Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 3856132 times)

A9A10A11A12A13

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6375 am: 15.07.2023 19:30 »
Der Bund hat nach über 3 Jahren immer noch nicht gesetzgeberisch darauf reagiert.

nicht ganz richtig,

das Beamtenrecht wird nicht mehr per Gesetz, sondern demnächst immer nur noch per Entwürfe geregelt. Puh, da kommt Frank-Walter weder ins Schwitzen noch zum unterzeichnen. Und das Karlsruher Reisebüro? wo kein Richter da keine Klage?:

Änderung des Bundesbeamtengesetzes  Drucksache 20/6436

"gilt nur für Beamtinnen und Beamte, ... sich ein Gesetzentwurf zur Aufnahme einer entsprechenden Regelung im Gesetzgebungsverfahren befand.“

Viel Spaß beim Durchforsten, welcher vielleicht auch schon im Papierkorb gelandeter Entwurf den Beamten ohne Fristen ins Handwerk pfuscht, Ansprüche durchkreuzt, Grundrechte versagt, ...

lotsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6376 am: 15.07.2023 20:01 »
Ich muss sagen, dass ich auch enttäuscht vom BVerfG bin. Wo bleibt endlich die Vollstreckungsanordnung? Natürlich weiß jeder, so geht es auch aus den Kommentaren meiner Vorkommentatoren hervor, dass das BVerfG staatstragend ist und bei seiner Ermessensausübung auch berücksichtigt, wie solvent der Staat ist. Und dass der Staat nicht mehr solvent ist kann man der heute getätigten Aussage unserer Außenministerin ablesen, die sagte, man dürfe die Sozialhilfe nicht gegen die Ukrainehilfe ausspielen. Das geht nach meinem Ermessen, auch aus dem Wort "zumutbar" hervor, welches das BVerfG, entweder direkt oder zwischen den Zeilen lesbar, verwendet. Z.B. sagt es, dem Beamten ist es zumutbar Widerspruch einzulegen. Warum berücksichtigt das BVerfG nicht auch die weiteren erheblichen Schwierigkeiten der Verfolgung des Rechtswegs, wie von Ozymandis häufig beschrieben, und die unzumutbare Verfahrensdauer, die ganz klar nicht jedem Beamten, z.B. aus dem einfachen Dienst zumutbar ist? Dann sagt das BVerfG, dem Dienstherrn sei es nicht zumutbar an alle Beamten die entgangene Besoldung nachzuzahlen, die den Rechtsweg nicht beschritten haben, weil das den Haushalt überlasten würde. Dadurch sagt es indirekt, den Beamten ist es zumutbar, über Jahrzehnte auf Gehalt zu verzichten, und die Besoldung ist m.E. ein eigentumsgleiches Recht auf das die Beamtenschaft nicht länger verzichten will. Das BVerfG entscheidet somit darüber, welcher Seite was zumutbar ist. Ich vergleiche das mal mit der Aufklärung im Mittelalter. Die Beamten (leider immer noch zu wenige) sind jetzt aufgeklärt und finden sich zu Recht vorsätzlich hintergangen.
Vielleicht hat ja Prof. Battis dieses ins Wanken gekommene Vertrauen in die Verfassungsorgane und diese beschädigte Autorität des BVerfG gemeint und vorausgesehen, als er von einer heraufziehenden Verfassungskrise schrieb, die über den eigentlichen Regelungsbereich Auswirkungen haben wird.

emdy

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6377 am: 15.07.2023 21:14 »
Du gönnst Swen aber auch gar keine Pause, lotsch.  ;D

Danke an alle Beteiligten heute, insbesondere den Qualitätsgaranten Swen, BVerfGBeliever, Ozymandias, Finanzer uvm. sowie denen, denen ich mich meinungstechnisch sehr verbunden fühle: Knecht, Nanum uvm.. So kann aus einer provokanten Spitze ein spannender Austausch werden.
 

