Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 4014806 times)

Sputnik1978

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3630 am: 23.01.2023 14:24 »
Aus einem aktuellen Schnellbrief des DRB NRW

"Vor kurzem ist in der Rheinischen Post ein nicht ganz unmissverständlicher Artikel zum
Thema Besoldung erschienen. Einige Mitglieder haben sich fragend an uns gewandt, so
dass wir sicherheitshalber hier noch einmal darstellen, worum es uns geht.
Vorab: Natürlich geht es nicht darum, dass die Kolleginnen und Kollegen mit
Familienzuschlägen weniger bekommen sollen!
Wir haben als Verband lange und sehr hart bis zum Bundesverfassungsgericht dafür
gekämpft, dass die Besoldung für die Familien der Kolleginnen und Kollegen mit Kindern
deutlich angehoben wird. Hierzu ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes
zur Besoldung sogenannter kinderreicher Familien (gemeint ist: ab dem dritten Kind) in
NRW ergangen. In der Folge sind in NRW nicht die Grundbesoldung, wohl aber die
Familienzuschläge deutlich erhöht worden, so dass sie im Auszahlungsbetrag nunmehr
endlich ein verfassungsgemäßes Niveau erreichen.
Zur Übersicht verweise ich auf die beigefügte Anlage 13 zu § 43 LBesG NRW. Stufe 1 gilt
für Verheiratete, Stufe 2 löst bei einem Kind Stufe 1 ab, Stufe 3 löst bei zwei Kindern Stufe
2 ab. Ab dem dritten Kind gibt es erhebliche wohnortunabhängige Beträge nach Stufe 3.

Aber die weitere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Berliner Besoldung
ist unseres Erachtens (bewusst?) falsch verstanden und daher nur verkürzt umgesetzt
worden. Anstatt die Grundbesoldung für alle anzuheben, hat man nur die
Familienzuschläge zum 01.12.2022 weiter angehoben und diese zudem noch der Struktur
nach an ein sozialhilferechtliches Element angeknüpft.
Dadurch werden auch die, die jetzt deutlich mehr Geld bekommen, unseres Erachtens
rechtswidrig benachteiligt. Die Familienzuschläge, insbesondere die hohen Beträge für
zwei und mehr Kinder nach Stufe 3 der Anlage 13 zu § 43 LBesG NRW, sind nicht
ruhegehaltsfähig und auch nicht planungssicher.

Sobald die Kinder auf eigenen Füßen stehen, entfällt der Zuschlag ersatzlos. Je nachdem,
wo Sie wohnen, wie hoch Ihre Miete oder Ihr monatlicher Kreditzins für den Immobilienkauf
ist, müssen Sie - wenn es blöd läuft - dann umziehen oder die Immobilie verkaufen. Das
kann nicht richtig sein.
Das war bei Zuschlägen schon immer so und muss wohl zumindest bei
Familienzuschlägen an sich auch so sein. Aber gerade das ist hier das Problem. Die
Besoldung muss dem Amt folgen, sie muss amtsangemessen sein, und zwar auch in
Bezug auf die spätere Pension (Versorgungsbezüge). Die Höhe der Familienzuschläge
beweist aber unseres Erachtens, dass die Grundbesoldung viel zu niedrig ist. Denn der
Staat zahlt leider offenbar in der Regel nur so viel, wie er unbedingt muss. Und wenn der
rechtlich unabweisbar erforderliche „Zuschlag“, im Verhältnis zur Grundbesoldung einen
solchen Umfang annimmt, ist er prägender Besoldungsbestandteil, und kein Zuschlag
mehr, mit dem lediglich Belastungsspitzen ausgeglichen werden.
Unsere Forderung ist daher, dass ein erheblicher Teil dieser Familienzuschläge in die
Grundbesoldung überführt werden muss. Rechnerisch müsste dann nur noch die deutlich
verkleinerte Differenz zur Grundbesoldung im Wege des Zuschlages gewährt werden, um
bei den Familien mit Kindern auf dieselben Bruttobeträge zukommen.

Wenn Sie z.B. bei zwei Kindern und Mietenstufe III derzeit 902,05 € bekommen, sollten
vielleicht 700 € in Ihre (ruhegehaltsfähige) Grundbesoldung übernommen werden, sodass
der Zuschlag nur noch 202,05 € wäre.
Im Zahlbetrag wären Sie aber genau da, wo sie jetzt auch sind. Für Sie hätte das aber den
Vorteil, dass Sie auch in 15 Jahren noch Planungssicherheit haben und sich Ihre künftigen
Versorgungsbezüge aus einer grundsätzlich höheren Grundbesoldung errechnen würde.
Für alle anderen hätte das den Vorteil, dass deren Besoldung (auch ohne oder mit nur
einem Kind) vielleicht wieder verfassungsgemäß wäre.

Problematisch an der aktuellen Regelung ist auch, dass die „Berliner Entscheidung“
unseres Erachtens insofern falsch verstanden wurde, als dort zwar argumentativ auf die
Mietenstufen Bezug genommen wurde, aber nur als Vergleichskriterium.

