Stelle öffentlich schreibe, ackere ich nach dem Schreiben meine Texte i.d.R. noch einmal umfassend durch, um die mir im ersten Schreiben eigenen Hypotaxen in kürzere Satzkonstruktionen zu überführen. Denn jene kürzeren Satzkonstruktionen haben vielfach eine größere Präzision und sind zugleich leichter verständlich. Im Zuge dessen werden dann wiederkehrend ebenso überflüssige Füllwörter eleminiert, nicht zuletzt, weil an anderen Orten veröffentlichte Texte auf eine festgelegte Zeichengröße begrenzt sind, sodass am Ende nicht selten mit jedem Wort gerungen werden muss.

Das Problem an der Sache hier ist: Das, was dort recht viel Zeit benötigt, tut es hier auch - soll heißen: Ich kann verstehen, wenn jemand lange Texte mit komplexen Satzkonstruktionen lieber kurz und in schlanken Parataxen liest; zugleich erhöhte das i.d.R. die Präzision. Jedoch kostet bereits die Darlegung als solche der zumeist komplexen Zusammenhänge recht viel Zeit - zumeist sicherlich mehr als das Lesen -, sodass ich hier i.d.R. nicht bereit bin, im Nachklang der Darlegung noch eine ausgefeilte Überarbeitung anzustellen. Denn auch ich habe noch ein Leben neben diesem Forum und zugleich geht's hier um Gebrauchstexte, die am Ende im Orkus des Forums auf Nimmerwiedersehen verschwinden, anders als mit Texten an anderen Stellen - ergo sage ich mir zumeist hier: 1) Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. 2) Das Leben ist vielfältig, also auch die unterschiedlichen Gedanken- und Schreibstile. 3) Wer meine langen und zumeist hypotaktisch geschriebenen Texte nicht mag, kann sie wegscrollen; es muss sich zum Glück niemand aufgefordert sehen, sie zu lesen.

DeGr

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #1857 am: 28.09.2022 09:24 »
Wie funktioniert denn in der Praxis die Vollstreckungsanordnung?
Würden in dem Zusammenhang Beträge für die Mindestbesoldung oder ziemlich konkrete Vorgaben vom BVerfG genannt werden?

Zunächst einmal heißt es im Fünften Leitsatz der aktuellen Entscheidung:

"Beim systeminternen Besoldungsvergleich ist neben der Veränderung der Abstände zu anderen Besoldungsgruppen in den Blick zu nehmen, ob in der untersten Besoldungsgruppe der gebotene Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau eingehalten ist. Ein Verstoß gegen dieses Mindestabstandsgebot betrifft insofern das gesamte Besoldungsgefüge, als sich der vom Gesetzgeber selbst gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist. Die indizielle Bedeutung für die verfassungswidrige Ausgestaltung der zur Prüfung gestellten Besoldungsgruppe ist dabei umso größer, je näher diese an der Grenze zur Mindestbesoldung liegt und je deutlicher der Verstoß ausfällt."

Damit hebt das Bundesverfassungsgericht im ersten Satz hinsichtlich des materiellen Gehalts einer amtsangemessenen Alimentation hervor, dass hinsichtlich der beiden Abstandsgebote weder der Abstand zwischen den Besoldungsgruppen noch der Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau, also die Mindestalimentation, verletzt werden dürfen. Ist allerdings das Mindestabstandsgebot verletzt, erweist sich der vom Gesetzgeber gesetzte Ausgangspunkt - also mindestens die einem aktiven verheirateten Beamten mit zwei Kindern in der niedrigsten Erfahrungsstufe der untersten Besoldungsgruppe gewährte  Nettoalimentation - als fehlerhaft, wie der zweite Satz verdeutlicht. Daraus folgt materiell zwangsläufig, dass all jenen Beamten, denen eine die Mindestalimentation nicht überschreitende Nettoalimentation gewährt wird, eine höhere Nettoalimentation zu gewähren ist, wobei dabei die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen entsprechend einer amtsangemessenen Alimentation zu beachten sind; materiell nicht zwangsläufig folgt daraus aber, dass nun das Grundgehalt all jener wie beschrieben betroffenen Beamten anzuheben wäre. Denn die Alimentation speist sich ja nicht allein aus dem Grundgehalt als allerdings Hauptkomponente der Besoldung, sondern kann auch durch Nebenkomponenten oder bspw. Änderungen im Beihilferecht erhöht werden.

