Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 3855540 times)

Bastel

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5985 am: 23.05.2023 07:07 »
Ja.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5986 am: 23.05.2023 08:15 »
Dass das Bundesverfassungsgericht bis spätestens Ende März eine Entscheidung treffen sollte, war ein Gerücht, das offensichtlich im Umkreis des dbb-Neujahrsempfangs in Hannover aufgekommen ist. Entsprechend hatte der Rundblick - ein wirkmächtiges niedersächsisches Politikjournal, deren Mitarbeiter gut in der niedersächsischen Landeshauptstadt vernetzt sind - Mitte Januar von jenem Empfang berichtet:

"Bis Ende März, so wird in Hannover erwartet, dürfte das Bundesverfassungsgericht
in Karlsruhe ein lange erwartetes Urteil fällen. Dann könnte höchstrichterlich fest-
stehen, dass Niedersachsen über viele Jahre die Landesbeamten zu schlecht bezahlt
hat und Nachzahlungen leisten muss. Es geht um
das 'Abstandsgebot' zur Grundsicherung, das bei
den unteren Einkommensgruppen mindestens 15
Prozent betragen muss. Nun dringt der Niedersäch-
sische Beamtenbund (NBB) darauf, dass sich die
Landesregierung möglichst frühzeitig auf eine herbe
Niederlage in Karlsruhe einstellen soll – und schon
im Vorgriff eine Auffanglösung entwickeln soll."

Wegen des Beratungsgheimnisses kann niemand wissen, wann das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung trifft und wann es sie veröffentlicht. In Anbetracht der sachlichen Komplexität der Materie, die wir hier im Forum vielfach auf das Mindestabstandsgebot verkürzen (ich mit meinen Beiträgen inbegriffen), und der politischen Bedeutung der Entscheidung dürfte es wohl nicht die schlechteste Alternative sein, dass sich Karlsruhe nicht nach niedersächsischen Gerüchten richtet, sondern eine präzise Entscheidungsbegründung erstellt, die den 17 Gesetzgebern deutlich machen sollte, dass nun das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Wie ich hier ja an verschiedenen Stellen im Forum bereits geschrieben habe, gehe ich davon aus, dass es in der anstehenden Entscheidungsbegründung zu verschiedenen recht deutlichen Verschärfungen nicht zuletzt der den Gesetzgeber treffenden prozeduralen Anforderungen - also seiner Begründungspflicht - kommen wird, die genau jenes Ziel verfolgen dürften.

Auch wenn wir hier nun nach weiteren rund drei Jahren des Wartens alle auf eine Entscheidung hoffen und es dem Menschen anthropologisch nicht unendlich gut gegeben ist, auf Entscheidungen zu warten, die nicht in seiner Hand liegen (um's mal so auszudrücken), dürfte uns allen mehr an einer sachlich sinnvollen Entscheidungsbegründung gelegen sein als an einer um wenige Wochen schnelleren Entscheidung, die dann nichts änderte, denke ich.

emdy

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5987 am: 23.05.2023 08:37 »
Als Bundesbeamten liegt mir mehr an einer schnelleren Entscheidung, denn egal wie drastisch sie ausfällt oder begründet wird, der Bund wird sie ignorieren bzw. ihre Umsetzung bis in alle Ewigkeit aufschieben.

Ich will ein schnelleres Urteil, damit der Prozess Richtung Verfügungsanordnung in Gang kommt. Eine andere Abhilfe halte ich mittlerweile für unrealistisch.

emdy

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5988 am: 23.05.2023 08:56 »
*Vollstreckungsanordnung (soviel Zeit muss sein)

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5989 am: 23.05.2023 09:57 »
Die Entscheidung ist das eine, deren Begründung aber das andere - und nicht die Entscheidung ist komplex; denn allein ob des verletzten Mindestabstandsgebots in allen 17 Rechtskreisen ist die Alimentation in allen Rechtskreisen seit mindestens 15 Jahren nicht amtsangemessen. Das Bundesverfassungsgericht könnte also umgehend eine Entscheidung hinsichtlich der anhängigen Vorlagebeschlüsse fassen - aber das Ergebnis läge dann nach den Erfahrungen der letzten Jahre wohl doch eher auf der Hand: Es dürfte begründet zu vermuten sein, dass die Dienstherrn im Anschluss weitermachten als wie zuvor, so wie es das Berliner Beispiel zeigt.

