Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 2070102 times)

Neuling2016

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #2970 am: 17.12.2022 15:19 »
Mein Widerspruch von Anfang Dezember 2022 für das Jahr 2021 wurde seitens des BVA ruhend gestellt. Entsprechendes Schreiben war heute in der Post.

emdy

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #2971 am: 17.12.2022 15:31 »
Mein Widerspruch von Anfang Dezember 2022 für das Jahr 2021 wurde seitens des BVA ruhend gestellt. Entsprechendes Schreiben war heute in der Post.

Herrlich. Ich hoffe doch, du hast auch für 2022 Widerspruch eingelegt. Mein Widerspruch für 2020 in 2020 wurde nicht ruhend gestellt (gleiche Rechtslage). Da wird also nicht gedacht sondern nur stumpf das Rundschreiben exekutiert.

Neuling2016

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #2972 am: 17.12.2022 20:10 »
Mein Widerspruch von Anfang Dezember 2022 für das Jahr 2021 wurde seitens des BVA ruhend gestellt. Entsprechendes Schreiben war heute in der Post.

Herrlich. Ich hoffe doch, du hast auch für 2022 Widerspruch eingelegt. Mein Widerspruch für 2020 in 2020 wurde nicht ruhend gestellt (gleiche Rechtslage). Da wird also nicht gedacht sondern nur stumpf das Rundschreiben exekutiert.

Der Widerspruch für 2022 wurde bereits Anfang des Jahres euhend gestellt.
Für 2021 habe ich mich anfangs nicht getraut, diesen noch in 2022 zu stellen, aber nachdem hier im Forum dazu animiert wurde, dachte ich mir, dass ich die 0,85 € ruhig investieren und abwarten kann. Und siehe da: anstatt für 12 Monate, winken hoffentlich nun für 24 Monate entsprechende Nachzahlungen.

Tom1234

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #2973 am: 18.12.2022 09:45 »
Ich hatte mit Bezug auf 195 BGB auch für 2019 und 2020 Widerspruch beim BVA eingereicht. Diese wurden ebenfalls ruhend gestellt. Es wurde jedoch nicht auf die haushaltsnahe Geltendmachung verzichtet.  Zumindest für 2020 sehe ich da noch Potenzial, da der Dienstherr in Kenntnis der Rechtsprechung war. Ansprüche wahren liebe Kollegen.

Major Pain

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #2974 am: 18.12.2022 09:50 »
Ich habe da mal eine Frage, die mich seit Tagen beschäftigt...

Wieso ist es nicht möglich ein Gesetz zu verabschieden, dass die nicht verfassungskonforme Besoldung der Beamten heilt, aber auf der anderen Seite gibt es binnen einer Woche einen Referentenentwurf in dem das Beamtendisziplinarrecht verschärft wird?

Das verstehe ich nicht.

Böse Zungen würden behaupten der Referentenentwurf sorgt dafür, dass Geld eingespart wird (nämlich wenn ein Beamter entfernt wird) und die Reform der Besoldung kostet Geld...

Aber ich bin nur ein kleiner unwissender Soldat.


xap

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #2975 am: 18.12.2022 10:18 »
Ich behaupte, dass das nachrangig ist. Minister haben ihre Lieblingsthemen, der Rest ist mitunter lästig und es wird aalglatt gelogen wenn die Kameras an sind. So zum Beispiel am dbb Gewerkschaftstag im Januar 2022 durch Fr. F. Heute will man sich an nichts mehr erinnern. Eigentlich unverständlich wieso Minister dahin eingeladen werden, wenn ihnen auf offener Bühne seitens der Gewerkschaften nicht gleichzeitig die Leviten gelesen werden. Aber vermutlich gehen schöne Bilder vor.

BalBund

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #2976 am: 18.12.2022 11:08 »


Wieso ist es nicht möglich ein Gesetz zu verabschieden, dass die nicht verfassungskonforme Besoldung der Beamten heilt, aber auf der anderen Seite gibt es binnen einer Woche einen Referentenentwurf in dem das Beamtendisziplinarrecht verschärft wird?


