Jetzt widerspreche ich Dir noch einmal, und dann ist aber auch gut, insbesondere, weil mein Widerspruch kein rechtlicher, sondern ein politischer ist: Ich kann bei aller Kritik im einzelnen nicht erkennen, wieso die Gewerkschaften in den letzten 20 Jahren einen "großen Bock" geschossen haben. Vielmehr ist deren Macht, Arbeitskämpfe zu führen, bis vor geraumer Zeit immer weiter zurückgegangen: Die Anzahl an Mitgliedern ist seit den endenden 1980er Jahren bis vor kurzer Zeit recht deutlich gesunken. Zugleich hat sich die Zahl an tarifgebundenen Beschäftigten in den letzten mehr als zwei Jahrzehnten immer weiter reduziert; auch das beschneidet Gewerkschaften in den Möglichkeiten, ihre jeweilige Macht auszuspielen oder sie zumindest zu erhöhen. Darüber hinaus sind es meines Wissens nach nicht die Gewerkschaften, die Löhne und Gehälter zahlen, sondern es sind das die Arbeitgeber. Wenn also jemand hier einen "großen Bock" geschossen hat, dann sind es offensichtlich sie - was nachvollziehbarerweise geschehen ist, da der einzelne Unternehmer aus nachvollziehbaren Gründen i.d.R. auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist.
Letztlich haben wir es offensichtlich mit einem typischen Phänomen des Übergangs von einer Industrie- in eine Dienstleistungsgesellschaft zu tun: In einer Industriegesellschaft fällt es Gewerkschaften prinzipiell leichter, Mitglieder zu werben und Tarifbindungen mit durchzusetzen. In einer Dienstleistungsgesellschaft mit der mit ihr einhergehenden Segmentierung von Lebenswelten ist das offensichtlich deutlich schwieriger. Umso mehr stehen Deutschland ggf. erst jetzt grundlegende ökonomische Wandlungen bevor, da unsere auf Export getrimmte Wirtschaft mitsamt eines starken Maschinenbaus und einer großen Autoindustrie ggf. mehr und mehr unter Duck geraten wird, sodass sich bei uns der Wandel von der Industrie- in die Dienstleistungsgesellschaft - nicht zuletzt im Zuge der Demographie - ggf. noch einmal deutlich beschleunigen wird. Die Folge dürfte - sofern es so kommt - eher eine weitere Absenkung der Lohnniveaus insbesondere in den unteren Segmenten sein.
Und nach der neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Alimentation in allen Rechtskreisen nachgewiesenermaßen seit 2008 nicht mehr amtsangemessen. Es darf davon ausgegangen werden, dass das auch schon geraume Zeit zuvor, als es eine noch bundeseinheitliche Besoldungspraxis gegeben hat, so war. Allerdings wird diese Kontinuität in absehbarer Zeit gebrochen werden - wenn das auch nicht ohne weiteren Widerstand vonseiten der Besoldungsgesetzgeber geschehen wird. Warten wir mal die angekündigten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ab. Deren Begründungen werden uns konkret schlauer machen, inwiefern sich der Druck auf die Dienstherrn erhöht. Hätte man darüber hinaus irgendwem von uns im Frühsommer 2020 erklärt, dass die Dienstherrn ab Anfang 2021 "freiwillig" massive Erhöhungen familienbezogener Besoldungsbestandteile vornehmen würden, hätte wir alle gesagt: Never, never, never. Genau das ist aber "freiwllig" geschehen, womit in einem ersten Schritt anerkannt worden ist, dass das vormalige Besoldungsniveau nicht mehr hinreichend und also materiell unzureichend gewesen ist. Diese Kröte haben mittlerweile alle Besoldungsgesetzgeber brav geschluckt, wenn sie auch weiterhin gezeigt haben, dass sie nicht über die mathematische Fähigkeiten eines fortgeschrittenen Grundschülers verfügen, soll heißen, ihre Bemessungen stecken voller einfacher Fehler hinsichtlich der Grundrechenarten. Sofern das Bundesverfassungsgericht, das bislang ja keinen nennenswerten Druck auf die Besoldungsgesetzgeber ausgeübt hat, allerdings einen nennenswerten Druck ausüben wird, werden die verhinderten Mathematiker in die Nachhilfe gehen und an der Übewindung ihrer Defizite arbeiten. Das Besoldungsniveau wird dann in den hinreichenden Bereich hineinwachsen - und auch die Umwandlung der exorbitant hohen familienbezogenen Besoldungskomponenten auf ein angemessenes Maß wird in dem Moment geschehen, wo diese Komponenten in ihrem sachlichen Gehalt und in ihrer Höhe vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig betrachtet werden werden. Je mehr scheinbare Schlupflöcher geschlossen werden, desto wahrscheinlicher ist die Rückkehr zu einer amtsangemessenen Alimentation. Was bliebe ihnen anderes übrig? Je nachdem, wie die aktuelle Entscheidung ausfallen wird, sind wir in drei bis sechs Jahren wieder bei einer amtsangemessenen Alimentation angekommen. Aber wie gesagt: Nach den angekündigten Entscheidungen werden wir manches klarer sehen können.