Je länger ich hier mitlese, desto schlechter finde ich das System Beamtenbesoldung. Der Dienstherr wird geradezu ermuntert, aus wirtschaftlichen Gründen verfassungswidrig zu besolden. Mit gegenseitigem Treueverhältnis hat das nichts mehr zu tun und schon gar nichts mit einer besonderen Fürsorgepflicht.
1. Zum einen erhaltenen wegen der vom BVerfG erfundenen Regel der zeitnahen Geltendmachung nur diejenigen Beamten eine Nachzahlung, welche Widerspruch oder Klage eingereicht haben, und das ist eine sehr geringe Anzahl.
2. Die Nachforderungen von jenen, die Widerspruch oder Klage eingereicht haben, sind nicht zu verzinsen, weil es so im BesG steht.
3. Die Verfahrensdauer ist viel zu lang, oft 15 Jahre. Ohne Verzinsung hat sich die Forderung bei einer Durchschnittlichen Inflation halbiert, und außerdem wird es dem Beamten 15 Jahre zugemutet nicht verfassungsgemäß besoldet zu werden. Wie soll das werden bei Inflationsraten von 10 %, oder mehr?
4. Der Gesetzgeber hat mit keinerlei Konsequenzen zu rechnen, auch wenn er bewusst verfassungswidrig besoldet, was verschiedene Gutachten vermuten lassen.
Dir ist einerseits zuzustimmen, lotsch - und auf der anderen Seite ist die Situation komplexer, und zwar vor allem, weil die Verfassung einen Fall nicht vorsieht und auch nicht vorsehen kann: nämlich dass eine der staatlichen Gewalten gezielt - wissentlich und willentlich - ihren Boden verlässt. Die Verfassungsmütter und -väter haben diesen Fall auf Grundlage ihrer gerade erst gemachten historischen Erfahrung nicht vorgesehen. Das Bundesverfassungsgericht hat das in seiner Besoldungsrechtsprechung bislang in die Formel gegossen: "
Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist nach wie vor davon auszugehen, dass die Besoldungsgesetzgeber das Grundgehalt von vornherein so bemessen, dass – zusammen mit den Familienzuschlägen für den Ehepartner und die ersten beiden Kinder – eine bis zu vierköpfige Familie amtsangemessen unterhalten werden kann, so dass es einer gesonderten Prüfung der Besoldung mit Blick auf die Kinderzahl erst ab dem dritten Kind bedarf." (Rn. 47 der aktuellen Entscheidung; Hervorhebungen durch mich). Spätestens durch den DÖV-Beitrag aus dem letzten Jahr, der nachweist, dass in allen 16 Rechtskreisen der Länder eine Verletzung des Mindestabstandsgebots seit spätestens 2008 vorliegt, dürfte diese Sichtweise höchstwahrscheinlich erschüttert sein. Es wird von daher eventuell interessant sein, ob das Bundesverfassungsgericht darauf - wie auch immer - reagiert.
Zu 1. Weil auch das Bundesverfassungsgericht bislang verfassungsrechtlich aus den gerade genannten Gründen nicht von einem Zustand dauerhafter Verfassungsverletzung ausgehen konnte, musste die zeitnahe Geltendmachung aus den Besonderheiten des Beamten- und Besoldungsrechts schlüssig sein. Ich glaube nicht, dass das Bundesverfassungsgericht dieses Prinzip zurzeit, also in der anstehenden Entscheidung, verabschieden wird. Sofern die dauerhafte Verletzung unserer Verfassung auch nach jener Entscheidung anhalten würde, könnte ich mir vorstellen, dass das Bundesverfassungsgericht auch diesbezüglich darauf reagieren würde, ohne dass ich mir die Reaktion als solche derzeit vorstellen kann (oder will).