Streng genommen, weil das eine in Referat D2 und das andere in Referat D3 federführend bearbeitet wird, Beamtenrecht und Besoldungsrecht sind zwei verschiedene Dinge. Weiterhin muss das BMF zum Disziplinarrecht nicht mitzeichnen, das kann das Haus in eigener Zuständigkeit.

Ansonsten ist es natürlich - wie bereits erwähnt - eine Sache der Priorität und wo die liegt, kann man der Tagespresse entnehmen.

lotsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #2977 am: 18.12.2022 11:13 »
Ich habe da mal eine Frage, die mich seit Tagen beschäftigt...

Wieso ist es nicht möglich ein Gesetz zu verabschieden, dass die nicht verfassungskonforme Besoldung der Beamten heilt, aber auf der anderen Seite gibt es binnen einer Woche einen Referentenentwurf in dem das Beamtendisziplinarrecht verschärft wird?

Das verstehe ich nicht.

Böse Zungen würden behaupten der Referentenentwurf sorgt dafür, dass Geld eingespart wird (nämlich wenn ein Beamter entfernt wird) und die Reform der Besoldung kostet Geld...

Aber ich bin nur ein kleiner unwissender Soldat.

Irgendein kluger Mann hat mal gesagt, die kleinen Leute verstehen es oft nicht richtig, aber meistens haben sie das richtige Gefühl.

Knecht

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #2978 am: 18.12.2022 12:16 »
Eine Sache verstehe ich auch nicht: ist es dem Bundesverfassungsgericht tatsächlich vollkommen Schnuppe, ob deren Urteile dann auch umgesetzt werden? Gibt es von deren Seite keine Möglichkeit die Sache "durchzuziehen", gerade in Anbetracht dessen, dass dort ja ebenfalls Leute arbeiten, die das Ganze betreffen dürfte...

Pendler1

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #2979 am: 18.12.2022 13:49 »
@Knecht, #2978

Was soll das Gericht denn machen?

Die Polizei zur "Durchsetzung" beauftragen, die Bundeswehr ... ?


Knecht

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« Antwort #2980 am: 18.12.2022 16:51 »
@Knecht, #2978

Was soll das Gericht denn machen?

Die Polizei zur "Durchsetzung" beauftragen, die Bundeswehr ... ?

Eine Frist zur Umsetzung setzen und Strafen (Zahlungen) androhen?

Phoenix

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #2981 am: 18.12.2022 16:56 »
Eine Sache verstehe ich auch nicht: ist es dem Bundesverfassungsgericht tatsächlich vollkommen Schnuppe, ob deren Urteile dann auch umgesetzt werden? Gibt es von deren Seite keine Möglichkeit die Sache "durchzuziehen", gerade in Anbetracht dessen, dass dort ja ebenfalls Leute arbeiten, die das Ganze betreffen dürfte...

Hat das BVerfG nicht bisher nur Berlin und NRW "verurteilt" eine verfassungswidrige Besoldung zu haben?


So zu sagen können Sie noch gar nichts gegen die übrigen machen

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #2982 am: 18.12.2022 20:49 »
@Knecht, #2978

Was soll das Gericht denn machen?

Die Polizei zur "Durchsetzung" beauftragen, die Bundeswehr ... ?

Eine Frist zur Umsetzung setzen und Strafen (Zahlungen) androhen?

Eine Frist setzt das Bundesverfassungsgericht zur Behebung des Verfassungsverstoßes grundsätzlich immer, sofern es eine Norm als verfassungswidrig betrachtet. Darüber hinaus verfügt es verfassungsrechtlich aber nicht über das Recht, selbst die Höhe einer amtsangemessenen Alimentation festzulegen, da das Recht zur positiven Gesetzgebung ausschließlich der Legislative zukommt. Zugleich ist es verfassungsrechtlich weiterhin nicht vorgesehen, dass als eine Art Amtshaftung Strafen gegen einzelnen Amts- oder Mandatsträger vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden könnten.

