Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 2078504 times)

Knarfe1000

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5730 am: 25.04.2023 10:36 »
Ich habe vor einiger Zeit gelesen, dass ein Bundesland sich mit der Inflationsprämie für das Jahr 2023 "freikauft" und sich erst 2024 näher mit der amtsangemessenen Alimentation beschäftigen wird. Leider habe ich den Bericht nicht mehr gefunden. Falls jemand hierzu weitere Infos hätte, dann bitte den Link teilen  ;)
Bestimmt RLP   ;)

Knarfe1000

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5731 am: 25.04.2023 10:50 »
@SwenTanortsch - bist du einer der Kläger beim BVerfG? Ich finde, du bist tief in der Materie und argumentierst entsprechend sauber.
« Last Edit: 25.04.2023 11:04 von Knarfe1000 »

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5732 am: 25.04.2023 12:03 »
Nein, nein, Knarfe. Meine Beschäftigung bringt es mit sich, dass ich wiederkehrend mit rechtlichen Themen beschäftigt bin. In die Thematik habe ich mich vor Jahr und Tag aus Interesse tiefergehend eingearbeitet. Es ist nicht nur rechtlich, sondern ebenso hinsichtlich seiner politischen Implikationen und Folgen interessant: in gewissem Sinne ein Gradmesser politischer Handlungs(un)fähigkeit unserer Zeit. Der Beamte in mir reagiert dabei grundsätzlich allergisch darauf, wenn politische Akteure sich regelmäßig vom Boden des Grundgesetzes absentieren und sich irgendwo im verfassungsrechtichen Nirgendwo dauerhaften Urlaub vom Grundgesetz erlauben, um aber zugleich ihre ihnen durch den Souverän verliehene politische Macht mitzunehmen in ihr rechtsfernes Ausland, um sie vom verfassungsrechtlich fremden Boden aus hier weiterhin zu vollziehen. Mir macht die Legitimitätskrise zu schaffen, da ich mich in der Vergangenheit recht viel damit beschäftigen musste, wie die Weimarer Demokratie nicht zuletzt auch durch den Extremismus der Mitte zuschanden gemacht worden ist. Die Errungenschaften des Rechtsstaats sind zu wertvoll, als dass man sie allein solchen Politikern überlassen sollte, die sich wiederkehrend als geschichtsvergessene Toren offenbaren.

BVerfGBeliever

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5733 am: 25.04.2023 12:06 »
Die von mir vorgenommene Methodik wird durch verschiedene Gerichte entsprechend so praktiziert. Am Ende wird der Abstand der Prozentpunkte (%P) betrachtet und nicht der relative prozentuale Abstand des einen Prozentwerts (212,22 %) zum anderen (197,01 %).

Vielen Dank für die weiteren Erläuterungen. Das Ganze bestärkt mich in meiner schon häufiger gemachten Erfahrung, dass Juristen zwar viele tolle Dinge tun, aber sobald es um Zahlen und mathematische Zusammenhänge geht, manchmal eine etwas "eigenwillige" Sichtweise an den Tag legen (damit bist natürlich ausdrücklich nicht du gemeint, Swen!).

Im vorliegenden Fall kann es uns natürlich nur recht sein, da somit Folgendes gilt:

a) Würde die Besoldung im März 2024 um 200 Euro plus 5,3% angehoben, so würde sich der Abstand zwischen A2 und B11 seit März 2019 von 487,28% auf 448,00% verringern, also um 39,28 Prozentpunkte.

b) Würde die Besoldung hingegen linear um 11,3% angehoben, so würde sich der Abstand zwischen A2 und B11 seit März 2019 von 487,28% auf 482,63% verringern, also um 4,65 Prozentpunkte.

Während b) für sich betrachtet kein größeres Problem darstellt, beinhaltet a) eine Abschmelzung der Abstände in einem Ausmaß, das ohne eine Neubewertung der Ämter nicht zulässig ist (falls ich Swen richtig verstanden habe):


             03/2019     03/2023   03/2024 a   03/2024 b
                                    200+5,3%       11,3%
            
A2           2410,66     2587,38     2935,11     2879,75
A16          7526,46     8078,22     8716,97     8991,06
B11         14157,33    15074,80    16084,36    16778,25
            
A2 <-> A16   212,22%     212,22%     196,99%     212,22%
A2 <-> B11   487,28%     482,63%     448,00%     482,63%

Rentenonkel

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5734 am: 25.04.2023 12:38 »
Wie immer bei Prozentrechnungen ist die Frage, wie die Prozente errechnet werden. Das BVerfG verweist in seiner Entscheidung unter anderem auf das Urteil BvL 17/03. Dort finden man unter Randnummer 174 folgende Berechnungsmethode:

Einem systeminternen Besoldungsvergleich lässt sich ein Abschmelzen der Abstände zwischen den Besoldungsgruppen und -ordnungen, das eine unangemessene Alimentation der Richter und Staatsanwälte der Besoldungsgruppe R 1 indizieren könnte, ebenfalls nicht entnehmen. So betrug der Abstand zwischen dem Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe R 1 und dem Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe A 5 (jeweils Endstufe) in den Jahren 1998 und 2003 konstant etwa 62 v.H., zwischen dem Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe R 1 und dem Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe A 9 (jeweils Endstufe) konstant etwa 48 v.H. und zwischen dem Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe R 1 und dem Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe A 13 (jeweils Endstufe) konstant etwa 22 v.H.


Das BVerfG prüft daher bei der 10 % Regelung nach meinem Verständnis das Verhältnis von der niedrigen Lohngruppe zur höheren und nicht umgekehrt.