Deshalb kommt nun der dritte Satz ins Spiel: Denn nun wechselt das Bundesverfassungsgericht vom materiellen Gehalt der als Wenigstens zu gewährenden Nettoalimentation zur Besoldungsprüfung, also in die indizielle Prüfsystematik, die der Besoldungsgesetzgeber wie auch die Gerichte zu beachten haben (nicht umsonst wird hier ein Leitsatz formuliert). Der dritte Satz sagt nun hinsichtlich des Prüfverfahrens aus, dass es in der Prüfung eine Mindestsbesoldung gibt, die den Verletzungsgrad der Besoldungssystematik offenbart: Je größer der Fehlbetrag zwischen dem tatsächlichen Grundgehaltssatz in der niedrigsten Erfahrungsstufe der untersten Besoldungsgruppe ausfällt und je mehr Besoldungsgruppen hinter der Mindestbesoldung zurückfallen, als desto verletzter ist die Besoldungssystematik anzusehen. Entsprechend hebt das Bundesverfassungsgericht in der Rn. 49 hervor:

"Ob eine zur Behebung eines Verstoßes gegen das Mindestabstandsgebot erforderliche Neustrukturierung des Besoldungsgefüges zu einer Erhöhung der Grundgehaltssätze einer höheren Besoldungsgruppe führt, lässt sich daher nicht mit der für die Annahme eines Verfassungsverstoßes erforderlichen Gewissheit feststellen. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist umso größer, je näher die zur Prüfung gestellte Besoldungsgruppe selbst an der Grenze zur Mindestbesoldung liegt. Je deutlicher der Verstoß ausfällt und je mehr Besoldungsgruppen hinter dem Mindestabstandsgebot zurückbleiben, desto eher ist damit zu rechnen, dass es zu einer spürbaren Anhebung des gesamten Besoldungsniveaus kommen muss, um die gebotenen Abstände zwischen den Besoldungsgruppen wahren zu können. Die Verletzung des Mindestabstandsgebots bei einer niedrigeren Besoldungsgruppe ist daher (nur) ein Indiz für die unzureichende Ausgestaltung der höheren Besoldungsgruppe, das mit dem ihm nach den Umständen des Falles zukommenden Gewicht in die Gesamtabwägung einzustellen ist."

Entsprechend hat der Besoldungsgesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren zunächst einmal zu ermitteln, ob materiell die Mindestalimentation gewährt wird - und falls das nicht der Fall ist, ist indiziell anhand der Mindestbesoldung der Grad der Verletzung der Besoldungssystematik zu prüfen. Danach ist der Gesetzgeber prozedural zwingend dazu aufgefordert, zu begründen, wie er eine verletzte Besoldungsordnung heilen wollte. Nun dürfte allerdings eine entsprechende Heilung kaum ohne die Anhebung von Grundehaltssätzen möglich sein, wenn - wie bspw. in Bayern oder Berlin oder Baden-Württemberg oder Niedersachsen - sowohl die Mindestbesoldung viele hundert Euro höher liegt als das tatsächlich gewährte Besoldungsniveau und wenn der Hälfte oder mehr als der Hälfte der Besoldungsgruppen nur ein Besoldungsniveau gewährt wird, was noch unterhalb der Mindestbesoldung liegt. Wollte der Besoldungsgesetzgeber dennoch ohne Anhebung von Grundgehaltssätzen wieder materiell zu einer amtsangemessenen Alimentation zurückkehren, müsste er das nur anhand von sachlichen Gründen vollziehen - wobei das "nur" hier der Haken ist. Solch stark verletzte Besoldungssystwematiken lassen sich nicht durch Anhebung von Nebenkomponenten heilen, da diese Nebenkomponenten i.d.R. zur Besoldungsdifferenzierung führen, was im Ergebnis dann zu einem Verstoß gegen das Abstandsgebot zwischen den Besoldungsgruppen führt, da die Besoldungsdifferenzierung zur Einebnung von Abständen zwischen Besoldungsgruppen führt, womit ein Verstoß gegen die Ämterwertigkeit und also das Leistungsprinzip vorliegt.