Letztlich kann es, da es nicht über das positive Recht zur Gesetzesänderung verfügt, nur ein Gesetz als verfassungswidrig klassifizieren und die Gründe dafür darlegen sowie dem Gesetzgeber eine Frist einräumen, bis zu welchem Zeitpunkt er für eine verfassungskonforme Regelung zu sorgen hat. Erst wenn der Gesetzgeber diese Frist dauerhaft verstreichen lässt, also untätig bleibt, oder der Gesetzgeber nur so tätig wird, dass das einer Untätigkeit gleichkommt, kann das Bundesverfassungsgericht, nachdem es erneut angerufen und damit zur Entscheidung befugt worden ist, eine Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG erlassen, also die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf Grundlage genauer bundesverfassungsgerichtlicher Vorgaben dazu ermächtigen, das nun sie die Entscheidung vergangenheitsbezogen vollstrecken, solange der Gesetzgeber nicht eine verfassungskonforme gesetzliche Regelung für die Zeit, die von der Vollstreckungsanordnung umfasst ist, vollzieht.

Dieser Fall, dass also der Gesetzgeber nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fristverstreichend gar nicht tätig wird oder nur so, dass es einer Untätigkeit gleichkäme, kommt aber nur selten vor. Entsprechend hat das Bundesverfassungsgericht, sofern es erneut angerufen wird, in der Regel zunächst erst einmal eine nach seiner mit Gesetzeskraft erlassenen Entscheidung vom Gesetzgeber nun veränderte Gesetzeslage vor sich. Sofern diese sich ebenso als verfassungwidrig herausstellt, aber weiterhin die getroffene neue Regelung nicht einer Untätigkeit gleichkommt (und Untätigkeit meint Untätigkeit), ist es dem Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlich i.d.R. noch immer nicht gestattet, eine Vollstreckungsanordnung zu vollziehen - eben weil der Gesetzgeber ja i.d.R. tätig geworden ist, sodass das vormalige Procedere erneut abläuft: Es betrachtet die gesetzliche Regelung mit Gesetzeskraft als verfassungswidrig und setzt wiederum eine Frist, bis zu der der Gesetzgeber für eine verfassungskonforme gesetzliche Regelung zu sorgen hat.

Erst wenn der Gesetzgeber bis zu jener Frist nicht tätig wird oder nur so tätig geworden ist, dass das einer Untätigkeit gleichkommt, ergibt sich i.d.R. die Möglichkeit der genannten Volltreckungsanordnung, jedoch natürlich erneut nur, sofern das Bundesverfassungsgericht angerufen worden ist und dann erst zur Entscheidung ermächtigt und berechtigt ist. Denn das Bundesverfassungsgericht hat bei allen Entscheidungen zu beachten, dass die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 GG), sodass es nicht voraussetzen dürfte, dass der Gesetzgeber in unserem demokratischen Rechtsstaat wissentlich und willentlich verfassungswidrig handelte, solange es nicht gezielte Willkürhandlungen idenifzieren könnte (aber auch für eine solche Betrachtung als offensichtliche Willkürmaßnahmen sind die verfassungsrechtlichen Hürden hoch, was - auch wenn uns das in unseren eigenen Fällen hier im Moment vielleicht ärgert - ebenfalls typische Rechtsstaatsprinzipien sind; eben damit das Bundesverfassungsgericht weiterhin Hüter der Verfassung bleibt, aber nicht Hüter des Gesetzgebers und der Regierung wird; denn seine verfassungsrechtliche Ermächtigung, Gesetze zu vernichten, gibt dem Bundesverfassungsgericht eine Machtfülle, die legitim nur schonend anzuwenden ist, nämlich ohne sogleich in eine Verfassungskrise oder die eigene Bedeutungslosigkeit zu geraten).

Und nun könnte ich mir vorstellen, dass der eine oder andere hier die Darstellung zum Anlass nimmt, das Bundesverfassungsgericht aufzufordern, dann eben doch anders zu handeln. Es hat aber die Verfassung nicht gemacht, sondern sie seit 1951 ausgelegt - und ist eben aus den genannten und reichlich anderen Gründen zu den hier jetzt vereinfacht dargestellten Ergebnissen gekommen.

