Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 3887521 times)

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6360 am: 15.07.2023 08:16 »
Wie willst Du eine begründete Meinung über die Arbeit und nötige Dauer der Arbeit des Bundesverfassungsgerichts sachlich rechtfertigen, emdy, wenn Du Dich nicht in der Lage siehst, diese Arbeit sachlich zu bewerten? Das erkläre mir mal, denn das würde mich interessieren - und zwar auf einem sachlichen Niveau, dem man nicht am Ende eine "scheinrationale Haltung" unterlegen kann. Das wird auch Dir nicht möglich sein, was zeigen würde, dass der von Dir geäußerte Ideologievorwurf keinen sachlichen Kern hat, sondern auf einer sachlich unklaren Ideologiedefinition basiert. Die typische Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.

Die Arbeit am Recht ist eine sehr zeitraubende, das weiß jeder, der sich je darin mal eingebunden hat. Und wer es nicht weiß, hat trotzdem jedes Recht der Welt, seine Meinung zu sagen - er sollte sich aber wie in jedem anderen Thema darüber im Klaren sein, dass das, was er dann sagt, mit hoher Wahrscheinlichkeit nur bedingt sachlich substanzvoll ist.

Es ist alles zum Thema gesagt...?! Das ist nun weiterer sachlicher Unsinn, und zwar genau von der Qualität, die uns die Besoldungsgesetzgeber regelmäßig in ihren sachlich fadenscheinigen Begründungen abliefern - tatsächlich ist noch nicht genug und insbesondere noch nicht das sachlich und also methodisch hinreichend Begründete gesagt. Denn am Ende werden es Direktiven sein, die die Besoldungsgesetzgeber wieder auf den Boden des Rechts zurückführen können. Denn mehr hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Verfügung als Rechtssätze, die auf Rechtskategorien basieren. Den Weg der Rückkehr auf den Boden des Rechts müssen am Ende die Besoldungsgesetzgeber gehen - die Waffe der dritten Gewalt ist und bleibt das Wort. Und es steht zu befürchten, dass noch sehr viel mehr zum Thema gesagt werden muss, als es das Bundesverfassungsgericht in der anstehenden Entscheidung sagen kann, um mit dieser Waffe dazu beizutragen, dass dem Recht wieder Geltung verliehen wird. Dabei machte allerdings jedes in den Wind gerufene Wort die Waffe des Rechts eher stumpfer und nicht schärfer.

Also darf man davon ausgehen, dass man in Karlsruhe zurzeit viele Worte wägt, was viel Zeit in Anspruch nehmen dürfte. Ich kann eigentlich weiterhin nicht verstehen, was daran schwer zu verstehen sein sollte.

Und PS. Weiterer sachlicher Unsinn ist übrigens die Ansicht: Das verfassungsrechtliche Problem "Besoldungsrecht" sei auch nicht anspruchsvoller als andere Themenkomplexe - denn die Problemlage ist durchaus komplexer als die in vielen anderen Verfassungsfragen: Denn hier geht es im Kern nicht um Grundrechte, sondern nur um grundrechtsgleiches Recht, was die Sache per se verfassungsrechtlich schwierig macht. Hinzu kommt das sachliche Problem, dass die Höhe der amtsangemessenen Alimentation der Verfassung nicht unmittelbar als ein fester oder exakt bezifferbarer Betrag entnommen werden kann, sodass der weite Entscheidungsspielraum, über den der Gesetzgeber verfügt, noch einmal besonderer Beachtung bedarf. Entsprechend tritt neben die materiell-rechtliche Dimension nun noch einmal deutlich komplexer als in vielen anderen Verfassungsfragen die formelle der den Gesetzgeber treffenden Begründungspflicht. Denn als Folge des gerade angerissenen Problems treffen den Gesetzgeber bei der Festlegung der amtsangemessenen Alimentation und also zunächst einmal des Besoldungsniveaus besondere Darlegungs- und Begründungspflichten, die ihn in vielen anderen Themenkreise einfachgesetzlichen Rechts nicht treffen, weshalb weiterhin der bekannte und leider sachlich nicht minder komplexe Dissens zwischen dem Ersten und Zweiten Senat nicht abschließend geklärt ist, wie weitreichend die Begründungspflicht in entsprechenden Verfassungsfragen gehen muss und ob daraus Folgen auf andere Verfassungsfragen abstrahlen, die dann wiederum erheblichen Einfluss auf Art und Inhalt zukünftiger Gesetzgebungen außerhalb des Rechtsinsituts des Alimentationsprinzips hätten oder haben könnten. Auch diese Frage muss also mit jeder weiteren Entscheidung, solange das Bundesverfassunsgericht in seinen Entscheidungen zu dem Ergebnis kommt, dass das Verfassungsrecht vom Besoldungsgesetzgeber nicht sachgerecht betrachtet worden ist, hinreichend sachlich ausgeschärft werden, und zwar allein deshalb, weil sich das Bundesverfassungsgericht äußert. Dabei haben beide Senate zu beachten, dass die Kontrolle des einfachgesetzlichen Rechts aufgrund des zu beachtenden gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums auf die Vertretbarkeit der einfachgesetzlichen Regelungen beschränkt bleibt, es also neben der vom Zweiten Senat zu beachtenden Verhältnismäßigkeit seiner Entscheidungen immer auch um die Frage gehen muss, nicht die eigene Kompetenz zu überdehnen, die sich aus dem zu beachtenden Verfassungsauftrag ergeben - und zwar in einem sachlichen Feld, in dem das vom Bundesverfassungsgericht erklärte Verfassungsrecht seit spätestens rund 18 Jahren gebrochen wird, was aber durch die Rechtsprechung des Bundesverfasungsgerichts erst seit rund drei Jahren wirklich offensichtlich ist.