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6378 am: 15.07.2023 21:21 »
schöne Worte, emdy - ich wollte Dich vorhin übrigens nicht belehren und wenn ich zu scharf oder verletzend formuliert haben sollte, tut's mir leid!

A9A10A11A12A13

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6379 am: 15.07.2023 21:26 »
Wo bleibt endlich die Vollstreckungsanordnung?

ST gibt nur Indizien auf der Seite der vorsätzlichen Versagung der Gesetgebungsorgane als ausreichend für die "angekündigte" (Vollstreckungsanordnungs-)Entscheidung an. Unterschlägt aber den Standpunkt des Karlsruher Reisebüros über sich selbst. Sie sind die Judikative, die nachsichtig agierende Judikative, die homöopathisch akzentuierende Judikative, die postlegislative Judikative, die maßregelnde Judikative, ... aber sie will nicht die anordnende Exekutive sein. Sie bleibt eine gezähmte Revision.

Qualitätsgaranten S...
Qual!ität?  immer wieder rechts im Kreis vergangener Entscheidungen vereinzelte Redenummern verzwirbeln, die als roten Faden für künftige Entscheidungen unverrückbar verbunden sind, in denen die Richter unbeweglich darin verkettet seien?

Ein Erklärbär, der vergangenes erklärend verteidigen kann, wenn die Entscheidung kommt, kann er sie nachträglich erklären, egal wie seine Prognose zuvor war, die dann unter den Tisch fällt, falls sie anders war.

Ozymandias

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6380 am: 15.07.2023 21:39 »
Ich kümmere mich ja eher gerne um die Praxis und das Finanzielle.  ;D Andere konzentrieren sich auf andere Sichtweisen wie lotsch und Swen, daher kommt auch immer die eine oder andere Erkenntnis heraus.

https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=VG%20Stuttgart&Datum=14.12.2010&Aktenzeichen=6%20K%20376/10

Hier z.B. ein Richter in BW mit 5 Kindern. Seit 2010 geklagt, 2018 gab es eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht. Keine Verfassungsbeschwerde verfasst, die übrigens ein außerordentlicher Rechtsbehelf ist, dadurch gab es eine rechtskräftige Entscheidung. Mitte 2020 gab es dann den Beschluss zu kinderreichen Beamten durch das BVerfG.

Obwohl die Klage eigentlich gewonnen hätte und zu einer ordentlichen Nachzahlung (ca. 20k+) geführt hätte, gab es nach 8 Jahren eine Niederlage weil es zu früh eine endgültige Entscheidung gab. Aus meiner Sicht nicht nur ärgerlich, sondern auch ungerecht. Auch deshalb ist es richtig auf eine schnelle Entscheidung durch das BVerfG zu drängen, da sonst in den unteren Instanzen "ungerecht" geurteilt wird. Aber so sind die Regeln bei uns eben. Deshalb weise ich immer auf Bestandskraft, günstige Möglichkeiten diese zu verhindern und auf Probleme bei den Anträgen und Zulässigkeit der Klagen hin.

Durch Erbgemeinschaften bin ich leider finanziell mit mehreren Beamten aus dem hD verbandelt und quasi keiner davon hat von sich aus viel Ahnung von der amtsangemessenen Alimentation und wie die Rechtsmittel dagegen aussehen. Wenn man nicht viel mit Behörden und Gerichten zu tun hat, fällt es einem trotz Hilfe auch schwer, gute Anträge und Widersprüche zu schreiben. Übung hilft...

Ich hoffe deshalb, dass jeder irgendwann eine amtsangemessene Alimentation bekommt und zwar ohne "rechtspolitisch/verfahrensrechtlich" ausgetrickst zu werden.