Von daher muss davon ausgegangen werden - ich gehe zumindest davon aus -, dass das Bundesverfassungsgericht derzeit Direktiven prüft und aufeinander abstimmt, die es den Gesetzgebern verunmöglichen, sie gezielt zu missachten. Daran wird man - davon sollte auszugehen sein - in Karlsruhe weiterhin arbeiten. Und das dürfte ein komplexes Unterfangen sein, wie es die Entscheidung vom 24.01.2023 - 2 BvF 2/18 - bereits deutlicher andeutet.

Vollstreckungsanordungen können verfassungsrechtlich immer nur ein letztes Mittel sein und können deshalb nicht so ohne Weiteres vollzogen werden, wie das im Forum wiederkehrend gefordert wird. Denn dieses scharfe Schwert unterbricht die Gewaltenteilung, was für sich genommen bereits verfassungsrechtlich nur das allerletzte Mittel sein kann - und es ist grundsätzlich nur vergangenheitsbezogen zu vollziehen. Das Bundesverfassungsgericht wird nun aber vor allem das Ziel haben, mit Entscheidungen zur Vergangenheit die Gegenwart und Zukunft zu beeinflussen, nämlich mit diesen Entscheidungen die Rückkehr zu einer verfassungskonformen Alimentation in die entsprechenden Bahnen zu lenken - juristisch (nicht politisch) sind dafür Vollstreckungsanordungen nur bedingt sinnvoll. Denn die entsprechenden Direktiven zielen insbesondere auf die Gerichte und nicht nur auf den Gesetzgeber.

Vollstreckunganordnungen sind leicht zu fordern, aber verantwortungsvoll nur schwerlich auszusprechen - jeder, der sie fordert, sollte zunächst versuchen, entsprechende Entscheidungsbegründungen zu formulieren. Spätestens dann dürfte deutlich werden, dass sie die ultima ratio sind. Letztlich dürfte das Bundesverfassungsgericht diese nun - mit gewisser Wahrscheinlichkeit - hinsichtlich Niedersachsen und ggf. Schleswig-Holstein vorbereiten. Ich glaube aber nicht, dass es sie schon vollziehen wird - und das dürfte meiner Meinung nach verfassungsrechtlich auch richtig sein. So ist bspw. hier in Niedersachsen seit dem Herbst eine neue Landesregierung gegeben - sie wird nach der anstehenden Entscheidung zeigen müssen, ob sie hinsichtlich der Alimentation ihrer Bediensteten wieder auf den Boden der Verfassung zurückkehren will. Sollte sie das nicht tun, dürfte ihr dann die Vollstreckungsanordnung drohen. Ein solches verfassungsgerichtliche Vorgehen schiene mir verfassungsrechtlich (und auch politisch) sinnvoll; denn die gezwungenermaßen freiwillige Rückkehr ist hinsichtlich unseres demokratischen Gemeinwesens begrüßenswerter als eben eine Rückkehr als Folge der ultima ratio.

Ergo: Ich kann Deinen Wunsch gut verstehen, emdy; denn wir alle wollen, dass wir nun endlich wieder amtsangemessen alimentiert werden. Aber das Bundesverfassungsgericht ist nicht der Stein des Anstoßes, sondern es hat die schwierige Aufgabe, dem Besoldungsgesetzgeber genau jene Steine in den Weg zu legen, die ihn zwingen, die Kontinutität des konzertierten Verfassungsbruch zu beenden - auch deshalb - davon darf ausgegangen werden - hat Karlsruhe die anstehende Entscheidung um Niedersachsen und Schlewig-Holstein erweitert. Es wird ein direktives Druckszenario aufbauen - und dabei dürften uns, so vermute ich, manche der anstehenden Direktiven überraschen. Ich gehe davon aus - das werden wir allerdings nicht erfahren -, dass man in Karlsruhe umfassend über die Entscheidungsbegründungen berät und ggf. auch argumentativ um sie ringt. Auch das dürfte dazu führen, dass bislang keine Entscheidung veröffentlicht worden ist.