Wer nun also meint, alles easy, nun mal hopp hopp, geht auch in der halben Zeit doppelt so schnell mit dreifachem Ertrag, der dürfte hier vor allem eines zeigen, dass er sich noch mit keinem der gerade skizzierten Problemen auch nur in weiteren Ansätzen beschäftigt hat - und das ließe die Vermutung aufkommen, dass er sich gleichfalls nicht in die vielen komplexen Detailfragen des Alimentations- und Leistungsprinzips hinreichend eingearbeitet hätte, um zu einem sachlichen Schluss kommen zu können, was wie und in welcher Zeit zu betrachten wäre.

All das kann man nun also wegwischen wollen, indem man sich einen offensichtlich nicht ideologiefreien Ideologiebegriff zurechtlegt, um damit den anderen das vorzuwerfen, was man selbst nicht kann, nämlich dafür zu sorgen, die angemessenen Direktiven zu finden, die das politische Schlamassel beenden. Der Erkenntniswert solcher Meinungen bleibt aber dabei eher überschaubar, jedenfalls nach meinem Empfinden.

Ergo (und zugleich Pardon für die deutliche Sprache): Nimm's mir nicht übel, emdy, aber Du hast nicht genug Ahnung vom Thema, um die These sachlich begründen zu können, es sei dem Bundesverfassungsgericht heute möglich, einigermaßen kurzfristig zu einem Beschluss zu kommen. Und wenn Dich diese meine Meinung stört, dann kannst Du hier nun das Gegenteil beweisen und also die Aufforderung annehmen und über sachliche Allgemeinplätze hinweg mal darlegen, welche konkreten Direktiven Du für sachgerecht erachtest, damit die Besoldungsgesetzgeber dazu veranlasst werden, auf den Boden der Verfassung zurückzukehren - das würde mich mehr interessieren, weil's zum Thema beitrüge und tatsächlich was bringen könnte, was man von wiederkehrender Moralkritik m.E. ansonsten eher nicht sagen kann.

Es kann jeder gerne glauben, so viel und so oft und in oder auch außerhalb von Kirchen, dass das Bundesverfassungsgericht nicht schnell genug operierte - aber wer meint, er wüsste das und es also hier oder woanders als Sachausaussage präsentierte, der sollte sich verpflichtet sehen, eine solche Sachaussage dann auch zu einer solchen zu machen, sie nämlich sachlich begründen. Andernfalls sollte er m.E. die Kirche im Dorf lassen, finde ich, damit dann dort auch andere ihren Glauben praktizieren können.

@ Knecht

Die Ideen sind mir sympathisch: Badminton und Bier sind gute Alternativen für ein geselliges Beisammensein und haben einen deutlich höheren Spaßfaktor als unser Thema hier - aber in Verfassungsfragen helfen sie leider nicht weiter. Ein Verfassungspragmatismus ist aber vom Bundesverfassungsgericht zum Glück nicht zu erwarten, da es über genügend Erinnerung darüber verfügt, wohin Rechtspragmatismus führen kann.

Und zweckmäßig ist das Handeln des Bundesverfassungsgericht allemal, was sich auch in den letzten drei Jahren deutlich gezeigt hat: Denn die Besoldungsgesetzgeber sind zum Handeln gebracht worden und haben damit zunächst einmal anerkannt, was es anzuerkennen gibt, dass nämlich verfassungsrechtliche Probleme vorliegen - dahinter können sie nun nicht mehr zurück. Um's nächste Bild zu gebrauchen: Sie haben angebissen, dabei die Größe der Angel akzeptiert, an der sie hängen (denn das Besoldungsniveau haben sie bereits allesamt deutlich angehoben, wenn auch nicht sachgerecht für alle Beamte), und werden nun langsam, aber sicher an Land gebracht. Und wie bei jedem sportiven Angelwettbewerb kommt's nun darauf an, den Fisch gezielt an Land zu bringen. Man darf sich sicher sein, dass das Bundesverfassungsgericht genau auf diesem Weg ist. Denn das zeigen bspw. genau jene Entscheidungen der letzten Zeit, die ich gestern aufgeführt habe. Die anstehende Entscheidung wird den weiten Entscheidungsspielraum des Besoldungsgesetzgebers noch weitergehend einhegen, was die Besoldungsgesetzgeber empfindlich treffen wird.

emdy

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6361 am: 15.07.2023 09:19 »
Das Bundesverfassungsgericht hat übrigens, Swen wird es wissen, in der Vergangenheit durchaus schon geurteilt, dass eine überlange Verfahrensdauer das Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt. Aber herzlichen Dank für die belehren Worte, die du dir unter Erwachsenen, ehrlich gesagt sparen kannst. Kannte dich bisher besonnener. Das Wort Ideologie hat vielleicht ein Drähtchen durchbrechen lassen. Während ich nun zu meinem Glauben an den effektiven Rechtsschutz zurückkehre, überlasse ich dir wieder das Relativieren bis zur Unkenntlichkeit.

Die Frage "Verdienen Beamte genug?" gibt meines Erachtens einfach keinen jahrzehntelangen Entscheidungsprozess her. Dieser Kreislauf wird aber auch mit der nächsten Entscheidung nicht durchbrochen werden. Und deshalb muss ich leider feststellen, dass wir derzeit nicht nur zu wenig Kohle erhalten sondern auch, dass die klagenden Kollegen keinen effektiven Rechtsschutz bekommen.
« Last Edit: 15.07.2023 09:36 von emdy »

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6362 am: 15.07.2023 09:58 »
Und nun geht's bei Dir streckenweise um Ideologie, emdy, - denn Du sagtest zuvor selbst, dass Dir die sachliche Mittel fehlten, um die bisherige Besoldungsrechtsprechung sachgerecht beurteilen zu können, um zugleich eine zukunftsgerichte Aussage zu treffen, dass jene Entscheidung den Alimentationsklagekreislauf nicht durchbrechen würde. Worauf soll so eine Prophezeiung sachlich gründen? Und wieso wünscht Du Dir dann überhaupt eine schnelle Entscheidung?

Und natürlich ist eine überlange Verfahrensdauer nicht statthaft - aber auch dafür gibt es formelle Kriterien. Es wäre erstaunlich, wenn das Bundesverfassungsgericht sie nicht beachtet hätte.