Knecht

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6381 am: 15.07.2023 21:56 »
Du gönnst Swen aber auch gar keine Pause, lotsch.  ;D

Danke an alle Beteiligten heute, insbesondere den Qualitätsgaranten Swen, BVerfGBeliever, Ozymandias, Finanzer uvm. sowie denen, denen ich mich meinungstechnisch sehr verbunden fühle: Knecht, Nanum uvm.. So kann aus einer provokanten Spitze ein spannender Austausch werden.

War in der Tat spannend - schlussendlich sitzen wir ja leider alle in der gleichen Nussschale... Hoffen wir mal auf ein Happy End. Schönen Abend noch!

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6382 am: 15.07.2023 23:19 »
Das, was Du am Ende schreibst, Ozy, und was Du mit Deinem Bild der Nussschale treffend auf den Punkt bringst, Knecht, ist, worum's geht. Darum muss es gehen, dass am Ende der wieder verfassungskonforme Zustand hergestellt sein wird. Und das wird aber leider noch ein Weg mit ziemlich vielen politischen Wendungen werden.

Und zugleich ist das, was dem Richter widerfahren ist, bitter und zugleich nicht untypisch, sofern sich die Entscheidungsgrundsätze ändern. Die Rechtskraft der Entscheidung gilt am Ende nur inter partes, besitzt also  Gültigkeit nur für die am Rechtsstreit beteiligten Parteien, sodass bspw. auch der niedersächsische Kläger, der 2015 im Verfahren 2 BvL 20/14 kein Recht erhalten hat, da das Bundesverfassungsgericht die betrachtet niedersächsische Besoldung auf Grundlage der damals noch nicht so weit entwickelten neuen Besoldungsdogmatik als "noch den verfassungsrechtlichen Ansprüchen" genügend betrachtet hat, keine Möglichkeit besitzen wird, seinen rechtskräftig entschiedenen Fall noch einmal verhandeln zu lassen. Wären die Besoldungsgesetzgeber nach den beiden 2015-Grundsatzverfahren zu einer auf der damaligen Basis der neuen Besoldungsdogmatik verfassungskonformen Alimentation zurückgekehrt, hätte das Bundesverfassungsgericht höchstwahrscheinlich keine Veranlassung gesehen, das Mindestabstandsgebot 2020 weiter auszuformen, die Begründungspflichten des Besoldungsgesetzgebers 2018 noch weiter auszuschärfen und 2017 das Abstandsgebot zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen als einen hergebrachten Grundsatz zu betrachten. Entsprechend würden die Kläger im nun anstehenden niedersächsischen Vorlageverfahren heute ebenfalls kaum Recht bekommen - da sich aber durch die weitere Ausschärfung der Rechtsprechung und insbesondere des 2020 präzisierten Mindestabstandsgebots die Rechtsprechung grundlegend gewandelt hat, werden sie nun mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Recht bekommen, während der Kläger des Jahres 2015 weiterhin keine Möglichkeit mehr hat - so wie der von Dir dargestellte Richter -, doch noch eine andere Entscheidung zu erwirken, da die Entscheidung damals mit Rechtskraft gefällt worden ist.

Formelles Recht ist leider reichlich kompliziert, sodass der Satz, man sei vor Gericht und auf See in Gottes Hand, seine Berechtigung hat - und zugleich, was wenig tröstlich ist und was wir hier ganz zu Beginn im Länder-Forum betrachtet haben, fallen Recht und Gerechtigkeit nicht zusammen: Denn Gerechtigkeit ist vor allem eine ethisch-moralische Kategorie und bleibt deshalb grundlegend von der Sphäre des Rechts getrennt. Die Gerichte sprechen auf Grundlage formaler Kriterien Recht, was im Idealfall der Herstellung größerer Gerechtigkeit dient. Da aber "Gerechtigkeit" eine ethisch-moralische Kategorie ist und folglich einem gesellschaftlichen Wertewandel unterliegt, wäre es rechtlich nicht entscheidbar, was "gerecht" sei. "Gerechtigkeit" ist eine der außerrechtlichen Wertungen, die das Recht mit beeinflusst, aber als außerrechtliche Wertung das Recht weder konstituieren noch dessen letztes Ziel sein kann. Insofern kann man für jeden Tag froh und dankbar sein, an dem man kein Gericht betreten muss - am Ende ist's, wie Du schreibst: Wir können nur hoffen, "dass jeder irgendwann eine amtsangemessene Alimentation bekommt und zwar ohne 'rechtspolitisch/verfahrensrechtlich' ausgetrickst zu werden".