Wenn man die hier erwähnten Zahlen sich näher anschaut, kommt man bei diesem Weg der Prozentrechnung zu folgendem Ergebnis:

            03/2019     03/2023        03/2024 a   03/2024 b
                                                  200+5,3%       11,3%
           
A2           2410,66      2587,38       2935,11     2879,75
A16          7526,46     8078,22        8716,97     8991,06
B11         14157,33    15074,80     16084,36    16778,25
           
A2 <-> A16  32,03 %  32,03 %      33,67%      32,03%
A2 <-> B11   17,03 % 17,16 %     18,25 %      17,16%

Unterschied bei Übertragung Tarifergebnis:  A2 - A16   33,67 % zu 32,03 % = 5,12 %
                                                                A2 - B 11   18,25 % zu 17,16 % = 6,35 %

Der Unterschied liegt bei diesem Weg der Berechnung daher unter 10 % und dürfte somit aus meiner Sicht unproblematisch sein.

Problematisch könnte eher die Mindesterhöhung von 340 EUR sein. Da sehe ich keine Übertragungsmöglichkeit auf die Beamtenbesoldung.

Blablublu

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« Antwort #5735 am: 25.04.2023 13:51 »
Wie immer bei Prozentrechnungen ist die Frage, wie die Prozente errechnet werden. Das BVerfG verweist in seiner Entscheidung unter anderem auf das Urteil BvL 17/03. Dort finden man unter Randnummer 174 folgende Berechnungsmethode:

Einem systeminternen Besoldungsvergleich lässt sich ein Abschmelzen der Abstände zwischen den Besoldungsgruppen und -ordnungen, das eine unangemessene Alimentation der Richter und Staatsanwälte der Besoldungsgruppe R 1 indizieren könnte, ebenfalls nicht entnehmen. So betrug der Abstand zwischen dem Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe R 1 und dem Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe A 5 (jeweils Endstufe) in den Jahren 1998 und 2003 konstant etwa 62 v.H., zwischen dem Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe R 1 und dem Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe A 9 (jeweils Endstufe) konstant etwa 48 v.H. und zwischen dem Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe R 1 und dem Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe A 13 (jeweils Endstufe) konstant etwa 22 v.H.


Das BVerfG prüft daher bei der 10 % Regelung nach meinem Verständnis das Verhältnis von der niedrigen Lohngruppe zur höheren und nicht umgekehrt.

Wenn man die hier erwähnten Zahlen sich näher anschaut, kommt man bei diesem Weg der Prozentrechnung zu folgendem Ergebnis:

            03/2019     03/2023        03/2024 a   03/2024 b
                                                  200+5,3%       11,3%
           
A2           2410,66      2587,38       2935,11     2879,75
A16          7526,46     8078,22        8716,97     8991,06
B11         14157,33    15074,80     16084,36    16778,25
           
A2 <-> A16  32,03 %  32,03 %      33,67%      32,03%
A2 <-> B11   17,03 % 17,16 %     18,25 %      17,16%

Unterschied bei Übertragung Tarifergebnis:  A2 - A16   33,67 % zu 32,03 % = 5,12 %
                                                                A2 - B 11   18,25 % zu 17,16 % = 6,35 %

Der Unterschied liegt bei diesem Weg der Berechnung daher unter 10 % und dürfte somit aus meiner Sicht unproblematisch sein.

Problematisch könnte eher die Mindesterhöhung von 340 EUR sein. Da sehe ich keine Übertragungsmöglichkeit auf die Beamtenbesoldung.

Es wäre unproblematisch, wenn nicht durch den Referentenentwurf zur amtsangemessenen Alimentation bereits die 10 % ausgereizt wären.

BVerfGBeliever

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5736 am: 25.04.2023 14:23 »
Dort finden man unter Randnummer 174 folgende Berechnungsmethode:

Einem systeminternen Besoldungsvergleich lässt sich ein Abschmelzen der Abstände zwischen den Besoldungsgruppen und -ordnungen, das eine unangemessene Alimentation der Richter und Staatsanwälte der Besoldungsgruppe R 1 indizieren könnte, ebenfalls nicht entnehmen. So betrug der Abstand zwischen dem Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe R 1 und dem Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe A 5 (jeweils Endstufe) in den Jahren 1998 und 2003 konstant etwa 62 v.H., zwischen dem Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe R 1 und dem Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe A 9 (jeweils Endstufe) konstant etwa 48 v.H. und zwischen dem Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe R 1 und dem Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe A 13 (jeweils Endstufe) konstant etwa 22 v.H.


Vielen Dank für den Hinweis, der perfekt meine obige These stützt (Juristen <-> "Zahlen"), da die genannte Berechnungsmethode in meinen Augen keine sinnvollen Ergebnisse liefert.

Kleiner Hinweis: Deine aufgeführten Werte müssen noch von 100% subtrahiert werden. A2 (2410,66) bekam 2019 das 0,3203-fache von A16 (7526,46), also betrug der "Abstand" nach der Spezial-Berechnungsmethode 100% minus 32,03% = 67,97%.

[Analog bekam 2003 A5 (1869,54) das 0,3782-fache von R1 (4943,65), also betrug der damalige Spezial-"Abstand" 100% minus 37,82% = 62,18%, was den genannten "62 v.H." in Randnummer 174 entspricht.]