Darüber hinaus liegen noch nicht entschiedene Vorlagen beim Bundesverfassungsgericht erst seit 2016 vor, nachdem es bis 2015 alle bis dahin vorliegende Vorlagen ausgeurteilt hatte. Das Bundesverfassungsgericht hat seitdem 2017, 2018 und 2020 jeweils weitere Entscheidungen getroffen und nun Entscheidungen zu noch einmal drei weiteren Rechtskreisen angekündigt. Es hat also seit 2015 folgende Rechtskreise betrachtet: Sachsen zweimal, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Berlin und aktuell Entscheidungen erneut über Niedersachsen sowie Bremen und Schleswig-Holstein angekündigt. Damit werden mit der anstehenden Entscheidung in den letzten acht Jahren acht Rechtskreise betrachtet worden sein - zwei davon zweimal mit allen sich daraus möglichwerweise ergebenen Konsequenzen -, im Durchschnitt also pro Jahr einer. Ich würde mich ebenfalls freuen, wenn's mehr wären oder schneller ginge. Aber solche Erwartungen wären in Anbetracht der Komplexität der Materie, die weiterhin einem deutlichen Rechtsprechungswandel unterliegt, gänzlich illusorisch. Denn der Entscheidungsaufwand ist wiederkehrend gewaltig, was grundsätzlich immer im Zuge eines Rechtsprechungswandels der Fall ist, weil abgewogen werden muss, welche dogmatischen Grundsätze fortbestehen und welche das nicht mehr tun bzw. welche wie modifiziert werden müssen. Und in der anstehenden Entscheidung dürfte der Aufwand noch einmal gewaltiger sein als in den letzten dreien (wobei der 2020er Aufwand ebenfalls gewaltig gewesen sein dürfte), da hier noch einmal in verschiedenen Sachfragen deutliche Grundsatzausschärfungen zu erwarten sind.

Darüber hinaus schreibst Du nun zum dritten Mal als Tatsachenfeststellung, dass das Rechtsgebiet keinen jahrelangen Entscheidungsprozess hergeben würde, ohne das auch nur in Ansätzen zu begründen.

Wenn Du das also weißt, dann begründe Deine Sichtweise doch endlich mal sachgerecht. Ich habe nicht erst in den letzten Tagen viele Gründe dargelegt, wieso die im Frühjahr angekündigte Entscheidung über die drei weiteren Rechtskreise sachlich nicht schnell zu erwarten wäre - eine entsprechende Begründung Deiner Position fehlt weiterhin gänzlich. Also, begründe mal sachlich, wieso das Rechtsgebiet keinen jahrelangen Entscheidungsprozess hergeben würde. Darauf bin ich gespannt.

emdy

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6363 am: 15.07.2023 10:42 »
Mal ganz sachlich. Wo geht es mir um Ideologie? Begründe das mal sachlich. Ich habe mir einen Scherz erlaubt, der dich irgendwie getroffen zu haben scheint. Mir geht es nicht darum, Stimmung gegen das BVerfG zu machen sondern nur darum, darauf hinzuweisen, dass mit dem effektiven Rechtsschutz ein weiteres Recht betroffen ist bzw. verletzt wird. Mehr Zeit für spannende Ausführungen habe ich gerade nicht, sorry.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6364 am: 15.07.2023 11:50 »
Na dann, Luhmann definiert ein Denken als ideologisch, das sich nicht auf das beziehe, was nicht nicht sei, sondern auf das, was auch anders sein könnte. Ideologisch an Deiner letzten Darlegung ist also auf dieser Grundlage zunächst die unbegründete Prophezeiung gewesen, dass die anstehende Entscheidung den Alimentationskreislauf nicht durchbechen würde. Denn das könnte sein, könnte aber auch nicht sein - und da auch jene Aussage völlig unbegründet aufgestellt worden ist, bleibt's eben eine Prophezeiung.

Wenn ich es richtig sehe, warst Du es, der hier das Thema "Ideologie" in den Raum geworfen hat, insofern solltest Du, denke ich, nicht so empfindsam sein.

Und schließlich habe ich Deine Fragen sämtlich beantwortet, was für Dich, da sie Dir sachlich nicht passen, offensichtlich nun ein Relativieren bis zur Unkenntlichkeit ist bzw. eine Belehrung darstellt. Ein Begründung Deiner Behauptungen kann ich weiterhin nicht erkennen, weder hinsichtlich der Behauptung, das Bundesverfassungsgericht trage eine Mitverantwortung daran, dass klagende Kollegen keinen effektiven Rechtsschutz bekommen würden, noch hinsichtlich Deiner Behauptung, dass das Rechtsgebiet keinen jahrelangen Entscheidungsprozess hergeben würde.

Ergo: Wir haben Meinungsfreiheit - ich hatte schon einmal bezüglich der Verfahrensdauer geschrieben, dass ich niemanden von meiner Sicht auf die Dinge, dass eine sachgerechte und nach Möglichkeit effektive Entscheidung Zeit bedarf, sachlich überzeugen muss. Gründe dafür, dass ich das so sehen, habe ich wie gehabt umfassender dargelegt. Wen's überzeugt, mag drüber nachdenken und sich seine eigene Meinung bilden - und wen's nicht überzeugt, wird's auch keinen Schaden zufügen, sofern zumindest das Befremden über meine scheinrationale und unbesonnene Sicht auf die Dinge keine schwerwiegenderen Folgen nach sich zieht.

Finanzer

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6365 am: 15.07.2023 13:02 »
Das Wetter und die Warterei scheint uns alle ein bisschen aufzuwühlen... lasst es gut sein und genießt das Wochenende.

BVerfGBeliever

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6366 am: 15.07.2023 15:11 »
Die Frage "Verdienen Beamte genug?" gibt meines Erachtens einfach keinen jahrzehntelangen Entscheidungsprozess her.

Ohne das BVerfG würde die Antwort grundsätzlich JA lauten (und unsere Besoldung wäre zum heutigen Zeitpunkt noch deutlich bescheidener als in der Realität).