VierBundeslaender

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6383 am: 16.07.2023 10:12 »
Danke an SwenTarnosch für die vielen Posts, ich habe endlich verstanden, weshalb die Dinge so zäh und mühsam sind. Es hat einfach etwas damit zu tun, wie die beiden Akteure (Gesetzgeber und Verfassungsgericht) arbeiten; die sind unterschiedlich am Werk und wir wollen das letztlich auch so:

Der Gesetzgeber soll endlich mal handeln. Da löst Partei B die Partei A ab und jetzt wird auf den Tisch gehauen und endlich gemacht. Super. Wir schaffen von den 100 Verkehrszeichen zwei ab, grandios. Wählen wir wieder. (Ich hoffe, jeder sieht den Sarkasmus, da ist aber auch was wahres dran.)

Das Gericht arbeitet anders. Und jetzt nehmen wir mal das "auf den Tisch hauen" in Sachen Besoldungsfragen. Das Gericht sagt "Leute, Ihr könnt machen, was ihr wollt, aber R1 muss Prinzipien folgen und ein Prinzip heißt unterste Besoldung weit genug weg von Sozialhilfe". Und dann ist der Fall erstmal erledigt.

Die Sache wird nun kompliziert, weil der Gesetzgeber dieses Urteil auch liest. Aber da ist die Methode nach wie vor "auf den Tisch hauen" und also kommt man dort auf eine geniale Idee. Unterste Besoldung weit genug weg von Sozialhilfe? Lass uns doch die unterste Besoldung abschaffen, dann haben wir das Problem vom Tisch. Gesagt, getan. Wie man sieht, besteht das Problem darin, dass das Gericht systematisch denkt und handelt, während der Gesetzgeber nicht auf die Intention, das Argument, die Logik des Gerichts schaut, sondern nur versucht, kurzfristig zu handeln und dem Problem irgendwie auszuweichen.

Diejenigen, die jetzt vom BVerfG das Hauen auf den Tisch verlangen, übersehen, dass das Gericht genau so nicht arbeiten will. Denn würde es so arbeiten, wäre R1 Halle (Saale) verfassungswidrig, aber R1 Frankfurt (Oder) nicht und dann wieder mal ja und wieder mal nein. Das Gericht muss diesen Trick des Gesetzgebers nicht als Trick offenbaren, sondern systematisch überlegen: "Was ist das eigentlich, was die da machen" und, viel schwieriger, überlegen, ob es nicht systematische Gründe gibt, dass man das wirklich so machen kann. Und dann alle durchgehen.

Wir kennen das Ergebnis, weil wir uns nicht an der Nase herumführen lassen. Es ist auch offensichtlich, dass das Gericht das so sehen wird. Aber das Gericht muss das beweisen, und das ist die Knochenarbeit. Deswegen dauert das so lange.

lotsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6384 am: 16.07.2023 12:15 »
Ich bin mir sicher , dass Swen mit seinen Argumenten Recht hat, warum das BVerfG so arbeitet wie es arbeitet. Er ist aber eben besonders tief in diese Materie vorgedrungen und 99,9 % der Beamten, Soldaten und Richter ist eben nicht so weit. Diese 99,9 % haben nur ein zunehmendes Gefühl, dass sie besoldungsmäßig ungerecht behandelt werden. Irgendein Philosoph hat sinngemäß gesagt, die Menschen verstehen oft nicht den konkreten Hintergrund, aber sie haben meistens ein ziemlich gutes Gefühl für eine Sache. Erschwerend kommt hinzu, dass diese 99.9 % praktisch kein Sprachrohr für ihre Unzufriedenheit haben, da alle Altparteien, Medien und der Großteil der Bevölkerung ihnen ablehnend gegenüberstehen und sie selbst von ihren sogenannten Gewerksaften nicht vertreten werden. Ohne politische Heimat habe ich nur die Möglichkeit bei Wahlen meine Unzufriedenheit deutlich zu machen und auf dem Wahlzettel aus Protest dort ein Kreuzchen zu machen, wo ich es sonst nicht machen würde. Die ebenso vernachlässigten Bauern in den Niederlanden haben gehandelt und eine Partei gegründet, die ihre Ansichten vertritt. Soweit ich gehört habe, waren sie auch überaus erfolgreich bei der ersten Wahl.

Nanum

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6385 am: 16.07.2023 12:15 »
Hallo,
irgendwie erscheint mir an dieser Stelle als Kommentar zu den jahrzehntelangen Prozessen angemessen:

"Und wenn sie (Richter, Beamte Politiker) [noch] nicht gestorben sind, so tricksen sie noch heute."
oder auch: "the never ending story" ?

Mal schauen, wer von der Beamtenschaft noch eine "Verbesserung" erlebt. Glücklicherweise kann ich meinen Anwärtern im Rahmen der Laufbahnausbildung immer ein paar Urteile des BVerfG nennen die sie mal studieren sollen.
Die Reaktionen darauf könnt ihr euch ja denken; viele wissen / wussten halt nicht, wie lange die Beamtenschaft bereits "verarscht" (dieser Terminus als Zusammenfassung für die unzähligen Missstände seitens der Gesetzgeber seit Jahrzehnten) wird.
Es ist ja nicht einmal nur die Besoldung, man erinnere sich kurz an die Arbeitszeiterhöhung, die 2006 temporär eingeführt werden solle (ohne Besoldungsausgleich) .
Abschließend sei zum Verfahren amtsangemessene Alimentation noch gesagt:

Besser irgendwann eine schlechte Entscheidung, als gar keine. Man sieht genug Nicht-Entscheider und wozu / wohin das führen kann.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6386 am: 16.07.2023 13:11 »
Ich bin mir sicher , dass Swen mit seinen Argumenten Recht hat, warum das BVerfG so arbeitet wie es arbeitet. Er ist aber eben besonders tief in diese Materie vorgedrungen und 99,9 % der Beamten, Soldaten und Richter ist eben nicht so weit. Diese 99,9 % haben nur ein zunehmendes Gefühl, dass sie besoldungsmäßig ungerecht behandelt werden. Irgendein Philosoph hat sinngemäß gesagt, die Menschen verstehen oft nicht den konkreten Hintergrund, aber sie haben meistens ein ziemlich gutes Gefühl für eine Sache. Erschwerend kommt hinzu, dass diese 99.9 % praktisch kein Sprachrohr für ihre Unzufriedenheit haben, da alle Altparteien, Medien und der Großteil der Bevölkerung ihnen ablehnend gegenüberstehen und sie selbst von ihren sogenannten Gewerksaften nicht vertreten werden. Ohne politische Heimat habe ich nur die Möglichkeit bei Wahlen meine Unzufriedenheit deutlich zu machen und auf dem Wahlzettel aus Protest dort ein Kreuzchen zu machen, wo ich es sonst nicht machen würde. Die ebenso vernachlässigten Bauern in den Niederlanden haben gehandelt und eine Partei gegründet, die ihre Ansichten vertritt. Soweit ich gehört habe, waren sie auch überaus erfolgreich bei der ersten Wahl.