emdy

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5990 am: 23.05.2023 10:59 »
Was du schreibst, Swen, ist mir wohl bewusst. Keineswegs ist für mich das BVerfG Stein des Anstoßes. Ich zweifle nur, offenbar im Gegensatz zu dir, daran, dass es auf die Qualität der Begründung eines Beschlusses oder die Ausgefeiltheit von Direktiven ankommt, wenn kein politischer Wille (oder Rechtschaffenheit) da ist, sie zu befolgen.

In Sachen Bundesbesoldung laufen nach hiesigem Informationsstand noch nicht einmal Klagen. Ich wünsche mir einfach, dass die nächsten Schritte in Gang kommen. Das BMI hat jedwede Glaubwürdigkeit verloren, sich an die Rechtsprechung zu halten. Verweise auf das BMF zählen schon gar nicht. Die so treffend bezeichnete einseitige Aufkündigung des besonderen Dienst- und Treueverhältnisses durch den Dienstherrn ist eingetreten.

Finanzer

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5991 am: 23.05.2023 11:42 »
@ Emdy: Das sehe ich auch so. Die Zeit für das feingeschliffene Florett der wohlbegründeten Gerichtsentscheidungen ist vorbei, jetzt braucht es den garstigen Gassenschläger der Vollstreckungsanordnung.

Egal wie tiefgehend und lesenswert das nächste Urteil sein wird (grundsätzlich erfreue ich mich an solcher Lektüre), im BMI wird es niemanden interessieren.

@SwenT: Ich weiß nicht ob sie jemals einen Schüler unterrichtet haben, bei dem sie den Eindruck hatten da sei Hopfen und Malz verloren, aber das BMI erinnert mich zumindest an solche Fälle.

DeGr

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5992 am: 23.05.2023 11:59 »
Was du schreibst, Swen, ist mir wohl bewusst. Keineswegs ist für mich das BVerfG Stein des Anstoßes. Ich zweifle nur, offenbar im Gegensatz zu dir, daran, dass es auf die Qualität der Begründung eines Beschlusses oder die Ausgefeiltheit von Direktiven ankommt, wenn kein politischer Wille (oder Rechtschaffenheit) da ist, sie zu befolgen.

Es Bedarf jedoch einer (vielleicht letzten) umfassenden Begründung für die weitere Direktiven, um daraufhin zu überwachen, ob die Politik sich der Umsetzung weiterhin versperrt und um dann das scharfe Schwert der Vollstreckungsanordnung ziehen zu können. Und durch das niedersächische 2013er Verfahren, welches sich das BVerfG noch vorbehalten hat, dürfte das Schwert nach der kommenden Entscheidungen relativ schnell gezogen werden können.

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5993 am: 23.05.2023 12:45 »
Und wenn der Gesetzgeber keine Lust hat einer Vollstreckungsanordnung nachzukommen, was dann? Alle einsperren? Ha.

Das BVerfG ist zu einem zahnlosen Tiger verkommen.

Wenn die Politik Lust hat sich an Recht und Gesetz zu halten,  dann tut sie das. Und wenn sie keine Lust hat, dann tut sie das halt nicht. Und keiner wird etwas daran ändern oder etwas erzwingen können.

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5994 am: 23.05.2023 13:22 »
Hier hat jemand das Institut der Vollstreckungsanordnung offenbar nicht verstanden....

DeepBlue

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5995 am: 23.05.2023 13:54 »
Was du schreibst, Swen, ist mir wohl bewusst. Keineswegs ist für mich das BVerfG Stein des Anstoßes. Ich zweifle nur, offenbar im Gegensatz zu dir, daran, dass es auf die Qualität der Begründung eines Beschlusses oder die Ausgefeiltheit von Direktiven ankommt, wenn kein politischer Wille (oder Rechtschaffenheit) da ist, sie zu befolgen.