Denn genau wie Swen schreibt, hat das BVerfG in den letzten Jahren in diversen Entscheidungen den ursprünglich sehr weiten Spielraum der Besoldungsgesetzgeber bereits mehrfach eingeschränkt und wird dies demnächst in verschärfter Form fortführen.

Und es ist in keinster Weise die Schuld des BVerfG, dass die Gesetzgeber bisher leider größtenteils auf Zeit spielen. Ich erinnere beispielhaft nochmal an die Aussage des hessischen Innenministers vom 17. Februar: "Weitere, auch strukturelle Maßnahmen werden folgen, sobald Karlsruhe eine abschließende Bewertung der Besoldungsstruktur in Hessen vorgenommen hat." (https://hessen.de/presse/weitere-anpassung-der-besoldung-und-versorgung)

Und ja, jeder hier wünscht sich vermutlich schnelle(re) Entscheidungen. Aber wie von Swen dargelegt, gilt definitiv Gründlichkeit vor Schnelligkeit, um zu einer unangreifbaren (und für uns langfristig besseren) Lösung zu gelangen.

Wenn also jemand zu kritisieren wäre, dann andere, beispielsweise die Gewerkschaften (und ggf. die Medien). Deren Aufgabe wäre es nämlich eigentlich, mehr Druck auf die Gesetzgeber auszuüben, um diese von ihrem verfassungswidrigen Handeln abzubringen. Allerdings fürchte ich, dass die meisten Gewerkschaftler leider bis zum heutigen Tage nicht ansatzweise die Komplexität und Tragweite der Thematik durchdrungen haben..

Bundi

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6367 am: 15.07.2023 15:31 »
@Swen

Stimme dir inhaltlich zu.
Kann jedoch in Teilen die Kollegen hier verstehen. Da hat sich angesichts des immer offensichtlicheren "Betrugs" an den Beamten und der jahrelangen Fortsetzung von diesem eine Menge Frust und Unverständnis angesammelt. Insbesondere da ja zu der Thematik Fachleute wie Battis oder der DRB hinreichend Stellung bezogen haben, sollte dem Grunde nach die Situation klar sein und quasi eine entsprechende Rechtsprechung auf der Hand liegen.
Auf der anderen Seite wird eine solche Rechtsprechung seitens des BVerfG massiv in die Kompetenz der BesGesetzgeber eingreifen, was und da bin ich voll und ganz bei dir sehr detailliert und wohl abgewogen begründet sein muss. Ich selber bin auch nur noch zutiefst frustriert und masslos von meinem BesGesetzgeber Bund enttäuscht und kann eine Entscheidung gar nicht schnell genug erwarten, sehe aber auch die Zwänge des BVerfG welches eine wohl begründete und ausgewogene Entscheidung zu treffen hat. Eine nicht bis ins Detail begründete Entscheidung könnte sonst so meine Befürchtung ggf dem BesGesetzgeber vielleicht weiteren Raum zum Fortsetzen der jahrelang geübten Praxis eröffnen. Zugleich wird eine Entscheidung wie wir sie alle erwarten auch massive Auswirkungen auf die betroffenen Haushalte haben, so dass es auch vor diesen Hintergrund sauber und detailliert begründet sein muss. Abschließend wird eine Entscheidung wie wir sie alle erhoffen auch die Dogmatik der nächsten Jahre oder gar Jahrzehnete prägen was ebenfalls sehr wohl begründet sein sollte. Von daher wird, so sehr es uns alle schmerzt, sicher noch etwas Zeit vergehen bis eine ausgereifte Entscheidung auf dem Tisch liegt.

Nanum

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6368 am: 15.07.2023 16:29 »
Hallo,
unabhängig von allen Ergebnissen ist auch die Gesamtbotschaft fatal.
"Erledigung durch Liegenlassen" - zumal wir hier ja hinsichtlich der Grundproblematik über einen Zeitraum der bald die 20 Jahre - sprich: zwei Jahrzehnte - umfasst.
In sehr vielen anderen Bereichen würden solche Entscheidungszeiträume jede praktikable Lösung schlicht durch den zeitliche Zäsur torpedieren.
Im Ergebnis einer der letzten Sargnägel die hier hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit gesetzt werden.
Schön wenn ich Recht HABE es aber nicht durchgesetzt werden kann / will / wird.
Hinsichtlich des Verständnisses der Problematik bin ich Swen ebenfalls dankbar. Kann aber im Hinblick auf die  Länge der Verfahrensdauer nur sagen, dass damit evident gezeigt wird, dass das BVerfG seiner Aufgabe nicht mehr gewachsen ist.
Oder darf man erst nach 30, 40 oder 50 Jahren sagen, nun "ist zu lange"??

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6369 am: 15.07.2023 17:20 »
@ BVerfGBeliever und Bundi

Ihr bringt es jeweils sachlich auf den Punkt. Denn natürlich ist die Irritation, der Frust, die Wut und die Enttäuschung über das Handeln der Dienstherrn mehr als nachvollziehbar und darüber hinaus sachlich so berechtigt, wie das wiederkehrend nicht sachliche Handeln der Dienstherrn nicht berechtigt ist. Die Irritation, der Frust, die Wut und Enttäuschung sollten aber m.E. nicht zu einer Fundamentalkritik führen, die dann sämtliche staatlichen Gewalten mit einschließt oder mit einschließen kann. Denn mir ist die Kritik am Bundesverfassungsgericht, anders als hier offensichtlich mancher meint, herzlich egal; es bräuchte mich nicht als sein Verteidiger - was mir aber nicht egal ist, ist der wiederkehrend hier ohne jeden sachlichen Beleg getätigte Vorwurf, das Bundesverassungsgericht verschleppe die Entscheidung. Denn wer das so sieht, der sollte auch das präzise belegen und hier eben nicht Behauptungen wie gesicherte Tatsachen behandeln - und zwar nicht zum Schutze des Bundesverfassungsgericht, sondern zum Schutz derer, die hier neu lesend hinzukommen. Denn ihnen wird durch die Behauptung ein Bild suggeriert, das hinsichtlich des Bundesverfassungsgerichts m.E. wie wiederholt dargestellt sachlich falsch ist und das auch deshalb bei ihnen nur noch mehr Irritation, Frust, Wut und Enttäuschung hervorrufen kann - und das halte ich für falsch.