Soweit - etwas vereinfacht - wird das, was ich hier schreibe, etwas komplexer in dem genannten ZBR-Beitrag aus dem Mai anhand eines Berechnungsverfahrens für den indiziellen Parameter der Mindestbesoldung betrachtet und eine entsprechende Berechnungsmethodik am Beispiel Berlin begründet.

Das vorweggeschickt, um Deine Fragen zu beantworten, Unknown.

1) § 35 BVerfGG führt aus: "Das Bundesverfassungsgericht kann in seiner Entscheidung bestimmen, wer sie vollstreckt; es kann auch im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung regeln." Kommt nun ein Besoldungsgesetzgeber wiederholt seiner Verpflichtung, eine amtsangemessene Alimentation zu gewähren, nicht nach, wird das Bundesverfassungsgericht in einem konkreten Normenkontrollverfahren entsprechend handeln und also den aufgeforderten Besoldungsgesetzgeber mit einer Frist auffordern, bis dahin wieder für die Gewährung einer amtsangemessenen Alimentation zu sorgen, sowie die Verwaltungsgerichte ermächtigen, nach dieser Frist Klägern eine amtsangemessene Alimentation zuzusprechen, ohne noch das Bundesverfassungsgericht einzuschalten. Voraussetzung, dass die Gerichte entsprechend handeln können, ist ein hinreichend genaues Verfahren, um das Maß einer amtsangemessenen Alimentation bestimmen zu können.

Dieses Maß ist durch die weitgehend abgeschlossene neue Besoldungsdogmatik der Bundesverfassungsgerichts mittlerweile weitgehend ermittelbar: sowohl hinsichtlich des materiellen Gehalts anhand der Mindestalimentation als auch hinsichtlich dessen indizieller Prüfung anhand der Mindestbesoldung. Darüber hinaus liegen alle nötigen bundesverfasungsgerichtlichen Aussagen hinsichtlich des Abstandsgebots zwischen den Besoldungsgruppen vor. Mit hoher Wahrscheinlichkeit dürfte die neue Besoldungsdogmatik nach der angekündigten Entscheidung vollständig vorliegen, sodass dann auch die praktischen Voraussetzungen für die Ermächtigung der Untergerichte nach § 35 BVerfGG gegeben sein dürfte. Es wird dann nur noch eine Frage der Zeit sein, dass es einen der Besoldungsgesetzgeber trifft - und danach, sofern der heutige Weg fortgeschritten wird, trifft es eben nacheinander die weiteren.

2) Entsprechend der gerade gemachten Ausführungen bedürfte es dann keiner weiteren Vorgaben mehr, was den Besoldungsgesetzgebern - so vermute ich - ebenfalls nicht ganz klar sein sollte.

Wer will diese Textwüsten lesen? Kurz und präzise antworten geht wohl nicht? Auf den Punkt kommen ist eine Tugend...

Ich.

Beamtix

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #1858 am: 28.09.2022 10:07 »
Ich ebenfalls. Ohne ST hätte ich das alles nicht so schnell nachvollziehen können.
Also, vielen Dank dafür.

mpai

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« Antwort #1859 am: 28.09.2022 10:36 »
Wie funktioniert denn in der Praxis die Vollstreckungsanordnung?
Würden in dem Zusammenhang Beträge für die Mindestbesoldung oder ziemlich konkrete Vorgaben vom BVerfG genannt werden?

Zunächst einmal heißt es im Fünften Leitsatz der aktuellen Entscheidung:

"Beim systeminternen Besoldungsvergleich ist neben der Veränderung der Abstände zu anderen Besoldungsgruppen in den Blick zu nehmen, ob in der untersten Besoldungsgruppe der gebotene Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau eingehalten ist. Ein Verstoß gegen dieses Mindestabstandsgebot betrifft insofern das gesamte Besoldungsgefüge, als sich der vom Gesetzgeber selbst gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist. Die indizielle Bedeutung für die verfassungswidrige Ausgestaltung der zur Prüfung gestellten Besoldungsgruppe ist dabei umso größer, je näher diese an der Grenze zur Mindestbesoldung liegt und je deutlicher der Verstoß ausfällt."