Gesetzestechnisch ist die Höhe des Familienzuschlages bei den ersten beiden Kindern
aber jetzt unmittelbar an die Mietenstufen gekoppelt worden. Damit wird an ein
sozialhilferechtliches Element angeknüpft, über welches der Bundesgesetzgeber im
Zusammenhang mit dem Wohngeld entscheidet.
Eine Änderung auf dieser Ebene, eigentlich weit weg von Besoldungsfragen, führt
unmittelbar (!) dazu, dass die sich Besoldung der Kolleginnen und Kollegen, soweit sie
stark durch die Familienzuschläge geprägt wird, als Kollateralschaden einer
sozialhilferechtlichen Entscheidung des Bundesgesetzgebers verändert. In vielen Fällen
heißt das: verringert.
Das ist auch keine nur theoretische sondern eine sehr reale Überlegung. So sind die
Mietenstufen zum 01.01.2023 überarbeitet worden. In sechs Fällen sind Anhebungen
erfolgt, in 44 Fällen Reduktionen. Ich verweise auf die weitere Anlage.
Viele Reduktionen sind von Mietenstufe IV auf III oder III auf II, was brutto ca. 150 €
ausmacht. Aber auch Reduktionen von II auf I machen brutto gut 120 € aus. Sicher sind
auch bei R1 120 € im Haushalt der Familie planbar (ganz anders bei den „kleinen“ Beamten
mit A5 oder A6, für die das genau so gilt). Aber es ist nicht nur ärgerlich, sondern zeigt,
welches Denken hinter diesem System steckt.

beamtenjeff

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3631 am: 23.01.2023 14:35 »
Aus einem aktuellen Schnellbrief des DRB NRW

"Vor kurzem ist in der Rheinischen Post ein nicht ganz unmissverständlicher Artikel zum
Thema Besoldung erschienen. Einige Mitglieder haben sich fragend an uns gewandt, so
dass wir sicherheitshalber hier noch einmal darstellen, worum es uns geht.
Vorab: Natürlich geht es nicht darum, dass die Kolleginnen und Kollegen mit
Familienzuschlägen weniger bekommen sollen!
Wir haben als Verband lange und sehr hart bis zum Bundesverfassungsgericht dafür
gekämpft, dass die Besoldung für die Familien der Kolleginnen und Kollegen mit Kindern
deutlich angehoben wird. Hierzu ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes
zur Besoldung sogenannter kinderreicher Familien (gemeint ist: ab dem dritten Kind) in
NRW ergangen. In der Folge sind in NRW nicht die Grundbesoldung, wohl aber die
Familienzuschläge deutlich erhöht worden, so dass sie im Auszahlungsbetrag nunmehr
endlich ein verfassungsgemäßes Niveau erreichen.
Zur Übersicht verweise ich auf die beigefügte Anlage 13 zu § 43 LBesG NRW. Stufe 1 gilt
für Verheiratete, Stufe 2 löst bei einem Kind Stufe 1 ab, Stufe 3 löst bei zwei Kindern Stufe
2 ab. Ab dem dritten Kind gibt es erhebliche wohnortunabhängige Beträge nach Stufe 3.

Aber die weitere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Berliner Besoldung
ist unseres Erachtens (bewusst?) falsch verstanden und daher nur verkürzt umgesetzt
worden. Anstatt die Grundbesoldung für alle anzuheben, hat man nur die
Familienzuschläge zum 01.12.2022 weiter angehoben und diese zudem noch der Struktur
nach an ein sozialhilferechtliches Element angeknüpft.
Dadurch werden auch die, die jetzt deutlich mehr Geld bekommen, unseres Erachtens
rechtswidrig benachteiligt. Die Familienzuschläge, insbesondere die hohen Beträge für
zwei und mehr Kinder nach Stufe 3 der Anlage 13 zu § 43 LBesG NRW, sind nicht
ruhegehaltsfähig und auch nicht planungssicher.

Sobald die Kinder auf eigenen Füßen stehen, entfällt der Zuschlag ersatzlos. Je nachdem,
wo Sie wohnen, wie hoch Ihre Miete oder Ihr monatlicher Kreditzins für den Immobilienkauf
ist, müssen Sie - wenn es blöd läuft - dann umziehen oder die Immobilie verkaufen. Das
kann nicht richtig sein.
Das war bei Zuschlägen schon immer so und muss wohl zumindest bei
Familienzuschlägen an sich auch so sein. Aber gerade das ist hier das Problem. Die
Besoldung muss dem Amt folgen, sie muss amtsangemessen sein, und zwar auch in
Bezug auf die spätere Pension (Versorgungsbezüge). Die Höhe der Familienzuschläge
beweist aber unseres Erachtens, dass die Grundbesoldung viel zu niedrig ist. Denn der
Staat zahlt leider offenbar in der Regel nur so viel, wie er unbedingt muss. Und wenn der
rechtlich unabweisbar erforderliche „Zuschlag“, im Verhältnis zur Grundbesoldung einen
solchen Umfang annimmt, ist er prägender Besoldungsbestandteil, und kein Zuschlag
mehr, mit dem lediglich Belastungsspitzen ausgeglichen werden.
Unsere Forderung ist daher, dass ein erheblicher Teil dieser Familienzuschläge in die
Grundbesoldung überführt werden muss. Rechnerisch müsste dann nur noch die deutlich
verkleinerte Differenz zur Grundbesoldung im Wege des Zuschlages gewährt werden, um
bei den Familien mit Kindern auf dieselben Bruttobeträge zukommen.

Wenn Sie z.B. bei zwei Kindern und Mietenstufe III derzeit 902,05 € bekommen, sollten
vielleicht 700 € in Ihre (ruhegehaltsfähige) Grundbesoldung übernommen werden, sodass
der Zuschlag nur noch 202,05 € wäre.
Im Zahlbetrag wären Sie aber genau da, wo sie jetzt auch sind. Für Sie hätte das aber den
Vorteil, dass Sie auch in 15 Jahren noch Planungssicherheit haben und sich Ihre künftigen
Versorgungsbezüge aus einer grundsätzlich höheren Grundbesoldung errechnen würde.
Für alle anderen hätte das den Vorteil, dass deren Besoldung (auch ohne oder mit nur
einem Kind) vielleicht wieder verfassungsgemäß wäre.

Problematisch an der aktuellen Regelung ist auch, dass die „Berliner Entscheidung“
unseres Erachtens insofern falsch verstanden wurde, als dort zwar argumentativ auf die
Mietenstufen Bezug genommen wurde, aber nur als Vergleichskriterium.