Deshalb dringe ich, egal in welchem Teilsegment der Thematik wir uns befinden, grundsätzlich darauf, dass Aussagen hier in dem Moment sachlich begründet werden, wenn nicht auf den ersten Blick deutlich wird, dass da jemand wiederkehrend sachlichen Nonsens schreibt. Emdy fällt für mich hier nun nicht unter der Kategorie derer, die hier laufend sachlichen Unsinn schreiben, sondern ich schätze ihn als sachlichen Gesprächspartner, unabhängig davon, dass auch er schon damit rechnen darf - so wie ich hier ebenfalls hoffentlich damit rechnen dürfte -, dass ich eine begründete Gegenmeinung einnehme, wenn er etwas als "Nachsicht" wahrnimmt, was nicht als solche gemeint ist, wenn er das, was gar nicht gegeben ist, einleitend als moralisch "befremdlich" einordnet, es dann zugleich mit der Ideologie-Keule verbindet, um am Ende bei einer "Scheinrationalität" zu landen, die ich hier verbreiten würde.

All das wäre für mich in Ordnung, wenn's denn begründet werden würde. Aber ohne Begründung bin ich nicht so ohne Weiteres bereit, mich hier oder woanders unwidersprochen so darstellen zu lassen - denn ich gehe weiterhin davon aus, dass ich hier und an anderen Stellen das Thema sachlich aufbereite und darüber hinaus in verschiedenen Kontexten daran arbeite, dass sich was am Zustand ändert. Und ganz egal, was man mir nun sachlich glauben mag oder nicht, eines kann man mir glauben: Die Arbeit am Recht kostet Zeit, viel viel Zeit - und das kann nur der wirklich ermessen, der sich diese Zeit nimmt -; und dann ausgerechnet die entsprechend mit unpassenden oder zumindest nicht begründeten Kategorien zu belegen, die diese Zeit aufbringen, halte ich für mindestens nicht sachgerecht. Denn irgendwann machen die das dann nämlich nicht mehr und machen stattdessen das, was ich jetzt auch gerne machen würde: Wochenende und vielleicht auch endlich mal Pause.

@ Nanum

Ich mein's nicht böse. Aber auch die Darlegung ist an der zentralen Stelle sachlich falsch, so wie ich das vorhin schon dargelegt habe:

Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 seinen Rechtsprechungswandel eingeleitet und bis 2015 alle anhängigen Verfahren rechskräftig entschieden. Zugleich hat es 2015 ein umfassendes Prüfkonzept entwickelt, das von den Gerichten ab da angewandt worden ist, sodass nun nach und nach ab 2016 weitere Vorlagebeschlüsse bei ihm eingegangen sind. Das sind nun keine 20 Jahre, sondern sieben Jahre. In diesen sieben Jahren hat es drei weitere maßgebliche Entscheidungen getroffen, und zwar nach den beiden Grundsatzentscheidungen 2015 die weiteren Entscheidungen 2017 und 2018 sowie dann 2020 eine nächste umfassende Grundsatzentscheidung.

Die Folge einer Grundsatzentscheidung ist, insbesondere, wenn sie in einem komplexen Prozess des Rechtsprechungswandels vollzogen wird, die immer gleiche und auch (verfassungs-)rechtlich sinnvolle: Das Bundesverfassungsgericht betrachtet, wie die Grundsätze in der Gerichtsbarkeit aufgenommen und angewandt werden und gibt der Rechtswissenschaft Gelegenheit, im Diskurs Problematiken aufzudecken. Denn genau darum geht es in der Arbeit am Recht, dass es vorangebracht wird, wenn der konkrete Diskurs über es geschieht - und für das Bundesverfassungsgericht ist dieser Diskurs und die Zeit dafür nur noch einmal besonders wichtig, da es dem Instanzenzug enthoben ist und zugleich als einziges Gericht das Recht und die Pflicht hat, verfassungsrechtliche Letztentscheidungen zu treffen, deren Wirkung tiefe Spuren in der Gesellschaft hinterlassen.

Man kann sich wünschen, dass das alles schneller ginge - die Folge wäre allerdings ein sich nach und nach einstellender Qualitätsverlust in der Rechtsprechung. Und die können wir in Anbetracht des völligen Qualitätsverfalls des Besoldungsrechts nicht auch noch gebrauchen.

Das Schlimme an der Sache ist: Ich habe den Diskurs von Bundesverfassungsgericht, Fachgerichtsbarkeit und Rechtswissenschaft genannt - da fehlt aber eigentlich noch einer, nämlich der an sich wichtigste Diskursteilnehmer, nämlich der Besoldungsgesetzgeber. Nur kann mit dem niemand mehr einen sachlichen Diskurs führen, da von seiner Seite weitgehend keine Sachlichkeit mehr erkennbar ist.

Das Bundesverfassungsgericht wird in der anstehenden Entscheidung offensichtlich weitere Grundsätze vollziehen und damit etwas tun, was eher ungewöhnlich ist, nach einer Grundsatzentscheidung gleich die nächste zu fällen. Und nach der anstehenden Entscheidung wird die Lage für insbesondere Niedersachsen und wohl auch Schleswig-Holstein etwas komplexer, so wie sich das jetzt bereits in der Entscheidung zur Parteienfinanzierung II deutlich andeutet.

ZUsammengefasst: Nicht das Bundesverfassungsgericht ist seiner Aufgabe nicht gewachsen, sondern alle 17 Besoldungsgesetzgeber brechen mindestens in den letzten drei Jahren wissentlich und willentlich sowie zielgericht, jedoch fadenscheinig die Verfassung, indem sie sich viele sachwidrige Unsinnigkeiten einfallen lassen - nur finden die sich weiterhin nicht in den Vorlagen, die das Bundesverfassungsgericht zu betrachten hat. Also besteht nun die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts auch darin, anhand der Gesetzeslage der Jahre 2007, 2005 bis 2012 und 2014 bis 2016 sowie 2013 und 2014 (denn um die geht es in den anstehden Entscheidungen) den gezielten Verfassungsbruch mitsamt der erst ab 2021 einsetzenden sachlichen Absurditäten nach Möglichkeit zu unterbinden. Und das ist nunmal eine achlich komplexe Aufgabe, weshalb ich wiederholt dazu auffordere, doch sich selbst mal ein paar Gedanken zu machen, welche Direktiven man nun selbst einbringen wollte. Denn dieser Prozess ist sehr heilsam, weil er einen selbst auf die sachlichen Problematiken zurückwirft.