Da es in den letzten gut zehn Jahren eine neue Besoldungsdogmatik entwickeln musste, um die uns heute offensichtlichen Probleme erst nach und nach als solche zu solchen qua Rechtsprechung und damit negativer Gesetzgebung zu machen - und zwar das immer unter der gerade genannten Prämisse, dass es davon ausgehen muss, dass die Gesetzgeber sich an die verfassungsmäßige Ordnung halten -, hat es der Zeit bedurft, um dorthinzugelangen, wo wir heute stehen. Denn da das Bundesverfassungsgericht sowohl angerufen werden muss, um entscheiden zu können, als auch aus dem genannten Sachverhalt heraus sich nicht immer wieder den einen Gesetzgeber sogleich herauspicken darf, dauert es weiterhin, bis es zu einer Vollstreckungsanordnung kommt.

Zugleich beschleunigt sich nun das gerichtliche Prüfungsverfahren, da seit 2020 nun über die konkretisierte  Mindestalimentation bereits die Verwaltungsgerichts Vorlagebeschlüsse fassen können, was vorher so vielfach nicht möglich erschien und deshalb wiederkehrend durch den gesamten oder weitere Teile des verwaltungsgerichtlichen Instanzenzug führte wie hier in Niedersachsen oder vormals in Berlin, wo es bis zum Bundesverwaltungsgericht ging (ohne nun auch noch dieses Themenfeld umfassender zu beleuchten). Auch dürfte mit der anstehenden Entscheidung womöglich die neue Besoldunfsdogmatik weitgehend abgeschlossen vorliegen, was - wenn dem so sein wird - ebenfalls zu einer Beschleunigung der Verfahren führen wird. Dabei ist aber zu bedenken, dass - wenn ich die Zahl richtig erinnere - im Jahr etwa 6.000 Fälle vor dem Bundesverfassungsgericht landen, von denen zwar nur rund ein Prozent konkrete Normenkontrollverfahren sind und von den 99 % anderen Entscheidungen sich viele wegen der gebildeten Dogmatiken praktisch von alleine entscheiden - aber auch diese müssen lokalisiert, betrachtet und in den - vielfach kurzen - Begründungen abgewiesen werden. Zugleich stelle ich mir bereits rund 60 konkrete Normenkontrollverfahren als große Belastung für die 16 Richter und 64 wissenschaftlichen Mitarbeitern vor. Denn wenn man allein die Entscheidungsbegründungen liest (und damit wiederkehrend eine Ahnung über den Umfang der Beratungen erhält), dann kann man erahnen, welches Pensum dort in Karlsruhe, Jahr für Jahr dicke Bretter bohrend (obgleich das ja eher die Politik ausmachen sollte), geleistet wird.

Däumchendrehen ist - wenn ich es richtig sehe - eher nicht beim Bundesverfassungsgericht: Die Arbeit am Recht ist - denke ich - echte Arbeit (und um kurz aus dem Nähkästchen zu plaudern: Ich sitze derzeit an einem mich stark beschäftigenden Problem hinsichtlich eines Besoldungsgesetz, das mich ebenfalls auch aus eigenem Interesse stark interessiert, was dazu geführt hat, dass ich um vier Uhr nicht mehr schlafen konnte und seitdem mit Ausnahme eines kurzen Frühstücks hier an der Glotze sitze, lese, Zusammenhänge herstelle und schreibe - und um nicht missverstanden zu werden: Ich schreibe das nicht, um Mitleid zu erzeugen; denn das war ein sauguter Tag, weil ich tief und über eine lange Zeit in ein Thema eintauchen konnte. Und die Ausbeute von rund vier Seiten geschriebenen Text ist für ein Tag für meine Verhältnisse gewaltig viel - tauschen mit den Karlsruher Richtern und Mitarbeitern will ich aber nicht: Denn die gehen höchstwahrscheinlich nicht so weitgehend unbedarft wie ich an die Probleme heran und sehen deshalb noch viel mehr als jemand wie ich, der sich als Laie da ein bisschen hineingefuchst hat, was Sache ist, sodass sich ihre Schreibgeschwindigkeit eher nicht erhöhen dürfte, der Druck der beständig einlaufenden Verfahren aber immer bleibt).