Gesetzestechnisch ist die Höhe des Familienzuschlages bei den ersten beiden Kindern
aber jetzt unmittelbar an die Mietenstufen gekoppelt worden. Damit wird an ein
sozialhilferechtliches Element angeknüpft, über welches der Bundesgesetzgeber im
Zusammenhang mit dem Wohngeld entscheidet.
Eine Änderung auf dieser Ebene, eigentlich weit weg von Besoldungsfragen, führt
unmittelbar (!) dazu, dass die sich Besoldung der Kolleginnen und Kollegen, soweit sie
stark durch die Familienzuschläge geprägt wird, als Kollateralschaden einer
sozialhilferechtlichen Entscheidung des Bundesgesetzgebers verändert. In vielen Fällen
heißt das: verringert.
Das ist auch keine nur theoretische sondern eine sehr reale Überlegung. So sind die
Mietenstufen zum 01.01.2023 überarbeitet worden. In sechs Fällen sind Anhebungen
erfolgt, in 44 Fällen Reduktionen. Ich verweise auf die weitere Anlage.
Viele Reduktionen sind von Mietenstufe IV auf III oder III auf II, was brutto ca. 150 €
ausmacht. Aber auch Reduktionen von II auf I machen brutto gut 120 € aus. Sicher sind
auch bei R1 120 € im Haushalt der Familie planbar (ganz anders bei den „kleinen“ Beamten
mit A5 oder A6, für die das genau so gilt). Aber es ist nicht nur ärgerlich, sondern zeigt,
welches Denken hinter diesem System steckt.

Ich denke, hier wird es von niemanden eine Gegenstimme geben, denn wer wünscht sich nicht eine Summe X, die eher ruhegehaltsfähig ist, als dass sie es nicht ist - das bringt für niemanden Nachteile. Ich schätze aber, die Umsetzung wird am Ende irgendwie in der Mitte liegen, da die Abstrahlwirkung der Länder-Umsetzungen vermutlich recht groß ist.

Sputnik1978

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3632 am: 23.01.2023 14:35 »
Du bringst es mit den abschließenden Worten auf den Punkt, beamtenjeff. Dabei sind die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Anhebung der Grundgehälter eindeutig, wenn auch eben so formuliert, dass die Gesetzgeber gezielt über die Eindeutigkeit hinweggehen. Zentrales Prüfungskriterium ist das der "Mindestbesoldung", wie das in den ZBR-Beitrag aus dem Mai letzten Jahres dargelegt und am Berliner Beispiel konkretisiert worden ist. Im Verlauf des Frühjahrs wird es dort einen weiteren Beitrag zum Thema geben, der den ersten Beitrag fortführt und den engen Zusammenhang des Mindestalimentationsgebots und des Gebots des Abstands zwischen den Besoldungsgruppen anhand der anhängigen Entscheidung zur bremischen Besoldung ein weiteres Mal konkretisiert. In Anbetracht des Verletzungsgrads, der sich anhand der Mindestbesoldung betrachten lässt, ist es in allen 17 Rechtskreisen ausgeschlossen, zu einer amtsangemessenen Alimentation zurückzukehren, ohne die Grundgehaltssätze zu erhöhen - und dem Bundesverfassungsgericht geht es dabei auch um den einzelnen Beamten und sein grundrechtsgleiches Individualrecht auf eine amtsangemessene Alimentation, aber ebenso und hinsichtlich des Allgemeininteresses an einer unabhängigen und rechtstreuen Verwaltung genauso und nicht minder um deren Qualitätserhalt. Jener lässt sich nicht allein über familienbezogene Besoldungsbestandteile stärken, sondern für ihn ist es unabdingbar, dass die Unabhängigkeit und Attraktivität des öffentlichen Diensts erhalten bleibt bzw. mindestens, was letztere angeht, deutlich gestärkt werden.

Hälst Du es für möglich, dass der Gesetzgeber den Abschluss der anstehenden Tarifverhandlungen 1:1 auf die Beamten überträgt und dann zum Ergebnis kommt, dass diese Erhöhung derart ausreichend ist, dass die Beschlüsse des BVerfG aus Mai 20 keiner weiteren Umsetzung bedürfen, solange eine Familie nicht mehr als drei Kinder hat?

beamtenjeff

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3633 am: 23.01.2023 14:38 »
Du bringst es mit den abschließenden Worten auf den Punkt, beamtenjeff. Dabei sind die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Anhebung der Grundgehälter eindeutig, wenn auch eben so formuliert, dass die Gesetzgeber gezielt über die Eindeutigkeit hinweggehen. Zentrales Prüfungskriterium ist das der "Mindestbesoldung", wie das in den ZBR-Beitrag aus dem Mai letzten Jahres dargelegt und am Berliner Beispiel konkretisiert worden ist. Im Verlauf des Frühjahrs wird es dort einen weiteren Beitrag zum Thema geben, der den ersten Beitrag fortführt und den engen Zusammenhang des Mindestalimentationsgebots und des Gebots des Abstands zwischen den Besoldungsgruppen anhand der anhängigen Entscheidung zur bremischen Besoldung ein weiteres Mal konkretisiert. In Anbetracht des Verletzungsgrads, der sich anhand der Mindestbesoldung betrachten lässt, ist es in allen 17 Rechtskreisen ausgeschlossen, zu einer amtsangemessenen Alimentation zurückzukehren, ohne die Grundgehaltssätze zu erhöhen - und dem Bundesverfassungsgericht geht es dabei auch um den einzelnen Beamten und sein grundrechtsgleiches Individualrecht auf eine amtsangemessene Alimentation, aber ebenso und hinsichtlich des Allgemeininteresses an einer unabhängigen und rechtstreuen Verwaltung genauso und nicht minder um deren Qualitätserhalt. Jener lässt sich nicht allein über familienbezogene Besoldungsbestandteile stärken, sondern für ihn ist es unabdingbar, dass die Unabhängigkeit und Attraktivität des öffentlichen Diensts erhalten bleibt bzw. mindestens, was letztere angeht, deutlich gestärkt werden.

