@ Swen
Danke für die ausführliche Abhandlung zu meiner gestrigen Frage. Ich bin gespannt wie ein finalisierter Referentenentwurf nach Abschluss der Tarifverhandlungen aussehen wird.
Wie wahrscheinlich ist es, dass ein weiterhin offensichtliches verfassungswidriges Gesetz im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens gekippt wird?
Sofern man die seit der Entscheidung 2 BvL 4/18 vollzogenen Gesetzgebungsverfahren zur Grundlage nimmt, beträgt die Wahrscheinlichkeit null. Betrachtet man den derzeitigen Entwurf, dann ist er in einem so vielfachen wie weitgehenden Maße evident sachwidrig, dass ich die Wahrscheinlichkeit auch aus dieser Warte heraus als annähernd null betrachten würde. Denn eine hinreichende Änderung jenes Entwurfs, an deren Ende ein verfassungskonformes Ergebnis stände, müsste m.E. bedeuten, einen neuen Entwurf zu erstellen: Der derzeit vorliegende Entwurf ist sachlich nicht so zu verändern, dass er verfassungskonform werden würde, ohne einen neuen Entwurf zum Ergebnis zu haben. Zu fragen bliebe, ob eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in den Vorlageverfahren 2 BvL 2/16 u.a. den Bundesgesetzgeber dazu veranlassen könnte, den evident sachwidrigen Gesetzentwurf zurückzuziehen. Ich gehe davon aus, dass auch das eher unwahrscheinlich ist. Es käme letztlich darauf an, wie sachlich weitgehend die Entscheidungsbegründung wäre.
Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass der Bundespräsident nach der Verabschiedung eines verfassungswidrigen Gesetzes und vor dessen Ausfertigung von auswärts über den sachwidrigen Gehalt informiert werden wird, wie das auch schon im letzten Gesetzgebungsverfahren geschehen ist, sofern nicht im Gesetzgebungsverfahren entsprechende Darlegungen sachlich präzise vollzogen worden würden. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass eine Novellierung des Besoldungsgesetzes wie die Verabschiedung jedes Gesetzes durch das Referat Z 5 Verfassung und Recht, Justiziariat des Bundespräsidialamts geprüft werden wird, um erst danach die weitere Ausfertigung zu vollziehen. Ich gehe weiterhin davon aus, dass die Ausfertigung dieses Entwurfs wie auch zuvor dessen Verabschiedung verfassungsrechtlich nicht möglich ist. Entsprechend würde jene Novellierung m.E. die Verfassungskrise weiter heraufbeschwören, wie das Ulrich Battis sachlich schlüssig unlängst im sächsischen Gesetzgebungsverfahren betrachtet hat. Damit würde, wenn ich es weiterhin richtig sehe, eine Beschädigung des Amts einhergehen. Zugleich ist ebenso in Rechnung zu stellen, dass die Prüfung eines Gesetzes durch den Bundespräsidenten in der Vergangenheit nur äußerst selten negativ ausgefallen ist.
Entsprechend dürfte es interessant werden, ob die anstehenden bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung noch vor dem Abschluss des laufenden Gesetzgebungsverfahren vollzogen werden wird. Insgesamt sehe ich es weiterhin als wahrscheinlich an, dass nach mehr als mindestens 15 Jahren eine substanzielle Rückkehr zu einer verfassungskonformen Besoldung erst dann in Gang gesetzt werden wird, sofern ein Besoldungsgesetzgeber dazu über die Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG gezwungen wird, deren Vollzug das Bundesverfassungsgericht mit einem Datum verknüpfen wird, sofern es eine entsprechende Entscheidung treffen wird.
Wie hier schon mehrfach ausgeführt, dürfte es interessant werden, ob eine solche Vollstreckungsanordnung vom Bundesverfassungsgericht bestimmt werden wird, wenn insbesondere über die A-Besoldung in den Berliner Vorlagebeschlüsse verhandelt werden wird. Der Versuch, hierfür argumentative Grundlagen herzustellen, ist bspw. auf den S. 33 ff. der hier veröffentlichten Stellungnahme unternommen worden:
https://www.berliner-besoldung.de/wp-content/uploads/2022/02/Stellungnahme_BVerfG_220110_anonymisiert.pdf Nicht umsonst hat das Land nach der Entscheidung 2 BvL 4/18 weiterhin keine Schritte unternommen, die Grundgehaltssätze der Besoldungsordnung R anzuheben, obgleich davon auszugehen ist, dass sie über das Jahr 2015 hinaus ob der festgestellten eklatanten Verletzung der Besoldungsordnung(en) zwischen 2009 und 2015 weiterhin nicht verfassungskonform vollzogen worden sind. Es dürfte entsprechend von Interesse sein, ob sich das Bundesverfassungsgericht der in der genannten Stellungnahme vollzogenen Argumentation anschließen kann oder nicht (nicht zuletzt die zu beachtende strikte Akzessorität müsste dann gegeben sein).
Schließlich denke ich, dass jeder Hinweis hinsichtlich des evident sachwidrigen Gehalts des Entwurfs an Abgeordnete sinnvoll ist, da nicht davon auszugehen ist, dass sie eine größere Veranlassung verspüren werden, sich weitergehend mit der Materie auseinanderzusetzen, sofern sie nicht mit dem Gehalt des Entwurfs sachlich konfrontiert werden. Die zwar weiterhin unzureichenden Fortschritte in Thüringen und Hessen wären sicherlich nicht zustandegekommen, wenn nicht wiederholt der Dialog eingefordert worden wäre. Auch in Niedersachsen dürfte die nicht sachgerecht zu vollziehende Rechtsverordnung zum sog. Familienergänzungzuschlage heute bereits Realität sein, sofern sich nicht sachlich deutliche Rückfragen an die Abgeordneten gestellt hätten, so wie am Ende die Bündnisgrünen dann nicht gegen den Entwurf gestimmt hätten, da sie bis eine Woche vor der zweiten und dritten Lesung sich noch hatten enthalten wollen. Der bündnisgrüne Finanzminister und damit die gesamte neue Regierung haben nun das Problem, dass sie weiterhin mit der verfassungswidrigen Situation in Niedersachsen konfrontiert bleiben. Insofern kann ich nur das wiederholen, was ich schon mehrmals wiederholt habe: Setzt euch für eure Belange ein, fragt bei euren Abgeordneten und den Gewerkschaften und Verbänden nach, sprecht mit den Personalräten eurer Dienststelle, tretet weiterhin sachlich an Medien heran usw. usf.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich dadurch etwas ändert, dürfte recht gering sein - die Wahrscheinlichkeit, dass sich etwas ändert, ohne dass genügend sachliche Gegenargumente wiederkehrend ins Feld geführt werden, dürfte hingegen wie oben dargelegt bei null liegen. Man hat keine Gewähr dafür, dass sich Engagement lohnt und sich also etwas ändert; aber ohne Engagement dürfte man die Gewähr haben, dass sich nichts ändert.