Das, was Du schreibst, lotsch, ist leider vollständig richtig - deshalb versuche ich hier, die Sachlage so, wie sie sich mir darstellt, zu betrachten, ohne dass ich - wie gesagt - ein Interesse hätte, das Handeln des Bundesverfassungsgerichts zu rechtfertigen oder zu verteidigen, denn das bräuchte es auch nicht. Ich würde hier der erste sein, der das Bundesverfassungsgericht in der Sache scharf kritisieren würde, würde es nicht im Sinne seines Verfassungsauftrags handeln - aber zum Glück ist das für mich weiterhin nicht erkennbar, sodass ich davon ausgehe, dass das auch zukünftig so bleibt. Und so lange es so bleibt, erachte ich es als wichtig, insbesondere neu hinzukommende Leser nicht noch mehr "anzuheizen", da das weder ihnen noch der Sache guttäte. Deshalb meine wiederkehrenden Interventionen, die anders ausfallen würden, wenn das Bundesverfassungsgericht dafür Anlass geben würde.

@ Nanum

Ich bin mit Dir bis auf den letzten Satz d'accord - bin aber hinsichtlich einer schlecht begründeten Entscheidung ganz anderer Meinung, da das m.E. tiefgehende politische Konsequenzen hätte; ich versuch's mal ausnahmsweise kurz und also als Aufzählung:

1. Sofern nicht mindestens die gestern dargelegten fünf Felder in der anstehenden Entscheidung nicht so hinreichend präzisiert werden, dass die Gesetzgeber in ihrem gezielten Missverstehen der Rechtslage nicht deutlich behindert werden, werden sie nach der Erfahrung der letzten drei Jahre sowie zur Rechtfertigung dieser letzten drei Jahr und mit dem Ziel, weiterhin in massiver Weise Personalkosten einzusparen, unggebrochen weitermachen.

2. Als Folge müsste die Autorität des Bundesverfassungsgerichts deutlich mehr leiden. Denn dann müsste man annehmen, dass es seinen Verfassungsauftrag, sachgerechte Entscheidungen zu fällen (die eine präzise Entscheidungsbegründung mit einschlösse), entweder nicht hinreichend nachkäme (was Vermutungen, wie sie hier im Forum auch von integer Kollegen wiederholt geäußert werden, Nahrung geben würde) oder dass es dazu sachlich nicht in der Lage wäre, was als Qualitätsverlust zu betrachten wäre, worin sich ein nicht minder starker Autoritätsverlust widerspiegeln müsste.

3. Ein solcher Autoritätsverlust stellte aber einen unmittelbar schweren Schaden für unser Gemeinwesen dar, nicht nur, weil das Bundesverfassungsgericht innerhalb eines gesellschaftlich allgemeinen zunehmenden Zweifels an den staatlichen Institutionen (der auch heute nicht vor dem Bundesverfassungsgericht haltmacht, wenn es auch weiterhin über ein hohes Ansehen in der Gesellschaft verfügt) eine sich davon wiederkehrend abhebende Rolle spielt, sondern ebenso auch, weil damit das Einhegen verfassungswidriger politischer Auswüchse nur noch schwieriger werden würde - der Autoritätsverlust in der Besoldungsrechtssprechung müsste und würde also ausstrahlen auf andere Rechtsgebiete.

Von daher sollte sich das Bundesverfassungsgericht gezwungen sehen (und sieht es sich nach meiner begründeten Wahrnehmung auch wie gehabt und also unverändert gezwungen), eine sachgerechte und also verhältnismäßige Entscheidung zu fällen, die im Rahmen des Verfassungsauftrags erfolgte. Alles andere dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit den Weg für die Verfassungskrise freimachen, und zwar mit Auswirkungen, die nicht absehbar, jedoch sicherlich nicht positiv wären.