Knecht

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #2983 am: 18.12.2022 21:22 »
Puh... Vielen Dank für die ausführliche Antwort und die Einblicke. Mir war natürlich klar, dass es so einfach wie erfofft nicht sein wird, aber welche Hürden dann tatsächlich immer vorhanden sind, ist schon erschreckend. Bürokratieabbau eben...

Dass man derart auf den "guten Willen" von ein paar - wie auch immer - an gewissene Positionen gerutschten Personen abhängig ist, macht schon fassungslos.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #2984 am: 19.12.2022 00:05 »
Puh... Vielen Dank für die ausführliche Antwort und die Einblicke. Mir war natürlich klar, dass es so einfach wie erfofft nicht sein wird, aber welche Hürden dann tatsächlich immer vorhanden sind, ist schon erschreckend. Bürokratieabbau eben...

Dass man derart auf den "guten Willen" von ein paar - wie auch immer - an gewissene Positionen gerutschten Personen abhängig ist, macht schon fassungslos.

Tatsächlich handelt es sich bei der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im engeren Sinne nicht um Bürokratie, sondern um eine vielfach und vielfältig tiefgreifend ausgeformte Verfassungsrechtsprechung, die also vor allem Grundrechtschutz betreibt (und hinsichtlich von uns Beamten den Schutz von grundrechtsgleichem Recht) und damit weitgehend das weiter ausformt, was wir Rechtsstaat nennen. Dabei ist immer wieder die Entstehung und Entwicklung von Rechtsgrundsätzen höchst spannend - und ein einmal ausgeformtes Verfassungsrecht lässt sich eben nicht so einfach abbauen, jedenfalls solange nicht, wie es nicht zu einer Verfassungsänderung kommt, die aber eher selten ist. Hinsichtlich des Besoldungsrechts ist es 2006 zu einer solchen Verfassungsänderung gekommen, die dazu geführt hat, dass die sogenannte konkurrierende Gesetzgebung zugunsten der Reföderalisierung des Besoldungsrechts durch den Bundestag und Bundesrat vollzogen worden ist, die also die 17 Gesetzgeber zur konkurrenzlosen Besoldungsgesetzgebung in ihrem jeweiligen Rechtskreis ermächtigte, während der Bund weitgehend nur noch - außer für die Besoldung seiner Beamten - allgemein für Statusfragen zuständig war und ist (entsprechend ist das für alle Beamten in Deutschland Geltung beanspruchende Beamtenstatusgesetz ein Bundesgesetz). Ziel der Reföderalisierung des Besoldungsrechts war der Wunsch der Länder, mit ihr zu deutlichen Personalkosteneinsparungen zu gelangen, wie er sich zunehmend ab Anfang der 2000er Jahre in Zeiten leeren Kassen abzeichnete, was für sie in ihrem Sinne bislang erfolgreich verlaufen ist.

Das Bundesverfassungsgsgericht hat, dann nachdem es bereits 2007 die Vermutung ausgesprochen hatte, dass in Deutschland einzelnen Beamtengruppen bis hin zur gesamten Beamtenschaft verfassungswidrig unteralimentiert werden würden, ab jenen Zeitraum mit den Vorbereitungen zur neuen Besoldungsdogmatik begonnen, die das offensichtliche Ziel nicht zuletzt Andreas Voßkuhles war, der 2008 zum Richter am Bundesverfassungsgericht und 2010 zu seinem Präsident ernannt worden ist. Aber auch hier stellten sich zunächst mindestens vier Probleme in den Weg, die entscheiden mit dafür gesorgt haben, dass die Rechtsprechung scheinbar (nicht anscheinend) so langsam vollzogen worden ist und wird:

Erstens kann das Bundesverfassungsgericht nur nachlaufen und also vergangenheitsbezogen entscheiden. Es muss zunächst angerufen werden, um dann entscheiden zu können.