Ozymandias

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6370 am: 15.07.2023 17:24 »
Meinen Beobachtungen nach wurde das Chaos bei der Besoldung nach den beiden Beschlüssen noch größer.
Das BVerfG hat ja die ein oder andere Tür aufgezeigt, z.B. bei den Wohnkosten. Die Besoldungskreise haben anders reagiert.
Der Bund hat nach über 3 Jahren immer noch nicht gesetzgeberisch darauf reagiert.

Wenn man in den nächsten Urteilen/Beschlüsse keine vernünftige Einhegung und Richtlinien zum (Mindest-)Abstandsgebot und den abschmelzenden Zuschlägen, hohen Anteilen an Familienzuschlägen findet, dann wird es wirklich zum Endloskreislauf. Denn für die erneute Runde muss man erneut mehrere Jahre Rechtsweg und mehrere Jahre einplanen, bis der Gesetzgeber überhaupt reagiert.

Die amtsangemessene Alimentation gibt es dann irgendwann nur noch für Vollzeit-Querulanten.
Das VG Berlin hat bereits Klagen abgewiesen, denen hier im Forum und anderswo hohe Erfolgschancen zugeschrieben wurden. BW versendet Widerspruchsbescheide für die Jahre vor 2020. Auf all das muss man mit den richtigen Rechtsmitteln reagieren, viele können das gar nicht. Nicht jeder Beamte oder Bürger ist in der Lage eine Klage hinzubekommen und die Kosten dafür sind teilweise bei Anspruchsnahme von einem Rechtsbeistand sehr hoch.

Das angestaute Besoldungsdefizit ist mittlerweile so hoch, dass eine Entscheidung (so wie sie viele hier erwarten) eine Staatskrise bei den Haushälten zur Folge hätte.
Das BVerfG wird jedoch keine Staatskrise auslösen und deshalb läuft es vermutlich die nächsten 20 Jahre einfach so, dass weiterhin untere Besoldungsgruppen gestrichen werden. Ohne vernünftiges Abstandsgebot und ohne amtsangemessene Besoldung.

Knecht

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6371 am: 15.07.2023 17:36 »
Rückfrage: warum sollte das BVerfG keine Staatskrise auslösen, wenn es das MUSS? Spätestens dann wäre ja die nicht-Mitwirkung an einer verfassungskonformen Lösung seitens des BVerfG offensichtlich.

Ozymandias

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6372 am: 15.07.2023 18:35 »
Rückfrage: warum sollte das BVerfG keine Staatskrise auslösen, wenn es das MUSS? Spätestens dann wäre ja die nicht-Mitwirkung an einer verfassungskonformen Lösung seitens des BVerfG offensichtlich.

Es muss es nicht. Es wird nicht geurteilt, dass Betrag X bezahlt werden muss.
Finanzielle Erwägungen gibt es zu 100%, diese werden aber nur im Hinterzimmer besprochen, nicht in der Entscheidung.

Es kann auch so "einhegen", dass es noch finanziell stemmbar ist.
Wir haben ja die Berechnungen von Stuttmann und Swen. Die Zahlen sind zwar nett und mühsam errechnet, diese werden aber immer noch nicht erreicht und werden es wohl auch nie. Das VG Berlin hat Klagen bezüglich 2018 bis 2021 abgeschmettert, Begründung steht noch aus.

Man müsste es genauer ausrechnen, aber bei den Zahlen von Stuttmann oder Swen und den langen Zeiträumen wären wir locker bei 100-200 Milliarden Euro, je nachdem wie viel Bescheide bereits bestandskräftig sind. Vor allem die Länderhaushalte würde sowas hart und völlig unvorbereitet treffen. Die Länder haben auch nicht den Zugang zu den Finanzmärkten wie der Bund, der bei Finanz-, Euro-, Flüchtlings-, Pandemie- und Ukrainekrise kurz locker 3-stellige Milliardenbeträge aus dem Hut zaubern kann.

SwenTanortsch

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« Antwort #6373 am: 15.07.2023 18:38 »
Und mit dem, was Du schreibst, bin ich - bis auf den letzten Absatz - d'accord. Denn in dem, was Du in den ersten Absätzen schreibst, liegt ein zentrales Problem:

1. Das Bundesverfassungsgericht hat 2020 das Mindestabstandsgebot präzise ausgeführt.

2. Es hat darüber hinaus eine sachlich an sich hinlängliche Betrachtung der realitätsgerechten Bemessung des Geundsicherungsniveaus sowie der Mindest- und gewährten Nettoalimentation vollzogen.

3. Es hat wiederholt, dass die Mindestalimentation den vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Teil der gewährten Nettoalimentation beschreibt, in den keine Einschnitte gestattet sind.

4. Es hat weiterhin klargestellt, dass die Mindestalimentation darüber hinaus keinerlei Sachbezug zur niedrigsten gewährten Alimentation und also den Grundgehaltssätzen einer insbesondere verfassungswidrig ausgestalteten Besoldungssystematik hat.

5. Es hat schließlich mit dem Prüfparameter der Mindestbesoldung den Gesetzgeber verpflichtet, die gewährten Grundgehaltssätze auf Grundlage der beiden Abstandsgebote sachgerecht zu prüfen.