@ Vier

Es freut mich, dass ich Dich überzeugen konnte: Sowohl der Verfasungsauftrag von Bundesverfassungsgericht, Parlament und Regierung unterscheidet sich - aber leider unterscheiden sich hinsichtlich des Besoldungsrechts auch die Qualitätsstandards. Diese sind hinsichtlich des Entwurfs zum BBVAngG nicht mehr zu erkennen, da sich hier nur noch ein Qualitätsverfall offenbart, den ich noch vor drei Jahren in der Bundesrepublik in dieser Extremität für unmöglich erachtet hätte - eben weil er wissentlich und willentlich und also zielgerichtet erfolgt und damit nicht nur schweren Schaden für die Normunterworfenen in Kauf nimmt, sondern ihn ebenso gezielt unserer Rechtsordnung antut. Er kann nur noch als eine politische Verirrung gelesen werden, die offensichtlich ist, von der man nur noch nicht weiß, in welche der möglichen Himmelsrichtung sie weist, an welchen politischen Richtungen man sich mit ihm also bewusst oder halb- bis unbewusst anlehnen möchte auf dem Weg weg vom Boden des Grundgesetzes und wo man mit solchen Entwürfen dann also politisch landen möchte.

Unknown

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6387 am: 16.07.2023 13:42 »
Ich würde gerne nochmal auf die Ausfertigung vom Bundespräsidenten zurück kommen. Hat der extra einen Stab der nichts anderes macht als das prüfen von Gesetzen, ob diese verfassungskonform bzw. verfassungswidrig sind? Ich setze ehrlich gesagt nicht viel Hoffnung darauf, dass der Bundespräsident die Unterschrift verweigert. Bei der Ignoranz im BMI und fortführenden Organen, wird sich der Bundespräsident niemals die Blöße geben und das Gesetz zur amtsangemessenen Alimentation nicht ausfertigen.

BVerfGBeliever

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6388 am: 16.07.2023 14:02 »
Qual!ität?  immer wieder rechts im Kreis vergangener Entscheidungen vereinzelte Redenummern verzwirbeln, die als roten Faden für künftige Entscheidungen unverrückbar verbunden sind, in denen die Richter unbeweglich darin verkettet seien?

Ein Erklärbär, der vergangenes erklärend verteidigen kann, wenn die Entscheidung kommt, kann er sie nachträglich erklären, egal wie seine Prognose zuvor war, die dann unter den Tisch fällt, falls sie anders war.

??

Swen hat am 28.07.2020 über die damalige BVerfG-Entscheidung berichtet und sie fachkundig erläutert und eingeordnet (ich berichte retrospektiv, da dies "vor meiner Zeit" war). Seitdem hat er die weitere Entwicklung umfassend, detailliert, fundiert, informativ und anfangs quasi "exklusiv" begleitet, da das Thema zu Beginn nahezu niemanden interessiert hat.

Die Reaktionen im Forum waren zunächst ebenfalls eher lauwarm (Beispielzitat: "die erwartete Sprengkraft wird nicht mehr als ein jämmerlicher Blupp sein"). Heute hingegen sind wir an einem Punkt, an dem die Besoldungsgesetzgeber verzweifelte Rückzugsgefechte führen (siehe beispielhaft den BBVAngG-Entwurf), weil sie genau wissen, dass ihnen das Ganze nach den anstehenden BVerfG-Entscheidungen um die Ohren fliegen wird.

Es ist also absolut absurd, Swen zu unterstellen, nachträglich seine Prognose unter den Tisch fallen zu lassen.

Und noch etwas: Ich habe vollstes Verständnis für jeglichen Frust bezüglich der langen Verfahrensdauer. Hierzu meine These: Gäbe es mehr Leute wie Swen und hätten diese in den vergangenen Jahren an verschiedener Stelle "mehr (politischen) Druck" erzeugt, wären wir heute mutmaßlich schon ein gutes Stück weiter..

PolareuD

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6389 am: 16.07.2023 15:33 »
Das spricht doch für die Gründung eines Vereins zur Wahrung der Besoldungsinteressen von Bundesbeamten!
 :)

oder

Verein zur Wahrung einer verfassungskonformen amtsangemessenen Alimentation von Beamten 
« Last Edit: 16.07.2023 15:42 von PolareuD »