Zweitens haben die Besoldungsgesetzgeber mit der 2006 erlangten konkurrenzlosen Ermächtigung zur Besoldungsgesetzgebung erst nach und nach Teile der, solange sie keine gesetzlichen Veränderungen vollzogen,  vormals und nun zunächst noch weitgehend einheitlichen Besoldungsgesetzgebung im Landesrecht novelliert,  die aber in Teilen dann wiederum deutlich unterschiedlich ausfiel, sodass es nach 2006 für ein Bundesverfassungsgericht, das unter den vorhin beschriebenen Bedingungen (Verfassungs-)Recht zu sprechen hat, galt, diese Entwicklungen abzuwarten und zu beobachten, die Veränderungen zu analysieren und also selbst erst einmal Erfahrungen zu sammeln unter der Maßgabe, dass es grundsätzlich vorauszusetzen hat, dass sich der Gesetzgeber im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung bewegt.

Drittens war der weite Entscheidungsspielraum des Besoldungsgesetzgebers als solcher in der Bundesrepublik traditionell seit jeher ein tatsächlich weiter; nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht bis 2012 weit überwiegend die allermeisten Normenkontrollklagen zurückgewiesen. Es musste also mit der ab 2012 offenbar werdenden bundesverfassungsgerechtlichen Wende in der Besoldungsrechtsprechung eine neue Dogmatik erstellt werden, ohne dass sich verfassungsrechtlich hinsichtlich der Gewährung einer amtsangemessenen Alimentation nach 2006 viel verändert hatte - verändert hatte sich, dass nun 17 von ihnen auf den Plan traten und dass das zu einer entsprechend komplexen Veränderung der einfachgesetzlichen Regelungsbreite in den Rechtkreisen führte.

Viertens hat die Verwaltungsgerichtsbarkeit noch weit in den 2010er Jahren aus der langen Tradition des weiten Entscheidungsspielraums heraus, über den der Besoldungsgesetzgeber bis dahin verfügt hatte, eher zurückhaltend und konservativ entschieden, da auch sie erst begreifen musste, dass diese Tradition zu einem Ende kam. Streckenweise hat man dann auch erst einmal die weitere bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung abgewartet, weil man in den Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten unsicher war, ob es zu einem Traditionsbruch kommen würde und wie jener dann ggf. aussehen würde.

Um diesen Prozess anhand von Niedersachsen zu verdeutlichen. Hinsichtlich der 2005 hier gewährten Alimentation ist es 2009 vor dem VG Lüneburg zur Klageerhebung gekommen. Das VG hat auf Grundlage der damaligen Besoldungsrechtsdogmatik die Klagen ausnahmslos zurückgewiesen, aber die Berufung zugelassen. Auch wegen der sich ggf. abzeichnenden Veränderungen in und der bundesverfassungsgerichtlichen Besoldungsdogmatik hat das Niedersächsische OVG das Berufungsverfahren dann bis 2017 ruhend gestellt und erst dann - den Klagezeitraum auf die Zeit von 2005 bis 2016 erweiternd - das Berufsungsverfahren auf Grundlage der bis dahin schon recht weit entwickelten neuen bundesverfasungsgerichtlichen Besoldungsdogmatik mit dem Ergebnis geführt, dass es hinsichtlich des Jahres 2014 von einer verfassungswidrigen Unteralimentation ausgegangen ist und einen entsprechenden Vorlagebeschluss gefasst hat. Für alle anderen Jahre hat es die Berufung zurückgewiesen, jedoch in einem sog. Obiter dictum sich die ihm in der Entscheidung in den Weg stellende Probleme thematisiert und am Ende die Revision zugelassen. Das Bundesverwaltungsgericht hat schließlich Ende Oktober 2018 auf Grundlage der seitdem noch einmal weiter fortgeschrittenen bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung und in Auseinandersetzung nicht zuletzt mit den sich aus dem Obiter dictum ergebenden Fragen im Revisionsverfahren die Jahre 2005 bis 2013 und 2015 und 2016 als ausnahmslos verfassungswidrig betrachtet und entsprechende Vorlagebeschlüsse gefasst; zugleich führte der Vorsitzende Richter aus, dass die Alimentation in all den Jahren in einer "erschreckenden Weise" nicht mehr amtsangemessen gewesen sei.