Es Bedarf jedoch einer (vielleicht letzten) umfassenden Begründung für die weitere Direktiven, um daraufhin zu überwachen, ob die Politik sich der Umsetzung weiterhin versperrt und um dann das scharfe Schwert der Vollstreckungsanordnung ziehen zu können. Und durch das niedersächische 2013er Verfahren, welches sich das BVerfG noch vorbehalten hat, dürfte das Schwert nach der kommenden Entscheidungen relativ schnell gezogen werden können.

 ;D
Abwarten wäre nicht das erste mal das Richter Politisch entscheiden und nicht Sachlich auf den Vorgang bezogen.
Siehe GEZ.....

DeGr

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5996 am: 23.05.2023 14:06 »
Was du schreibst, Swen, ist mir wohl bewusst. Keineswegs ist für mich das BVerfG Stein des Anstoßes. Ich zweifle nur, offenbar im Gegensatz zu dir, daran, dass es auf die Qualität der Begründung eines Beschlusses oder die Ausgefeiltheit von Direktiven ankommt, wenn kein politischer Wille (oder Rechtschaffenheit) da ist, sie zu befolgen.

Es Bedarf jedoch einer (vielleicht letzten) umfassenden Begründung für die weitere Direktiven, um daraufhin zu überwachen, ob die Politik sich der Umsetzung weiterhin versperrt und um dann das scharfe Schwert der Vollstreckungsanordnung ziehen zu können. Und durch das niedersächische 2013er Verfahren, welches sich das BVerfG noch vorbehalten hat, dürfte das Schwert nach der kommenden Entscheidungen relativ schnell gezogen werden können.

 ;D
Abwarten wäre nicht das erste mal das Richter Politisch entscheiden und nicht Sachlich auf den Vorgang bezogen.
Siehe GEZ.....

emdy's Kommentar, auf den ich reagiert habe, implizierte jedoch, dass das BVerfG seine Richtung beibehält und nicht wundersamerweise komplett über Bord wirft.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5997 am: 23.05.2023 15:20 »
... Auch hinsichtlich der Besoldungsgesetzgeber (nicht nur in Bayern) gilt: Hopfen und Malz, Gott erhalt's ... Gegebenenfalls gibt's Schüler, bei denen jenes verloren erscheint (aber auch dann trüge nach meiner Erfahrung der Schein; denn auch hier ist's nur eine Frage der Zeit, die dieser allerdings ggf. nicht hat) - aber keine Gesetzgeber: Am Ende findet jeder von ihm zum deutschen Reinheitsgebot des heutigen Feiertags im Jahre 1949 zurück. Denn ansonsten würden wir uns in einem anderen Rechtsraum befinden.

Und nun also wieder vollständig ernsthaft und ohne Metaphorik: Zunächst einmal wird das überbordene Interesse der Dienstherrn, gezielt verfassungswidrig hohe Kosten an ihren verbeamteten Beschäftigten einzusparen (und damit für sich zugleich zu gewährleisten, dass auch die Tariflöhne nicht mittelbar deutlich ansteigen werden), nicht mit der nächsten bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung enden, sondern es ist (seit jeher) ein Dauerthema nicht zuletzt der Verfassungsgerichtsbarkeit. Jedoch hat sich die Sachlage gegenüber der Zeit vor dem 04.05.2020 grundlegend geändert, die wiederum offensichtlich mit einer sich wandelnden Interessenlage verbunden ist.

Bis zum 04.05.2020 konnten die Besoldungsgesetzgeber wiederkehrend den Anschein einer verfassungskonformen Alimentation aufrechterhalten - das ist seitdem nicht mehr der Fall, da die neuen Direktiven insbesondere (aber nicht ausschließlich) zur Bemessung der Mindestalimentation sowie die Betrachtung des Mindestabstandsgebots als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums jede seit spätestens 2008 bis heute vollzogene Besoldungsgesetzgebung als verfassungswidrig entpuppt. Damit wird aus einem ggf. nur mittelbar willentlichen Verfassungsbruch bis 2020 seitdem ein unmittelbar wissentlicher und willentlicher Verfassungsbruch. Als Folge dürfte sich die Interessenslage des Bundesverfassungsgerichts wandeln; davon gehe ich jedenfalls aus und dafür spricht bereits die in meinem letzten Beitrag genannte Entscheidung aus dem Januar des Jahres.