Hälst Du es für möglich, dass der Gesetzgeber den Abschluss der anstehenden Tarifverhandlungen 1:1 auf die Beamten überträgt und dann zum Ergebnis kommt, dass diese Erhöhung derart ausreichend ist, dass die Beschlüsse des BVerfG aus Mai 20 keiner weiteren Umsetzung bedürfen, solange eine Familie nicht mehr als drei Kinder hat?

Das würde mich auch interessieren. Sicherlich liese sich das mathematisch eruieren, die Zahlen hat man ja bereits alle (Bürgergeld, Abstand, voraussichtlicher Tarifabschluss im best case usw).

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3634 am: 23.01.2023 15:45 »
Für möglich hielte ich das, aber für unwahrscheinlich. Zunächst einmal wäre die im Anschluss im Sinne eurer Darlegung erfolgende Begründung sachlich falsch, da auch mit einer zehnprozentigen Erhöhung der Grundgehälter im Bund kein amtsangemessenes Niveau zu erreichen wäre. Denn bereits 2021 hätte die Nettoalimentation in der untersten Besoldungsgruppe nach den damaligen Berechnungen des Bundesinnenministeriums um mehr als 27 % angehoben werden müssen, um ein verfassungskonformes Niveau zu erreichen (vgl. mit entsprechenden Berechnungen unter https://www.berliner-besoldung.de/wie-geht-es-weiter-mit-der-bundesbesoldung-deutscher-beamtinnen-und-beamter/). In Anbetracht der seitdem gegebenen Inflationsraten und ebenso als Folge des neuen Bürgergelds dürfte die Nettoalimentation heute um deutlich über 30 % angehoben werden müssen, um in den amtsangemessenen Bereich hineinzureichen, ohne dass ich entsprechende Berechnungen aktuell vorgenommen hätte.

Für unwahrscheinlich halte ich die Verquickung aber aus einem anderen Grund. Die Tarifverhandlungen werden als Tarifverhandlungen geführt. Die Verhandlungsführung des BMI wird dabei alles versuchen, am Ende zu einem Ergebnis zu gelangen, dass deutlich näher an einer Fünf vor dem Komma als an einer Zehn heranreichen sollte, ggf. geht's auch noch tiefer, jedenfalls für das aktuelle Jahr, sofern dann die ewigen Einmalzahlungen kommen sollten. Da es dem BMI wie der gesamten Regierung inhaltlich passt und es formal auch so ist, wird man die Tarifverhandlungen von der Besoldung trennen und hier nur hervorheben, dass man am Ende das Tarifergebnis zeit- und wirkungsgleich auf die Beamten übertragen werde. In dem dann anstehenden Gesetzgebungsverfahren wird man ankündigen, mit dessen Ergebnis dann zu einer amtsangemessenen Alimentation zurückzukehren, sofern nicht vor dem Ende der Tarifverhandlungen doch noch ein entsprechender Entwurf der Öffentlichkeit präsentiert werden würde (was ich nicht glaube: Wer bringt sich schon gerne selbst doppelt in die Bredouille?). Wie dann das Gesetz aussehen wird, steht weiterhin in den Sternen. Sofern es bis dahin eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt, wird es auch davon abhängen, inwieweit jenes seinen Rechtsprechungswandel weiter konkretisiert (was ich für wahrscheinlich halte). Die anstehende Entscheidung wird, davon ist auszugehen, gehörigen Druck auf die Politik ausüben, da als Wengistes eine weitere Konkretisierung der Bemessung der Mindestalimentation zu erwarten sein dürfte (Stichwort: Kosten der Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie der Sozialtarife und darin ggf. auch die Stellung der KiTa-Kosten für Unterdreijährige, die bekanntlich für Grundsicherungsempfänger beitragsfrei sind, i.d.R. aber nicht für alle anderen; sofern es in der anstehenden Entscheidung nur um Bremen gehen wird, wird diese Präzisierung allerdings womöglich auch nicht - oder ein weiteres Mal eher allgemein - erfolgen, da die Frage 2013 und 2014 noch eine andere Gesetzeslage kannte). Weiterhin halte ich es für wahrscheinlich, dass der vierte Parameter der ersten Prüfungsstufe - die Verbindung beider Abstandsgebote - weiter ausgeformt wird - eventuell ist das aber auch mehr meine Hoffnung, als dass es Realität werden wird. Da die "Mindestbesoldung" in der aktuellen Entscheidung Eingang in einen Leitsatz gefunden hat, ist es aber bis zu einem gewissen Grad wahrscheinlich, dass es hier zu einer weiteren Ausformung kommen wird. Nicht umsonst hat der Hessische VGH Ende 2021 ebenfalls schon Überlegungen in diese Richtung angestellt. Ohne weitere Konkrestisierung wäre es für die Verwaltungsgerichtsbarkeit weiterhin schwierig, den vierten Prüfparameter der ersten Prüfungsstufe sachgemäß anzuwenden.

Um zu eurer Frage zurückzukommen: Was man aber in der genannten Verhandlungsführung ganz sicherlich nicht möchte, ist, schon heute die Personalkosten im öffentlichen Dienst deutlich zu erhöhen, indem man im Vorlauf auf die Novellierung des Besoldungsgesetzes auch den Tarifbeschäftigen starke Tariferhöhungen "anbietet". Jene Erhöhungen im Tarifbereich werden erst nach und nach kommen, nämlich wenn die Alimentation wieder verfassungskonform ist oder sich darauf deutlich zubewegt, eben weil es weiterhin darum gehen wird, die in den nächsten Jahren sowieso massiv steigenden Personalkosten so lange wie möglich so gering wie (un-)möglich zu halten. Denn mit der Rückkehr zu einer amtsangemessenen Alimentation (wie diese Rückkehr auch immer sich vollziehen wird), den so oder so in den nächsten Jahren noch einmal deutlich steigenden Versorgungslasten sowie den dann am Ende ebenfalls deutlich steigenden Tarifen kommen Kosten auf die Dienstherrn zu, die sie sich - so denke ich - nicht ausmalen wollen. Auch deshalb mauert man vonseiten der Dienstherrn so: Die Politik wird alles tun, nicht nur weiterhin Personalkosten zu sparen, sondern am Ende den Schwarzen Peter beim Bundesverfassungsgericht abzuladen, soll heißen, um am Ende sagen zu können - "Wir waren's nicht; man hat uns gezwungen..." In diesem Sinne sind solche Aussagen wie gerade wieder die von der Thrüringer Fianzministerin zu verstehen.