Darin spiegelt sich nun der bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechungswandel: Während das VG Lüneburg 2009 die Alimentation als durchgehend verfassungsgemäß betrachtet hat, hat das Niedersächsische OVG sie 2017 für das Jahr 2014 als verfassungswidrig betrachtet und für alle anderen Jahre als verfassungskonform, nicht ohne seine Probleme in der Entscheidungsfindung zu thematisieren. 2018 hat das Bundesverwaltungsgericht die Alimentation in sämtlichen betrachteten Jahren als in "erschreckender Weise" verfassungswidrig betrachtet - innerhalb von rund neun Jahren hatte sich also eine komplette Veränderung der Rechtsprechungspraxis innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf Grundlage des bundesverfassungsgerichtlichen Wandels in der Besoldungsrechtsprechung ergeben: Und solche Wandlungen eines Verfassungsgerichts, das von seiner Funktion her als Hüter der Verfassung immer auch einen bewahrenden Zug zu beachten hat und entsprechend - wie vorhin geschrieben - nach schonenden Ausgleichsmöglichkeiten zwischen kollidierenden Grundrechten fahndet (das, was man praktische Konkordanz nennt) und eher selten von einem einstmals eingeschlagenen Weg abweicht, also Dogmatiken nicht so ohne Weiteres ändert, die sich vielfach in einem jahrzehntelangen Prozess entwickelt und weiter ausdifferenziert haben, solche Wandlungen vollziehen sich eben nicht so ohne Weiteres.

Denn gleichzeitig ist das Besoldungsrecht mit der zunehmend weiter ausgeformten neuen Besoldungsdogmatik zusehends deutlich komplexer geworden, erfordert also heute deutlich mehr "Bürokratie", also ein gehörig umfangreicheres prozedurales Arsenal, das der Besoldungsgesetzgeber als Folge der neuen Besoldungsdogmatik zu erfüllen hat, was man nicht selten als einen Prozess der Juridifizierung der Politik bezeichnet hat - also erst durch diese Art der "Bürokratie" ist die Voraussetzung geschaffen worden, dass das Besoldungsrecht in Verlauf der nächsten drei bis maximal fünf Jahren - jedenfalls, je nachdem wie nun die aktuelle bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung aussehen wird und ob es nun zum weitgehenden Abschluss der neuen Besoldungsdogmatik kommt - wieder in einem verfassungskonformen Rahmen zurückgekehrt sein wird. Ohne die 2012 und 2018 jeweils deutlich verschärfte bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung hinsichtlich der den Besoldungsgesetzgeber treffenden prozeduralen Anforderungen wären wir davon allerdings noch weit entfernt - so wie die 2015 in zwei Entscheidung ausgeformte materielle Prüfsystematik, das 2017 als hergebrachten Grundsatz betrachtete Abstandsgebot zwischen den Besoldungsgruppen und der 2020 weitgehend ausgeformten Mindestabstandsgebotsrechtsprechung, die allesamt den "bürokratischen" Aufwand des Besoldungsgesetzgebers de jure und de facto deutlich vergrößern, sich nun wie Mühlsteine um den einstmals freien Hals der Besoldungsgesetzgeber legen. Denn wäre nicht die neue Dogmatik entwickelt worden, würden wohl in spätestens drei bis fünf Jahren schon die zwangsverheirateten Ehepartner der Beamten die allermeisten Alimentationslasten übernehmen müssen, wie es nun bereits unser Krösus Bayern als Spitzenbesolder im gehörigen Maße vormacht - alle seine Spitzen richten sich gegen seine Beamten.
« Last Edit: 19.12.2022 00:11 von SwenTanortsch »