Die grundlegende Motivation für seine besoldungsrechtlichen Entscheidungen macht das Bundesverfassungsgericht regelmäßig seit spätestens 2012 deutlich: Es sieht einen Qualitätsverfall in der Öffentlichen Verwaltung sich vollziehen, den es verfassungsrechtlich als nicht begründbar betrachtet. Da dieser Prozess seit dem 2012 eingeleiteten Rechtsprechungswandel ungebrochen weiter voranschreitet, hat sich hier die Interessenslage des Bundesverfassungsgerichts nicht gewandelt: Es gemahnt den Gesetzgeber, den verfassungsrechtlichen Konsequenzen aus dem Leistungsprinzip nach Art. 33 Abs. 2 GG Genüge zu tun - und verschärft seitdem seine Besoldungsdogmatik zusehends, da die Gesetzgeber den Qualitätsverfall nicht stoppen.

Mit dem Handeln der Dienstherrn seit 2020 hat sich die eigene Interessenlage, wie sie sich aus dem verfassungsrechtlichen Auftrag des Bundesverfassungsgerichts ergibt, jedoch noch einmal substanziell erweitert: Denn mit dem Wandel von einem ggf. nur mittelbar gegebenen willentlichen Verfassungsbruch hin zum wissentlichen und willentlichen Verfassungsbruch geht es nun auch direkt um die Frage der Autorität des Bundesverfassungsgerichts in der Verfassungswirklichkeit der Bundesrpublik Deutschland - und zwar unter der globalen Bedingung der Verfassungsrechtsprechung unter Druck: Das Bundesverfassungsgericht kann es mit der nächsten Entscheidung nicht zulassen, dass seinen mit Gesetzeskraft vollzogenen Entscheidungen nicht vonseiten der unmittelbar betroffenen Gesetzgeber Folge geleistet wird und dass die mittelbar von der Entscheidung betroffenen Gesetzgeber sich nicht an die sie treffenden Begründungen gebunden sehen.

Damit treten wir aber verfassungsrechtlich in eine neue Phase der Rechtsprechung ein: Bis 2020 konnten die unmittelbar von einer Entscheidung mit Gesetzeskraft betroffenen Gesetzgeber durch eine nachträgliche Novellierung des Besoldungsrechts ggf. noch (scheinbar) statthaft begründen, dass sie ein Handeln an den Tag gelegt haben, dass nicht einer Untätigkeit gleichkäme. Diese Phase ist nun allerdings seit 2020 vorbei: Der Berliner Gesetzgeber ist mit der Entscheidung 2 BvL 4/18 unmissverständlich mit Gesetzeskraft dazu verprlichtet worden, die Grundgehaltssätze der R-Besoldung sachlich hinreichend soweit anzuheben, dass die Alimentation danach nicht mehr evident ungenügend ist. Dieser mit Gesetzeskraft vollzogenen Entscheidung ist das Abgeordnetenhaus offensichtlich nicht nachgekommen - und damit kann das Handeln mit hoher Wahrscheinlichkeit als eine Art der Untätigkeit betrachtet werden.

Sofern nun die Gesetzgeber in Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein nach der anstehenden Entscheidung gleichfalls so vorgehen sollten wie vormals das Berliner Abgeordnetenhaus, dürfte man davon ausgehen können, dass hier ebenfalls ein Handeln zu verzeichnen wäre, das einer Unätigkeit gleichkäme. Da darüber hinaus ab dem Herbst dieses Jahres weitere Novellierungen des Besoldungsrechts zu vollziehen sein werden, wäre spätestens ab jenem Zeitpunkt von einem Handeln auszugehen, das wiederholt einer Untätigkeit gleichkäme. Damit aber träte dann verfassungsrechtlich die eben genannte neue Sachlage auch in diesen drei Rechtskreisen ein: Ein Handeln, das wiederholt mit Gesetzeskraft vollzogene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht umsetzt, kann als Untätigkeit betrachtet werden. Dabei bleibt zwar zu bedenken, dass sich die mit Gesetzeskraft vollzogene bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung ausschließlich auf die Vergangenheit bezieht - jedoch wird aber bislang nur hinsichtlich Berlins die Kontinuität der evident ungenügenden Höhe der R-Besoldung über das Jahr 2016 hinaus bis heute verlängert. Hier zeigt sich nun die Folge aus dem Mindestabstandsgebot: Der Gesetzgeber hat dieses Gebot in jedem seiner Gesetzgebungsverfahren zu prüfen - und mit jedem weiteren Verstoß gegen das mit Gesetzeskraft erlassene Mindestabstandsgebot verlängert das Abgeordnetenhaus folglich den Verfassungsverstoß, sodass mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem wiederholten Handeln ausgegangen werden kann, das nun einer Untätigkeit gleichkommend zu betrachten sein dürfte.