Aber nochmal: Diese Berechnungsmethode führt aus meiner Sicht zu keinen verwertbaren Ergebnissen!

kimonbo

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5737 am: 25.04.2023 15:45 »
Bei mir gibst bald wieder die amtsangemessene Krankschreibung, dann passt alles wieder hshahaaaaa

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5738 am: 25.04.2023 17:33 »
Wenn ich es richtig sehe, reproduziert ihr hier weitergehend - das soll kein Vorwurf sein - das spezifische Verhalten der Besoldungsgesetzgeber, indem ihr nicht beachtet, dass die gesetzgeberische Gestaltungsdirektive verfassungsrechtlich etwas gänzlich anderes ist als die gerichtliche Kontrolle der vom Gesetzgeber vollzogenen Gesetzgebung. Letztere kann sich verfassungsrechtlich wegen des weiten Entscheidungsspielraums, über den der Gesetzgeber verfassungsrechtlich grundsätzlich verfügt, nur auf die Betrachtung evidenter (also einwandfrei nachweisbarer) Sachwidrigkeit beschränken. Sie kann und darf als Folge von Verfassungs wegen nicht den politischen Gehalt von Entscheidungen des Gesetzgebers prüfen, solange dieser nicht in die evidente Sachwidrigkeit führt. Entsprechend hebt das Bundesverfassungsgericht regelmäßig hervor:

"Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber dabei die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung gewählt hat [...]. Dem weiten Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers entspricht vielmehr eine zurückhaltende, auf den Maßstab evidenter Sachwidrigkeit beschränkte Kontrolle der einfachgesetzlichen Regelung [...]. Im Ergebnis beschränkt sich die materielle Kontrolle dabei auf die Frage, ob die Bezüge der Richter und Staatsanwälte evident unzureichend sind. Ob dies der Fall ist, muss anhand einer Gesamtschau verschiedener Kriterien und unter Berücksichtigung der konkret in Betracht kommenden Vergleichsgruppen geprüft werden" (Rn. 27 in der aktuellen Entscheidung).

Anders als beim Mindestabstandsgebot, das mit dem absoluten Alimentationsschutz verzahnt ist und deshalb in gewisser Hinsicht eine Sonderrolle im Prüfverfahren einnimmt, kann aus einer Betrachtung eines einzelnen Parameters der ersten Prüfungsstufe im Zuge der gerichtlichen Kontrolle nicht geschlossen werden, ob eine gewährte Alimentation verfassungswidrig ist. Auch aus einem Wert von 5 oder 7 oder 10 oder 13 oder 37 als Ergebnis des systeminternen Besoldungsvergleichs kann nicht geschlossen werden, dass die gewährte Alimentation in einer Besoldungsgruppe verfassungskonform oder verfassungswidrig ist. Eine Abschmelzung des Besoldungsunterschieds in der Endstufe zweier vergleichbarer Besoldungsgruppen um mehr als 10 Prozentpunkte innerhalb von fünf Jahren indiziert, dass die Alimentation nicht amtsangemessen ist. Indiziert meint: Es trägt zur Vermutung einer verfassungswidrigen Alimentation bei. Nicht mehr und nicht weniger. Die Mathematik dient ausschließlich der Prüfung der Alimentation und Besoldungssystematik. Ein rein mathematisches Verfahren kann nicht hinreichend sein, um eine amtsangemessene Alimentation zu begründen.

Denn diese Begründung ist Aufgabe des Besoldungsgesetzgeber als Folge seiner ihm von Verfassungs wegen treffenden gesetzgeberischen Gestaltungsperspektive, wie sie sich aus Art. 33 Abs. 5 GG ergibt. Der Besoldungsgesetzgeber kann eine sachgerechte Besoldung und Alimentation nicht errechnen; er kann sie nur sachgerecht begründen. Diese ihn treffende Begründungspflicht ist die "zweite Säule" des Alimentationprinzips. Die erste ist der materielle Gehalt der gewährten Alimentation.

Was folgt daraus nun für den hier betrachteten Fall des vierten Prüfparameters? Zunächst einmal muss wiederum zwischen der gesetzgeberischen Gestaltung(sperspektive) und der gerichtlichen Kontrolle unterschieden werden; denn hier liegt eine verfassungsrechtlich unüberwindbare Kluft vor, die sich aus den verfassungsrechtlich jeweils unterschiedlichen Aufgabe von Legislative und Judikative ergibt. Erstere hat zu beachen, dass es sich beim Abstandsgebot zwischen den Besoldungsgruppen um einen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums handelt, der als grundlegender Teil des Alimentationsprinzips vom Gesetzgeber nicht nur zu berücksichtigen, sondern zu beachten ist. Wegen der eng mit dem Alimentationsprinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG und dem Leistungsprinzip aus Art. 33 Abs. 2 GG verbundenen Ämterwertigkeit hat der Gesetzgeber zu beachten, dass ein höherwertiges Amt höher zu besolden ist als ein geringerwertiges; am Ende muss ein ein höherwertiges Amt bekleidender Beamter höher alimentiert werden als ein Beamter, der ein geringerwertiges Amt bekleidet. Ist das nicht der Fall, liegt - jetzt kommen wir wieder zur gerichtlichen Kontrolle - eine evidente Sachwidrigkeit vor, die wegen des genannten Abstandsgebots zur Verfassungswidrigkeit der Norm führt.

Besteht am Ende aber - um den Extremfall zu nehmen - zwischen zwei vergleichbaren Besoldungsgruppen eine unterschiedlich hohe Besoldung, die im Ergebnis dazu führt, dass das höherwertige Amt am Ende um ein Cent höher alimentiert wird als das geringerwertige, kann daraus nicht automatisch geschlossen werden, dass eine sachwidrige Regelung vorliegt. Vielmehr hat die gerichtliche Kontrolle nun zu prüfen, ob die Begründung des Gesetzgebers, die der jeweiligen Ämterbewertung zugrunde liegt, sachgerecht vorgenommen worden ist. Ist das der Fall - was in einem solchen Extremfall wie der gerade von mir konstruierte kaum der Fall sein könnte -, spräche verfassungsrechtlich nichts gegen eine solche gesetzliche Regelung.