Dabei ist es hinsichtlich des letzten Punkts so vorgegangen, wie es immer in einer Grundsatzentscheidung vorgeht - es hat diese neue Kategorie der Mindestbesoldung nicht bis ins Letzte ausgeformt, sondern es der Fachgerichtsbarkeit, der Rechtswissenschaft und zuerst den Gesetzgebern überlassen, im Sinne des eben genannten Diskurs die Arbeit am Recht zu vollziehen. Insbesondere der VGH Hessen ist dem nachgekommen und auch in rechtswissenschaftlichen Medien sind zum Teil bis ins Detail ausgeformte Betrachtungen zur indiziellen Bedeutung der Mindestbesoldung erfolgt.

Der Gesetzgeber in seiner Gestalt der 17 Dienstherrn ist nun hingegen in allen fünf genannten Punkten in die sachwidrige Betrachtung übergegangen, was in dieser Extremität wohl kaum zu erwarten war, aber nun so geschehen ist:

1. Das Mindestabstandsgebot wird von ihnen eigentlich unisono als Höchstabstandsgebot missverstanden, dass irgendwie überschritten werden muss, wozu man sich viele sachliche Absurditäten hat einfallen lassen, die sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht nicht herleiten lassen.

2. Die Bemessungen werden wiederkehrend anhand phantasievoller Betrachtungen ad absurdum getrieben - bislang hat noch kein Gesetzgeber eine sachgerechte Bemessung vollzogen.

3. Entsprechend werden weiterhin extreme Einschnitte in den vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Teil der gewährten Nettoalimentation vollzogen.

4. Materiell-rechtliche und indizielle Parameter werden fröhlich und also sachwidrig vertauscht, um dann die sachlich unzureichend bemessene Mindestalimentation zum Ausgangspunkt der gewährten Nettoalimentation machen zu vollen.

5. Den Prüfparameter der Mindestbesoldung hat noch kein Gesetzgeber bislang beachtet. Eine Prüfung der Grundgehaltssätze hat seit 2020 noch nicht stattgefunden. Die damit verbundenen prozeduralen Anforderungen sind außer Acht gelassen worden.

All das, das darf man begründet annehmen, wird auch das Bundesverfassungsgericht beobachtet haben, um nun in der anstehenden Entscheidung darauf vergangenheitsbezogen zu reagieren. Was ist also sachlich erwartbar?

1. Das präzise ausgeführte Mindestabstandsgebot wird wiederholt werden, ohne dass hier eine weitere Vertiefung notwendig wäre (die aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit dennoch kommen wird - da liegt ggf. eine der Überraschungen, von denen ich wiederkehrend spreche).

2. Es wird für drei Rechtskreise und die Jahre 2005 bis 2012 und 2014 bis 2016, 2007 und 2013 und 2014 erneut realitätsgerechte Bemessungen vollziehen und dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere direktive Präzisierungen vollziehen, die es den Gesetzgebern sachlich noch einmal erschweren dürften, sie gezielt misszuverstehen, insbesondere hier sollte das Bundesverfassungsgericht im eigenen Sinne - nämlich um die eigene Autorität zu wahren - Regelungen vollziehen, so ist zu vermuten, die zur Normativität des Faktischen führten.

3. Ziel dürfte es sein, die gezielten Einschnitte in den vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Teil der gewährten Nettoalimentation zu unterbinden. Entsprechend ist erwartbar, dass weiterhin konkretisiert werden wird, was "realitätsgerecht" ist und was nicht.

4. Die schon mehrfach behandelten beiden Dimensionen - die materiell-rechtliche und die indizielle - dürften noch klarer in ihren unterschiedlichen Anforderungen und Funktionen herausgestellt werden. Das würde das gezielte Missverstehen an zentraler Stelle des Prüfverfahrens erschweren, im Idealfall verunmöglichen (ob jener Idealfall eintreten wird, sei dahingestellt; aber auch hier dürften mit Überraschungen zu rechnen sein, die sich die Besoldungsgesetzgeber bislang offensichtlich noch nicht ausmalen; die Entscheidung zur Parteienfinanzierung II weist zumindest ebenfalls auf das ggf. überraschende Moment hin).

5. Erfreulich wäre eine präzise Bemessungsmethodik zur Betrachtung der Mindestbesoldung, mit der die Grundgehaltssätze bzw. der Verletzungsgrad der Besoldungsordnung A indiziell geprüft werden könnte. Damit könnte dann eine weitere Präzisierung des materiell-rechtlich zu beachtenden Zusammenspiels beider Abstandsgebote vollzogen werden, die wiederum indiziell überprüfbar wäre, sobald der Prüfparameter der Mindestbesoldung hinreichend präzisiert werden würde. Erwartbar ist darüber hinaus so oder so, dass die stärkere Verbindung der indiziellen Prüfung mit den den Gesetzgeber treffenden prozeduralen Anforderungen, also seinen Begründungspflichten, erfolgten, was sich in der genannten Entscheidung zur Parteienfinanzierung II ebenfalls bereits andeutet.

Die Rückkehr zu einer amtsangemessenen Alimentation wird darüber hinaus, so wie Du das im letzten Absatz schreibst, sehr teuer werden, ob's zu einer Staatskrise oder zu einem wie auch immer verpackten Doppel- und Darüberhinauswumms kommen wird, wird sich zeigen. Weitere Besoldungsgruppen darf der Gesetzgeber schon heute streichen, wenn er es denn sachlich hinreichend begründen kann, wenn er also eine sachgerechte Neubwertung der mit dem Amt verbundenen Anforderungen dafür zur Grundlage macht. Das wird ihm allerdings zukünftig genauso wenig möglich sein, wie es ihm das jetzt schon ist, da sich die Anforderungen im Öffentlichen Dienst eher nicht so stark ändern - und wenn doch, dann eher nicht dahingehend, dass am Ende das Grundsicherungsniveau der hinreichende Bezugpunkt zum Vergleich mit der Alimentation wäre, deren Amt, dem sie gewährt werden würde, keine Aufgaben des einfachen Diensts mehr umfasste. Das Bundesverfassungsgericht sollte keine Veranlassung haben, sein hier mindestens gefestigte Rechtsprechung zu korrigieren. Vielmehr darf man davon ausgehen, dass es zukünftig verschiedene der Gesetze als verfassungswidrig betrachten wird, die seit den 2010er Jahre offensichtlich ohne sachgerechte Begründungen untere Besoldungsgruppen gestrichen haben. Denn das ist auf Grundlage der genannten Rechtsprechung so wohl eher nicht möglich.