Damit hebt das Bundesverfassungsgericht im ersten Satz hinsichtlich des materiellen Gehalts einer amtsangemessenen Alimentation hervor, dass hinsichtlich der beiden Abstandsgebote weder der Abstand zwischen den Besoldungsgruppen noch der Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau, also die Mindestalimentation, verletzt werden dürfen. Ist allerdings das Mindestabstandsgebot verletzt, erweist sich der vom Gesetzgeber gesetzte Ausgangspunkt - also mindestens die einem aktiven verheirateten Beamten mit zwei Kindern in der niedrigsten Erfahrungsstufe der untersten Besoldungsgruppe gewährte  Nettoalimentation - als fehlerhaft, wie der zweite Satz verdeutlicht. Daraus folgt materiell zwangsläufig, dass all jenen Beamten, denen eine die Mindestalimentation nicht überschreitende Nettoalimentation gewährt wird, eine höhere Nettoalimentation zu gewähren ist, wobei dabei die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen entsprechend einer amtsangemessenen Alimentation zu beachten sind; materiell nicht zwangsläufig folgt daraus aber, dass nun das Grundgehalt all jener wie beschrieben betroffenen Beamten anzuheben wäre. Denn die Alimentation speist sich ja nicht allein aus dem Grundgehalt als allerdings Hauptkomponente der Besoldung, sondern kann auch durch Nebenkomponenten oder bspw. Änderungen im Beihilferecht erhöht werden.

Deshalb kommt nun der dritte Satz ins Spiel: Denn nun wechselt das Bundesverfassungsgericht vom materiellen Gehalt der als Wenigstens zu gewährenden Nettoalimentation zur Besoldungsprüfung, also in die indizielle Prüfsystematik, die der Besoldungsgesetzgeber wie auch die Gerichte zu beachten haben (nicht umsonst wird hier ein Leitsatz formuliert). Der dritte Satz sagt nun hinsichtlich des Prüfverfahrens aus, dass es in der Prüfung eine Mindestsbesoldung gibt, die den Verletzungsgrad der Besoldungssystematik offenbart: Je größer der Fehlbetrag zwischen dem tatsächlichen Grundgehaltssatz in der niedrigsten Erfahrungsstufe der untersten Besoldungsgruppe ausfällt und je mehr Besoldungsgruppen hinter der Mindestbesoldung zurückfallen, als desto verletzter ist die Besoldungssystematik anzusehen. Entsprechend hebt das Bundesverfassungsgericht in der Rn. 49 hervor:

"Ob eine zur Behebung eines Verstoßes gegen das Mindestabstandsgebot erforderliche Neustrukturierung des Besoldungsgefüges zu einer Erhöhung der Grundgehaltssätze einer höheren Besoldungsgruppe führt, lässt sich daher nicht mit der für die Annahme eines Verfassungsverstoßes erforderlichen Gewissheit feststellen. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist umso größer, je näher die zur Prüfung gestellte Besoldungsgruppe selbst an der Grenze zur Mindestbesoldung liegt. Je deutlicher der Verstoß ausfällt und je mehr Besoldungsgruppen hinter dem Mindestabstandsgebot zurückbleiben, desto eher ist damit zu rechnen, dass es zu einer spürbaren Anhebung des gesamten Besoldungsniveaus kommen muss, um die gebotenen Abstände zwischen den Besoldungsgruppen wahren zu können. Die Verletzung des Mindestabstandsgebots bei einer niedrigeren Besoldungsgruppe ist daher (nur) ein Indiz für die unzureichende Ausgestaltung der höheren Besoldungsgruppe, das mit dem ihm nach den Umständen des Falles zukommenden Gewicht in die Gesamtabwägung einzustellen ist."