In diesem Sinne dürfte es zu verstehen sein, dass das Bundesverfassungsgericht in der angekündigten Entscheidung 2 BvL 13/18 hinsichtlich Schleswig-Holstein nur die Besoldungsgruppe A 7 (nicht aber die weiterhin noch zu betrachtenden höheren Besoldungsgruppen) betrachtet und hinsichtlich der Entscheidung 2 BvL 5/19 in Niedersachsen die Jahre 2005 bis 2012 sowie 2014 bis 2016 betrachtet, jedoch das Jahr 2013 weiterhin im anstehenden Verfahren ausklammert. In beiden Fällen hält es sich so offensichtlich "eine Art verfassungsrechtliches Faustpfand" zurück, sodass es in dem Fall, dass die beiden Gesetzgeber die mit Gesetzeskraft vollzogenen Entscheidungen nicht bis zu dem ihnen gesetzten Datum umsetzten bzw. nur so umsetzten, dass ihr Handeln einer Untätigkeit gleichkäme, die noch nicht entschiedenen Vorlagebeschlüssen ggf. mit einer Vollstreckungsanordnung verbinden könnten, sofern auch diese betreffende Entscheidung nicht hinreichend beachtet werden würde.

In Anbetracht der o.g. genannten Interessenslage, nicht nur im Sinne unserer Verfassung die hinreichende Qualität der Öffentlichen Verwaltung gewährleistet zu sehen, sondern ebenso, dass der Gesetzgeber sich seiner Bindung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend erinnert, gehe ich davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht entsprechend von ihm als notwendig betrachtete weitere Direktiven erlassen wird - und zwar unter Beachtung des grundlegenden verfassungsrechtlichen Grundsatzes, an den die rechtsprechende Gewalt in der Bundesrepublik gebunden ist: "Dem weiten Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers entspricht vielmehr eine zurückhaltende, auf den Maßstab evidenter Sachwidrigkeit beschränkte Kontrolle der einfachgesetzlichen Regelung" durch die rechtsprechende Gewalt (Rn. 27 der aktuellen Entscheidung; ständige Rechtsprechung).

Die Zurückhaltung gebietet, dass nicht umgehend zur ultima ratio gegriffen wird - diese dürfte aber im mehrfach wiederholten Fall geboten sein, sofern also kein Handeln geschehen würde, um die mit Gesetzeskraft vollzogene Entscheidung hinreichend zu beachten, oder dass ein entsprechendes Handeln am Ende nur so zu werten wäre, dass es einer Untätigkeit gleichkäme.

So stellt sich mir die Sachlage dar - und genau (auch) deshalb bin ich gespannt auf jedes Wort der Begründung: Die zu erwartende Metaphorik weg von der "Kanalisierung" hin zur "Einhegung des Entscheidungsspielraums des Gesetzgebers" dürfte (Rn. 128 der Entscheidung zur Obergrenze der Parteienfinanzierung), denke ich, ebenso auf das Besoldungsrecht übertragen werden so wie bspw. auch die Stärkung der Beteiligungsrechte der Gewerkschaften und Verbände - es wäre erstaunlich, wenn das nicht geschähe. Und darüber hinaus dürften weitere Direktiven erwartbar sein, in die das Bundesverfassungsgericht erfahrungsgemäß seine Beobachtungen auch aus den letzten rund drei Jahren mit einfließen lassen dürfte. Entsprechend darf erwartet werden, dass man sich in den letzten drei Jahren in allen Rechtskreisen keinen Gefallen getan haben dürfte, sein vormaliges Handeln im Grundsatz - nämlich mit dem nun wissentlich und willentlich vollzogenen Ziel der Verfassungswidrigkeit - ungebrochen fortzusetzen.
« Last Edit: 23.05.2023 15:26 von SwenTanortsch »