Zu 2 und 3. Das Gleiche gilt auch hier. Dabei liegt hier weiterhin die Besonderheit vor, dass das Bundesverfassungsgericht 2012 den hier mehrfach herausgearbeiteten Rechtsprechungswandel eingeleitet und damit eine neue Besoldungsdogmatik angestrebt hat, die mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit mit der anstehenden Entscheidung weitestgehend abgeschlossen sein wird. Ich gehe weiterhin davon aus, dass es danach zu einer schnelleren Abfolge von Entscheidungen kommen wird - wenn ich wohl hinsichtlich der Ansicht, es würde danach Kammerentscheidungen geben, auf dem Holzweg gewesen bin, wie ich heute denke, nachdem ich mir vor geraumer Zeit das BVerfGG diesbezüglich noch einmal eingehender vorgenommen habe.
Zu 4. Tatsächlich ist "erst" seit 2020 offenbar, dass wir einen Zustand langandauernder Verfassungswidrigkeit vorliegen haben, nachdem das Bundesverfassungsgericht in der aktuellen Entscheidung die Bemessungsgrundlagen der Mindest- und gewährten Nettoalimentation konkretisiert hat. Bis 2020 konnten die Gesetzgeber für sich in Anspruch nehmen, dass sie in jahrzehntelanger Kontinuität (s. die diesbezüglichen Anmerkungen vor der Ziff. 1) mit ggf. in Einzelfällen jeweils nur kurzen Ausnahmen verfassungskonform alimentiert hätten (bis 2012 sind mit Ausnahme des alimentativen Mehrbedarfs die weit überwiegenden Vorlagebeschlüsse vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen worden). Zwar haben sich spätestens seit 2015 die entsprechenden Zweifel mehr und mehr verdichtet - aber erst seit 2020 ist klar, dass bis dahin ein lang anhaltender Zustand der Verfassungswidrigkeit vorliegen könnte, wie das dann im letzten Jahr für alle Länder nachgewiesen worden ist. Es wird nun interessant werden, wie das Bundesverfassungsgericht darauf reagieren wird, dass die Besoldungsgesetzgeber seitdem, also seit 2020, ausnahmslos - um es vorsichtig auszudrücken - die neue Judikatur wissentlich und willentlich missverstehen. Die Konsequenz, die daraus abgeleitet werden kann, dürfte ggf. dann nicht mehr lange auf sich warten lassen, vermute ich, allerspätestens, sofern sich diese Missachtung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung auch nach der angekündigten Entscheidung fortsetzen würde. Insbesondere Sachsen, Berlin, Baden-Württemberg und neuerdings auch Niedersachsen dürften, da hier der Wiederholungsfall des gezielten Verstoßes gegen die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung begründet werden könnte, auf der Hut sein müssen, dass ihnen nicht eine Vollstreckungsanordnung droht. Denn hier kann also die strikt zu beachtenden Akzessorietät vergangenheitsbezogen hergestellt werden, denke ich, da gezeigt werden kann, dass die jeweiligen Gesetzgeber keine hinreichend sachgerechten Schlüsse aus den sie in den letzten Jahren getroffenen Entscheidungen gezogen und also eine wieder verfassungskonforme Gesetzgebung vollzogen hätten, obgleich sie das Bundesverfassungsgericht mit Gesetzeskraft dazu aufgefordert hat, hinsichtlich der Besoldung wieder in den Rahmen der Verfassung zurückzukehren.