Um nun aber erst einmal zu prüfen, ob der vierte Parameter der ersten Prüfungsstufe - der sog. systeminterne Besoldungsvergleich - die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation indiziert, muss im Prüfverfahren anhand der Endstufengehälter ein Vergleich vergleichbarer Besoldungsgruppen durchgeführt werden. Kommt jener Vergleich zu dem Ergebnis, dass der Unterschied im Fünfjahresturnus hinsichtlich der Prozentpunkte 0 ist, ist keine Indizierung einer verfassungswidrigen Unteralimentation gegeben. Liegt die Differenz oberhalb von 0, wäre jener Fall mit dem ihm zukommenden Gewicht zunächst in die Gesamtbetrachtung aller Parameter der ersten Prüfungsstufe einzustellen und am Ende in der Gesamtabwägung - nach Vollzug der beiden ersten Prüfungsstufen des gerichtlichen Prüfverfahrens - ggf. noch einmal genauer zu untersuchen bzw. eben im Gesamtkonzert beider Prüfstufen abzuwägen. Der Abwägeprozess ist nun wiederum kein mathematisches Verfahren, sondern geschieht prüfend mit dem Ziel, eine Klärung vorzunehmen, dass die einem Beamten gewährte Nettoalimentation evident sachwidrig ist, also eine Unteralimentation darstellt, oder sachgerecht erfolgt ist, also ihm eine amtsangemessene Alimentation gewährt worden ist.

So verstanden verkürzt ihr gerade einen einzelnen Prüfparameter in seinem indiziellen Gehalt, indem ihr ihn nicht im Konzert aller anderen Parameter betrachtet und ihn darüber hinaus ausschließlich als mathematisches Konstrukt versteht. Denn der Prüfparameter ist zunächst ein mathematisches Konstrukt - jenes Konstrukt dient aber der Kontrolle des Gesetzes: und diese Kontrolle kann am Ende grundsätzlich nur begründend und nicht mathematisierend erfolgen. Ein einzelner Wert von unter 10 ist also für sich genommen weder unproblematisch noch problematisch - sondern er ist ein mathematischer Wert, der erst im Kontext aller anderen Werte, die in der Prüfung vollzogen werden und zu betrachten sind, seine Bedeutung erlangt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Und damit wären wir dann wieder bei der Methodik des systeminternen Besoldungsvergleichs. Das Bundesverfassungsgericht hat zu dieser Methodik ausgeführt, wie ich vorhin schon zitiert habe: "Während die Abstände der Bruttogehälter in den Besoldungsgruppen, wie die Berechnungen des Oberverwaltungsgerichts gezeigt haben, im Wesentlichen unverändert geblieben sind, wurde in den verfahrensgegenständlichen Jahren das Mindestabstandsgebot nicht eingehalten (vierter Parameter)." (Rn. 140) Damit hat es die Methodik des OVG als sachgerecht betrachtet - ansonsten hätte es den ersten Teil des gerade zitierten Satzes so nicht formulieren dürfen. Denn eine nicht sachgerechte Methodik dürfte nicht herangezogen werden, da sie keine sachgerechte Begründung zulassen würde.

Wie nun sah die Methodik des OVG aus?

In seiner Entscheidung vom 12.10.2016 - 4 B 37.12 (https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE160017516) - hat das OVG zunächst den direktiven Gehalt der betreffenden bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung korrekt wiedergegeben (Rn. 37). Ab der Rn. 107 hat es dann drauf aufbauend den systeminternen Besoldungsvergleich durchgeführt. Die in der Rn. 108 wiedergegebene Tabelle zeigt dann - unabhängig davon, ob nun absolute oder relative Prozentwerte betrachtet werden würden -, dass die Bruttogehälter in den Besoldungsgruppen im Wesentlichen unverändert geblieben sind, so wie es das Bundesverfassungsgericht im gerade vorgenommenen Zitat ausführt. In der Rn. 109 betrachtet es nun die vom Kläger aufgeworfene Frage nach der ggf. vorhandenen Verletzung des Mindestabstandsgebots (2016 gab es dazu noch kein Prüfungsheft des Bundesverfassungsgerichts, jenes ist er mit der aktuellen Entscheidung von 2020 gegeben). Als Folge setzt es in der nächsten Tabelle in der Rn. 110 eine um fiktiv 285,71 € in den Besoldungsgruppen A 4 bis A 14 höhere Besoldung voraus und führt daraufhin unter dieser Prämisse den systeminternen Besoldungsvergleich durch.

Im Ergebnis vergleicht es nun die Prozentpunkte miteinander, indem es sie voneinander subtrahiert (vgl. die Rn. 109), um daraus weitere Schlüsse zu ziehen, die uns hier nicht (mehr) weiter interessieren müssen, da die Frage, wie man einen ggf. vorhandenen Verstoß gegen das Mindestabstandsgebot prüft, seit rund drei Jahren - anders als noch 2016 - geklärt ist. Entscheidend für die uns hier interessierende Frage ist die Methodik, die das OVG heranzieht. Sie erfolgt entsprechend wie von mir gestern vollzogen, ohne dass sich dagegen ein Widerspruch des Bundesverfassungsgerichts geregt hätte. Von daher muss davon ausgegangen werden, dass das Bundesverfassungsgericht eine am Ende die Prozentpunkte zweier vergleichbarer Besoldungsgruppen im Fünf-Jahres-Turnus voneinander subtrahierende Methodik als sachgerecht betrachtet, um anhand des systeminternen Besoldungsvergleichs (also in der Kontrolle der Norm) Aussage hinsichtlich des Abstandsgebots zwischen den Besoldungsgruppen und damit über die materielle Dimension der Norm zu machen.