Ozzymandias

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5998 am: 23.05.2023 18:46 »
Ich habe einmal eine vielleicht sehr dumme Frage bezüglich der Konsequenzen des "konzertierten Verfassungsbruchs" und insbes. den persönlichen Konsequenzen der ausführenden Politiker und (politischen) Beamten.

Allgemein haben wir alle einen Diensteid geschworen der da lautet "Ich schwöre, das Grundgesetz und alle in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetze zu wahren und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen[, so wahr mir Gott helfe]" (§64 BBG).

Wenn ich der Argumentation insbes. von Thorsten folge und seit 2020 von einem wissentlichen und willentlichen (mindestens grob fahrlässigen) Verfassungsbruch der handelnden Personen ausgehe, stellt sich mir die Frage, ob nicht ein persönlicher Meineid nach § 154 StGB in Bezug auf die Wahrung des Grundgesetzes vorliegt, der den handelnden Personen zum strafrechtlichen Verhängnis werden könnte. Es scheint ja auch öffentliche Bekundungen von Politikern zu geben, die offen von verfassungswidriger Gesetzgebung sprechen und m. E. einen entsprechenden Eid geschworen haben.

Wenn sich ein solcher Zusammenhang konstruieren ließe, müssten zumindest die wissentlich und willentlich Verfassungsbruch begehenden Individuen nach meinem laienhaften Rechtsverständnis unter Umständen mit entsprechenden (strafrechtlichen) Konsequenzen rechnen.

Falls meine Frage unsinnig ist (ich vermute es fast, da ansonsten schon versiertere Foristen auf den Gedanken gekommen wären), bitte ich dieses mit meinem vollkommenen juristischen Laientum zu entschuldigen.
« Last Edit: 23.05.2023 19:00 von Ozzymandias »

Knecht

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #5999 am: 23.05.2023 19:20 »
Ich habe einmal eine vielleicht sehr dumme Frage bezüglich der Konsequenzen des "konzertierten Verfassungsbruchs" und insbes. den persönlichen Konsequenzen der ausführenden Politiker und (politischen) Beamten.

Allgemein haben wir alle einen Diensteid geschworen der da lautet "Ich schwöre, das Grundgesetz und alle in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetze zu wahren und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen[, so wahr mir Gott helfe]" (§64 BBG).

Wenn ich der Argumentation insbes. von Thorsten folge und seit 2020 von einem wissentlichen und willentlichen (mindestens grob fahrlässigen) Verfassungsbruch der handelnden Personen ausgehe, stellt sich mir die Frage, ob nicht ein persönlicher Meineid nach § 154 StGB in Bezug auf die Wahrung des Grundgesetzes vorliegt, der den handelnden Personen zum strafrechtlichen Verhängnis werden könnte. Es scheint ja auch öffentliche Bekundungen von Politikern zu geben, die offen von verfassungswidriger Gesetzgebung sprechen und m. E. einen entsprechenden Eid geschworen haben.

Wenn sich ein solcher Zusammenhang konstruieren ließe, müssten zumindest die wissentlich und willentlich Verfassungsbruch begehenden Individuen nach meinem laienhaften Rechtsverständnis unter Umständen mit entsprechenden (strafrechtlichen) Konsequenzen rechnen.

Falls meine Frage unsinnig ist (ich vermute es fast, da ansonsten schon versiertere Foristen auf den Gedanken gekommen wären), bitte ich dieses mit meinem vollkommenen juristischen Laientum zu entschuldigen.

Die Frage wurde tatsächlich bereits geklärt. Der Eid ist nicht viel mehr als ein unverbindliches Lippenbekenntnis...
« Last Edit: 23.05.2023 19:35 von Knecht »