Ergo und zusammengefasst: Es stehen uns interessante Zeiten bevor - wie die sich aber genau entwickeln werden, dafür benötigte es einer Glaskugel.

lotsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3635 am: 23.01.2023 18:44 »
Je länger ich hier mitlese, desto schlechter finde ich das System Beamtenbesoldung. Der Dienstherr wird geradezu ermuntert, aus wirtschaftlichen Gründen verfassungswidrig zu besolden. Mit gegenseitigem Treueverhältnis hat das nichts mehr zu tun und schon gar nichts mit einer besonderen Fürsorgepflicht.

1. Zum einen erhaltenen wegen der vom BVerfG erfundenen Regel der zeitnahen Geltendmachung nur diejenigen Beamten eine Nachzahlung, welche Widerspruch oder Klage eingereicht haben, und das ist eine sehr geringe Anzahl.
2. Die Nachforderungen von jenen, die Widerspruch oder Klage eingereicht haben, sind nicht zu verzinsen, weil es so im BesG steht.
3. Die Verfahrensdauer ist viel zu lang, oft 15 Jahre. Ohne Verzinsung hat sich die Forderung bei einer Durchschnittlichen Inflation halbiert, und außerdem wird es dem Beamten 15 Jahre zugemutet nicht verfassungsgemäß besoldet zu werden. Wie soll das werden bei Inflationsraten von 10 %, oder mehr?
4. Der Gesetzgeber hat mit keinerlei Konsequenzen zu rechnen, auch wenn er bewusst verfassungswidrig besoldet, was verschiedene Gutachten vermuten lassen.

Bastel

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3636 am: 23.01.2023 18:48 »
Je länger ich hier mitlese, desto schlechter finde ich das System Beamtenbesoldung. Der Dienstherr wird geradezu ermuntert, aus wirtschaftlichen Gründen verfassungswidrig zu besolden. Mit gegenseitigem Treueverhältnis hat das nichts mehr zu tun und schon gar nichts mit einer besonderen Fürsorgepflicht.

1. Zum einen erhaltenen wegen der vom BVerfG erfundenen Regel der zeitnahen Geltendmachung nur diejenigen Beamten eine Nachzahlung, welche Widerspruch oder Klage eingereicht haben, und das ist eine sehr geringe Anzahl.
2. Die Nachforderungen von jenen, die Widerspruch oder Klage eingereicht haben, sind nicht zu verzinsen, weil es so im BesG steht.
3. Die Verfahrensdauer ist viel zu lang, oft 15 Jahre. Ohne Verzinsung hat sich die Forderung bei einer Durchschnittlichen Inflation halbiert, und außerdem wird es dem Beamten 15 Jahre zugemutet nicht verfassungsgemäß besoldet zu werden. Wie soll das werden bei Inflationsraten von 10 %, oder mehr?
4. Der Gesetzgeber hat mit keinerlei Konsequenzen zu rechnen, auch wenn er bewusst verfassungswidrig besoldet, was verschiedene Gutachten vermuten lassen.

Deshalb muss man alles wie der Kimonbo ein bisschen lockerer sehen.

Kimonbo

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3637 am: 23.01.2023 19:54 »
Je länger ich hier mitlese, desto schlechter finde ich das System Beamtenbesoldung. Der Dienstherr wird geradezu ermuntert, aus wirtschaftlichen Gründen verfassungswidrig zu besolden. Mit gegenseitigem Treueverhältnis hat das nichts mehr zu tun und schon gar nichts mit einer besonderen Fürsorgepflicht.

1. Zum einen erhaltenen wegen der vom BVerfG erfundenen Regel der zeitnahen Geltendmachung nur diejenigen Beamten eine Nachzahlung, welche Widerspruch oder Klage eingereicht haben, und das ist eine sehr geringe Anzahl.
2. Die Nachforderungen von jenen, die Widerspruch oder Klage eingereicht haben, sind nicht zu verzinsen, weil es so im BesG steht.
3. Die Verfahrensdauer ist viel zu lang, oft 15 Jahre. Ohne Verzinsung hat sich die Forderung bei einer Durchschnittlichen Inflation halbiert, und außerdem wird es dem Beamten 15 Jahre zugemutet nicht verfassungsgemäß besoldet zu werden. Wie soll das werden bei Inflationsraten von 10 %, oder mehr?
4. Der Gesetzgeber hat mit keinerlei Konsequenzen zu rechnen, auch wenn er bewusst verfassungswidrig besoldet, was verschiedene Gutachten vermuten lassen.

Deshalb muss man alles wie der Kimonbo ein bisschen lockerer sehen.

Genau :-) von 9-17.30 Uhr sehe ich alles besonders gelassen hahaaaa

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3638 am: 24.01.2023 00:44 »
Je länger ich hier mitlese, desto schlechter finde ich das System Beamtenbesoldung. Der Dienstherr wird geradezu ermuntert, aus wirtschaftlichen Gründen verfassungswidrig zu besolden. Mit gegenseitigem Treueverhältnis hat das nichts mehr zu tun und schon gar nichts mit einer besonderen Fürsorgepflicht.