Der langen Rede kurzer Sinn: Die Formulierung, "Ein im Rahmen der Gesamtabwägung zu gewichtendes Indiz für eine unzureichende Alimentation liegt vielmehr bereits dann vor, wenn die Abstände um mindestens 10 % in den zurückliegenden fünf Jahren abgeschmolzen wurden" (vgl. bspw. in der aktuellen Entscheidung die Rn. 45), ist etwas unglücklich formuliert - aber die Intention hinsichtlich des Prüferverfahrens ist eindeutig. Wenn - um das gestrige Beispiel noch einmal hervorzuholen - in A 2/8 die Besoldung um zunächst 200,- € und danach um 5,5 % erhöht werden würde, dann würde sich die Besoldung hier von 2.587,38 € auf 2.940,69 € (+ 353,31 € = 13,7 %) erhöhen, während derselbe Fall sich für A 16/8 wie folgt auswirken würde (unabhängig davon, dass jener Fall nicht eintreten wird - aber hier geht es ja um die Methodik und den sachlich Gehalt der bundesverfasungsgerichtlichen Rechtsprechung): Die Besoldung erhöhte sich von heute 8.078,22 € nach 8.733,52 € (+ 655,3 € = 8,1 %). Damit aber hätten wir eine Entwicklung, die das Bundesverfassungsgericht als grundsätzlich bedenklich einstuft, nämlich dass es im Gefolge einer sozialen Staffelung der Besoldung zur Schlechterstellung höherer Besoldungsgruppen kommen würde, obgleich sie im selben Zeitraum denselben wirtschaftlichen Bedingungen unterworfen waren. Von daher führt das Bundesverfassungsgericht entsprechend deutlich aus:

"Verfassungsrechtlich bedenklich ist im Lichte des Abstandsgebots auch eine alimentationsbezogene Schlechterstellung höherer Besoldungsgruppen durch eine zeitversetzte und/oder gestufte Inkraftsetzung der Besoldungserhöhung für Angehörige dieser Besoldungsgruppen als Ausdruck einer sozialen Staffelung. Der Besoldungsgesetzgeber entfernt sich dabei regelmäßig von der verfassungsrechtlichen Vorgabe, die Bemessung der Alimentation - für alle Beamten - an der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und dem allgemeinen Lebensstandard zu orientieren. Die von Verfassungs wegen geschuldete Alimentierung ist nicht eine dem Umfang nach beliebig variable Größe, die sich einfach nach den „wirtschaftlichen Möglichkeiten“ der öffentlichen Hand oder nach den politischen Dringlichkeitsbewertungen hinsichtlich der verschiedenen vom Staat zu erfüllenden Aufgaben oder nach dem Umfang der Bemühungen um die Verwirklichung des allgemeinen Sozialstaatsprinzips bemessen lässt" (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 17. November 2015 - 2 BvL 19/09 -, Rn. 91)

Amtsschimmel

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5739 am: 25.04.2023 19:15 »
„Die im Tarif gefundenen Regelungen für die Jahre 2023 und 2024 müssen in eine Besoldungs- und Versorgungsanpassung übersetzt werden. Dies gilt für die Zahlungen des Inflationsausgleichsgeldes für die Jahre 2023/2024 und für den Sockel und die lineare Regelung ab März 2024, um eine amtsangemessene Alimentation unter Berücksichtigung der immens gestiegenen Lebenshaltungskosten zu gewährleisten.“

https://oeffentlicher-dienst-news.de/einigung-oeffentlicher-dienst-bundesbeamte-pensionaere/

DBB verment beides schon locker flockig.

PolareuD

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5740 am: 26.04.2023 10:11 »

[....]
BMI: Am Gesetz wird gearbeitet, allerdings kam hier schon die Frage auf, ob man nicht aufgrund der vielen Einwände in der Verbändebeteiligung nicht einfach jetzt ein kleines BBAnPVG anschieben soll und das mit AEZ & Co. auf die Zeit nach den 3 BVerfG Urteilen schieben kann. Quasi: Der Affe hat jetzt Zucker, vielleicht meckern dann nicht mehr so viele.

Ergebnis: offen
Tendenz: Die Fachebene möchte nicht weiter schieben, auch wenn handwerkliche Fehler bekannt sind, die politische Ebene hält sich alles offen

Das wäre schon dreist, wenn man wissentlich ein weiterhin verfassungswidriges Gesetz durch den Bundestag jagt.


Zudem wird im Haus gerade nochmal das Thema Ämterspreizung aufgemacht, kam wohl aus nem gelben Haus das damit mehr geeignete Absolventen in Laufbahnen unterhalb des hD stecken möchte.

Kannst du das etwas näher erläutern? Soll z.B. für den gD gelten: Eingangsamt A9, Endamt A15. In Brandenburg geht der gD auch bis A14, soviel ich weiss.

Rentenonkel

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5741 am: 26.04.2023 11:00 »
Hallo Swen,

vielen Dank für Deine ergänzenden, klärenden Worte.

Unabhängig von der Frage der amtsangemessen Alimentation, die hier ja seit einigen hundert Seiten diskutiert wird, ging es mir nur darum, ob der vierte Parameter in jedem Fall eine Verfassungswidrigkeit indiziert. Je nachdem wie man rechnet kommt man auf einen Wert über oder unter 10, der ja der Maßstab sein soll, eine verfassungswidrige Unteralimentation (für höhere Besoldungsgruppe) zu indizieren.

Bei einer einmaligen Erhöhung um einen Sockelbeitrag plus einer prozentualen Erhöhung sehe ich allein in dieser Umsetzung kein Indiz für eine verfassungswidrige Unteralimentation. Das kann sich allerdings verschieben, wenn auch zukünftig diese Form der Erhöhung Schule macht. Es wird ja immer ein 5 Jahreszeitraum gebildet. Und auch wenn es bedenklich ist, dass höhere Besoldungen von der Entwicklung etwas abgekoppelt werden, ist es wohl mit einer guten Begründung gerade noch verfassungsgemäß, wenn es die Abweichung maximal 10 v.H. innerhalb dieses Zeitraumes ausmacht. Einen gewissen Gestaltungsspielraum muss es ja auch für den Besoldungsgesetzgeber weiterhin geben. Allerdings - und da sind wir wieder bei dem Thema - bedarf eine Abweichung von den Prüfparametern immer einer guten Begründung - und an der ist es in der Vergangenheit regelmäßig gescheitert. Es dürfen hier sicherlich nicht die Haushaltslage als Argument herangezogen werden.