Darüber hinaus muss dem Bundesverfassungsgericht mit seiner letzten Entscheidung klar gewesen sein, dass in ihrer sachgerechten Folge die Personalkosten im Öffentlichen Dienst von Bund und Ländern explodieren werden. Denn eine andere sachgerechte Folge ist nicht erkennbar - so wie ebenfalls nicht erkennbar ist, wie ohne eine deutliche Erhöhung des Besoldungsniveaus und darin der Grundgehaltssätze sowohl das Leistungsprinzip aufrechterhalten als auch überhaupt der Fachkräftemangel irgendwie überstanden werden könnte. Es sollte davon auszugehen sein, dass das also zukunftorientiert vom Bundesverfassungsgericht bereits "eingepreist" worden ist.

Ich könnte Deiner diesbezüglichen Sichtweise sachlich folgen, dass es zu keinem substanziellen Anheben des Besoldungsniveaus kommen wird, wenn es die letzte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht gegeben hätte. Zugleich hätte es dort die Möglichkeit gehabt, ein weniger hohes Besldungsniveau anzustreben, nämlich indem es der Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts gefolgt wäre, was zwangsläufig ebenfalls zu einem deutlich höheren Besoldungsniveau und auch zu höheren Grundgehaltssätzen hätte führen müssen - aber eben nicht in die Höhen, die nun am Ende verfassungskonform sein werden (oder es in der Praxis heute schon sind). Es wäre erstaunlich, wenn das Bundesverfassungsgericht hier nun von seiner gerade erst eingeschlagenen Rechtsprechungspraxis abwich und es wäre entsprechend für es sachlich deutlich kontraproduktiv - denn das sollten die Gesetzgeber dann als Einladung verstehen, genauso weiterzumachen wie bisher, worunter die Autorität des Bundesverfassungsgericht deutlich leiden müsste.

@ Knecht

Genauso ist es meiner Meinung nach! Wenn das Bundesverfassungsgericht seine in den letzten gut zehn Jahren ausgeformte neue Besoldungsdogmatik nun nicht konsequent zuende führen würde, würde das insbesondere in der Rechtswissenschaft zu deutlicher Irritation führen, da das argumentativ nicht gerechtfertigt werden könnte, was wiederum über kurz oder lang Eingang in die Medien erführe und am Ende die eigene Autorität beschädigte. Andreas Voßkuhle ist zwar nicht mehr federführend - aber die letzten Entscheidungen sind einstimmig vollzogen worden.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6374 am: 15.07.2023 19:22 »


Man müsste es genauer ausrechnen, aber bei den Zahlen von Stuttmann oder Swen und den langen Zeiträumen wären wir locker bei 100-200 Milliarden Euro, je nachdem wie viel Bescheide bereits bestandskräftig sind. Vor allem die Länderhaushalte würde sowas hart und völlig unvorbereitet treffen. Die Länder haben auch nicht den Zugang zu den Finanzmärkten wie der Bund, der bei Finanz-, Euro-, Flüchtlings-, Pandemie- und Ukrainekrise kurz locker 3-stellige Milliardenbeträge aus dem Hut zaubern kann.

Mein letzter Beitrag bezog sich auf Deinen vorletzten - vergangenheitsbezogen sind die Zahlen, die Du hier am Anfang nennst, nicht unrealistisch. Ggf. wird das Bundesverfassungsgericht die Anforderungen an statthafte Rechtsbehelfe vergangenheitsbezogen noch stärker prüfen als bislang - das Bundesverwaltungsgericht hat ja bereits 2019 in diese Richtung tendiert, wobei man annehmen sollte, dass die seit spätestens 2015 getätigten Widersprüche weitgehend statthaft vollzogen worden sind; anders sieht das ggf. für die Zeit davor aus.

Zukunftsbezogen glaube ich eher nicht, dass das Bundesverfassungsgericht in die von Dir dargelegte Richtung tendieren wird. Es betrachtet zum einen die Qualitätsanforderungen und das Leistungsprinzip. Hier dürfte es kaum zu einer anderen Sicht auf die Dinge gelangen als 2020. Zugleich hat es das Alimentationsprinzip seit spätestens 2015 so weit ausgeformt, dass es auch diesbezüglich eher nicht hinter den jetzigen Betrachtungen zurückkönnte (dazu habe ich ja vorhin schon geschrieben).

Zugleich wird es verfassungsrechtlich auf die Schuldenbremse verweisen, die ja verfassungsrechtlich verbürgtes Handeln vom Gesetzgeber fordert und also das hervorheben, was es seit deren Einführung in der Besoldungsrechtsprechung formuliert hat. Der Gesetzgeber kann Einschnitte von durch den relativen Alimentationsschutz umfassten Teil der Alimentation vornehmen, wenn er das in Zeiten der Haushaltskonsolidierung in einem sach- und gleichheitsgerecht vollzogenem Gesamtkonzept begründet. Mehr ist dem Gesetzgeber nicht möglich - und auf die Regierung bin ich gespannt, die ein sachgerechtes und darin also auch gleichheitsgerechtes Konzept zur Haushaltskonsolidierung erstellen und begründen wollte. Die Schuldenbremse ist doch vor allem deshalb vor 2020 zunehmend in allen Rechtskreisen erfüllt worden, weil man zum einen die Lasten auf's Personal abgewälzt hat, indem man es i.d.R. eklatant unteralimentiert und auch kaum hinreichend entlohnt hat - und weil man das Glück hatte, kaum Zinsen für aufgenommene Schulden zahlen zu müssen. Letzteres scheint auf längerer Sicht vorbei zu sein, also wird man versuchen, ersteres so lang wie möglich aufrechtzuerhalten. Das dürfte wie gesagt einer der Gründe sein, wieso die anstehende Entscheidung auf sich warten lässt. So ist zumindest meine Sicht auf die Dinge.