1. Zum einen erhaltenen wegen der vom BVerfG erfundenen Regel der zeitnahen Geltendmachung nur diejenigen Beamten eine Nachzahlung, welche Widerspruch oder Klage eingereicht haben, und das ist eine sehr geringe Anzahl.
2. Die Nachforderungen von jenen, die Widerspruch oder Klage eingereicht haben, sind nicht zu verzinsen, weil es so im BesG steht.
3. Die Verfahrensdauer ist viel zu lang, oft 15 Jahre. Ohne Verzinsung hat sich die Forderung bei einer Durchschnittlichen Inflation halbiert, und außerdem wird es dem Beamten 15 Jahre zugemutet nicht verfassungsgemäß besoldet zu werden. Wie soll das werden bei Inflationsraten von 10 %, oder mehr?
4. Der Gesetzgeber hat mit keinerlei Konsequenzen zu rechnen, auch wenn er bewusst verfassungswidrig besoldet, was verschiedene Gutachten vermuten lassen.

Dir ist einerseits zuzustimmen, lotsch - und auf der anderen Seite ist die Situation komplexer, und zwar vor allem, weil die Verfassung einen Fall nicht vorsieht und auch nicht vorsehen kann: nämlich dass eine der staatlichen Gewalten gezielt - wissentlich und willentlich - ihren Boden verlässt. Die Verfassungsmütter und -väter haben diesen Fall auf Grundlage ihrer gerade erst gemachten historischen Erfahrung nicht vorgesehen. Das Bundesverfassungsgericht hat das in seiner Besoldungsrechtsprechung bislang in die Formel gegossen: "Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist nach wie vor davon auszugehen, dass die Besoldungsgesetzgeber das Grundgehalt von vornherein so bemessen, dass – zusammen mit den Familienzuschlägen für den Ehepartner und die ersten beiden Kinder – eine bis zu vierköpfige Familie amtsangemessen unterhalten werden kann, so dass es einer gesonderten Prüfung der Besoldung mit Blick auf die Kinderzahl erst ab dem dritten Kind bedarf." (Rn. 47 der aktuellen Entscheidung; Hervorhebungen durch mich). Spätestens durch den DÖV-Beitrag aus dem letzten Jahr, der nachweist, dass in allen 16 Rechtskreisen der Länder eine Verletzung des Mindestabstandsgebots seit spätestens 2008 vorliegt, dürfte diese Sichtweise höchstwahrscheinlich erschüttert sein. Es wird von daher eventuell interessant sein, ob das Bundesverfassungsgericht darauf - wie auch immer - reagiert.

Zu 1. Weil auch das Bundesverfassungsgericht bislang verfassungsrechtlich aus den gerade genannten Gründen nicht von einem Zustand dauerhafter Verfassungsverletzung ausgehen konnte, musste die zeitnahe Geltendmachung aus den Besonderheiten des Beamten- und Besoldungsrechts schlüssig sein. Ich glaube nicht, dass das Bundesverfassungsgericht dieses Prinzip zurzeit, also in der anstehenden Entscheidung, verabschieden wird. Sofern die dauerhafte Verletzung unserer Verfassung auch nach jener Entscheidung anhalten würde, könnte ich mir vorstellen, dass das Bundesverfassungsgericht auch diesbezüglich darauf reagieren würde, ohne dass ich mir die Reaktion als solche derzeit vorstellen kann (oder will).

Zu 2 und 3. Das Gleiche gilt auch hier. Dabei liegt hier weiterhin die Besonderheit vor, dass das Bundesverfassungsgericht 2012 den hier mehrfach herausgearbeiteten Rechtsprechungswandel eingeleitet und damit eine neue Besoldungsdogmatik angestrebt hat, die mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit mit der anstehenden Entscheidung weitestgehend abgeschlossen sein wird. Ich gehe weiterhin davon aus, dass es danach zu einer schnelleren Abfolge von Entscheidungen kommen wird - wenn ich wohl hinsichtlich der Ansicht, es würde danach Kammerentscheidungen geben, auf dem Holzweg gewesen bin, wie ich heute denke, nachdem ich mir vor geraumer Zeit das BVerfGG diesbezüglich noch einmal eingehender vorgenommen habe.

Zu 4. Tatsächlich ist "erst" seit 2020 offenbar, dass wir einen Zustand langandauernder Verfassungswidrigkeit vorliegen haben, nachdem das Bundesverfassungsgericht in der aktuellen Entscheidung die Bemessungsgrundlagen der Mindest- und gewährten Nettoalimentation konkretisiert hat. Bis 2020 konnten die Gesetzgeber für sich in Anspruch nehmen, dass sie in jahrzehntelanger Kontinuität (s. die diesbezüglichen Anmerkungen vor der Ziff. 1) mit ggf. in Einzelfällen jeweils nur kurzen Ausnahmen verfassungskonform alimentiert hätten (bis 2012 sind mit Ausnahme des alimentativen Mehrbedarfs die weit überwiegenden Vorlagebeschlüsse vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen worden). Zwar haben sich spätestens seit 2015 die entsprechenden Zweifel mehr und mehr verdichtet - aber erst seit 2020 ist klar, dass bis dahin ein lang anhaltender Zustand der Verfassungswidrigkeit vorliegen könnte, wie das dann im letzten Jahr für alle Länder nachgewiesen worden ist. Es wird nun interessant werden, wie das Bundesverfassungsgericht darauf reagieren wird, dass die Besoldungsgesetzgeber seitdem, also seit 2020, ausnahmslos - um es vorsichtig auszudrücken - die neue Judikatur wissentlich und willentlich missverstehen. Die Konsequenz, die daraus abgeleitet werden kann, dürfte ggf. dann nicht mehr lange auf sich warten lassen, vermute ich, allerspätestens, sofern sich diese Missachtung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung auch nach der angekündigten Entscheidung fortsetzen würde. Insbesondere Sachsen, Berlin, Baden-Württemberg und neuerdings auch Niedersachsen dürften, da hier der Wiederholungsfall des gezielten Verstoßes gegen die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung begründet werden könnte, auf der Hut sein müssen, dass ihnen nicht eine Vollstreckungsanordnung droht. Denn hier kann also die strikt zu beachtenden Akzessorietät vergangenheitsbezogen hergestellt werden, denke ich, da gezeigt werden kann, dass die jeweiligen Gesetzgeber keine hinreichend sachgerechten Schlüsse aus den sie in den letzten Jahren getroffenen Entscheidungen gezogen und also eine wieder verfassungskonforme Gesetzgebung vollzogen hätten, obgleich sie das Bundesverfassungsgericht mit Gesetzeskraft dazu aufgefordert hat, hinsichtlich der Besoldung wieder in den Rahmen der Verfassung zurückzukehren.