Eine Begründung findet sich bei den Tarifverhandlungen. Die hohe Inflation wirkt sich insbesondere bei Lebensmitteln und bei Energiekosten aus und damit sind untere Einkommensgruppen überproportional von der Inflation betroffen, weil sie eine prozentual höheren Betrag für Lebensmittel und Energie ausgeben als gutverdienende. Mit dieser Argumentation hat man sich ja auch bei den Tarifbeschäftigten entsprechend sozial gestaffelt geeinigt. Und auch in anderen Branchen (außerhalb des ÖD) macht diese Erhöhung (Sockelbeitrag plus Prozente) Schule, so dass auch gesamtgesellschaftlich höhere Einkommensgruppen bei diesen Tarifverhandlung nicht in gleichem Maße prozentual profitieren wie untere Einkommensgruppen. Der Vergleich zu den Tarifbeschäftigten und den Löhnen und Gehältern außerhalb des ÖD ist allerdings ein anderer Prüfparameter, der eine Verfassungswidrigkeit indizieren kann.

Das es sicherlich wie hier schon oft diskutiert wird weitere Indizien dafür gibt, dass die Besoldung aktuell nicht verfasssungskonform ist, steht für mich völlig außer Frage. Daher bedarf es weiterer Anpassungen unabhängig von der Tariferhöhung, um die Beamtenbesoldung wieder auf die Füße des Grundgesetzes zu stellen.

Ich könnte mir vorstellen, dass auch der Besoldungsgesetzgeber eine ähnliche Argumentation fährt wie ich sie beschrieben habe und daher könnte ich mir vorstellen, dass es zunächst (allerdings ohne die 340 EUR Mindesterhöhung) sehr wohl eine inhaltsgleiche Übertragung auf die Beamtenbesoldung geben könnte. Rein mathematisch kann man nämlich auch zu dem Ergebnis kommen, dass der vierte Prüfparameter erfüllt sei.

Ob es dann aufgrund der zahlreichen Argumente, die es unabhängig von der Anpassung gibt, dann vor dem BVerfG Bestand haben wird, wird sicherlich die Zukunft zeigen. Bis dahin gibt es aber erstmal ein Gesetz, welches inhaltlich das Tarifergebnis auf die Beamten überträgt.

Es bleibt spannend ...

Alexander79

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5742 am: 26.04.2023 11:14 »
Die hohe Inflation wirkt sich insbesondere bei Lebensmitteln und bei Energiekosten aus und damit sind untere Einkommensgruppen überproportional von der Inflation betroffen,

Dieses Tor hat das BVerfG eigentlich schon 2017 glaube ich geschlossen.

Zitat:"Infolge der Inflation verlieren Empfänger al-
ler Besoldungsgruppen in relativ gleichem Maße an Kaufkraft. Zum Aufwiegen des
Kaufkraftverlusts und damit zur Sicherung des jeweils „amtsangemessenen“ Unter-
halts ist daher eine Besoldungserhöhung in ebenfalls relativ gleichem Maße nötig."

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5743 am: 26.04.2023 12:53 »
Hey Rentenonkel,
wie meistens sind wir überwiegend einer Meinung - in zwei Punkten befindest Du Dich aber sachlich auf dem Holzweg, was aber nicht so leicht zu erkennen ist und wohl auch durch meinen letzten gestrigen Beitrag nicht sogleich erkennbar wurde.

a) Dieser Satz: "Und auch wenn es bedenklich ist, dass höhere Besoldungen von der Entwicklung etwas abgekoppelt werden, ist es wohl mit einer guten Begründung gerade noch verfassungsgemäß, wenn es die Abweichung maximal 10 v.H. innerhalb dieses Zeitraumes ausmacht", ist sachlich falsch, weil er materielle und indizielle Bedinungen ineinanderwirft, die aber sachlich zu trennen sind. Denn tatsächlich setzt der vierte Prüfparameter des systeminternen Besoldungsvergleichs nur eine Marke mit 10 v. H., die eine verfassungswidrige Alimentation indiziert. Dieses Indiz innerhalb der gerichtlichen Prüfung sagt nichts weiter über den materiellen Gehalt der Besoldung aus - deshalb habe ich gestern die Gesamtheit der Prüfparameter hervorgehoben. Mit Ausnahme der Mindestalimentation, die eine Zwitterfunktion hat und sowohl eine materielle als auch eine indizielle Dimension hat, haben alle anderen Parameter des bundesverfassungsgerichtlichen Prüfungshefts eine ausschließlich indizielle Funktion, dienen also ausschließlich zur Prüfung einer gewährten Alimentation, also zur Prüfung des materiellen Gehalts der Alimentation.

Sofern also ein Besoldungsgesetzgeber im Verlauf von fünf Jahren den Abstand zwischen zwei vergleichbaren Besoldungsgruppen um mehr als 10 Prozentpunkte verringert, liegt zunächst nur ein Indiz vor, das die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation stützt. Es steht dann folglich die Vermutung einer sachwidrigen Einschmelzung von Abständen zwischen den Besoldungsgruppen und damit eines Verstoßes gegen das Abstandsgebot zwischen den Besoldungsgruppen im Raum. Sofern der Gesetzgeber diese Einschmelzung aber durch eine sachgerechte Ämterneubewertung hinreichend begründet hat, ist sie ihm allerdings gestattet: Das Indiz bliebe bestehen, die Maßnahme als solche wäre aber zunächst einmal - da für sich betrachtet hinreichend sachgerecht begründet - nicht als sachwidrig zu begreifen.