Entsprechend hat der Besoldungsgesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren zunächst einmal zu ermitteln, ob materiell die Mindestalimentation gewährt wird - und falls das nicht der Fall ist, ist indiziell anhand der Mindestbesoldung der Grad der Verletzung der Besoldungssystematik zu prüfen. Danach ist der Gesetzgeber prozedural zwingend dazu aufgefordert, zu begründen, wie er eine verletzte Besoldungsordnung heilen wollte. Nun dürfte allerdings eine entsprechende Heilung kaum ohne die Anhebung von Grundehaltssätzen möglich sein, wenn - wie bspw. in Bayern oder Berlin oder Baden-Württemberg oder Niedersachsen - sowohl die Mindestbesoldung viele hundert Euro höher liegt als das tatsächlich gewährte Besoldungsniveau und wenn der Hälfte oder mehr als der Hälfte der Besoldungsgruppen nur ein Besoldungsniveau gewährt wird, was noch unterhalb der Mindestbesoldung liegt. Wollte der Besoldungsgesetzgeber dennoch ohne Anhebung von Grundgehaltssätzen wieder materiell zu einer amtsangemessenen Alimentation zurückkehren, müsste er das nur anhand von sachlichen Gründen vollziehen - wobei das "nur" hier der Haken ist. Solch stark verletzte Besoldungssystwematiken lassen sich nicht durch Anhebung von Nebenkomponenten heilen, da diese Nebenkomponenten i.d.R. zur Besoldungsdifferenzierung führen, was im Ergebnis dann zu einem Verstoß gegen das Abstandsgebot zwischen den Besoldungsgruppen führt, da die Besoldungsdifferenzierung zur Einebnung von Abständen zwischen Besoldungsgruppen führt, womit ein Verstoß gegen die Ämterwertigkeit und also das Leistungsprinzip vorliegt.

Soweit - etwas vereinfacht - wird das, was ich hier schreibe, etwas komplexer in dem genannten ZBR-Beitrag aus dem Mai anhand eines Berechnungsverfahrens für den indiziellen Parameter der Mindestbesoldung betrachtet und eine entsprechende Berechnungsmethodik am Beispiel Berlin begründet.

Das vorweggeschickt, um Deine Fragen zu beantworten, Unknown.

1) § 35 BVerfGG führt aus: "Das Bundesverfassungsgericht kann in seiner Entscheidung bestimmen, wer sie vollstreckt; es kann auch im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung regeln." Kommt nun ein Besoldungsgesetzgeber wiederholt seiner Verpflichtung, eine amtsangemessene Alimentation zu gewähren, nicht nach, wird das Bundesverfassungsgericht in einem konkreten Normenkontrollverfahren entsprechend handeln und also den aufgeforderten Besoldungsgesetzgeber mit einer Frist auffordern, bis dahin wieder für die Gewährung einer amtsangemessenen Alimentation zu sorgen, sowie die Verwaltungsgerichte ermächtigen, nach dieser Frist Klägern eine amtsangemessene Alimentation zuzusprechen, ohne noch das Bundesverfassungsgericht einzuschalten. Voraussetzung, dass die Gerichte entsprechend handeln können, ist ein hinreichend genaues Verfahren, um das Maß einer amtsangemessenen Alimentation bestimmen zu können.

Dieses Maß ist durch die weitgehend abgeschlossene neue Besoldungsdogmatik der Bundesverfassungsgerichts mittlerweile weitgehend ermittelbar: sowohl hinsichtlich des materiellen Gehalts anhand der Mindestalimentation als auch hinsichtlich dessen indizieller Prüfung anhand der Mindestbesoldung. Darüber hinaus liegen alle nötigen bundesverfasungsgerichtlichen Aussagen hinsichtlich des Abstandsgebots zwischen den Besoldungsgruppen vor. Mit hoher Wahrscheinlichkeit dürfte die neue Besoldungsdogmatik nach der angekündigten Entscheidung vollständig vorliegen, sodass dann auch die praktischen Voraussetzungen für die Ermächtigung der Untergerichte nach § 35 BVerfGG gegeben sein dürfte. Es wird dann nur noch eine Frage der Zeit sein, dass es einen der Besoldungsgesetzgeber trifft - und danach, sofern der heutige Weg fortgeschritten wird, trifft es eben nacheinander die weiteren.

2) Entsprechend der gerade gemachten Ausführungen bedürfte es dann keiner weiteren Vorgaben mehr, was den Besoldungsgesetzgebern - so vermute ich - ebenfalls nicht ganz klar sein sollte.

Wer will diese Textwüsten lesen? Kurz und präzise antworten geht wohl nicht? Auf den Punkt kommen ist eine Tugend...
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Sollte es irgendwann mal einen dicken Batzen mehr geben, können wir uns bei ihm bedanken.