Die Mühlen des Gerichts mahlen langsam - aber wenn sie erst einmal in Fluss kommen, gewinnen sie eine Kraft, vor der sich die Exekutive und Legislative in Acht nehmen sollten, denke ich. Denn spätestens mit dem besoldungsrechtlichen "Supergau" einer Vollstreckungsanordnung dürfte der Zustand der Verfassungskrise, von der Ulrich Battis unlängst gesprochen hat, ihr Ende finden. Dass dabei derzeit weiterhin die Politik des dauerhaften Verfassungsbruchs für uns alle unbefriedigend ist, ist so und steht meiner Meinung nach zugleich auf einem anderen Blatt, also nicht auf dem der Rechnung an das Bundesverfassungsgericht (diese Meinung werden hier nicht alle haben, was ich ebenfalls für in Ordnung halte; es ist hier ja kein juristisches Seminar). Denn das Bundesverfassungsgericht hat mittlerweile den traditionell sehr weiten Entscheidungsspielraum des Besoldungsgesetzgebers so stark eingeschränkt, dass die neue Besoldungsdogmatik als ein ziemlich weitgehender Kontinuitätsbruch zu begreifen ist - und solche Kontinuitätsbrüche sind hinsichtlich der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, die zwangsläufig i.d.R. stark auf Koninuitäten setzt, sehr selten (Verfassungsgerichte sind hinsichtlich ihrer Rechtsprechungstradition zwangsläufig konservativ, da anders keine Dogmatiken entstehen könnten). Liest man bspw. die Besoldungsrechtsentscheidungen bis weit in die 2000er Jahre, dann kann man häufig nur noch die Luft anhalten, wenn man sich anschaut, wie weitgehend das Bundesvefassungsgericht bislang bereits gegangen ist, also wie konkret der weiten Entscheidunfsspielraum des Gesetzgebers seitdem de facto bereits eingeschränkt worden ist.

Auch diese letzten meiner Zeilen mögen dabei für viele unbefriedigend klingen oder wie eine Rechtfertigung des Bundesverfassungsgerichts. Das sind sie aber nicht und sollen sie auch nicht sein - was sich zeigt, wenn man die entsprechenden grundlegenden Entscheidungen der 1950er bis 1990er Jahre sowie die im direkten Vorfeld des Rechtsprechungswandels, also zwischen 2007 und 2011/12, gefällten liest; denn dann kann einem durchaus schwindlig werden, wie weit das Bundesverfassungsgericht mittlerweile gegangen ist. Und es wird noch weiter gehen, sofern die Besoldungsgesetzgeber sich nicht wieder auf den Boden des Grundgesetzes zurückbewegen, da es sich zurecht in schwerer Sorge hinsichtlich der Qualität der öffentlichen Verwaltung befindet. Es wird nicht zulassen, dass aus der Verfassungs- eine Staatskrise wird, die käme, wenn die öffentliche Verwaltung nicht mehr qualitativ (und quantitativ) hinreichend gewährleistet werden könnte. Die vielfach lange Genehmigungs- und Verfahrensdauer ist auch als ein Symptom der Vorform einer Staatskrise zu begreifen: Beide werden vielfach auf eine zu große Bürokratie und auf Überregulierungen zurückgeführt - und das mag im Einzelfall und hinsichtlich der die moderne Gesellschaft konstituierenden Verrechtlichung des Sozialen so sein. Beider Dauer hat aber eben vielfach auch damit zu tun, dass weder in der Quantität noch wiederkehrend in der Qualität genügend Personal vorhanden ist, um sie zu verkürzen - und hinsichtlich des allgemeinen Prozesses des Fachkräftemangels befinden wir uns noch immer weiterhin ganz am Anfang. Dieser Prozess wird sich in mindestens den nächsten 15 Jahren noch immer weiter beschleunigen, da sich nun mehr und mehr die Generation der Baby-Boomer aus den Beschäftigungsverhältnissen verabschiedet, ohne dass genügend Fachkräfte vorhanden wären, die sie ersetzen könnten.

Ergo: Die genau zu lesende Begründung der anstehenden Entscheidung dürfte sehr interessant werden: sowohl hinsichtlich der zu erwartenden Fortführung der neuen Besoldungsdogmatik als auch in den Nuancen derer Weiterentwicklung. Gerade diese Nuancen, so vermute ich, werden besonders interessant sein - so wie die Nuance der "Mindestbesoldung" in der aktuellen Entscheidung. Über diese Nuance haben offensichtlich zunächst alle wiederholt hinweggelesen, da sie augenscheinlich nicht so einfach zu erkennen war. Ich freue mich schon und weiterhin sehr darauf, wenn ich endlich die anstehende Entscheidungsbegründung mehrfach Wort für Wort lesen kann.

Bastel

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3639 am: 24.01.2023 06:37 »
Das Bremer Urteil wird für das 1. Quartal 23 erwartet oder? Das wären noch ca. 10 Wochen, da bin ich mal gespannt.

Knecht

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3640 am: 24.01.2023 08:33 »
Das Bremer Urteil wird für das 1. Quartal 23 erwartet oder? Das wären noch ca. 10 Wochen, da bin ich mal gespannt.