Sofern nun aber ebenfalls weitere Parameter der ersten Prüfungsstufe ebenso die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation indizieren würden, wäre die für sich betrachtet materiell sachgerechte Abschmelzung der Abstände zwischen den Besoldungsgruppen (da sie weiterhin ein in dieselbe Richtung weisendes Indiz bliebe) im Prüfverfahren nach wie vor zu beachten. Sofern am Ende die Parameter der zweiten Prüfungsstufe die Vermutung der verfassungswidrigen Unteralimentation im starken Maße, aber nicht vollständig eindeutig erhärtet würden, müsste spätestens jetzt betrachtet werden, ob die zwar für sich betrachtet sachgerechte (jedoch als Indiz für eine verfassungswidrige Alimentation sprechende) Entscheidung einer recht starken Einschmelzung von Abständen zwischen den Besoldungsgruppen den Ausschlag in eine der prinzipiell nur möglichen zwei Richtungen geben könnte oder müsste. Die prinzipiell möglichen zwei Richtungen sind: Entweder ist eine zur Prüfung gestellte Alimentation verfasungskonform oder sie ist es nicht, ist also verfassungswidrig.

Das Ergebnis könnte dann bspw. so aussehen, dass die Entscheidung der eingeschmolzenen Abstände materiell weiterhin als sachgerecht betrachtet wird, dass jedoch jene Einschmelzung als Indiz am Ende den endgültigen Ausschlag dafür geben könnte, um Ende hinreichend festzustellen, dass eine verfassungswidrige Unteralimentation gegeben ist, dass die gewährte Alimentation der betrachteten Besoldungsgruppe also evident unzureichend ist. Damit wäre es dem Besoldungsgesetzgeber nun gestattet, zur Heilung der verfassungswidrigen Unteralimentation die als sachgerecht betrachteten über 10 % hinaus eingeschmolzenen Abstände zwischen den beiden vergleichbaren Besoldungsgruppen aufrechtzuerhalten - er müsste aber geeignete andere Maßnahmen ergreifen, um zu einer amtsangemessenen Alimentation zurückzukehren. Er könnte also beispielsweise den Grundgehaltssatz beider vergleichbaren Besoldungsgruppen anheben (was im Ergebnis zu einer generellen Anhebung des Besoldungsniveaus in allen Besoldungsgruppen führen könnte) und damit trotz der neuen Abstände wieder eine zureichende Alimentation auch für die vom Bundesverfassungsgericht geprüfte und als verfassungswidrige betrachtete Besoldungsgruppe garantieren - er könnte gleichfalls zu einer weiteren Ämterneubewertung schreiten und, sofern sich das sachgerecht begründen ließe, die vormaligen Abstände wieder herstellen, sodass ggf. ohne Erhöhung von Grundgehaltssätzen nun wieder eine amtsangemessene Alimentation gegeben sein könnte. Und er könnte weitere geeignete Maßnahmen zur Heilung ergreifen, die - sofern sie die materiell unzureichende Alimentation heilen würden - die deutlich eingeschmolzenen, aber sachlich vertretbaren Abstände zwischen den vergleichbaren Besoldungsgruppen aufrechterhielten.

Der langen Rede kurzer Sinn: Die Besoldungsgesetzgeber werfen aus ihren Interessen heraus wiederkehrend materielle Bedingungen und indizielle Parameter ineins. Beide sind aber als prinzipiell unterschiedliche Faktoren sachlich zu trennen: Die gesetzgeberische Gestaltungsperspektive, die materiell in ein Gesetz mündet, ist etwas völlig anderes als die auf evidente Sachwidrigkeit prüfende Rechtsprechung, die sich im Zweifelsfall - sofern also die Evidenz nicht sogleich erkennbar ist - an Indizien orientieren muss: und also in unserem besoldungsrechtlichen Fall an dem Prüfungsheft des Bundesverfassungsgerichts. Es benennt Indizien, die hinsichtlich des verfassungskonformen Gehalts einer gewährten Alimentation für oder gegen eine am Ende evident verfassungswidrige Regelung sprechen.

b) Zum zweiten Fall hat Alexander gerade einen wichtigen Punkt genannt. Eine Vergleichbarkeit der Beamtenbesoldung sowohl mit Grundsicherungsleistungen als auch mit einer Entlohnung ist nicht so ohne Weiteres möglich, da jeweils der qualitative Unterschied zu beachten ist. Der Beamte ist laut Beamtenstatusgesetz verpflichtet, eine seinem Status entsprechende Lebensführung zu pflegen. Das setzt nun wiederum dem Dienstherrn in die Pflicht, ihn materiell mit einer Besoldung auszustatten, die es ihm ermöglicht, seiner genannten Pflicht nachzukommen. Sofern der Besoldungsgesetzgebr dieser Pflicht aber nicht hinreichend nachkommt, indem er sachwidrig die Ämterwertigkeit verletzt und also einem höher besoldeten Beamten damit ggf. die Möglichkeit nimmt, seiner Pflicht nachzukommen, eine seinem Status entsprechende Lebensführung zu pflegen, handelt er treuebrüchig. Ein Arbeitgeber in der freien Wirtschaft kann entsprechend so handeln und also im rechtlichen Rahmen eine Entlohnung vollziehen, die Abstände zwischen Lohngruppen einschmilzt - dem Gesetzgeber ist das aus Art. 33 Abs. 5 GG nicht so ohne Weiteres gestatet, da er bei der Fortentwicklung des Dienstrechts die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu berücksichtigen hat - was hinsichtlich des Alimentationsprinzips bedeutet, dass er das Abstansgebot zwischen den Besoldungsgruppen nicht nur zu berücksichtigen, sondern es zu beachten hat. Er darf Abstände zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen verändern - aber die Veränderung hat ausnahmslos immer sachgerecht zu erfolgen und muss am Ende zu einer zureichenden Alimentation des Beamten führen.

