In dem Interview mit der Ministerin zeigen sich erneut typische sachwidrige Behauptungen. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber nicht mit seiner aktuellen Entscheidung dazu verpflichtet, jedes Jahr den Abstand zum Grundsicherungsniveau bzw. neuerdings zum Bürgergeld zu prüfen (ab Min. 0:10). Vielmehr hat der Gesetzgeber Sorge dafür zu tragen, dass die Beamten des betreffenden Rechtskreises amtsangemessen alimentiert werden. Diese Verpflichtung besteht allerdings nicht erst seit dem 04. Mai 2020. Da das Mindestabstandsgebot nur den vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Teil der zu gewährenden Alimentationsschutz beschreibt, hat jenes Gebot erst einmal gar nichts mit einer amsangemessenen Alimentation zu tun. Weiterhin gilt hier, was das Bundesverfassungsgericht in der Rn. 30 gesagt hat: "Die Parameter [der ersten Prüfungsstufe; S.T.] sind weder dazu bestimmt noch geeignet, aus ihnen mit mathematischer Exaktheit eine Aussage darüber abzuleiten, welcher Betrag für eine verfassungsmäßige Besoldung erforderlich ist. Ein solches Verständnis würde die methodische Zielrichtung der Besoldungsrechtsprechung des Senats verkennen."
Das Bundesverfassungsgericht hat sich darüber hinaus an keiner Stelle der aktuellen Entscheidung zur Tarifautonomie geäußert, die hinsichtlich der Beamtenbesoldung auch gar keine Rolle spielt, sodass es keine Veranlassung gehabt hätte, sich zu ihr zu äußern. Auch hat es nicht "in gewisser Weise die Tarifautonomie ausgehebelt" (ab Min. 1:40). Würde es das tun, würde es einen Anschlag auf das Grundgesetz vollziehen, wie es sich in Art. 9 Abs. 3 GG zeigt: "Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden." Die vom Art. 9 Abs. 3 GG genannten weiteren Artikel zeigen ebenfalls den hohen Rang der Tarifautonomie, weshalb ein "Aushebeln" ein Anschlag auf den Rechtsstaat wäre. Das Bundesverfassungsgericht hat sich hierzu in der Vergangenheit in aller gebotenen Klarheit geäußert: "Mit der grundrechtlichen Garantie der Tarifautonomie wird ein Freiraum gewährleistet, in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Interessengegensätze in eigener Verantwortung austragen können. Diese Freiheit findet ihren Grund in der historischen Erfahrung, daß auf diese Weise eher Ergebnisse erzielt werden, die den Interessen der widerstreitenden Gruppen und dem Gemeinwohl gerecht werden, als bei einer staatlichen Schlichtung. Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit kann sich unter diesen Umständen aber nicht darauf beschränken, den einzelnen Grundrechtsträger vor staatlichen Eingriffen in individuelle Handlungsmöglichkeiten zu schützen; es hat vielmehr darüber hinaus die Beziehung zwischen Trägern widerstreitender Interessen zum Gegenstand und schützt diese auch insoweit vor staatlicher Einflußnahme, als sie zum Austrag ihrer Interessengegensätze Kampfmittel mit beträchtlichen Auswirkungen auf den Gegner und die Allgemeinheit verwenden." (BVerfGE 88, 103 (114 f.))
Mit ihrer Unterstellung, das Bundesverfassungsgericht würde verfassungswidrig handeln, überträgt die Ministerin offensichtlich den von ihr weiterhin mit zu verantwortenden wiederkehrenden Verfassungsbruch auf jenes, um so ein weiteres Mal Stimmung gegen die Judikative zu machen, also die judikative Gewalt weiterhin zu missachten. Spätestens in Anbetracht dessen, dass in den nächsten sechs Jahren in Thüringen mehr als 60 % der Richter in den Ruhestand gehen (ab Min 0:58), bleibt ein solches Handeln, wie die Minsterin es hier ein weiteres Mal rechtfertigt, gänzlich unverantwortlich. Holger Pröbstels dringende Darlegung wird entsprechend, davon ist weiterhin auszugehen, erneut ungehört verhallen. Auch hier müssen am Ende erneut Ulrich Battis' Worte zitiert werden, nämlich "dass die fortgesetzte Missachtung der Judikate von Bundesverfassungsgericht und Verwaltungsgerichtsbarkeit rechtsstaatsgefährdend ist". Der rechtsstaatsgefährdende Gehalt ihrer Aussagen zeigt sich sowohl in der gezielten Falschdarstellung der Rolle und der aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als auch darin, dass als Folge solcher Vorstellungen keine hinreichende Nachwuchsgewinnung gelingen kann. Ohne Richter keine hinreichende Rechtsprechung. Ohne hinreichende Rechtsprechung kein Rechtsstaat.