Wäre ja dann (mal vom Ende des Zeitraums ausgehend) auch nach den Tarifverhandlung und somit irgendwie passend.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3641 am: 24.01.2023 09:29 »
Der Zeitpunkt der Entscheidung genauso wie deren Verkündug unterliegt dem Beratungsgeheimnis nach § 43 DRiG. Insofern kann heute niemand außer den betroffenen Richtern am Bundesverfassungsgericht wissen, wann es zu einer Entscheidung kommt. In Hannover sind nicht wenige offenbar weiterhin davon überzeugt, dass eine Entscheidung bis Ende März gefällt werden wird, die dann nicht nur Bremen, sondern auch Niedersachsen betreffen solle. Womöglich ist das so - wegen des Beratungsgeheimnisses kann das aber m.E. eigentlich niemand wissen.

Unknown

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3642 am: 24.01.2023 09:59 »
Wie würde es denn bei einer Vollstreckungsanordnung gem. §35 BVerfGG weitergehen? Man erhebt Klage vorm VG auf eine verfassungsmässige Besoldung oder muss vorher noch das Widerspruchsverfahren durchlaufen werden? Anhand welcher Kriterien würde ein Richter am VG dann eine passende Besoldung festlegen? Aus meiner Sicht unterscheidet sich das doch maßgeblich, ob es A6, A10 oder gar A14 betrifft und nach dem Familienstand mit oder ohne Kinder bzw. der Anzahl der Kinder.
Ich stelle mir das so vor, dass das BVerfG konkrete Vorgaben macht ohne Zahlen zu nennen und das VG diese Vorgaben in Zahlen packen wird allerdings klingt das für mich eher nach Lotto spielen seitens des VG. Des Weiteren müsste das VG unten bei A3 beispielsweise anfangen zu rechnen bis es bei B10 angekommen ist. Ich würde wahrscheinlich davon ausgehen, dass unterschiedilche VGs verschiedene Summen ansetzen für die Mindestbesoldung. Wie kommt man da zu einer Übereinstimmung?
Man möge mich bitte korrigieren bei meinen Annahmen, wenn sie falsch sind.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3643 am: 24.01.2023 10:31 »
Wie Du schreibst, Unknown, wäre eine Vollstreckungsanordnung, die grundsätzlich nur vergangenheitsbezogen geschieht, komplex. Die Komplexität verringert sich wegen des vergangenheitsbezogenen Charakters - und ist wegen der strikten Akzessorietät eben nur vergangenheitsbezogen möglich. Dabei ist zu beachten, dass ausnahmslos der Gesetzgeber im Sinne des strikten Gesetzesvorbehalts, der im Besoldungsrecht zu beachten wäre, über das Recht verfügt, die Besoldungsgarantie zu erfüllen - der § 35 BVerfGG setzt die Ausnahme, da dann davon auszugehen ist, also sofern ihn das Bundesverfassungsgericht anwendet, dass der Gesetzgeber dauerhaft und wiederholt nicht für eine verfassungskonforme Gesetzeslage gesorgt hat, nachdem ihn das Bundesverfassungsgericht mit Gesetzeskraft dazu aufgefordert hatte, um es so von meiner Seite hier möglichst knapp zu formulieren.

Ohne dass ich über eine Glaskugel verfügte, könnte ich mir folgendes Verfahren vorstellen. Das Bundesverfassungsgericht legt am konkreten Fall für die jeweiligen Zeiträume vergangenheitsbezogen jeweils die Höhe der Mindestalimentation als den vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Gehalt der zu gewährenden Alimentation oder einen als amtsangemessenen Alimentation in der untersten Besoldungsgruppe anzusehenden Betrag fest und weist die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf dieser Grundlage an, unter den jeweils in dem konkreten Jahr vorhandenen Abständen zwischen den Besoldungsgruppen eine entsprechende Besoldung zu gewähren - ggf. würde dazu die Mindestbesoldung als Ausgangspunkt der jeweiligen Besoldungsordnung herangezogen werden. Damit würden die jeweiligen Grundgehaltssätze unter Beibehaltung aller anderen Besoldungsbestandteile, wie sie in dem zu betrachtenden Jahr für die jeweiligen Besoldungsgruppen und Erfahrungsstufen (oder genauer: die jeweiligen Ämter) gegolten haben, im Sinne der mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu beanstandenden Abstände zwischen den Besoldungsgruppen erhöht werden, sodass die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf ein vollständig ausgefülltes Programm für eigene Entscheidungen zurückgreifen könnte.

Dem vorweg müsste offensichtlich das typische Procedere vom Widerspruchsführer vollzogen werden. Er muss beantragen, dass sein Widerspruch beschieden wird. Sobald er abschlägig beschieden wird, besteht die Möglichkeit der Klage.

Der Gesetzgeber hätte auf dieser Grundlage weiterhin jederzeit die Möglichkeit, vergangenheitsbezogen zu einer verfassungskonformen Gesetzgebung zurückzukehren - bzw. das Bundesverfassungsgericht würde den Gesetzgeber anweisen, bis zu einem bestimmten Datum zu einer verfassungskonformen Regelung zurückzukehren, und die Verwaltungsgerichtsbarkeit anweisen, erst mit Überschreiten dieses Datums - der fortgesetzten Untätigkeit des Gesetzgebers - entsprechende Entscheidung vorzunehmen. Sobald der Gesetzgeber handelte, wäre der Gesetzgebung zunächst Genüge getan, d.h., sofern die Widerspruchsführer danach davon ausgingen, dass sie weiterhin verfassungswidrig besoldet werden würden, müssten sie gegen das neue Gesetz Widerspruch führen und könnten nach dessen negativen Bescheidung klagend vor dem jeweiligen Verwaltungsgericht tätig werden, das dann wiederum ggf. einen Vorlagebeschluss fassen würde.

So könnte ich mir einen Weg vorstellen - aber noch ist die Anwendung des § 35 BVerfGG m.E. nicht in Sicht; aber auch das ist nur meine (wenn auch begründete) Ansicht.

xap

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #3644 am: 24.01.2023 11:55 »
Wieso müsste bei neuen Gesetzen eigentlich wieder ein Vorlagebeschluss her, wo doch festgestellt wurde, dass Gesetze schon per se bei mangelnder Prozeduralisierung verfassungswidrig sind?