Rentenonkel

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5744 am: 26.04.2023 15:29 »
Vielleicht drücke ich mich etwas unscharf aus.

Soweit ich das Prüfschema des BVerfG verstanden habe, gibt es im ersten Schritt insgesamt 5 Prüfparameter, die einen Orientierungsrahmen für eine grundsätzlich verfassungsgemäße Ausgestaltung der Alimentationsstruktur und des Alimentationsniveaus bilden.

1.) Vergleich Besoldung und Tarifentwicklung
2.) Vergleich mit Nominallohnindex
3.) Vergleich mit Verbraucherpreisindex
4.) Systeminterner Besoldungsvergleich
5.) Vergleich mit Besoldung der anderen Besoldungsgesetzgeber

Wenn mindestens drei der fünf Parameter verletzt sind, besteht zumindest die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation. Sind lediglich ein oder zwei Parameter verletzt, müssten die Ergebnisse der ersten Stufe, insbesondere das Maß der Über- oder Unterschreitung der Parameter, zusammen mit denen auf der zweiten Stufe ausgewerteten Kriterien im Rahmen einer Gesamtabwägung gewürdigt werden.

Soweit hoffe ich, das System verstanden zu haben.

Die Frage, die sich im Kern hier ja stellt, ist die Frage, ob das Tarifergebnis 1:1 übertragen werden kann oder ob es eine wie auch immer gestaltete "systemgerechte" Übertragung geben wird.

Wenn es eine 1:1 Übertragung geben würde, müsste der Besoldungsgesetzgeber ja das oben beschriebene Prüfschemata durchsubsumieren. Aus meiner Sicht wäre das erste Parameter nicht verletzt. Unterstellt, dass diese Modell Schule macht, erscheint auch erst einmal die zweite Stufe nicht verletzt zu sein. Bei Prüfparameter 3 kann es sicherlich eine Abweichung geben, da vermutlich die Inflation stärker steigt als die Anpassung. Stufe 4 wird ja gerade diskutiert. Und Stufe 5 dürfte nach meinem Verständnis auch weitesgehend unkritisch sein, da ja die Besoldungsgesetzgeber der Länder erst im Herbst anpassen und die Umsetzung der bisherigen Rechtsprechung eher schleppend ist. Somit würden Bundesbeamte sich (erstmal) eher am oberen Rand der Beamtenbesoldung unter allen 17 Besoldungsgesetzgebern befinden.

Je nachdem wie man rechnet, kommt man daher zu dem Ergebnis, dass ein oder zwei Prüfparameter verletzt sein könnten. Damit haben wir zunächst einmal zwar keine unmittelbare Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation, man muss aber trotzdem im nächsten Schritt in einer Gesamtabwägung die Abweichung insbesondere im Hinblick auf das Maß der Über- oder Unterschreitung der Parameter würdigen, um zu prüfen, ob diese Unteralimentation verfassungswidrig ist oder nicht.

Daher kommt es darauf an, ob die aktuelle Inflation (ausgelöst durch die Ukraine Krise) anders ist als das, was wir in der Vergangenheit erlebt haben. Während in der Vergangenheit bei einer Inflation alle Preise gleichmäßig gestiegen sind, scheint es nunmehr so zu sein, dass es zwei Preistreiber gibt: Energie und Lebensmittel.

Während die Lebensmittel daher um rund 22 % gestiegen sind, liegt die durchschnittliche Inflation in etwa bei der Hälfte. Somit erscheint (ohne die genauen Zahlen abschließend zu kennen) das Argument, dass in dieser besonderen Situation im Gegensatz zu der Situation bis 2017 einkommensschwache Haushalte proportional stärker von der Inflation betroffen sind, als einkommensstarke Haushalte, durchaus auf den ersten Blick nachvollziehbar. Damit wäre es auch sachgerecht, wenn man argumentiert, dass ein Sockelbeitrag in Verbindung mit einer prozentualen Erhöhung ausnahmsweise geeignet wäre, die Folgen der Inflation amtsangemessen und sozial ausgewogen abzumildern, ohne die sich an dem Status angemessene Lebensführung des Beamten zu gefährden.

Gefährlich wird diese Argumentation sicherlich dann, wenn es nicht nur bei dieser einmaligen, besonderen Erhöhung bliebe, sondern es regelmäßig eine Kombination aus Sockelbeitrag plus prozentualer Erhöhung geben würde. Je näher die Abweichung in dem 5 Jahreszeitraum an die 10 Prozent kommt, desto höher ist die Vermutung einer verfassungswidrigen Besoldung.

Vereinfacht ausgedrückt: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Ich gehe daher weiter davon aus, dass das Tarifergebnis erst einmal mit den oben genannten Argumenten umgesetzt wird. Ob die Begründung dann auch am Ende vom BVerfG als ausnahmsweise sachgerecht anerkannt wird, bleibt abzuwarten. Es ist natürlich denkbar, sich das BVerfG wie Alexander79 es schreibt auf seine Entscheidung von 2017 beruft und die Argumentation kippt. Genauso gut ist es allerdings denkbar, dass der Gesetzgeber seine Begründung durch objektive Zahlen wie zum Beispiel des statistischen Bundesamtes stützt und sich somit die Einschmelzung der Abstände der Lohngruppen nachvollziehbar rechtfertigen lassen.

Ich bin allerdings auch kein Volljurist, vielleicht denke ich an der Stelle etwas zu einfach  ;D