Die Mühlen des Gerichts mahlen langsam - aber wenn sie erst einmal in Fluss kommen, gewinnen sie eine Kraft, vor der sich die Exekutive und Legislative in Acht nehmen sollten, denke ich. Denn spätestens mit dem besoldungsrechtlichen "Supergau" einer Vollstreckungsanordnung dürfte der Zustand der Verfassungskrise, von der Ulrich Battis unlängst gesprochen hat, ihr Ende finden. Dass dabei derzeit weiterhin die Politik des dauerhaften Verfassungsbruchs für uns alle unbefriedigend ist, ist so und steht meiner Meinung nach zugleich auf einem anderen Blatt, also nicht auf dem der Rechnung an das Bundesverfassungsgericht (diese Meinung werden hier nicht alle haben, was ich ebenfalls für in Ordnung halte; es ist hier ja kein juristisches Seminar). Denn das Bundesverfassungsgericht hat mittlerweile den traditionell sehr weiten Entscheidungsspielraum des Besoldungsgesetzgebers so stark eingeschränkt, dass die neue Besoldungsdogmatik als ein ziemlich weitgehender Kontinuitätsbruch zu begreifen ist - und solche Kontinuitätsbrüche sind hinsichtlich der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, die zwangsläufig i.d.R. stark auf Koninuitäten setzt, sehr selten (Verfassungsgerichte sind hinsichtlich ihrer Rechtsprechungstradition zwangsläufig konservativ, da anders keine Dogmatiken entstehen könnten). Liest man bspw. die Besoldungsrechtsentscheidungen bis weit in die 2000er Jahre, dann kann man häufig nur noch die Luft anhalten, wenn man sich anschaut, wie weitgehend das Bundesvefassungsgericht bislang bereits gegangen ist, also
wie konkret der weiten Entscheidunfsspielraum des Gesetzgebers seitdem de facto bereits eingeschränkt worden ist.
Auch diese letzten meiner Zeilen mögen dabei für viele unbefriedigend klingen oder wie eine Rechtfertigung des Bundesverfassungsgerichts. Das sind sie aber nicht und sollen sie auch nicht sein - was sich zeigt, wenn man die entsprechenden grundlegenden Entscheidungen der 1950er bis 1990er Jahre sowie die im direkten Vorfeld des Rechtsprechungswandels, also zwischen 2007 und 2011/12, gefällten liest; denn dann kann einem durchaus schwindlig werden, wie weit das Bundesverfassungsgericht mittlerweile gegangen ist. Und es wird noch weiter gehen, sofern die Besoldungsgesetzgeber sich nicht wieder auf den Boden des Grundgesetzes zurückbewegen, da es sich zurecht in schwerer Sorge hinsichtlich der Qualität der öffentlichen Verwaltung befindet. Es wird nicht zulassen, dass aus der Verfassungs- eine Staatskrise wird, die käme, wenn die öffentliche Verwaltung nicht mehr qualitativ (und quantitativ) hinreichend gewährleistet werden könnte. Die vielfach lange Genehmigungs- und Verfahrensdauer ist auch als ein Symptom der Vorform einer Staatskrise zu begreifen: Beide werden vielfach auf eine zu große Bürokratie und auf Überregulierungen zurückgeführt - und das mag im Einzelfall und hinsichtlich der die moderne Gesellschaft konstituierenden Verrechtlichung des Sozialen so sein. Beider Dauer hat aber eben vielfach auch damit zu tun, dass weder in der Quantität noch wiederkehrend in der Qualität genügend Personal vorhanden ist, um sie zu verkürzen - und hinsichtlich des allgemeinen Prozesses des Fachkräftemangels befinden wir uns noch immer weiterhin ganz am Anfang. Dieser Prozess wird sich in mindestens den nächsten 15 Jahren noch immer weiter beschleunigen, da sich nun mehr und mehr die Generation der Baby-Boomer aus den Beschäftigungsverhältnissen verabschiedet, ohne dass genügend Fachkräfte vorhanden wären, die sie ersetzen könnten.
Ergo: Die genau zu lesende Begründung der anstehenden Entscheidung dürfte sehr interessant werden: sowohl hinsichtlich der zu erwartenden Fortführung der neuen Besoldungsdogmatik als auch in den Nuancen derer Weiterentwicklung. Gerade diese Nuancen, so vermute ich, werden besonders interessant sein - so wie die Nuance der "Mindestbesoldung" in der aktuellen Entscheidung. Über diese Nuance haben offensichtlich zunächst alle wiederholt hinweggelesen, da sie augenscheinlich nicht so einfach zu erkennen war. Ich freue mich schon und weiterhin sehr darauf, wenn ich endlich die anstehende Entscheidungsbegründung mehrfach Wort für Wort lesen kann.